Evangelische Kirche will sich verstärkt Konfessionslosen zuwenden
Hannover (epd). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will sich verstärkt den Konfessionslosen zuwenden. Für die Kirche stellten die fünf Millionen Menschen, die allein in Westdeutschland den Kontakt zur Kirche verloren hätten, ein "immenses Wachstumspotenzial" dar, wenn damit angemessen umgegangen werde, sagte Kirchenpräsident Peter Steinacker von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau bei der Präsentation der jüngsten EKD-Mitgliedererhebung am Mittwoch in Hannover. Zuversicht für diese missionarische Aufgabe gebe die Zunahme der Wiedereintritte.
Drei von vier Konfessionslosen in Westdeutschland waren laut Steinacker evangelisch und traten in den vergangenen 25 Jahren aus der Kirche aus. Diese Gruppe habe jedoch durch Taufe, Konfirmation oder Trauung noch einen Bezug zur Kirche. Er sprach in diesem Zusammenhang von "missionarischen Herausforderungen und Chancen". Zu den auffälligen Resultaten rechnete Stenacker weiter, dass nahezu jeder vierte Konfessionslose angab, zu beten. Zugleich verneinte ein Drittel der Kirchenmitglieder die Frage nach dem Gebet.
In Ostdeutschland ist Konfessionslosigkeit, wie sich aus der EKD-Studie weiter ergibt, überwiegend über Generationen sozial vererbt. Konfessionslose im Osten begründeten ihre Distanz zur Kirche damit, dass Religion und Glaube für das eigene Leben keine Rolle spielten. Dies erfordere andere missionarische Strategien, folgerte der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich, der auch dem Rat der EKD angehört.
Für die Studie unter dem Titel "Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge" wurden mehr als 3.000 repräsentativ ausgewählte Kirchenmitglieder und Konfessionslose befragt. Erste Ergebnisse waren bereits im Herbst 2003 publik gemacht geworden. Eine erste Mitgliederumfrage gab es 1972, seither untersucht die EKD im Abstand von zehn Jahren die Veränderungen in ihrer Mitgliedschaft.
Die jüngste Erhebung dokumentiert eine relativ stabile Struktur der Beziehung evangelischer Christen zur Kirche. Trotz eines distanzierten Verhältnisses vieler evangelischer Christen zur Kirche sei diese an den Wendepunkten des Lebens, wie Taufe, Konfirmation, Trauung oder Bestattung, weiterhin gefragt, ergibt sich aus der Auswertung. Danach erhöhte sich in den vergangenen Jahrzehnten etwa kontinuierlich die Neigung evangelischer Eltern, ihre Kinder taufen zu lassen.
Die Kirchenbindung ist der Studie zufolge trotz anhaltender, aber rückläufiger Austritte nahezu unverändert. Mit 61 Prozent gibt eine Mehrheit der befragten Kirchenmitglieder in Ost- und Westdeutschland an, der Kirche ziemlich oder etwas verbunden zu sein. Der Anteil derer, die sich der Kirche nicht verbunden fühlen, ging auf sechs Prozent zurück. Als intensiv mit ihrer Kirche verbunden stuften sich 13 Prozent im Westen und 17 Prozent im Osten ein. Sowohl kirchennahe als distanzierte Evangelische gaben der Studie zufolge als Gründe für ihre Kirchenmitgliedschaft an, dass die Eltern der Kirche angehören.
Bei den Erwartungen an die Kirche rangieren die Betreuung von Alten, Kranken und Behinderten sowie das Eintreten für Menschen in sozialer Not auf den ersten Plätzen. Daneben werden vor allem Verkündigung der christlichen Botschaft, Gottesdienstangebote und Begleitung von Menschen durch Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung erwartet. Zwei Drittel der Befragten stuften einen Gottesdienst mit guter Predigt in zeitgemäßer Sprache als wichtig ein.
Kirchliche Amtshandlungen seien eine "Stärke der Evangelischen" und müssten deshalb gepflegt werden, so Kirchenpräsident Steinacker. "Eine schlecht gemachte Taufe, eine lieblos vollzogene Trauung und eine Fließband-Beerdigung setzen sich im Gedächtnis der Menschen fest."
Aus der erstmaligen Untersuchung von Lebensstilen evangelischer Kirchenmitglieder folgerte Landesbischof Friedrich, die Kirche müsse der fortschreitenden Gefahr einer "Milieu-Verengung" entgegenwirken. Damit reagierte er auf die Erkenntnis, dass besonders bei Menschen mit einem jugendkulturell-modernen Lebensstil die Austrittsbereitschaft am höchsten sei. Mehr als die Hälfte der rund sechs Prozent austrittswilligen Kirchenmitglieder gehöre dieser Gruppe an. Zu den Hauptaufgaben der evangelischen Kirche gehöre "Mission im eigenen Land", so Friedrich.
Kirche in der Vielfalt der Lebensbezüge. Die vierte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, 512 Seiten, Gütersloher Verlagshaus.
22. Februar 2006
Statement von Landesbischof Johannes Friedrich (München) bei der Präsentation der vierten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung
Statement von Kirchenpräsident Peter Steinacker (Darmstadt) bei der Präsentation der vierten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung