Anerkennungsrichtlinie der EKD
Die Anerkennungsrichtlinie der EKD setzt einen gemeinsamen und einheitlichen Standard für Anerkennungsverfahren in evangelischer Kirche und Diakonie. Mit unabhängigen Personen besetzte und weisungsfrei arbeitende Kommissionen nehmen die Unrechtserfahrungen von betroffenen Personen entgegen, hören in einem Gespräch die Geschichte der betroffenen Person und sprechen eine finanzielle Anerkennung zu. Mit der Richtlinie werden die Kommissionen neu strukturiert, das Leistungsniveau wird erhöht und das Anerkennungsverfahren auch für nicht-verjährte Fälle geöffnet.
Dies ist eine nicht-amtliche Entwurfsfassung, die dem Beschluss des Rates der EKD zugrunde lag. Rechtsgültig ist die Fassung, die im Amtsblatt der EKD erscheinen wird.
Häufige Fragen
Fragen zum Prozess
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Wer war an der Erstellung der Richtlinie beteiligt?
Die Richtlinie wurde vor allem in einer Themen-AG des Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der EKD entwickelt. Diese AG „Anerkennung“ ist besetzt mit betroffenen Personen und mit kirchlichen und diakonischen Beauftragten aus dem Beteiligungsforum sowie mit weiteren Vertreter:innen aus Diakonie, Jugendverbandsarbeit und den Anerkennungskommissionen sowie ihren Geschäftsstellen.
Der Prozess lief wie folgt ab:
- Im Rahmen der 3. Tagung der 13. Synode der EKD stellten betroffene Personen und kirchliche Beauftragte des Beteiligungsforums gemeinsam fest, dass die Musterordnung der EKD von 2021 nicht das Ziel erreicht hat, in den Landeskirchen vergleichbare Verfahren der Anerkennung erlittenen Unrechts für Betroffene sexualisierter Gewalt herbeizuführen.
- Das Beteiligungsforum hat daher die Einheitlichkeit der Verfahren und die Vergleichbarkeit der Leistungen als hochrangiges Ziel identifiziert und eine Themen-AG gegründet, die einen Katalog von Reformvorschlägen entwickelt hat.
- Diese Reformvorschläge wurden als Bericht im Rahmen der 4. Tagung der 13. Synode der EKD präsentiert. Daraufhin hat die Synode das Kirchenamt beauftragt „in der gebotenen Abstimmung mit dem Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt und auf Basis der Empfehlungen des Berichts einheitliche und zentrale Regelungen für die Anerkennungsverfahren und die Gewährung von Anerkennungsleistungen in den Landeskirchen zu entwickeln.“
- Entsprechend dieses Auftrags hat die Themen-AG „Anerkennung“ des Beteiligungsforums, koordiniert durch die Fachstelle Sexualisierte Gewalt und unter Hinzuziehung von juristischer Expertise aus der Rechtsabteilung des Kirchenamts sowie mit Vertreter:innen aus Diakonie, Jugendverbandsarbeit und den Anerkennungskommissionen sowie ihren Geschäftsstellen, den Entwurf einer Anerkennungsrichtlinie der EKD erarbeitet.
- Im September 2024 hat der Rat ein Stellungnahmeverfahren zum Entwurf der Anerkennungsrichtlinie eingeleitet, das im Dezember 2024 abgeschlossen wurde. Die AG „Anerkennung“ des Beteiligungsforum hat im Lichte der Stellungnahmen die Richtlinie weiterüberarbeitet. Das Beteiligungsforum beschloss am 28.02.25, die Kirchenkonferenz um ihre Unterstützung für den vorliegenden Entwurf und den Rat um den Beschluss der Richtlinie zu bitten.
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Was sind die wichtigsten Änderungen durch die Anerkennungsrichtlinie?
- Mit der Richtlinie wird erstmals ein Rahmen für Anerkennungsverfahren, Anerkennungskommissionen und Anerkennungsleistungen von Seiten der EKD als kirchenrechtliche Norm gesetzt, um eine weitgehende Einheitlichkeit zwischen den Gliedkirchen (sowie zwischen Kirche und Diakonie) zu erreichen.
- Die Anerkennungskommissionen sollen zukünftig durch Verbünde zwischen Landeskirchen und Landesverbänden der Diakonie eingerichtet werden.
- Das Anerkennungsverfahren wird als Verfahren eigener Art beschrieben, das nicht mit zivil- oder disziplinarrechtlichen oder anderen Verfahren zu vergleichen ist.
