Coronavirus durch ein Mikroskop betrachtet

Zusammenhänge von Corona-Krise, ökologischer Krise und Nachhaltigkeit

Einladung zu einer offenen Debatte

Wir sammeln Material, von dem wir meinen, dass es in dem breiten Spektrum der derzeitigen Debatte interessant ist, und möchten damit einen Beitrag zu einer offenen Debatte leisten. Wir weisen gleichzeitig darauf hin, dass die Verantwortung für die Aussagen in den Texten bei den jeweiligen Autoren liegt und nicht als Positionierung der EKD anzusehen sind.

Gedanken zur derzeitigen Lage der Diskussion

Seit Beginn des Jahres 2020 hält das Coronavirus die Welt in Atem. In nahezu allen Erdteilen breitet es sich rasant aus und hat bereits unzählige Menschen infiziert und viele Menschen das Leben gekostet.

Es scheint so, dass die Corona Krise alle anderen bisherigen Krisen in den letzten Jahrzehnten (Finanzkrise, Flüchtlingskrise, ökologische Krise) in den Schatten stellt. In der Tat ist die Lage sehr ernst. Solange es keinen Impfstoff und keine wirksamen Medikamente gibt, bedroht das Virus Leib und Leben sehr vieler Menschen- besonders das der Menschen mit schwächerem Immunsystem. Die Krise hat darüber hinaus unabsehbare Auswirkungen auf das wirtschaftliche Leben, die politischen Systeme und das gesellschaftliche Miteinander. Die Welt, wie wir sie kennen, löst sich auf. Niemand weiß genau, wie lange der jetzige Zustand noch dauern wird und was danach kommt. Ob wir zu unserem alten „normalen“ Leben zurückkehren werden, ist ungewiss. Zu fragen ist auch, ob das gut wäre.

Dieses hohe Maß an Unsicherheit und Ungewissheit weckt kollektive wie persönliche, ökonomische wie existentielle Ängste. Manche Menschen bewegen dabei ganz grundlegende und auch religiöse Fragen: Woher kommt dieses Virus? Warum trifft es uns jetzt? Gibt es einen Zusammenhang zu anderen Krisen?

„Die Natur schlägt zurück!“, „Das Virus weist uns in unsere Schranken“, „Es zwingt uns zur radikalen Umkehr“- solche Sätze aus persönlichen Gesprächen, Leserbriefen und Einträgen in Blogs zeigen, dass viele Menschen nach dem Sinn dieser Krise fragen und dabei auch Zusammenhänge mit anderen Krisen- vor allem der ökologischen Krise- vermuten. Es ist schon eine bittere Ironie, dass ausgerechnet Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus dazu führen, dass z.B. Deutschland seine Klimaziele für 2020 nun doch erreichen wird. Auch Stimmen aus den Naturwissenschaften, der Zukunftsforschung und den Politik-und Sozialwissenschaften stellen einen Zusammenhang zwischen der Corona Krise, der ökologischen Krise und der Nachhaltigkeit her, wenn auch keine einfachen monokausalen Ableitungen.

Dr. Ruth Gütter

1. Theologische Beiträge zum Zusammenhang von ökologischer Krise und Corona-Krise

  • Das Coronavirus als Weckruf? - Dr. Ruth Gütter (EKD)

    Dr. Ruth Gütter, Die Corona Krise und die ökologische Krise als Anfrage an den christlichen Glauben und die Theologie,  EKD

    Seit Beginn des Jahres 2020 hält das Coronavirus die Welt in Atem. In nahezu allen Erdteilen breitet es sich rasant aus und hat bereits 1 Millionen Menschen infiziert und über 50 000 Menschen das Leben gekostet (Stand 3.4.2020).

    Zur Eindämmung einer zu schnellen Ausbreitung des Virus wurden von den meisten Regierungen der betroffenen Länder historische bis Anfang des Jahres noch völlig undenkbare Beschränkungen des alltäglichen Lebens und der sozialen Kontakte beschlossen. Schulen, Kindertagesstätten, Universitäten, Kirchen, Behörden, Restaurants, Cafés, Kinos, Theater und die Mehrheit der Geschäfte wurden geschlossen, die wirtschaftliche Produktion heruntergefahren und einschneidende Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen verhängt. Damit hofft man die Anstiegskurve der Infektionen so zu verlangsamen, dass die Gesundheitssysteme nicht völlig kollabieren, was in einigen Ländern leider bereits geschieht.

    Es scheint so, dass die Corona Krise alle anderen bisherigen Krisen in den letzten Jahrzehnten (Finanzkrise, Flüchtlingskrise, ökologische Krise) in den Schatten stellt. In der Tat ist die Lage sehr ernst. Solange es keinen Impfstoff und keine wirksamen Medikamente gibt, bedroht das Virus Leib und Leben sehr vieler Menschen- besonders das der Menschen mit schwächerem Immunsystem. Die Krise hat darüber hinaus unabsehbare Auswirkungen auf das wirtschaftliche Leben, die politischen Systeme und das gesellschaftliche Miteinander. Die Welt, wie wir sie kennen, löst sich auf. Niemand weiß genau, wie lange der jetzige Zustand noch dauern wird und was danach kommt. Ob wir zu unserem alten „normalen“ Leben zurückkehren werden, ist ungewiss. Zu fragen ist auch, ob das gut wäre.

