Bericht über das Podiumsgepräch "Zukunft der Arbeit" am 7. November in Brüssel

Unter dem Titel „Die Zukunft der Arbeit – Welche Ethik für das digitale Zeitalter?“ fand am 07. November 2018 eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion im Haus der EKD in Brüssel statt. Auf Mechanisierung, Elektrifizierung und Automatisierung folgt unter dem Begriff „Industrie 4.0“ die Digitalisierung. Wie eine Gestaltung des Transformationsprozesses unter Beteiligung der Gesellschaft gelingen kann, welches Orientierungswissen nötig ist und ob die humane Kultur von der Maschine bedroht ist, waren die Themen des spannenden Austausches zwischen der Vorsitzenden des Europäischen Ethikrates, Frau Prof. Dr. med. Christiane Woopen und dem vormaligen Vorsitzenden des Rates der EKD, Prof. Dr. Wolfgang Huber.

Die Leiterin des EKD-Büros Katrin Hatzinger, merkte in ihrem Grußwort an, dass die Digitalisierung der Arbeitswelt für die Kirche mit Blick auf die Betroffenheit von Menschenwürde und Autonomie von besonderer Bedeutung sei und ein ethisch verantwortungsvoller Umgang mit Potentialen und Risiken der digitalen Technologien unabdingbar sei.

Frau Prof. Woopen appellierte an die Notwendigkeit einer Gestaltung des Transformationsprozesses durch die Gesellschaft. Selbst die beste Technik bringe keine tatsächliche Innovation, soweit der Transformationsprozess nicht durch die Gesellschaft begleitet würde. Hierfür müsse aber auch die nötige Sensibilisierung junger Menschen für algorithmische Systeme geschaffen werden. Die Entwicklung, Qualität und Eigenart künstlicher Intelligenz (KI) sei nämlich abhängig von Auswahl und Art der zur Verfügung gestellten Daten. Algorithmische Systeme träfen Entscheidungen nach Maßgabe einer von Menschen getroffenen Auswahl von Daten. Wenn man nämlich eine künstliche Intelligenz (KI) mit einem Datensatz füttere, der dem KI-System beibringe, dass Frauen schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätten als Männer, dann würde dieses KI-System auch tatsächlich auf Grundlage der Zuordnung schlechterer Werte für Frauen entscheiden. Im Hinblick auf die Digitalisierung gelte es weiter zu bedenken, dass diese auch Entkoppelungseffekte mit sich bringe, die in Form örtlicher und zeitlicher Flexibilisierung Chancen böten. Gleichfalls müsse man aber auch negative Implikationen berücksichtigen − insbesondere mit Blick auf die soziale Sicherheit. Die Gestaltbarkeit dieses Transformationsprozesses setzte ein Bewusstsein der Gesellschaft dafür voraus, welche Aspekte Motivationsfaktoren für Arbeit sein können: Etwa einen Beitrag zu leisten, Kompetenzen zum Einsatz bringen oder Wertschätzung für Geleistetes zu erfahren. Überhaupt sei die Schaffung eines Bewusstseins dafür erforderlich, dass die Ausgestaltung des Arbeitsplatzes würderelevant sei. Der Europäische Ethikrat setze in seinen Empfehlungen, die voraussichtlich für Januar 2019 zu erwarten seien, gerade deshalb bei der Menschenwürde an und stelle die Frage nach der Autonomie. Jede Veränderung der Arbeitsplatzgestaltung seien würderelevant und beträfe die Autonomie des Individuums und den Schutz der Privatheit.  Die Stellungnahme der EGE umfasse ein breites Verständnis von Arbeit, das nicht nur übliche Anstellungsformen der bezahlten Arbeit erfasse, sondern auch die unbezahlte Arbeit in Form ehrenamtlicher Unterstützung von Gesellschaft oder Familie. Die Interessen der Wirtschaft dürften nicht außer Betracht gelassen wer-den, müssten aber mit ethischen Grundsätzen in Einklang gebracht werden. Langfristig müssten soziale Sicherungssysteme vom Arbeitsmarkt entkoppelt und eine tiefgreifende Debatte über das Menschenbild, das wir wollen, geführt werden. Daneben ginge es darum, „Artificial Intelligence made in Europe“ (d.h. einen wertebasierten Umgang mit AI) zu befördern. Schließlich müsse mehr in Erziehung und Ausbildung investiert werden, um kontributive Gerechtigkeit zu erreichen. 