- Anstelle von bisherigen Definitionen des institutionellen Versagens als Voraussetzung einer Leistung rückt die Richtlinie das Abhängigkeitsverhältnis zwischen betroffener und beschuldigter Person in das Zentrum. Es entfallen bisherige Beschränkungen gegenüber nicht-verjährten Fällen, Fällen aus dem Kontext der Pfarrfamilien oder zum Tatzeitpunkt erwachsenen Personen.
- Die Richtlinie legt ein Recht auf ein Gespräch fest. Betroffene Personen sollen die Möglichkeit erhalten, Ihre Erfahrungen des Unrechts, begleitet durch dritte Personen der Anerkennungskommission zu schildern, wenn die betroffene Person dies möchte. Das Gespräch wird intensiv durch die Geschäftsführung der Anerkennungskommission vorbereitet, die die betroffene Person vor, während und nach dem Verfahren informiert und unterstützt.
- Die Anerkennungskommission, die nicht durch kirchliche oder diakonische Beschäftigte besetzt ist, hört das erfahrene Unrecht und spricht eine Anerkennungsleistung zu. Diese setzt sich aus einer individuellen Leistung und (bei strafbaren Taten) einer pauschalen Summe von 15.000 € zusammen. Berücksichtigt werden dabei auch die individuellen Folgen der Tat für die antragsstellende Person. Um eine einheitliche Spruchpraxis zu unterstützen, soll bei der Festlegung der individuellen Leistung ein Anhaltskatalog genutzt werden. Dieser Anhaltskatalog enthält eine Sammlung von hypothetischen Fällen und setzt diese in Bezug zur Rechtsprechung deutscher Zivilgerichte.
Fragen zu den Anerkennungskommissionen
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Was passiert mit den bestehenden Kommissionen?
Die bestehenden Kommissionen arbeiten entsprechend ihrer Standards weiter bis die zuständigen Landeskirchen und Landesverbände eine Umsetzung der Anerkennungsrichtlinie vornehmen. Es ist beabsichtigt, dass dies flächendeckend zum 01.01.2026 geschieht.
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Wie sind die neuen Anerkennungskommissionen strukturiert?
Ähnlich wie die Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen sollen die neuen Anerkennungskommissionen durch gemeinsame Verbünde von Landeskirchen und Landesverbänden der Diakonie aufgebaut werden. Die genauen Verbünde stehen noch nicht fest.
Die Anerkennungskommissionen arbeiten weisungsfrei.
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Wer sitzt in den neuen Anerkennungskommissionen?
Die Anerkennungskommissionen haben immer eine ungerade Anzahl von Mitgliedern (mindestens drei Personen). Die Mitglieder werden durch die Leitungen des jeweiligen Verbundes berufen und arbeiten ehrenamtlich. Für ihre ehrenamtliche Arbeit erhalten sie eine Aufwandsentschädigung. Ein Mitglied der Kommission soll juristische Expertise (Befähigung zum Richteramt) aufweisen und eine weitere Person eine traumatherapeutische Qualifikation. Insgesamt sollen verschiedene Geschlechter, Erfahrungshintergründe und Professionen berücksichtigt werden. Beschäftigte der evangelischen Kirche oder Diakonie können keine Mitglieder der Anerkennungskommission sein.
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Wird die Besetzung der Kommissionen transparent sein?
Ja. Alle Anerkennungskommissionen sollen eine Website haben, auf der die Mitglieder der Kommission und Informationen zum Verfahren verzeichnet sind.
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Welche Rolle hat die Geschäftsstelle?
Die Geschäftsführung begleitet und unterstützt die Arbeit der Anerkennungskommission. Sie bereitet Sitzungen vor und erledigt die notwendigen verwaltungstechnischen Arbeiten. Die Geschäftsstelle hat aber auch eine wichtige Rolle in der Information und Beratung der betroffenen Person bzgl. des Antrags sowie in der gemeinsamen Absprache und Gestaltung des Gesprächs mit der Kommission.
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Arbeiten die Geschäftsstellen auch ehrenamtlich?
Nein. Die Mitarbeitenden in den Geschäftsstellen sind Beschäftigte von Kirche oder Diakonie.
Fragen zum Verfahren
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Welche Fälle können bei den Anerkennungskommissionen gemeldet werden und welche nicht?
