„Datei öffnen, Predigt lesen, Datei wieder schließen“

Jonas Goebel aus Hamburg bietet auf seinem Blog einen Leseservice für seine Predigttexte an

Jonas Goebel, 29-jähriger angehender Pastor in Hamburg, geht einen nicht unbedingt neuen, doch anderen Weg zur Verkündigung der christlichen Botschaft: Bevor er im Gottesdienst predigt, haben die Menschen die Möglichkeit, seine Texte zu lesen. Dafür können sie sich auf seinem Blog anmelden.

Gottesdienstbesucher mit Smartphone

Bevor der angehende Pastor Jonas Goebel im Gottesdienst predigt, haben Testleser die Möglichkeit, ihm Feedback zur Predigt zu geben.

Herr Goebel, wie sind Sie auf die Idee gekommen, Ihre Predigten lesen zu lassen?

Jonas Goebel: Ich habe mir verschiedene Ideen für die Vor- und Nachbereitung meiner Predigten mit mehren Leuten gemacht. Daran sollen sich auch Nicht-Theologen beteiligen können. Meine erste Idee war ein „Predigt-Bier“. So habe ich das genannt.

Predigt-Bier?

Goebel: Ja. Das Motto lautete „Eine Stunde, ein Bier, ein Text“. Ich hatte Freunde und Bekannte eingeladen, mit mir eine Stunde über einen Text zu sprechen, über den ich demnächst predigen musste: Ich gebe Euch den Text, ich gebe Euch ein Bier und dann unterhalten wir uns darüber. Das war total spannend, weil wir so über Fragen ins Gespräch gekommen sind, die auch Nicht-Theologen an diese biblischen Texte hatten.

Das hat mir bei der Predigtvorbereitung sehr geholfen. Aber ich merkte, das ist die eine Seite. Nur: Was ist mit der Predigt? Kommt an, was ich aussagen möchte? Oder: Was kommt überhaupt bei den Menschen an? Mir fehlte bislang das Feedback. Das gibt es im Gottesdienst selten. Deshalb habe ich meinen Blog unter www.juhopma.de genutzt und ins Blaue hinein Testleser gesucht. Ich schicke ein paar Tage, bevor ich die Predigt halten muss, den Text an Menschen, die ich gar nicht kenne, und stelle dazu ein paar Fragen.

Und wie funktioniert das genau?

Goebel: Man kann sich auf meiner Webseite als Testleser eintragen lassen. Danach bekommt man von mir ab und zu eine E-Mail. Darin steht dann: „Hey, hast Du kurz Zeit, einen Text zu lesen? Hier findest Du meine Predigt.“ Die ist als PDF-Download mit meiner Cloud verlinkt. Meine erste Bitte ist immer: Datei öffnen, Predigt lesen, wieder schließen und nicht noch einmal öffnen. Dann stelle ich Fragen, zum Beispiel: Was ist bei Dir als Kernsatz hängengeblieben? Oder: Wenn Du die Predigt in einem Satz zusammenfassen müsstest, wie lautet der? Gibt es einen Punkt, an dem Du aus der Predigt ausgestiegen bist? Hast Du Dich über etwas geärgert? Hat Dich etwas berührt?

Warum sollen die Leser die Predigt-Datei nicht ein zweites oder gar ein drittes Mal öffnen?

Goebel: Sie wird im Gottesdienst ja auch nur einmal gehört. Bei mehrmaligem Öffnen kann man zurückspulen und die Stelle noch einmal lesen, über die man vielleicht gerade gestolpert ist. Ich möchte möglichst nah an ein echtes Predigtgeschehen herankommen. Ideal ist es natürlich, wenn ich eine Video- oder Audiodatei schicken würde. Das scheitert aber zurzeit noch an meiner technischen Ausstattung.

Wie waren bislang die Reaktionen der Nutzer dieses Angebots? Welche Themen greifen Sie auf?

Goebel: Weihnachts-, Oster- und die ganz gewöhnliche Sonntagspredigten greife ich auf. Was ich nicht mache, sind Kasualien, also Beerdigungen und Co. Das ist am Ende zu persönlich und nur für die Angehörigen gedacht. Die Reaktionen sind sehr unterschiedlich: Von „Klasse Predigt, hat mich total berührt“ bis hin zu „Fand ich total langatmig und langweilig!“ oder „Ich hab' schon besseres von Dir gehört!“. Dadurch, dass es eine gewisse Anonymität für die Nutzer gibt, sind die Rückmeldungen beziehungsweise die Antworten ehrlich.

Gibt es eine Reaktion, an die Sie sich besonders gerne erinnern?

Goebel: Ich erinnere mich gerne an die Predigten, zu denen mir jemand schreibt, dass er sich berührt fühle. Das ist natürlich wesentlich schöner, weil ich ja schon viel Zeit investiert habe, bevor ich sie rausgebe. An eine bestimmte Predigt kann ich mich zurzeit aber nicht erinnern; dafür sind es am Ende zu viele.

Gibt es eine Predigt, bei der Sie richtig viel nachjustieren mussten?

Goebel: Ja, Ostern war für mich während des Vikariats die größte Herausforderung. An der Endfassung habe ich Karfreitagnacht noch gesessen. Zu dem Text hat auch mein Anleiter gesagt, ich müsse noch einmal da ran. Das Feedback der Testleser reichte von „Ich habe schon Besseres gelesen“ über „Das habe ich nicht verstanden“ bis „Da bin ich nicht mehr mitgekommen“. Die Predigt habe ich nicht neu geschrieben, aber radikal verändert.