    Woher kommt das Coronavirus?

    Dieses hohe Maß an Unsicherheit und Ungewissheit weckt kollektive wie persönliche, ökonomische wie existentielle Ängste. Manche Menschen bewegen dabei ganz grundlegende und auch religiöse Fragen: Woher kommt dieses Virus? Warum trifft es uns jetzt? Gibt es einen Zusammenhang zu anderen Krisen?

    „Die Natur schlägt zurück!“, „Das Virus weist uns in unsere Schranken“, „Es zwingt uns zur radikalen Umkehr“- solche Sätze aus persönlichen Gesprächen, Leserbriefen und Einträgen in Blogs zeigen, dass viele Menschen nach dem Sinn dieser Krise fragen und dabei auch Zusammenhänge mit anderen Krisen- vor allem der ökologischen Krise- vermuten. Es ist schon eine bittere Ironie, dass ausgerechnet Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus dazu führen, dass z.B. Deutschland seine Klimaziele für 2020 nun doch erreichen wird. Auch Stimmen aus den Naturwissenschaften und der Zukunftsforschung stellen einen Zusammenhang zwischen der ökologischen Krise und der Corona Krise her, wenn auch keine einfachen monokausalen Ableitungen.

    Allgemein bekannt ist als eine Ursache die Haltung und Schlachtpraxis von Wildtieren auf den „wet markets“ in China, bei denen das Virus von Tieren auf Menschen übergesprungen ist. Im Menschen verwandelten sich die für die Tiere ungefährlichen Mikroben in tödliche Krankheitserreger. Wie und warum eine solche gefährliche Mutation im Menschen erfolgt, ist noch nicht erforscht.

    Das Überspringen von Viren von Tieren auf den Menschen- sogenannte Zoonosen- hat es zwar nach Auskunft der Naturwissenschaftler in der Geschichte immer wieder gegeben. Tuberkulose und Masern z.B. wurden von Haustieren übertragen und waren tödlich bis man einen Impfstoff entwickelte. Solche Zoonosen nehmen jedoch in den letzten Jahren in bedenklicher Weise zu. Die große Mehrheit der für den Menschen gefährlichen Viren der letzten Jahrzehnte (HIV, Ebola, Zeka, SARS, Corona) sind von Wildtieren auf den Menschen übergesprungen. Das hängt wiederum mit den Expansionen menschlicher Lebensräume im Zuge der ökonomischen Globalisierung zusammen, die auch Ursache für viele andere ökologische Probleme sind. Je mehr der Lebensraum von Wildtieren durch den Menschen beschnitten wird- so die Beobachtung von Biologen und Epidemiologen-, umso mehr steigt die Gefahr solcher Übertragungen.[1] Insbesondere das Abholzen der Wälder, welches z.B. Fledermäuse als Virenträger in menschliche Siedlungen ausweichen lässt, hat dazu beigetragen und ist für das Ebolavirus bereits nachgewiesen.[2] Auch die Übertragung von Krankheitserregern durch Mücken, durch Vögel und durch Zecken, die durch das rasante Artensterben kaum noch natürliche Feinde haben, hat nachweislich zugenommen.[3]

    Ebenso führten eng zusammengepferchte Nutztiere in der Intensivlandwirtschaft zur Verbreitung von gefährlichen Viren wie der Vogelgrippe oder des Influenza -Q-Virus, H5N1.[4] Um letzteren zu stoppen, mussten z.B. 2014 in den USA Millionen Geflügel gekeult werden.

    Im Unterschied zu früheren Epidemien sind die heutigen auch deshalb so gefährlich, weil sie sich durch die vielfältigen globalen Verbindungen in Wirtschaft und Gesellschaft kaum noch regional begrenzen lassen. Diese Pandemie hat die Welt auch nicht so unerwartet getroffen, wie es gegenwärtig erscheint. Auch die Bundesregierung hat bereits 2012 im Rahmen einer Risikoanalyse Szenarien einer möglichen Pandemie durch die Verbreitung eines neuartigen Coronavirus und der dann zu treffenden Maßnahmen durchgespielt, die sich in nahezu beklemmender Weise als ein Drehbuch der jetzigen Situation lesen![5]

    Es gibt auch schon seit geraumer Zeit Programme der Weltgesundheitsorganisation, die sich für den Schutz des Lebensraums von Wildtieren einsetzen, damit Viren nicht so leicht auf den Menschen überspringen. Der Evolutionsbiologe Rob Wallace fordert als die wichtigsten Präventionsmaßnahmen Schutz der Lebensräume von Wildtieren, die Förderung der Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren, umfassende Maßnahmen zur Wiederaufforstung und die flächendeckende Einführung der ökologischen Landwirtschaft.[6]

    Der Zukunftsforscher Matthias Horx vermutet ebenfalls Zusammenhänge mit unserer globalen Lebensweise und stellt folgende These auf „Vielleicht war der Virus nur ein Sendbote aus der Zukunft. Seine drastische Botschaft lautet: Die menschliche Zivilisation ist zu dicht, zu schnell, zu überhitzt geworden. Sie rast zu sehr in eine bestimmte Richtung, in der es keine Zukunft gibt. Aber sie kann sich neu erfinden.“[7]

    Die Ökologische Krise und die Corona Krise – was unterscheidet sie und was verbindet sie?