Altbischof Wolfgang Huber erörterte, inwieweit die Herausforderungen um die Transformationsprozesse der Industrie 4.0 theologische Relevanz besitzen. Um die epochalen Veränderungen existierten Deutungskämpfe, die religiös aufgeladen seien. Es sei notwendig, dass das ursprüngliche Heilsversprechen in geschichtliche Gestaltungsbeiträge transformiert werde. Die Trans-formation sei auch heute noch eine theologische Aufgabe. Letztlich gehe es um den Unterschied zwischen Gott und Mensch. Die Disruption sei im Falle der Industrie 4.0 rasanter und weitreichen-der als im Falle der vorhergehenden Stufen der Mechanisierung, Elektrifizierung und Automatisierung. Die Herausforderung bestünde darin, den digitalen Wandel so zu gestalten, dass es sich um eine Transformation und nicht um eine Disruption handelt. Dabei dürfe unser Bild vom Menschen nicht in Frage gestellt werden.

Dann elaborierte er die Bausteine des christlichen Menschenbildes: Erstens bestehe der Mensch in einer Reaktion.  Der Mensch sei das Ebenbild Gottes. Daher könne er auch als „der Gott Entsprechende“ bzw. als „der zur Antwort Befähigte“ bezeichnet werden. Würde und Antwortfähigkeit seien wesentliche Bausteine dieses Menschenbildes. Zweitens sei der Mensch kein isoliertes Einzelwesen, sondern es bestünde ein dreifaches Beziehungsgeflecht: Die Beziehung zum Nächsten, die Beziehung zu Gott und die besondere Eigenschaft des Menschen, zu sich selbst in Beziehung zu treten. Eine weitere Besonderheit sei die Unvollkommenheit des Menschen. Irrwege, Sünde, Leiden, Vulnerabilität und Angewiesenheit und Gnade gehörten zum Menschenleben dazu. Ein weiterer Baustein sei das Schöpferische. Der Mensch sei ein Mitarbeiter Gottes. Das schöpferische Potential begründe den Auftrag, dass Menschen gestaltend auf die Umwelt einwirken.

„Die Arbeit gehört zum Menschen, wie zum Vogel das Fliegen“ habe Martin Luther einmal festgestellt. Die Menschen seien als vernunftbegabte Wesen gestaltend tätig. Die wesentliche Eigenschaft des freien Menschen sei schließlich seine Autonomie. Freiheit meine das Bewusstsein, eine Handlung von sich aus anzustoßen. Der Kern der Aufklärung bedeute, dass sich Menschen selbst Regeln auferlegen können. Der aufgeklärte Mensch sei in diesem Zusammenhang zu einer Selbstprüfung fähig, ob diese Regeln gelten können. Die Kernfrage sei, ob wir als Menschen bereit seien, Maschinen Qualitäten zuzuerkennen, die bislang nur uns als Menschen zu Eigen gewesen sind. Im Rahmen dieser Selbstgesetzgebung stelle sich die Frage, ob eine Abgabe der Autonomie gleichzeitig zu einer Abkehr von der Ethik führe.

Man dürfe nicht den Fehler begehen, die Gefahren und Herausforderungen der Industrie 4.0 auf einzelne Bereiche zu verengen. Die Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz würfen nicht nur die Frage auf, ob der Computer schlauer sein dürfe als der Mensch. Die Entwicklungen im Bereich der Verdrängung der Arbeitskraft würfen nicht nur die Frage nach dem Arbeitsplatz auf. Diese Reduktion auf den Charakter als Verstandeswesen bzw. als Arbeitskraft würden verkennen, dass den Menschen eine Vielzahl von Eigenschaften und Qualitäten ausmache.

Mut machen könne der Umstand, dass menschliche Arbeit aus mehreren Dimensionen bestünde, die sich zumindest in entlohnte Erwerbsarbeit, eigene Familienarbeit und gesellschaftliche (freiwillige oder ehrenamtliche) Arbeit unterteilen lasse. Ein Ende der Arbeitsgesellschaft sei daher durch die Industrie 4.0 ausgeschlossen.

