Statement zur Eröffnung der Dachmarkenkampagne „Am Anfang war das Wort“, Berlin

Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD

Es gilt das gesprochene Wort.

„Am Anfang war das Wort“, dieses Bibelwort steht ab heute als Dachmarke über der Reformations- bzw. Lutherdekade und den Vorbereitungen auf das Reformationsjubiläum 2017.
Alle Aktivitäten, die mit der Dekade verbunden sind und auf das Reformationsjubiläum 2017 hinführen, können ab sofort „Am Anfang war das Wort“ im Titel führen.

Formal gesehen eröffnet dieses biblische Motto die Möglichkeit, die vielfältigen Anstrengungen zur Luther- bzw. Reformationsdekade unter diese gemeinsame Dachmarke zu stellen. Wir denken dabei an Akteurinnen und Akteure auf der Bundesebene, in den Ländern und Kommunen, sowie in der Evangelischen Kirche in Deutschland, deren Gliedkirchen und den kirchlichen Körperschaften sowie an zivilgesellschaftlichen Interessenten wie den Tourismus.

Mit einer Dachmarke erreicht man einerseits ein gemeinsames Band zwischen den vielen Beteiligten, andererseits wird mit ihr eine gezielte und zugleich breite öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt. Und wir sind davon überzeugt, dass das Reformationsjubiläum 2017 eine breite Aufmerksamkeit verdient. Denn mit diesem Datum verbindet sich ein – wie der wissenschaftliche Beirat es formuliert – „welthistorisches Ereignis“:
Die Reformation vor 500 Jahren hatte ihren Beginn in Martin Luthers Anschlag der 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg – so wird es berichtet. Und mit diesen Hammerschlägen beginnt eine neue Zeitrechnung, denn mit ihnen geht symbolisch das so genannte „finstere Mittelalter“ zu Ende. Reformation ist keineswegs ein voraussetzungsloser, urplötzlicher Anfangspunkt dieser neuen Zeit und Martin Luther ist gewiss nicht alleiniger Heros einer allumfassenden Befreiung. Viele „moderne“ Werte aber wie Aufklärung und Demokratie, Individualität und Menschenwürde, Religionspluralität und Toleranz sind ohne die Reformation und ohne Martin Luther nur schwer denkbar. Reformation ist für diese Entwicklungen nicht alles, aber ohne Reformation wäre vieles nicht so gekommen, wie es nun ist.

Deswegen sind wir umso dankbarer, dass schon sehr früh das Land Sachsen-Anhalt – namentlich der damalige Ministerpräsident Böhmer – darauf hingewiesen hat, dass mit dem Jahr 2017 ein „außergewöhnliches Jubiläum“ ins Haus stünde und die baulichen, touristischen und infrastrukturellen Maßnahmen zeitig angegangen werden sollten. Die staatlichen und kirchlichen Partner haben diese Initiative gerne aufgenommen. Die außergewöhnliche Relevanz dieses Datums für vielfältige Bereiche und gesellschaftliche Gruppen ist erkannt und wird zunehmend auch im europäischen Ausland wahrgenommen.

Die Dachmarke „Am Anfang war das Wort“ verbindet ab heute eine außerordentlich umfassende Kooperation vieler staatlicher, touristischer und kirchlicher Institutionen und Organisationen. Ein gemeinsames Themenmanagement zu verabreden, war für die Dekade ein bedeutender Schritt. Heute gehen wir mit der Eröffnung der Dachmarkenkampagne und dem Botschaftsmanagement einen großen Schritt voran.

Gestatten Sie mir einige Akzentsetzungen zur inhaltlichen Bedeutung der Dachmarke „Am Anfang war das Wort“:

„Wort“ im biblisch-theologischen Sinne meint weit mehr als eine bestimmte Buchstabenfolge, die wir in Texten, Büchern oder sogar in der Heiligen Schrift lesen und in ihrem buchstabengemäßen Wortsinn rational erfassen.

„Worte“ – das Gotteswort und auch Menschenworte – wecken Gefühle, rufen Wissen wach, vertiefen Kultur, machen Diskurs und Gespräch möglich; Worte klären und vernebeln, Worte werden Musik, Worte geben Orientierung, Worte erschüttern die Seele und beruhigen sie.

Worte schenken denen, die sie hören, Werte, die sich gegen jede Funktionalisierung sperren. Jedes Wort dient auch als ein kleines Weltgedächtnis. Es ruft Erlebtes so in die Gegenwart, dass es nur noch Gegenwart ist.