    Kann man und darf man die Corona Krise und die ökologische Krise überhaupt in einem Atemzug benennen? Was unterscheidet sie und was verbindet sie? Fragt man danach, was die Krisen unterscheidet, so sind vor allem drei deutliche Unterschiede zu nennen:

    Das Wissen um die Ursachen

    Bei der ökologischen Krise-insbesondere bei der Klimakrise -wissen wir inzwischen, dass sie nach Meinung der ganz großen Mehrheit der Wissenschaftler vom Menschen verursacht ist. Wir wissen auch hinlänglich, welches die wirksamen Maßnahmen sind, um die Folgen der Krise einzudämmen. Mit den Beschlüssen des Pariser Klimaabkommen von 2015 und der Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele wurden dazu wichtige und weitreichende Beschlüsse gefasst. Allerdings mangelt es noch immer an der konsequenten Umsetzung. Bei der Corona Krise scheint es nach belastbaren Hinweisen von Wissenschaftlern vom Menschen verursachte Entwicklungen zu geben, die das Überspringen des Virus begünstigen. Die Gründe der Mutationen mit den tödlichen Wirkungen für den Menschen liegen aber noch im Dunkeln.

    Die Unmittelbarkeit der Bedrohung

    Die Auswirkungen der ökologischen Krise werden zwar immer mehr spürbar, aber offenbar von den meisten Menschen noch nicht als bedrohlich genug empfunden, um unpopuläre Maßnahmen, wie wir sie jetzt gerade erleben, zu akzeptieren. Dagegen sind die Auswirkungen der Corona Krise so unabweisbar sichtbar und spürbar (Krankheitssymptome, überfüllte Krankenhäuser, der Tod vieler Menschen), dass sie zu einer sehr schnellen und erstaunlichen Akzeptanz von großen Einschränkungen geführt haben, die man angesichts der ökologischen Krise immer als nicht durchsetzbar und praktikabel gehalten hat. Es darf jedoch in der akuten Krise nicht vergessen werden, dass auch der Klimawandel heute schon heute vielen Menschen das Leben kostet und mittel und langfristig das Leben von Millionen Menschen bedroht!

    Der Zeitfaktor

    Die ökologische Krise entwickelt sich über lange Zeiträume. Bereits seit fast 50 Jahren wird vor ihren nicht minder dramatischen lebensbedrohlichen Folgen gewarnt.[8]Diese Auswirkungen bekamen als erstes die Menschen in den Ländern zu spüren, die am wenigsten dazu beigetragen haben. Erst in den letzten Jahren wurden sie auch für die Menschen in den reichen Ländern in Form von Hitzerekorden und Unwettern spürbar. Die Corona Krise entwickelte sich dagegen innerhalb weniger Wochen zu einer Pandemie, die nahezu alle Länder in allen Erdteilen betrifft.

    Und damit sind wir auch schon bei den Gemeinsamkeiten beider Krisen:

    Die Auswirkungen treffen alle, aber nachhaltige Gesellschaften sind resilienter

    Da es sich sowohl bei der ökologischen Krise als auch der Corona Krise um globale Krisen handelt, treffen sie zwar mittelfristig und langfristig Menschen in allen Ländern und in allen Gesellschaftsschichten, aber es sind eben nicht alle gleichermaßen durch ein gutes Gesundheitssystem, eine gute Daseinsvorsorge und eine verantwortlich handelnde Regierung geschützt. Es macht einen lebensentscheidenden Unterschied, ob ich diese Pandemie in einem Flüchtlingslager auf Lesbos, in einem Armenviertel in Rio de Janeiro, in Norditalien oder in Deutschland erlebe. Diese Faktoren erinnern an die hohe Relevanz der Sustainable Development Goals (SDG), die Ziele für nachhaltige Entwicklung, die die Staatengemeinschaft 2015 beschlossen haben. Einige davon erweisen sich jetzt als lebensentscheidend auch im Kampf gegen das Coronavirus: Schutz vor Armut und Hunger (SDG 1 und 2), Zugang zu einem guten und bezahlbaren Gesundheitssystem (SDG 4), Zugang zu Wasser und Hygienesystemen (SDG 6), Achtung der Menschenrechte, verantwortliche und demokratische Regierungsführung (SDG 16). Auch das Ziel 15, der Schutz der Artenvielfalt, hat hier im Hinblick auf die Ursachen für die Zunahme der Virenkrankheiten eine hohe Bedeutung.

    Für beide Krisen ist also der entschiedene Einsatz für die Umsetzung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung politisch wie auch gesellschaftlich dringend geboten. Das Engagement für Klimaschutz und der Einsatz für den Schutz vor der Corona- Epidemie sollten dabei nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wer die Mittel und Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus in Frage stellt, gefährdet das Leben vieler Menschen. Wer die Mittel und Maßnahmen zum Klimaschutz in Frage stellt, riskiert Entwicklungen, die neue Pandemien oder andere Katastrophen auslösen. Nachhaltige Politik und nachhaltige Gesellschaften können sicher nicht alle Probleme lösen und alle Leben retten, aber sie wirken präventiv gegen gefährliche Krisen und geben die nötige Resilienz, um diese Krisen besser zu bewältigen.

