Ehemaliger Verfassungsrichter: Kirchenasyl in Härtefällen legitim

Ein Widerstandsrecht gegen den Staat leiteten die Kirchen daraus nicht ab, schreibt Michael Bertrams

Flüchtling in Berlin
Chinedu Osobie hat in der Sophienkirche Berlin-Mitte Kirchenasyl gefunden. (Bild aus dem Jahr 2015)

Köln (epd). Der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen, Michael Bertrams, hält das Kirchenasyl für Flüchtlinge in Härtefällen für berechtigt. Die Kirchen seien im Rahmen der grundgesetzlichen Glaubens- und Gewissensfreiheit in Verbindung mit ihrem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht befugt, Kirchenasyl zu gewähren und sie vor einer drohenden Abschiebung zu schützen, schreibt Bertrams im „Kölner Stadt-Anzeiger“ (15. Januar). Die Kirchen betrachteten ihr Handeln als Beistand für Bedrängte gegenüber staatlichen Organen.

Ein Widerstandsrecht gegen den Staat leiteten die Kirchen daraus nicht ab, schreibt Bertrams. Vielmehr würden die Kirchen anerkennen, dass die zuständige Ausländerbehörde gegebenenfalls eine Abschiebung durchsetzen kann. Zwar enthalte die Gewährung von Kirchenasyl einen Rechtsverstoß, erläuterte der Jurist. Denn sie vereitele eine rechtmäßige Abschiebung und damit die Durchsetzung geltenden Rechts. „Das Institut des Kirchenasyls soll aber eine neue Gesprächssituation zwischen dem Staat und den in Obhut genommenen Flüchtlingen herbeiführen, begleitet von der Kirche.“

„Die Vereinbarung von 2015 hat sich bewährt“

Fraglich bleibe, wann von einem Härtefall auszugehen ist. Denn bei einer drohenden Abschiebung seien bereits etwaige Gefährdungen des Flüchtlings in seiner Heimat oder im EU-Staat der ersten Einreise geprüft und verneint worden, schreibt Bertrams. „Entscheidend für die Gewährung von Kirchenasyl kann vor diesem Hintergrund nur sein, dass eine entsprechende Prüfung auf staatlicher Ebene unterblieben oder unzureichend gewesen ist und die Kirchen in der Lage sind, neue, bislang nicht geprüfte Gefährdungsaspekte vorzutragen.“

Der ehemalige Verfassungsrichter erinnerte daran, dass im Streit über das Kirchenasyl evangelische und katholische Kirche 2015 mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) vereinbart hatten, dass der Staat in Härtefällen nicht eingreift und akzeptiert, die Abschiebung noch einmal juristisch überprüfen zu lassen. Im Gegenzug seien die Kirchengemeinden als Asylgeber verpflichtet, jeden Einzelfall zu melden und das Kirchenasyl bei einem negativen Ergebnis der erneuten Überprüfung zu beenden. „Die Gemeinden sollen Flüchtlingen also nicht heimlich Unterschlupf gewähren.“

In der großen Mehrzahl aller Fälle von Kirchenasyl sei den Kirchen dies gelungen. „Die Vereinbarung von 2015 hat sich bewährt“, betonte Bertrams.