Die Evangelische Kirche erinnert an eine mutige Denkschrift gegen den NS-Staat
Berlin (epd). Die evangelische Kirche hat an die Ende Mai vor 80 Jahren entstandene Denkschrift des radikalen Flügels der Bekennenden Kirche an Adolf Hitler erinnert. Die Schrift von 1936 gilt als eines der großen Dokumente des gewaltlosen Widerstandes im NS-Staat. In deutlichen Worten wird darin gegen Antisemitismus, die Existenz von Konzentrationslagern, die Abschaffung des Rechtsstaates und die Willkür der Geheimen Staatspolizei Stellung bezogen, erklärten die Stiftung Topographie des Terrors und die Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz zu einer am 24. Mai eröffneten Veranstaltungsreihe in Berlin.
In der Denkschrift wagten es die Leiter der Bekennenden Kirche über den kirchlichen Bereich hinaus auch Kritik an der gesellschaftlichen Entwicklung im NS-Staat zu üben, erklärt die Forschungsstelle für kirchliche Zeitgeschichte in München auf ihrem Internet-Portal (evangelischer-widerstand.de). Es gebe keinen anderen Protest aus der Leitungsebene der evangelischen Kirche, in dem so deutlich Stellung bezogen wurde.
Kritik an Eingriffen des Staates in das innere Gefüge der Kirche
Das Anfang Juni – im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin – in Hitlers Amtssitz in der Wilhelmstraße abgegebene Schriftstück sei eine "Kollektivarbeit" gewesen, sagte Manfred Gailus, Professor für Neuere Geschichte am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin, nach seinem Redemanuskript. Die Beratungen über das Memorandum in der "2. Vorläufigen Kirchenleitung (VKL)", dem Spitzengremium der entschiedenen Fraktion der Bekennenden Kirche um Martin Niemöller, hätten sich von März bis Ende Mai 1936 hingezogen.
Die Verfasser der Denkschrift kritisierten laufende Eingriffe des Staates in das innere Gefüge der Kirche, sagte Gailus weiter. Beklagt werde schließlich die "Entkonfessionalisierung" des öffentlichen Lebens. "Wenn hier Blut, Volkstum, Rasse und Ehre den Rang von Ewigkeitswerten erhalten, wird der evangelische Christ durch das erste Gebot gezwungen, diese Bewertung abzulehnen", heißt es in der Denkschrift: "Wenn der arische Mensch verherrlicht wird, so bezeugt Gottes Wort die Sündhaftigkeit aller Menschen, wenn dem Christen im Rahmen der nationalsozialistischen Weltanschauung ein Antisemitismus aufgedrängt wird, der zum Judenhaß verpflichtet, so steht für ihn dagegen das christliche Gebot der Nächstenliebe."
Ein Skandal im Vorfeld der Olympischen Spiele
Die Schrift war ursprünglich als vertrauliche Eingabe an Hitler geplant. Sie erschien jedoch in den "Basler Nachrichten" und wenig später übersetzt in der "New York Herald Tribune". "Das war für die NS-Staatsführung im Vorfeld der Olympischen Spiele ein politischer Skandal", so die Veranstalter der Tagungsreihe. Ein massives Vorgehen gegen Angehörige der Bekennenden Kirche war die Folge. Anfang Oktober 1936 verhaftete die Gestapo unter anderem deren Büroleiter Friedrich Weißler, einen Juristen jüdischer Herkunft. Im Februar 1937 wurde er im Konzentrationslager Sachsenhausen bestialisch ermordet. Er gilt seither als "erster Märtyrer der Bekennenden Kirche".
Die Veranstaltungsreihe der Stiftung Topographie des Terrors und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz will anlässlich des 80. Jahrestags an die Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler erinnern. Im Rahmen eines Vortrags, einer Lesung und eines Seminars sollen die Vorgänge um die Entstehung, ihre Inhalte und ihre Verbreitung sowie die Folgen für die Beteiligten dargestellt werden.
25. Mai 2016