    Licht und Schatten der globalen Abhängigkeiten

    Eine wichtige Erfahrung, die beide Krisen miteinander verbindet, ist die der großen Abhängigkeit voneinander- im Kleinen wie im Großen, im Guten wie im Schlechten. Auch wenn momentan die Grenzen geschlossen sind, wenn jedes Land versucht, seine Bevölkerung zuerst zu schützen. Es wird uns auf Dauer nichts nützen, wenn wir allein für uns sorgen. „Sowohl beim Klima als auch bei Corona… gilt …: der Schaden eines anderen gefährdet uns alle. Jede Neuinfektion birgt das Risiko einer weiteren Ausbreitung. Jeder Hamsterkauf führt zur Verknappung. Jeder Flug, jedes SUV, jedes Kohlekraftwerk macht die Anstrengungen Einzelner, klimabewusster zu handeln zunichte, genau wie jedes Land, das sich nicht darum schert. Beide Krisen sind nur durch radikale Solidarität und Kooperation zu lösen, nicht durch Einzelgängertum und Konkurrenz“.[9] Das ist eine zentrale Schlussfolgerung für den politischen und gesellschaftlichen Bereich. Doch es gibt auch noch eine Tiefendimension.

    Die Ökologische Krise und die Corona Krise als Anfrage an den christlichen Glauben und die Theologie

    In beiden Krisen zeigt sich auch die große Verwundbarkeit des Menschen, seine Ohnmacht und aber auch die Bedeutung seiner Verantwortung. Beide Krisen offenbaren zudem die Abhängigkeit der Menschen voneinander und von der nichtmenschlichen Schöpfung- im guten wie im schlechten Sinne. In beiden Krisen wächst die Sehnsucht nach Halt, nach Orientierung und nach Hoffnung.

    Für Christen stellen sich in der gegenwärtigen Corona Krise auch alte und neue Fragen nach Gott und seiner Schöpfung, nach Heilung und Erlösung und nach dem, was Hoffnung gibt für die Zukunft. Mit diesen Fragen befassen sich zurzeit nahezu alle, die im kirchlichen Verkündigungsdienst stehen. Jede Andacht, jede Predigt, jede Meditation versucht, in dieser besonderen Krisenzeit aus dem christlichen Glauben Trost und Orientierung zu geben. Ich finde es beeindruckend, was hier an christlicher Kernsubstanz in tröstlichen und zugleich eindringlichen Worten zur Sprache kommt und wie stark und unmittelbar biblische Texte in die gegenwärtige Situation sprechen. Das ist ein Kairos auch für die Kirche, in der ihre besondere Mission gefragt ist und in der ihr - ähnlich wie schon bei der Flüchtlingskrise - trotz aller äußeren Beschränkungen neue Kraft und Lebendigkeit zuwachsen. Aus der theologischen Wissenschaft gibt es verständlicherweise (angesichts der Kürze der Zeit) zu diesen Fragen bisher erst wenige Beiträge.

    Der Glaube an Gottes Schöpfermacht und Fürsorge

    Eine Frage, die in vielen Predigten und Andachten und auch in den theologischen Beiträgen häufig gestellt wird, ist die Frage nach dem Sinn der Corona Krise. Ist sie eine Strafe Gottes? Gehört sie zu den Kennzeichen einer „gefallenen Schöpfung“? Wie verträgt sie sich mit dem Glauben an Gottes Liebe und Fürsorge?

    Der Glaube an Gottes Schöpfermacht und Liebe kann in Zeiten wie diesen einen Riss bekommen, denn wir erleben, dass vieles, was gerade geschieht, nicht Gottes Willen entspricht. Glaube und Erfahrung treten hier schmerzhaft auseinander.

    In diesem Zusammenhang äußern aktuelle Beiträge aus der wissenschaftlichen Theologie mit Vehemenz kritische Anfragen an die ökologische Theologie, der sie eine naive Vorstellung von der guten Schöpfung und ein zu großes Vertrauen in die „Selbst- und Weltsanierungsfähigkeit“ des Menschen vorwerfen.[10] Vielmehr zeige sich nun in der Corona Krise, dass die Schöpfung abgründig und zwiespältig sei und auch lebensbedrohliches Potential beinhalte. „Die Schöpfung entfaltet sich mit einer nicht zuletzt abgründigen Freiheit, die sich auch in lebenszerstörerischen Mutationen der Viren manifestiert.“[11] Es sei ein Fehler, die Sünde nur als Defizit des Menschen zu sehen, Gewalt geschehe auch in den biologischen Prozessen.[12] Aufrufe zur Versöhnung mit der Natur wären deshalb fragwürdig, ein solcher „religiöser Schöpfungskitsch“ würde nicht weiterhelfen.[13]

