„anders wachsen“: Gemeinde-Projekt für mehr Nachhaltigkeit

Zwei Dresdner Kirchengemeinden setzen alternative Wirtschafts- und Lebensmodelle Stück für Stück in die Tat um

Sie transportiert ältere Menschen genauso wie Kinder oder schwere Sachen. Für zwei Dresdner Kirchengemeinden, die sich auf die Suche nach gerechten und nachhaltigen Formen des Wirtschaftens und gemeinsamen Lebens gemacht haben, ist die umweltfreundliche Generationen-Rikscha längst zu einem Symbol geworden. „Sie macht alternative Mobilität sichtbar“, sagt Juliane Assmann. „Und obendrein verbindet sie Generationen.“ Die Theologin ist Referentin für ein innovatives Gemeinde-Projekt: „anders wachsen“ heißt es. 

Bauerngarten - 'anders wachsen' - Dresden

Das ungewöhnliche Projekt hat viele weitere Früchte wachsen lassen: Auf der Birkenwiese vor der Hoffnungskirche im Dresdner Stadtteil Löbtau erblüht zum Beispiel ein Bauerngarten in Permakultur, es gibt einen Tauschschrank für Lebensmittel in der Johannstadt, die östlich der Altstadt Dresdens liegt. Und für diejenigen, die Gegenstände nicht gleich wegwerfen möchten, nur weil sie kaputt sind, hat ein Gemeindemitglied der dortigen Gemeinde Johannes-Kreuz-Lukas die handwerkliche Nachbarschaftshilfe ins Leben gerufen. Außerdem richten beide Gemeinden ihre Beschaffung nach sozialen und ökologischen Kriterien aus. Daneben gibt es Tagzeitengebete und Exerzitien zur Schöpfungsbewahrung. Kooperationen mit „Fridays For Future“ und BUND laufen an. Auch die „Solidarische Landwirtschaft Schellehof“ hat bereits ein Depot zum Verteilen ihrer Ernteteile in der Gemeinde Frieden und Hoffnung.

Viele weitere Ideen sollen in den nächsten Jahren reifen und ebenfalls in die Tat umgesetzt werden. Sie sollen sichtbar machen, wie alternatives Wirtschaften im Kleinen und Großen möglich ist. „Das Projekt soll Lösungen aufzeigen und Mut machen“, sagt Assmann, die sich schon lange in der Friedens- und Menschenrechtsarbeit engagiert. „Wir wollen aus der Empörung herausführen, aus der Verzweiflung über die kapitalistische und leistungsorientierte Gesellschaft.“

Das Projekt der beiden Dresdner Gemeinden sieht Assmann deswegen als „Experimentierraum“, als „Reallabor“, als „Postwachstumsgesellschaft im Kleinen“. Es gehe um Entschleunigung, um eine Ethik und Frömmigkeit des Genug, um gutes, um gerechtes Leben für alle, sagt Assmann. Spiritualität, Gemeindeaufbau, Lebensstil, Bildung, Menschenrechte und Vernetzung – alle Bereiche des Lebens sollen vom „anders wachsen“-Gedanken her neu gedacht werden. „Wir brauchen Orte, an denen Menschen eine Ahnung bekommen: Ja, so könnte es anders gehen. So kann eine Gesellschaft jenseits des Wachstums aussehen. So fühlt sich das an, so riecht und schmeckt das.“ 

Die Johanneskirchgemeinde Dresden-Johannstadt-Striesen und die Kirchgemeinde Frieden und Hoffnung in Dresden-Löbtau wollen neben den Gemeindemitgliedern auch kirchenferne Menschen ansprechen und zur Mitwirkung motivieren. „Nie war es so dringend, darüber zu sprechen, in was für einer Welt wir leben wollen und können“, sagt Assmann. „Viele Fragen werden bereits in der Bibel diskutiert: Wie könnte eine solidarische Wirtschaftsform aussehen? Was können wir essen und konsumieren, wenn uns Menschenrechte nicht nur in Deutschland wichtig sind? Welche Weisheiten und Rezepte unserer Großeltern könnten wir dabei entdecken?“ 

Auch etliche Gemeindemitglieder hat dieser Gedanke motiviert, sie beteiligen sich aktiv. Zum Beispiel diskutieren sie, was gutes Leben ist oder wie sich das Grundeinkommen umsetzen lässt. Deutschlandweit haben 1700 Menschen den Newsletter des Projekts abonniert.

Der Anfang zu „anders wachsen“ liegt allerdings schon länger zurück. Eine Sächsische Basisinitiative forderte die Evangelische Kirche in Deutschland bereits 2011 auf, sich öffentlich für Alternativen zur globalen Wirtschaftsordnung stark zu machen. Daraus entwickelte sich die Idee einer „anders wachsen“-Modellgemeinde. 2016 wurde zunächst eine halbe Projektstelle etabliert, 2019 eine volle Stelle, die vom Lutherischen Weltbund, der Stiftung Kulturelle Erneuerung und der sächsischen Landeskirche gefördert wird.

„Die Kirche ist schon ganz gut dabei, wenn es um Klimaschutz geht“, sagt die 29-jährige Theologin. „Es könnte aber gerne noch mehr sein.“ Es geht darum Haushalte und Verwaltungsstrukturen neu zudenken, aber auch um die Mitarbeit jeder einzelnen Person, sagt Assmann. „Wir behaupten nicht, Lösungen für alles zu haben. Aber wir fordern, dass andere Wege ausprobiert werden.“

Weitere Informationen finden Sie auf der Seite des Modellprojekts „anders-wachsen“. Über neue Entwicklungen informiert der Newsletter: „anders wachsen“-Newsletter direkt abonnieren oder per Email bestellen über juliane.assmann@evlks.de.

Text: Sven Kriszio