Die Anerkennungskommissionen sind zuständig für Fälle sexualisierter Gewalt, die durch Mitarbeitende der Institution (d.h. von Kirche oder Diakonie) verübt wurden. Dazu zählen auch ehrenamtliche Beschäftigte. Wichtig ist, dass die sexualisierte Gewalt nicht in einem rein privaten Kontext steht, sondern eine Verbindung z.B. zu einem Abhängigkeitsverhältnis aufweist, das durch den dienstlichen Auftrag erwachsen ist. So können auch Fälle aus Pfarrfamilien in den Anerkennungskommissionen behandelt werden, wenn ein entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis vorliegt.
Neu ist, dass auch nicht-verjährte Fälle von den Anerkennungskommissionen bearbeitet werden können. Auch das Alter der betroffenen Person zum Tatzeitpunkt ist nicht relevant für eine mögliche Antragstellung.
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Verbleiben alle Informationen nur bei der Anerkennungskommission?
Nein. Da nun auch aktuelle/nicht-verjährte Fälle vor die Anerkennungskommissionen gebracht werden können, muss die Institution zum Schutz von dritten Personen, wenn sie von Fällen weiß, diese auch verfolgen. Dazu wurde in der Richtlinie klargestellt, dass die Geschäftsstelle und die Mitglieder der Kommission nicht von ihrer Meldepflicht für Fälle sexualisierter Gewalt befreit sind. Das heißt, dass alle Fälle an die zuständige Meldestelle in der Landeskirche/dem diakonischen Landesverband weitergegeben werden, was je nach Fall Schritte der Intervention bzw. andere Verfahren auslösen kann, die in Abstimmung mit der betroffenen Person gestaltet werden sollen.
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Wie läuft das neue Anerkennungsverfahren ab?
Das Verfahren beginnt mit dem Einreichen eines Formulars, das einheitlich in allen Kommissionen verwendet werden soll. Betroffene Personen können sich selbstverständlich vor dem Einreichen des Formulars umfänglich durch die Geschäftsstellen informieren und beraten lassen. Auch beim Ausfüllen des Formulars unterstützen bei Bedarf die Geschäftsstellen.
Die betroffene Person hat das Recht auf ein Gespräch mit der Kommission, was aber kein Zwang zu einem Gespräch ist. Wenn ein Gespräch gewünscht ist, bereitet die Geschäftsstelle zusammen mit der betroffenen Person das Gespräch vor. Ort, Zeit, Ablauf und Teilnehmende werden miteinander abgestimmt.
Nach dem Gespräch entscheidet die Kommission auf der Basis der vorliegenden Informationen aus Formular und ggf. Gespräch sowie einer möglichen Äußerung der Institution zu dem Fall. Die Entscheidung kann der betroffenen Person mündlich, aber wenn gewünscht auch rein schriftlich mitgeteilt werden. Dabei wird die Entscheidung auch begründet.
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Müssen betroffene Personen Beweise vorbringen?
Nein. Anders als bei Gerichtsverfahren gilt in Anerkennungsverfahren das Prinzip der Plausibilität. Das heißt, eine Tat wird dann als plausibel angenommen, wenn es keine Fakten gibt, die dagegen sprechen und wenn die Tat als überwiegend wahrscheinlich angesehen wird.
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Können sich betroffene Personen im Verfahren von anderen Personen begleiten lassen?
Ja. Eine betroffene Person kann sich, sofern gewünscht, durch eine Person ihres Vertrauens begleiten und/oder durch eine bevollmächtigte Person (Rechtsanwalt*Rechtsanwältin) vertreten lassen. Der Person ihres Vertrauens und der bevollmächtigten Person stehen die Erstattung von Reisekosten sowie eine Aufwandsentschädigung zu.
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Wie hoch sind die Anerkennungsleistungen nach der neuen Richtlinie?
Die Anerkennungsleistung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:
Eine individuelle Leistung soll die Tat und ihre Folgen sowie das Verhalten der Institution berücksichtigen. Die Höhe dieser Leistung soll sich an einem allgemeinen Anhaltskatalog orientieren, der für alle Kommissionen gilt. Der Anhaltskatalog wiederum basiert auf den Entscheidungen deutscher Zivilgerichte in vergleichbaren Fällen. Es gibt keine Obergrenze.
Da diese Rechtsprechung aber immer Abweichungen aufweist, soll eine ergänzende pauschale Leistung von 15.000 € für Taten, die strafbar sind, garantieren, dass die Anerkennungsleistung am Ende sich im oberen Spektrum vergleichbarer Urteile der deutschen Zivilgerichtsbarkeit bewegt.