    Ich halte diesen Vorwurf in der gegenwärtigen Krise für wenig hilfreich. Zum einen zeichnet er ein Zerrbild der ökologischen Theologie. Auch Jürgen Moltmann, der Begründer der ökologischen Schöpfungslehre, hält fest, dass die gegenwärtige Schöpfung nicht nur gut ist, sondern der Vergänglichkeit und Nichtigkeit unterworfen- jedoch ohne eigene Schuld. Deshalb sei es auch falsch von der „gefallenen Natur“ zu sprechen.[14] Zum anderen wird aus meiner Sicht in den aktuellen theologischen Beiträgen vorschnell auf die unheimlichen lebenszerstörerischen Kräfte der Natur und ebenso auf die Geheimnisse des verborgenen Gottes verwiesen, ohne die Verantwortung des Menschen für die Zerstörung von Lebensräumen ausreichend in Betracht zu ziehen. Natürlich gibt es auch unerklärliche Gewalt in der Schöpfung, es gibt Krankheiten und Leid, die ohne Sinn sind. Mir scheint jedoch die Corona Pandemie dafür nur bedingt ein passendes Beispiel zu sein. Für mich verschränken sich in ihr die Verantwortung des Menschen für gefährliche Überschreitungen der ökologischen Grenzen (konkret die Beschneidung der Lebensräume von Tieren und die Abholzung von Wälder) mit für den Menschen lebensbedrohliche biologische Entwicklungen (Mutationen), für die wir keine Erklärung haben.

    Die Corona Krise als ein Weckruf

    Wie viele meiner Kollegen im Pfarrdienst in ihren Andachten betonen, glaube auch ich nicht, dass die Corona Krise eine Strafe Gottes ist. Dass Gott weder Krankheit noch Tod will, zeigt sich schon in den neutestamentlichen Geschichten, in denen Jesus Menschen von ihren Krankheiten heilte und Tote auferweckte. In diesen Heilungsgeschichten weist Jesus einen kausalen Zusammenhang von Sünde und Krankheit unmissverständlich zurück. Aber dennoch gibt es Mächte, die das Leben in Frage stellen und zerstören können.

    Moltmann beschreibt die Schöpfung Gottes als einen Prozess, in dem Gott nicht nur am Anfang die Schöpfung aus dem Nichts erschafft, sondern sie auch unter Mühen gegen die Mächte der Lebensverneinung erhält und schließlich mit der Auferstehung Jesu damit beginnt, sie neu zu erschaffen.[15] Gott ist also nicht als der jenseitige Herrscher zu verstehen, der über irdischem Leid steht, sondern als einer, der aus Liebe zu seiner Schöpfung in Jesus Christus in die von Nichtigkeit bedrohte Schöpfung eingeht, mit ihr mitleidet, mit ihr gegen die Nichtigkeit ankämpft und durch Leid und Tod hindurch die Schöpfung neu erschafft.[16]

    Mir scheinen die Stimmen am überzeugendsten, die in der Corona Krise einen Weckruf zu einer gesamtgesellschaftlichen Umkehr sehen.[17] Ich glaube, dass Gott uns trotz der Erfahrung von Leid und Tod nicht zugrunde richten, sondern uns aufrichten und zu Recht bringen will.[18] In der Tat enthält die Krise neben der Erfahrung großen Leids auch Chancen. Zukunftsforscher und Soziologen zeigen in eindrücklichen Szenarien auf, wie sich die Welt nach der Corona Krise wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch und sozial zum Positiven verändern könnte, wie nachhaltige Entwicklung uns resilienter machen und präventiv gegen neue Krisen wirken könnte .[19] Schon jetzt spüren wir an einigen Punkten, wie uns die erzwungene Einkehr vieles neu entdecken und wertschätzen lässt, was wir vorher zu wenig wahrgenommen haben, wie z.B. die hohe Bedeutung von alltäglicher Nachbarschaftshilfe und gesellschaftlicher Solidarität. Systemrelevant sind nun nicht die großen Institutionen wie Banken oder Versicherungen, sondern Menschen, die in den Krankenhäusern, Lebensmittelgeschäften oder in der Daseinsfürsorge ihren wichtigen lebensdienlichen Dienst tun. Regionale Wirtschaftskreisläufe und kurze Lieferketten gewinnen angesichts der aktuellen Lieferengpässe wichtiger Güter viel mehr an Plausibilität als die nun fragilen globalisierten Wirtschaftsstrukturen und Lieferketten.

    Auch der Glaube an die neue Schöpfung Gottes, die mit der Auferstehung Jesu begonnen hat, kann uns die Kraft geben, die Hoffnung für die Zukunft nicht zu verlieren. Nicht weil wir Menschen diese neue Welt schaffen könnten und sollten. Sondern weil sie uns eine Vision von der Fülle des Lebens geben, die Gott für seine Schöpfung will. Für Moltmann ist die Eschatologie nichts anderes als in die Zukunft gewendeter Schöpfungsglaube. Wer aus apokalyptischer Angst die Vernichtung der Welt erwartet, verleugnet die Schöpferkraft Gottes. Denn der Glaube erwartet nicht den Untergang, sondern die Verwandlung der Welt.

