Theologin Kurschus: Kirche und Kultur nicht gegeneinander ausspielen

Präses Annette Kurschus im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst

Bielefeld (epd). Weihnachten rückt näher und damit die Gewissheit, dass vieles in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie anders sein wird. Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, erklärt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), warum der Gottesdienst an Heiligabend unverzichtbar ist und man Kirchen und Kultur nicht gegeneinander ausspielen sollte.

epd-Gespräch: Franziska Hein

 

Annette Kurschus

Annette Kurschus, Präses der Evangelischen Kirchen von Westfalen und stellvertretende Vorsitzende des Rates der EKD

Warum ist es gerade in der Weihnachtszeit wichtig, dass Gottesdienste stattfinden?

Kurschus: Wir feiern zu Weihnachten, dass der Schöpfer und Erlöser der Welt Mensch unter Menschen wird und sich persönlich hineinbegibt in alles, was uns im Leben zu schaffen macht. Wir besingen ihn als Retter - und zwar als einen Retter, der sehr genau weiß, wie es ist, selbst auf Rettung angewiesen zu sein und auf Rettung zu warten. In diesem Jahr hat das Warten auf Rettung eine ganz besondere Dringlichkeit. Hinzu kommt: Kaum ein anderes Fest im Jahreskreis ist so eng mit Bräuchen und familiären Traditionen verbunden wie das Weihnachtsfest. Für viele Menschen gehört der Besuch des Gottesdienstes unbedingt dazu. Vor allem an Heiligabend. In dieser krisenhaften Zeit der Verunsicherung sehnen sich viele mehr denn je nach einem Halte- und Ankerpunkt in aller Ungewissheit. Solche Haltpunkte werden wir mit unseren Gottesdiensten anbieten. In aller gebotenen Vorsicht selbstverständlich.

Wie kann man erklären, dass Gottesdienste stattfinden, aber Theater geschlossen bleiben?

Kurschus: Gerade die Gottesdienste zum Weihnachtsfest sind hier ein sprechendes Beispiel. Selbst für Menschen, die sonst wenig mit Kirche verbinden, ist der Gottesdienstbesuch an Heiligabend häufig ein festes Ritual. Gewiss, er gehört "einfach so" dazu. Und doch ist da womöglich die Ahnung: Hier geht es um etwas, das ich mir selbst nicht sagen kann. Hier kommt eine Kraft ins Spiel, die über meine begrenzten Möglichkeiten hinausgeht. Das ist das "Mehr", das Gottesdienste grundlegend von anderen kulturellen Veranstaltungen unterscheidet. Um es mit einem Bild zu sagen: Mit unseren Gottesdiensten halten wir das Fenster zum Himmel einen Spalt breit offen. Übrigens: Es ist wenig sinnvoll, Kirche und Kultur gegeneinander auszuspielen. Unsere Kirchenräume sind von jeher selbst prominente Orte der Kultur, der Musik, der Kunst.

Sollten Kirchen in der Debatte über die Kontaktbeschränkungen ihre Rechte öffentlich immer wieder betonen?

Kurschus: Ich habe nicht den Eindruck, dass wir dies tun - und es ist auch nicht nötig, es zu tun. Schließlich geht es um ein verfassungsmäßig garantiertes Grundrecht, das unser Grundgesetz von sich aus unter besonderen Schutz stellt. Mir liegt eher daran deutlich zu machen, wie unverzichtbar unsere Arbeit ausgerechnet jetzt ist - über das Angebot von Gottesdiensten hinaus: im Bereich der Seelsorge, in unseren diakonischen Aufgaben und Einrichtungen, in unseren Kindertagesstätten, bei Beerdigungen. Gerade weil wir unsere gesellschaftliche Verantwortung sehr ernst nehmen, bleiben wir - immer mit geeigneten Schutzmaßnahmen - auch und gerade in dieser Situation präsent.