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Müssen Anerkennungsleistungen versteuert werden und werden sie auf Sozialleistungen angerechnet?
Es ist kein Fall bekannt, bei dem Anerkennungsleistungen zu versteuern gewesen wären, vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 19 ErbStG. Ferner sind Anerkennungsleistungen nach § 11a Absatz 5 Nr. 1 SGB II auch nicht auf Leistungen für Arbeitssuchende anzurechnen.
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Was sind immaterielle Anerkennungsleistungen?
Immaterielle Anerkennungsleistungen können verschiedene Maßnahmen sein, die die Kommission zusammen mit der betroffenen Person festlegen kann, um den individuellen Aufarbeitungsprozess zu unterstützen. Dies kann z.B. ein Gespräch mit einer kirchlichen Leitungsperson sein, den Besuch eines bestimmten Ortes oder die Einrichtung eines Erinnerungsortes.
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Was passiert, wenn eine betroffene Person mit der Entscheidung der Anerkennungskommission nicht einverstanden ist?
In einem ersten Schritt kann die betroffene Person mit einer sogenannten Gegenvorstellung erreichen, dass die zuständige Anerkennungskommission den Fall noch einmal berät.
Für den Fall, dass die betroffene Person die erneute Entscheidung der Anerkennungskommission in Reaktion auf die Gegenvorstellung überprüfen lassen möchte, kann sie eine Eingabe an die sogenannte Koordinierungskommission richten. Diese Koordinierungskommission, die aus anderen Vorsitzenden von Anerkennungskommissionen besteht, prüft dann, ob eine wesentliche Abweichung von den Entscheidungen anderer Anerkennungskommissionen vorliegt.
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Wie lange braucht die Umsetzung? Wann können Anträge nach dem neuen System gestellt werden?
Landeskirchen und Landesverbände der Diakonie sind aufgefordert, die neue Anerkennungsrichtlinie so schnell wie möglich umzusetzen. Die Landeskirchen und Landesverbände beabsichtigen einen gemeinsamen Start des neuen Systems am 1. Januar 2026.
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Gelten die neuen Regeln auch für bereits entschiedene Fälle?
Ja. Es ist vorgesehen, dass betroffene Personen, die bereits Anerkennungsleistungen erhalten haben, auch ohne erneute individuelle Prüfung des Falles eine schnelle Aufstockung ihrer Leistung auf die Höhe des Pauschalbetrags, also 15.000 €, erhalten können. Berechtigte Personen werden hierauf von den Geschäftsstellen hingewiesen.
Und auch eine individuelle Überprüfung der bereits vor dem In-Kraft-Treten der Richtlinie beratenen Fälle ist möglich, wenn die betroffene Person es wünscht. Nach erneuter Prüfung entlang des neuen Verfahrens würde dann eine neue Anerkennungsleistung festgelegt werden. Auch hierauf werden die berechtigten Personen von den Geschäftsstellen aufmerksam gemacht.
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Was geschieht jetzt mit Anträgen, über die noch nicht entschieden wurde oder die noch vor dem Start der neuen Anerkennungskommissionen gestellt werden?
Die Anträge werden entsprechend der jeweils geltenden Ordnung bearbeitet. Das heißt, das bisherige Anträge nach den bisherigen Standards bearbeitet werden müssen. Es gelten aber auch hier die Möglichkeiten, nach Start des neuen Systems diese Anträge nach den neuen Standards noch einmal prüfen zu lassen.
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Welche Auswirkungen haben die Anerkennungsverfahren für die Tatpersonen?
Anerkennungsverfahren stellen die betroffene Person in den Mittelpunkt und soll deren Leid anerkennen. Eine Zuerkennung von Anerkennungsleistungen ist daher nicht als Schuldspruch für eine beschuldigte Person zu verstehen. Die Anerkennungsverfahren sind aber eingebunden in das System der kirchlichen Meldepflicht, so dass berichtete Taten auch weiterverfolgt werden.
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Werden die Vorwürfe in aktuellen Fällen auch an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet?
Wenn Fälle aus den Anerkennungskommissionen an die zuständigen Meldestellen weitergegeben werden, können daraus im Rahmen von Interventionsprozessen auch Strafanzeigen erfolgen. Dieses sollte in Abstimmung mit der betroffenen Person erfolgen.