    „Wer an Gott glaubt, der aus dem Nichts das Sein erschuf, der glaubt auch an den Gott, der Tote lebendig macht. Darum hofft er auf die neue Schöpfung von Himmel und Erde. Sein Glaube macht ihn bereit, der Vernichtung auch dort zu widerstehen, wo menschlich gesehen nichts mehr zu hoffen ist. Seine Hoffnung auf Gott verpflichtet ihn auf die Treue zur Erde“.[20]

    3.4.2020, OKRin Dr. Ruth Gütter, Referentin für Nachhaltigkeit der EKD

     

    [1] S. Shah, Woher kommt das Coronavirus?, Le Monde diplomatique, März 2020, S. 1-3,https://atlas-der-globalisierung.de/woher-kommt-das-coronavirus/

    Johannes Vogel, Direktor des Naturkundemuseums, in Berlin bestätigt ebenfalls diesen Zusammenhang:
    https://www.tagesspiegel.de/politik/artensterben-und-naturzerstoerung-dieses-virus-ist-auch-der-preis-unserer-ausbeutung-der-natur/25676216.html

    Ebenso Andrew Cunningham, Professor für Wildtier Epidemiologie der Zoologische Gesellschaft London
    https://science.orf.at/stories/3200448?fbclid=IwAR0MTFpGZBZiTUBSQ6JAHARjqm6Dp-MA9l1i-pHLfoEM1WyPN3xHFBiOJDI

    [2] Katarina Zimmer, Deforestation tied to changes in disease dynamics, The Scientist, New York 29, Januar 2019

    [3] Lyme and other tickborne diseases, Centers fir Diseases Control and Prevention, 22, April 2019, www.cdc.gov

    [4] S. Shah, Woher kommt das Coronavirus, S. 2

    [5] Bericht zur Risikoanalyse im Bevölkerungsschutz 2012, Deutscher Bundestag Drucksache 17/12051, 1.3.2013

    [6] Interview mit Rob Wallace von 21.3. 2020
    https://amerika21.de/analyse/238220/coronavirus-und-agrarindustrie

    [7] M. Horx, Die Welt nach Corona, S. 11

    [8] Club of Rome, Die Grenzen des Wachstums, 1972

    [9] Vivian Dittmar, Zwei Krisen. Acht Parallelen, https://ethik-heute.org/zwei-krisen-acht-parallelen/

    [10] Günter Thomas, Theologie im Schatten der Corona Krise, Bochum 18.3.2020, S. 1-12 https://zeitzeichen.net/node/8206

    Ralf Frisch, Gott, das Virus und wir, Zeitzeichen online, 24.3.2020

    [11] Günter Thomas S.1

    [12] G. Thomas S.4

    [13] G. Thomas S. 2

    [14] Jürgen Moltmann, Gott in der Schöpfung, ökologische Schöpfungslehre, 1985, S. 81

    [15] Jürgen Moltmann, S. 68

    [16] Jürgen Moltmann, S. 217

    [17] Ansprache von Pfarrer Baier am 2.4.2020 in Kassel, www.ekkw.de/kassel

    [18] Ansprache von Pfarrer Henning www.youtube.com Evangelische Gemeinde in Beirut

    [19] M. Horx, Die Welt nach Corona, www.horx.com/48-die-welt-nach-corona/

     Fiktive Kanzlerinnenrede https://taz.de/Fiktive-Kanzlerinnenrede/!5670925/

    [20] Jürgen Moltmann ; Gott in der Schöpfung S. 105

     

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  • Hoffnung zu Zeiten der Corona-Pandemie 2020 - Ein hoffnungstheologischer Impuls. Prof. Dr. Dr.h.c. mult. Jürgen Moltmann

    Die Corona-Katastrophe ist wie das „finstere Tal“ von Psalm 23:

    Niemand übersieht sie, niemand weiß, wie lange sie dauert, niemand weiß, wann sie jemanden trifft. Gott erspart uns nicht das „Tal des Todes‘, aber Gott ist bei uns in unseren Ängsten. Gott geht mit uns in die Dunkelheit. Er erspart sich selbst nicht das „finstere Tal“. Gott durchleidet unsere Ängste mit uns und weiß doch den Weg für uns. Darum fürchte ich kein Unglück, denn das treue Du ist da in meinem Unglück. „Nah ist und schwer zu fassen der Gott“, dichtete Hölderlin. Gott ist uns näher, als wir wissen können. Gott ist uns näher als wir uns selbst sein können. Darum ist er schwer zu fassen, aber man kann auf seine Nähe vertrauen. Gottvertrauen trägt das Selbstvertrauen, wenn es angegriffen wird. Alle Zukunftsprognosen sind unsicher geworden und die Zukunftsgewissheit der modernen Welt ist gebrochen, jetzt kommt es auf die Hoffnung an. 

    Christliche Hoffnung ist Reich-Gottes-Hoffnung für die Zukunft der Welt wie im Himmel so auf Erden und wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt. Lange Zeit hat die Ewigkeitshoffnung in den Kirchen die Vorwärtshoffnung auf das Reich Gottes verdrängt. In der modernen Welt hat der Fortschrittsglaube die Ewigkeitshoffnung als „Opium des Volkes“ verdrängt. Beides ist falsch: Jesu Botschaft vom „nahen Reich“ für die Armen, Kranken und Kinder wird von seiner Auferstehung getragen und vergegenwärtigt. Die Auferstehungshoffnung gegen den Tod und die Mächte der Vernichtung wird zum Beweggrund für die geschichtliche Hoffnung auf das Reich Gottes.

    Im Ende – der neue Anfang: Das ist christliche Hoffnung. Sie gründet in der Erinnerung an das Ende Christi – es war sein wahrer Anfang – und richtet sich auf was immer wir als „Ende“ erfahren. Der Gott der Hoffnung schafft immer neu einen Anfang:  im Leben und im Tode weckt er uns auf zum neuen Leben in seiner kommenden Welt.