Worum ging es darin?

Goebel: Ich habe versucht, die Freiheit zu beschreiben, die durch Jesus' Auferstehung entsteht. Es war eine Taufe, auf die ich mich sehr gefreut habe. Deshalb habe ich versucht, eine Mischung aus Persönlichem in Bezug auf den Täufling und eher Allgemeinem zu finden. Ich war nicht so ganz zufrieden, aber die Testleser waren es noch viel weniger.

Aber das treibt einen auch an, es beim nächsten Mal besser zu machen. Im Vikariat hatte ich glücklicherweise mit Heiko Landwehr von der Osterkirche Bramfeld einen guten Anleiter. Das habe ich demnächst nicht mehr. Auf meine Predigt schaut keiner mehr drauf. Von daher ist mein Testlese-Angebot auch so etwas wie ein Suchfeld: Woher bekomme ich Feedback für das, was ich am Sonntag im Gottesdienst verzapfe?

Unterscheiden sich die Reaktionen Ihrer Testleser an Feiertagen wie dem bevorstehenden Weihnachtsfest oder Ostern von gewöhnlichen Sonntagspredigten?

Goebel: Das hängt davon ab, wie die Leser ihre eigene Rolle definieren. Entweder bleiben sie bei sich oder sie denken den Kontext mit und fragen: „Glaubst Du wirklich, dass Du das Heiligabend predigen kannst?" Sie beziehen ihre Antworten in das größere Ganze ein. Da kommen zum Beispiel Hinweise auf die Menschen, die sonst nicht in die Kirche kommen, sich in meiner Predigt aber zehn Mal Kirchensprech findet.

An welchen Tagen sind die Reaktionen intensiver? An Weihnachten oder zu Ostern?

Goebel: Ich habe mehr Rückmeldungen zu hohen Tagen bekommen. Aber ich muss einschränken, dass ich natürlich sehr singulär in meinen Erfahrungen bin, weil ich als Vikar jedes Fest nur ein Mal mitgemacht habe. Wenn da stand „Weihnachtspredigt“, waren es mehr Rückmeldungen als zu gewöhnlichen Sonntagspredigten.

Spüren Sie den Wunsch nach Spiritualität der Menschen, über den ja auch immer wieder diskutiert wird, in Ihren Antworten?

Goebel: Ich glaube, die meisten meiner Testleser gehen mehr oder weniger in einen Gottesdienst. Da gibt es eine Bandbreite von Insidern, die gefühlt mehr Bibelwissen haben als ich und anderen, die vorsichtig und tastend unterwegs sind. Aber ich glaube nicht, dass da Leute sind, die ihre Spiritualität außerhalb der Kirche suchen.

Warum bloggen Sie überhaupt? Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Goebel: Mein Hauptanliegen ist erst einmal der Austausch. Während des Studiums habe ich es mal mit dem Schreiben von Büchern versucht. Ich hatte den Drang, etwas heraus zu geben. Ich wollte Antworten und ins Gespräch kommen. Doch merkte ich, dass Bücher in meiner Reichweite dafür nur begrenzt spannend sind: Das lasen meine Familie und die Freunde meiner Familie, aber dann hat es aufgehört. Der Blog ist der Versuch, in einer potenziell unendlich weiten Welt eigene Ideen, eigene Sorgen, eigene Ideen heraus zu tragen und zu schauen, was passiert.

Nutzen Sie dafür auch Social Media-Plattformen?

Goebel: Ja, ich bin auf Facebook, Twitter und Instagram vertreten. Nur Snapchat ist an mir vorbeigegangen.

Erreichen Sie mit Ihren Online-Aktivitäten jüngere Leute? Schließlich sucht die Kirche händeringend Nachwuchs.

Goebel: Es ist ja die Frage: Was sind Jüngere. Unter den Leuten, die mein Angebot nutzen, sind keine Jugendlichen. Außer vielleicht die Teamer aus meinem Konfirmandenunterricht. Es sind Erwachsene, und ich behaupte mal, es bleibt im kirchlichen Kernklientel. Für mich ist der Gottesdienst der Mittelpunkt des gemeindlichen Leben. Ich glaube nicht, dass der Blog dazu führt, dass mehr junge Leute in den Gottesdienst kommen. Vielleicht haben mehr jüngere Leute mit mir über den Blog kommuniziert. Aber ich glaube nicht, dass es der Weg ist, sie in die Gemeinde zu führen. Deshalb ist ein Angebot wie meines keine Antwort auf die Vergreisung der Kirche.

Was ist der nächste Schritt Ihrer Online-Aktivitäten?

Goebel: Für mich steht jetzt erst einmal der große Schritt an, meine erste Stelle anzutreten. Deshalb ist für mich die Frage, wie ich den Blog dort aufrecht erhalten kann. Ich muss schauen, ob es sich gut anfühlt, wenn ich am Sonntag auf der Kanzel stehe und nur die Hälfte der Leute weiß, dass ich in der Woche etwas gepostet habe. Wie es weitergeht, hängt am Ende von der Präsenz der Gemeinde ab. Wenn es eine starke digitale Präsenz gibt, möchte ich lieber dort als Pastor auftreten als unter meiner eigenen.

Das Interview führte Ulf Buschmann (für evangelisch.de)