Neuen Lebensmut tanken im „Mittendrin“

In Pirmasens bringt ein Modell-Nachbarschaftstreff der Diakonie die Menschen zusammen

Treffen im Begegnungszentrum „Mittendrin“ in Pirmasens

Immer donnerstagmorgens kommt die lockere Runde im neuen Begegnungszentrum  „Mittendrin“  zusammen. Jemand hat einen Kuchen auf den Tisch gestellt, es gibt kostenlosen Kaffee.

Irgendwann drohte ihr zu die Decke auf den Kopf zu fallen. „Die Kinder sind aus dem Haus, zu den deutschen Nachbarn habe ich keinen Kontakt“, erzählt die 55-jährige Iranerin. „Ich bin frustriert, habe keinen Job und fühle mich einsam.“ Die gelernte Friseurin, die seit vielen Jahren in Deutschland lebt, ist zum ersten Mal ins „Erzählcafé“ gekommen. Sie sitzt am Tisch mit anderen zusammen, hört zu, erzählt von ihrem Leben. Ab und an blitzt ein Lächeln in ihrem Gesicht auf. Sie ist mittendrin.

Immer donnerstags kommt die lockere Runde im neuen Begegnungszentrum „Mittendrin“ der pfälzischen Diakonie in Pirmasens zusammen. Jemand hat einen Kuchen auf den Tisch gestellt, es gibt kostenlosen Kaffee. Der Raum ist lichtdurchflutet, mit einem großen Fenster zur Fußgängerzone. An der Theke liegen Zeitungen aus. Im Nebenraum paukt eine Gruppe muslimischer Frauen deutsche Grammatik in einem Sprachkurs, den eine ehrenamtliche Helferin gibt.

Albert Gomille zeigt sich sehr zufrieden. „Es läuft supergut“, sagt der Sozialpädagoge und Leiter des Projekts. Seit Mitte Juni treffen sich dort in zentraler Lage von Montag bis Freitag zahlreiche Pirmasenser Bürger, um miteinander ins Gespräch zu kommen und sich auch gegenseitig zu helfen. Der Nachbarschaftstreff sei eine Plattform, auf der die Einwohner eigene Freizeit- und Bildungsangebote präsentieren könnten, ohne organisatorische Hürden, erzählt Gomille, der auch das „Haus der Diakonie“ in Pirmasens leitet. Zudem bieten Diakoniemitarbeiter Sozial- und Lebensberatung an.

Im Frühjahr sorgte die strukturschwache westpfälzische Stadt bundesweit für Schlagzeilen, als sie einen Zuzugsstopp für anerkannte Flüchtlinge und Asylbewerber verfügte. Seit Jahren leidet das einstige Zentrum der deutschen Schuhindustrie unter hoher Arbeitslosigkeit. Junge Leute ziehen weg, Geschäfte stehen leer, die Armut steigt.

Ziel des „Mittendrin“-Projekts: Lebensmut und Integration

Zuletzt zeigte sich die 42.000-Einwohner-Stadt überfordert bei der Integration vieler zuziehender Flüchtlinge, die wegen der niedrigen Mieten in die Stadt kamen. Der bis Mitte 2019 geltende Zuzugsstopp verschaffe der Stadt eine Atempause und wirke der Gefahr sozialer und gesellschaftliche Ausgrenzung entgegen, sagt Bürgermeister Markus Zwick.

Das Zentrum von Pirmasens ist seit Jahren ein sozialer Brennpunkt. Dort leben viele bedürftige Familien, Langzeitarbeitslose, alte Menschen, Migranten. Etliche seien ohne Hoffnung und vereinsamt, manche auch psychisch krank, hätten ihr Selbstwertgefühl verloren, erzählt Gomille. Ziel des „Mittendrin“-Projekts sei es, die verschütteten Kräfte dieser Menschen anzuregen, ihnen neuen Lebensmut zu geben, die Geflüchteten zu integrieren. Das Land Rheinland-Pfalz gibt dafür einen Zuschuss von 140.000 Euro, hinzu kommen Spenden. Das Projekt ist erst einmal auf zwei Jahre angelegt.

„Ich will einfach Leute kennenlernen“

Es sind die Pirmasenser, die das Zentrum mit Leben füllen. Die frühere Schulleiterin Angelika Zauner-Kröher gibt Flüchtlingsfrauen und ihren Kindern ehrenamtlich Sprachunterricht. Eine Frauengruppe lädt unter dem Motto „Ich tue mir Gutes!“ zu Freizeitaktivitäten ein. Ein Flüchtlingsberater der Diakonie veranstaltet regelmäßig einen „interkulturellen Austausch“, ein Gemeindepädagoge gibt Tipps für jene, die „Länger ohne Arbeit“ leben müssen.

Auch ein „Trockenalkoholiker“ ist an diesem Morgen erstmals im „Mittendrin“. Zehnmal, erzählt der 72-Jährige, sei er einst rückfällig geworden und wolle nun Betroffenen zeigen, dass es Wege aus der Sucht gebe. Ewald Mayer hingegen ist von Anfang an dabei und hat Freude daran, seine Gedichte vorzutragen. „Ich will einfach Leute kennenlernen“, sagt der Rentner. Eine 84-jährige Dame aus Ostpreußen ist gerne still unter Menschen und „hört lieber zu“, was diese zu erzählen haben.

Der Nachbarschaftstreff diene dem sozialen Frieden in der Stadt

Die junge Iranerin Anita, die seit drei Jahren in Pirmasens lebt, will die deutsche Sprache besser lernen. Eine Landsfrau von ihr kocht und backt für den Sprachkurs sowie für die Kinder in der protestantischen Luther-Kindertagesstätte, die nur wenige Schritte entfernt ist.

Der Nachbarschaftstreff bringe Menschen zusammen, die sonst kaum Kontakte zueinander hätten, hat der protestantische Pfarrer Wolfdietrich Rasp beobachtet. Dadurch diene er auch dem sozialen Frieden in der Stadt. Der hohe Migrantenanteil und die breite Armut förderten jene nationalistischen Kräfte, sagt er, „die den rechten Arm nicht unten halten können.“ Das erfolgreiche Pirmasenser Gemeinwesenprojekt könnte schon bald Nachahmer in der Landeskirche finden, stellt Diakoniepfarrer Albrecht Bähr in Aussicht.

Die 55-jährige Friseurin aus dem Iran will demnächst wieder zum Erzählcafé kommen. Der Kontakt tue ihr gut, sagt die Frau, die ehrenamtlich als Dolmetscherin arbeitet. „Und vielleicht“, sagt sie, „finde ich auch jemanden, der mir bei der Suche nach einem Job hilft.“

Alexander Lang (epd)