Jedenfalls aber sei eine dringende Empfehlung dagegen auszusprechen, bei der Debatte um eine sinnvolle Transformation von der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens auszugehen. Diese Überlegungen einiger Geschäftsführer von Unternehmen (CEOs) seien empörend, da sie eine Freizeichnung von einer verantwortungsvollen Transformation unter Berücksichtigung theologischer und ethischer Aspekte impliziere.

OKR Dr. theol. Ralph Charbonnier, Referent für Sozial- und Gesellschaftspolitik im Kirchenamt der EKD, leitete sodann die Diskussion ein und lenkte den Blick zunächst auf die Frage ein, worin die Interessen lägen, die Industrie 4.0 als Heilsversprechen zu bezeichnen gegenüber den Interessen, in der Industrie 4.0 die Apokalypse zu sehen.  Prof. Huber betonte zunächst, dass jedes Handeln interessensgeleitet sei. Für ein Gelingen des Transformationsprozesses sei ein Bewusstsein dafür von wesentlicher Bedeutung, dass die Wirtschaft nicht allein der individuellen Profitmaximierung, sondern auch dem kollektiven Wohl der Gesellschaft dienen solle und dass etwa die Bildung nicht nur dem Erkenntnisgewinn dienen, sondern auch eine Möglichkeit zur Entfaltung des Menschen eröffnen solle. Frau Prof. Woopen führte  in diesem Zusammenhang den geleakten Youtube-Film „The Selfish Ledger“ an, der eigentlich einem google-internen Kreis die Vorteile und Chancen eines Menschen als Hülle von Daten zum Wohle der Spezies und der ganzen Welt präsentieren sollte. Was dort als Heil und Chance angepriesen werde, bewerte sie vielmehr als Unheil. Die Diskussion beschäftigte sich sodann mit den Grenzen der Ersetzbarkeit menschlicher Arbeitskraft. Darauf erwiderte Frau Prof. Woopen, dass die Ersetzbarkeit nicht nur regelgeleitete Tätigkeiten erfasse. In Japan existierten bereits Roboter, die Beerdigungen vornähmen. Herr Prof. Huber mahnte, dass die Frage nach der bloßen Substitutionsrate unerheblich sei. „Hands and heads will be less important, hearts will be more important“ zitierte er den amerikanischen Wissenschaftler Barry Schwartz. Entscheidend sei, dass die Empathie eine hinreichende Aufwertung erfahre. Zudem behandelten die Podiumsdiskutanten die Frage, wie den Verlockungen der Profitmaximierung mit Hilfe der Digitalisierung durch Wirtschaftsunternehmen Einhalt geboten werden könne. Dazu äußerte Frau Prof. Woopen, dass der Einsatz von Regularien und die Förderung von kritischer Reflektionsfähigkeit einen hilfreichen Beitrag leisten könnten. Herr Prof. Huber betonte, dass Orientierungswissen ein Schlüssel sei, um dem Menschen seine notwendige Souveränität zu erhalten, die Maschinen abschalten zu können. Eine weitere Frage war, wie soziale Sicherungssysteme künftig ausgestaltet werden müssen, um den Herausforderungen der Digitalisierung gewachsen zu sein. Insoweit seien − so Frau Prof. Woopen − regulative Modelle im multilateralen Kontext notwendig, die nicht nur die Staaten als Adressaten in den Blick nehmen, sondern auch die großen Unternehmen selbst verpflichten.

Die Veranstaltung machte die Bedeutung einer ethischen Reflexion der Digitalisierungsprozesse in der Arbeitswelt deutlich, zeigte die Bedeutung der Theologie in diesem Zusammenhang auf und sprach die anstehenden sozialen Herausforderungen deutlich an. Die Zivilgesellschaft entscheidet letztlich selbst über die weitere Entwicklung aktueller Transformationsprozesse und damit auch darüber, ob sich Dystopien von heute in Utopien von morgen verwandeln.

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,

sehr herzlich darf ich Sie zu unserer Veranstaltung „Die Zukunft der Arbeit“ Welche Ethik für das digitale Zeitalter?“ begrüßen. Ich freue mich sehr, dass wir Sie, liebe Frau Prof. Dr. Woopen als Vorsitzende des Europäischen Ethikrates dafür gewinnen konnten, uns heute Abend Einblicke in den Stand der Beratungen der EGE zum Thema geben. Besonders dankbar bin ich darüber hinaus, dass es uns gelungen ist, für Sie als „Sparring-Partner“ niemand geringeren als den vormaligen Ratsvorsitzenden des Rates der EKD und früheren Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz, Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber, zu gewinnen. Sehr geehrter, lieber Wolfgang Huber, schön, dass Sie heute den Weg nach Brüssel gefunden haben. Dass Sie beide sich nicht zuletzt aufgrund Ihrer Zusammenarbeit im Deutschen Ethikrat gut kennen, trifft sich umso besser. Wir sind äußerst gespannt auf den Austausch zwischen der renommierten Medizinethikerin und dem profilierten Theologen und Sozialethiker. Seien Sie herzlich willkommen.