    Warum lässt Gott das zu?, 

    ist eine nachträgliche Frage oder eine Zuschauerfrage, nicht die Frage der unmittelbar Betroffenen.

    Sie fragen nach Heilung und Trost. Sie wollen, dass ihre Leiden aufhören, nicht dass sie erklärt werden. Jene alte Warumfrage ist damit nicht abgetan. Sie sucht nach einer Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens ohne Ende. Entweder ist Gott allmächtig oder gut: Gott kann nicht beides zugleich sein. Eine andere Möglichkeit aber ist: „Nur der leidende Gott kann helfen“, wie Dietrich Bonhoeffer in seiner Gefängniszelle geschrieben hat. Im gekreuzigten Christus erleidet Gott auch unsere Leiden und nimmt auf sich unsere Schmerzen, um bei uns zu sein in unserer Angst. Der gekreuzigte Christus ist der göttliche Trost im Leiden und der göttliche Protest gegen das Leiden, denn Christus ist auferstanden. Übrigens: Wir leben nicht in einer „heilen Welt“. Die Schöpfung ist erlösungsbedürftig. Die Natur kann grausam sein. 

    Ist die Corona-Pandemie eine Strafe Gottes für die Menschheit? 

    Manche amerikanische Evangelikale behaupten das. Die alten heidnischen Opferkulte wollten den Zorn der Götter besänftigen: Die Götter segnen das Wohlverhalten der Menschen und bestrafen das Fehlverhalten. Die alte Werkgerechtigkeit sollte die Strafe Gottes abwenden und den Himmel verdienen. Die „Strafe“ Gottes mit dem Corona Virus ist die Kehrseite des evangelikalen „Gospel of Prosperity“. „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,5). Die frühe Christenheit hat den „leidenden Gottesknecht“ von Jesaja auf das stellvertretende Leiden Christi am Kreuz bezogen. Wer nach dem Kreuzestod Christi noch von ‚‘Strafen Gottes“ in der Menschheitsgeschichte spricht, kennt Christus nicht und macht aus der Frohbotschaft der Vergebung der Sünden eine Drohbotschaft vom „strafenden Gott“. 

    Wer gewinnt in diesen Zeiten der Corona-Pandemie? 

    Die Menschen: Der tägliche Konkurrenzkampf ist stillgelegt. Da alle betroffen sind, lernen sie jetzt, was Solidarität ist. Solidarität gegen einen gemeinsamen Feind wie das Corona-Virus ist gut, Solidarität aus Freude an der gemeinsamen Menschlichkeit – ohne einen Feind – ist besser.

    Die Natur: Die Natur der Erde durchlebt eine „Verschnaufpause“ von der menschengemachten Umweltkatastrophe. Die naturgemachte Corona-Katastrophe hat die Menschenwelt zu Solidarität und einschneidenden Maßnahmen geführt. Die Umweltkatastrophe sollte eine ähnliche Solidarität und ähnliche Maßnahmen der Staatengemeinschaft hervorrufen. 

    Wer verliert in der Corona-Katastrophe?

    Das Selbstbewusstsein der modernen Menschen: Wir haben die Krise nicht „im Griff“. Die Covid-Viren stellen unsere „Machbarkeit aller Dinge“ durch Wissenschaft und Technik in Frage. Wir kommen an unsere Grenze. Der Virus wird zum „Feind“ erklärt und seine Bekämpfung wird als „Krieg“ gewertet. Ist die Natur wieder der Feind des Menschen?

    Die Sterbenden werden nur in Zahlen erwähnt. Sie sterben aber auf den Intensivstationen in äußerster Isolation und ohne menschliche Nähe. Um die Gesunden zu retten, lassen wir sie allein. Keiner kann sagen, ihn oder sie betrifft solches Sterben nicht. Der modern verdrängte Tod ist wieder ins Zentrum getreten. Das ist für das moderne Selbstbewusstsein schlecht. Statt Arroganz ist Demut gefragt.

    Der Artikel ist erschienen in ptz Stuttgart

  • Bewahrung der Schöpfung in der Krise - Ein Denkanstoß. Dr. Constantin Gröhn, theologischer Referent für „Diakonie und Bildung“ in Hamburg
  • Leben und Theologie im Anthropozän, Annette Muhr-Nelson

    Das Wort „Anthropozän“ begegnete mir zum ersten Mal im Trägerkreis des ökumenischen Prozesses „Umkehr zum Leben“. Er stellte für mich etwas vollkommen Neues dar. Und tatsächlich ist er so gemeint. Anthropozän ist ein geologischer Begriff. Er bezeichnet das Erdzeitalter nach dem Holozän. Sein Beginn wird allgemein Mitte des 20. Jahrhunderts angesetzt, denn 1950 explodierten Indikatoren menschlicher Entwicklung und mit ihnen Indikatoren für die Veränderungen des Erdsystems. Seitdem lassen sich die Eingriffe des Menschen in das Erdsystem in der Erdkruste geologisch nachweisen, z.B. Radionuklide aus Atombombentest in Eis-Bohrkernen und in Sedimentablagerungen in Seen.

    Der Mensch ist gesteinsbildend geworden: Die Menge des Mülls unserer menschlichen Zivilisation, die vom Land ins Meer gespült wird, übersteigt den Sedimenttransport der Flüsse bei Weitem. Unsere technischen Erzeugnisse werden als Technofossilien erhalten bleiben. Menschliche Aktivitäten haben vor allem seit der Mitte des letzten Jahrhunderts zur Bildung neuer Mineralien und Gesteinsarten wie z.B. Asphalt und Beton geführt.