„Am Anfang war das Wort“ – diese fünf Worte aus dem Anfang des Johannesevangeliums lassen eine ganze Welt entstehen mit weiteren großen hymnischen Sprachbögen, die das Johannesevangelium mit seinem Prolog spannt.

Das Johannesevangelium zitiert die Genesis, das erste Buch der Bibel, und gibt dem dort theologisch gedeuteten Anfang der Welt- und Menschenheitsgeschichte eine neue christologische Zuspitzung:
Am Anfang war nach dem Johannesevangelium nicht das „Tohuwabohu“, also das große Durcheinander, Irrsal und Wirrsal, wie Buber und Rosenzweig übersetzen, auch nicht die Tat, wie Goethe es meinte, sondern das eine Wort Gottes, Jesus Christus, der das Leben ist und das Licht. Das Licht der Welt, das die Finsternis nicht ergreift.

Beim „Wort Gottes“ geht es – so hat es auch Martin Luther uns ins Gedächtnis geschrieben – nicht um viele und vielstimmige Worte, sondern um das „eine“ Wort, um das, „was Christus treibet“.

Der Imperfekt des Johanneszitates „am Anfang war“ meint allerdings nicht eine Rückkehr in eine alte, schon zurückliegende oder gar überwundene Zeit. Anfang „ist“ immer auch ein Jetzt, ein gegenwärtiger Start, ein neuer Aufbruch zu etwas, was noch werden will oder werden soll. Es geht dem Johannes-Evangelium um die volle Präsenz auch dessen, was war und was künftig sein wird.

Der Theologe Karl Barth sagte, man solle doch bitte immer wieder mit dem „Anfang anfangen“.

Entsprechend wollen wir mit dem Reformationsjubiläum 2017 keineswegs nur zurücksehen und fragen: wie war es damals, was geschah wirklich? Sondern wir wollen auch fragen, was es uns heute bedeutet, welche Zukunft der Rückblick und welche Perspektiven die damalige Besinnung auf das „eine Wort“ Gottes hat.

Martin Luther fand mit seiner Orientierung an diesem einen Wort, das uns in der Bibel bezeugt ist, einen neuen Anfang, der unerhörte Befreiungen bewirkte, Höllenängste überwand, Festgefahrenes lockerte. Welche Ängste brauchen und verdienen heute diese Freiheit? Reformation ist ein Fest der Freiheit, nicht einer beliebigen, wohl aber einer „ent-ängstigenden“ Freiheit. Davon wollen wir reden, wenn wir uns unter das Wort stellen, „das am Anfang war“, das „heute ist“ und das Zukunft für uns bereit hält und eröffnet, allen Todesmächten und Todeserfahrungen zu Trotz!

„Am Anfang war das Wort“ ist die große Liebeserklärung der Bibel an die geschaffene Welt, und wir sind froh und dankbar, dass sich alle Partner der Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum und auf diesen Leitgedanken einlassen konnten.

Es wird im weiteren Verlauf der Lutherdekade darauf ankommen, dieses Wort und diesen Anfang zu bestimmen und zur Sprache zu bringen. Die allgemeine Trivialisierung und Atemlosigkeit, die Kommerzialisierung und Selbstüberforderung macht viele Menschen heute ebenso mutlos, ängstlich und verzweifelt wie damals, zur Zeit des Evangelisten Johannes und zur Zeit Martin Luthers. Sie brauchen das Wort, das ihr Leben erleuchtet und sie brauchen den Anfang, in dem Neues wachsen kann.

Wir eröffnen heute diese Dachmarkenkampagne, weil wir davon überzeugt sind, dass die Kirche, der Staat und die Zivilgesellschaft gemeinsam, aber doch jeder in eigener Freiheit, mit einer eigenen Sprache und mit unterschiedlichen Akzentsetzungen, mit diesem Claim „Am Anfang war das Wort“ arbeiten können.

Es sind fünf Worte, 18 Buchstaben, 500 Bücher, die heute auf die Reise in das Bundesgebiet geschickt werden. Mit dem Wort vom Anfang beginnt eine Dachmarkenkampagne, von der wir hoffen, dass sie nicht nur Gemeinsamkeit und breites Interesse fördert, sondern darin auch Gottes Segen und Geleit erfährt.