Herzlich begrüßen darf ich auch den Moderator der heutigen Veranstaltung, Dr. Ralph Charbonnier. Er leitet im Kirchenamt der EKD in Hannover das Referat für sozial- und gesellschaftspolitische Fragen. In dieser Funktion ist er auch für die Kammer für soziale Ordnung zuständig, die aktuell einen EKD-Text zum Thema „Den digitalen Wandel gestalten“ erarbeitet, der im kommenden Jahr veröffentlicht werden soll.

Kirche und Digitalisierung, das ist kein Selbstläufer, aber auch kein Gegensatz. Innerhalb der EKD gibt es zahlreiche Initiativen dazu, die Kirche in der digitalen Welt zu verorten und auch die ethische Debatte gewinnt zunehmend an Fahrt, auch wenn der EKD Ratsvorsitzende Heinrich Bedford- Strohm vor zwei Jahren noch davon sprach, dass die digitale Welt „eine ethische Grauzone“ sei. Das Thema Digitalisierung  bzw. industrielle Revolution 4.0. (nach der Mechanisierung, Elektrifizierung und Automatisierung) ist ein wichtiges Thema für die Kirchen, geht es doch darum unter den Vorzeichen des digitalen Wandels die Würde des Menschen und seine Autarkie zu wahren, Nächstenliebe und Barmherzigkeit zu leben sowie die Teilhabe aller zu ermöglichen.

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!

mahnte Friedrich Schiller in seinem Gedicht „Die Künstler“. Schillers Zeilen lassen sich jedoch nicht nur als Mahnung, sondern auch als Auftrag an Kunst und Wissenschaft lesen. Denn seiner Meinung nach sind die Kunst und die Wissenschaft in der Lage, des Menschen Würde zu vervollkommnen. Die ganze Ambivalenz der Debatte ist also in diesen wenigen Zeilen bereits angelegt.

Je nach Perspektive wird die Digitalisierung der Arbeitswelt entweder mit großen Hoffnungen auf die Eröffnung neuer Berufsfelder, mehr wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand oder aber mit großen Ängsten vor Arbeitsplatzverlust wegen Verdrängung durch Maschinen, einer Vertiefung sozialer Spaltungen zwischen hoch- und geringqualifizierten Arbeitnehmern und Abbau von sozialen Schutzstandards verbunden.

Fest steht, der digitale Wandel schreitet rasant voran und es fällt nicht nur der Politik schwer, mit der enormen Geschwindigkeit der technologischen Entwicklungen Schritt zu halten und ein passendes gesetzliches Regelwerk aufzulegen, sondern auch wir Normalbürger sind mit den Möglichkeiten des technischen Fortschritts oft überfordert.

Je schneller der technische Fortschritt voranschreitet, umso dringlicher stellt sich daher die Frage, wie ein ethisch verantwortlicher Umgang mit digitalen Technologien in der Arbeitswelt und ihren Potentialen und Risiken aussehen kann? Ist die Technik für den Menschen da oder der Mensch für die Technik?

Bereits im Februar dieses Jahres hatte die European group on ethics zu einem Austausch über die verschiedenen Aspekte des Themas „Zukunft der Arbeit“ eingeladen, an dem auch Kirchenvertreter beteiligt waren. Ende des Monats soll nun das Meinungspapier mit Empfehlungen an die EU-Kommission vorgelegt werden. Wir freuen uns, dass wir heute sozusagen exklusiv und vorab erste Einblicke in die Beratungsergebnisse der EGE erhalten werden und ich darf nun Sie bitten, liebe Frau Prof. Woopen, uns den Stand Ihrer Beratungen in einem kurzen Impuls darzulegen, bevor Prof. Huber darauf aus theologischer Warte reagieren wird.

Ich wünsche uns allen einen anregenden Abend!