Die Wahrheit erwarten

Geistlicher Impuls zur Fastenzeit von Eberhard Hadem, Pfarrer und Radioprediger

Johannes 14,1–7

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.

Kreuz vor Hintergrund blauen Himmels und Sonne

Sich einer schmerzlichen Wahrheit zu stellen, ist nicht einfach. Jesus bereitet seine Jünger auf seinen nahenden Tod vor. Er führt sie zur Wahrheit – doch der Tod ist für ihn nicht das Ende. Wie stehen wir dazu?

Dieses Gespräch zwischen Jesus und Thomas wird häufig bei Beerdigungen vorgelesen. Es bringt zwei Gedanken nahe: zum einen das Bild von den vielen Wohnungen Gottes: Es gibt genug Raum bei Gott. Unterschiedliche Menschen sind bei ihm geborgen. Der zweite Gedanke handelt von dem, was die Bibel eine Verheißung nennt, ein Versprechen der Treue Gottes zu den Menschen: Wie Thomas wissen auch wir nicht, wie es sein wird, wenn wir sterben und wo wir dann genau sein werden. Doch Jesus verspricht, dass er uns erwarten wird, wenn wir durch jene Tür treten, die wir Tod nennen. Johannes rückt das Gespräch nahe an die Abschiedsreden Jesu heran. Kurz zuvor kündigt Jesus dem Jünger Petrus an, dass dieser ihn verleugnen werde. Er spricht vom nahen Ende seines Lebens: „Wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.“ (Vers 4)

In Gesprächen mit Todkranken begegnet mir manchmal eine ähnliche Bereitschaft der Sterbenden, offen zu sein. Ehrlich sprechen zu dürfen, ist geradezu befreiend für sie. Den Jüngern dagegen geht es wie vielen Angehörigen. Sie verdrängen die Anzeichen des nahenden Todes. Die Vorstellung von Jesu Todes lähmt sie: „Wie können wir den Weg wissen?“ (Vers 5) Sich einer Wahrheit zu stellen, die schmerzt, ist nicht einfach. Geduldig bereitet Jesus die Jünger vor. Er führt sie in die Wahrheit – obwohl diese eine andere sein wird, als sie bis dahin denken. Wo sie im Tod das Ende aller Möglichkeiten sehen, sieht er eine andere Wahrheit.

Seit Jesu Auferstehung ist der Tod eine Tür

In der Nürnberger Lorenzkirche hängt das so genannte Keyper-Epitaph (1484) von Michael Wolgemut, das die Kreuzabnahme Jesu zeigt. Ganz dominant: der große schwarze Balken des Kreuzes, die weiße Haut des leblosen Körpers Jesu halb am Boden, die weinenden Frauen darum kauernd. Der Tod ist übermächtig in diesem Bild. Zumindest vordergründig. Das Bild macht es dem Betrachter nicht leicht, die tiefere Wahrheit des Todes zu entdecken, die seit Jesu Auferstehung in der Welt ist: Dass der Tod eine Tür ist. Dass der Auferstandene einen neuen Weg öffnet. Dass Jesus selbst der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Diese tiefere Wahrheit im Bild wahrzunehmen, dazu braucht es – wie im Leben – eine gute Portion Geduld, einen offenen Blick und Zuversicht.

Dann entdeckt man die kleinen Szenen im Hintergrund. An einer Stelle begegnen zwei Jünger am Ostermorgen Jesus auf dem Weg nach Emmaus und erkennen ihn nicht. An anderer Stelle läuft der auferstandene Jesus barfuß, in einen roten Umhang gehüllt, auf die Tore der Stadt zu. Leicht ist sein Schritt, ohne jedes schwere Gepäck, der Kopf umstrahlt mit dem goldenen Schein eines Kreuzes. Er trägt eine Siegesfahne in der Hand. Diese geradezu heitere Osterfigur von sieben Zentimeter Größe hat der Künstler direkt neben den schwarzen Balken des Kreuzes gemalt. Eine Gleichzeitigkeit, die beinahe wehtut. Oder aber zum Lachen bringen kann. Osterlachen. Das Überraschende: Hat man diese Miniaturen erst einmal entdeckt, kann man sie nicht vergessen. Sie sind klein, aber groß in der Wirkung.

Der übermächtige Sog des Todes wird weniger. Der Leichtfüßige auf dem Weg in die Stadt will auch zu mir hereinkommen. Und weder dicke mittelalterliche Stadtmauern noch innere Trutzburgen sind für ihn ein Hindernis. Mich von Jesus in seine Wahrheit führen lassen – das will ich üben, nicht nur in dieser Karwoche.

Eberhard Hadem, Pfarrer und Radioprediger

Impuls-Fragen

1. Welche Vorstellungen und Erwartungen könnte der Gedanke wecken, dass die Wahrheit eine Person – Jesus Christus – ist? Was dürfen wir hoffen?
2. Wer mich erkennt, sieht und kennt auch Gott, sagt Jesus. Was wird durch Jesus, den Sohn, verständlicher an Gott, dem Vater? Was bleibt fremd?
3. Es gibt lähmende todesähnliche Erfahrungen mitten im Leben, in denen wir meinen, nicht mehr handeln zu können, keinen Ausweg mehr zu haben, in aussichtsloser Lage gefangen zu sein. Wie kann Jesus als „Weg und Wahrheit“ helfen, damit anders und besser umgehen zu können?


Der Text stammt aus dem Magazin „ZUTATEN. Themenheft zur Fastenaktion der evangelischen Kirche 2019“, edition chrismon.

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