    Das „Anthropozän“ ist eine neue Lehre von der Erde. Erstmals in der Erdgeschichte ist eine Spezies dabei, ihre erdsystemischen Lebensgrundlagen zu untergraben. Damit wird zugleich die alte Unterscheidung zwischen Kultur und Natur hinfällig. Der Philosoph Clive Hamilton geht so weit, sich von der „loving Mother Earth“ zu verabschieden. Die Erde sei in neuer Weise bedrohlich: „Our goal can no longer be to „save the nature“ but to save ourselves, from ourselves and from nature, knowing that every disturbance to the Earth System reduces the chances of doing so.“ (Clive Hamilton, Defiant Earth. The Fate of Humans in the Anthropocene. Cambridge 2017)

    Die Herausforderungen im Anthropozän überfordern das Fassungsvermögen des homo sapiens. Dennoch muss er sich mit den Möglichkeiten einer globalen ökologischen Katastrophe auseinander setzen, und das ist Teil des wirklich Neuen im Anthropozän. „Die ökologische Katastrophe, so wie sie sich gegenwärtig ereignet, stellt die Menschheit irreversibel in eine apokalyptische Situation. Die Moderne ist an ihrem Ende eine Endzeit geworden, weil die Situation des drohenden, des durchaus möglichen Endes sich nicht mehr rückgängig machen lässt.“ (Gregor Taxacher,  Apokalypse ist jetzt. Vom Schweigen der Theologie im Angesicht der Endzeit, Gütersloh 2012)

    Dennoch ist die Rede vom Anthropozän kein Katastrophengerede, und ihr geht es auch nicht um Weltuntergang. Sie warnt vor der Möglichkeit von Katastrophen in der Absicht, diese zu verhindern. Bei der Suche nach Überlebenspfaden der Menschheit im Anthropozän ist es hilfreich, die Ergebnisse der wissenschaftlichen Erdsystemforschung ernst zu nehmen. Dazu bedarf es eines starken politischen und gesellschaftlichen Willens und eines moralischen Impetus, der das Überleben der Menschheit als Allgemeingut über regionale, nationale und individuelle Interessen setzt. 

    Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es den meisten Gesellschaften dieser Welt möglich ist, verantwortungsvoll auf Krisen zu reagieren. Was bis dahin niemand für möglich gehalten hatte, ist geschehen: Produktionsstätten fuhren ihren Betrieb herunter, Flugzeuge blieben am Boden, Politiker suchten Rat bei Wissenschaftlerinnen, gekauft wurde nur noch das zum Leben Notwendige. Dieses kurze Innehalten ließ für einen Moment erahnen, wie es sein könnte, wenn die Menschheit sich etwas zurücknimmt, wenn weniger produziert, konsumiert und gereist wird.

    Die Ungerechtigkeiten zwischen Arm und Reich wurden noch deutlicher, die gesellschaftlichen Polarisierungen, die Problematik von beratungsresistenten narzisstischen Regierungschefs und die Skrupellosigkeit von raffgierigen Unternehmen. Aber es wurden auch positive Kräfte freigesetzt. Es entstanden Hilfsangebote und Solidarisierungsaktionen im häuslichen Umfeld oder im Quartier, es gab  kreative digitale Kommunikation, weltweite Aktionen, Demonstrationen, Meinungsbildung und Austausch, und es gab auch ein Durchatmen angesichts von klarerer Luft, ein Staunen angesichts blühender Gärten und ein neues Hinhören auf die Stimmen der Tierwelt. 

    Jede Krise birgt eine Chance. Hier kommt den Religionen große Bedeutung zu. Sie wirken sinnstiftend über die Begrenztheit des eigenen Seins hinaus. Sie haben Narrative, die der ökonomischen Maßlosigkeit der Moderne und dem technologischen Machbarkeitswahn etwas Neues entgegensetzen können: die Frage nach der Verantwortung des Menschen für das Ganze, für die ganze Erde, das ganze Erdsystem. Sie können die Frage stellen, ob es nicht sinnvoller ist, die eigene Freiheit dazu zu nutzen, nach einer Versöhnung mit der Erde zu streben und Gerechtigkeit neu als planetarische Gerechtigkeit zu definieren. Und sie nähren die Hoffnung, dass der einzelne Mensch und ganze Gesellschaften ihr Verhalten ändern und etwas zum Besseren wenden können.

    Der Ökumenische Prozess „Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten“  (www.umkehr-zum-leben.de) versucht,  diesen Diskurs zu führen und eine neue „Spiritualität planetarischer Gerechtigkeit“ zu entwickeln. (vgl. auch: Brigitte Bertelmann, Klaus Heidel (Hrsg.), Leben im Anthropozän. Christliche Perspektiven für eine Kultur der Nachhaltigkeit, München, 2018)

    Der nun folgende Text ist der Versuch, theologische Herausforderungen des Anthropozäns  zu skizzieren:

    Gott loben im Anthropozän?

    Wir leben im Anthropozän. Der Mensch hat so tief in das Erdsystem eingegriffen und die planetarischen Grenzen verletzt, dass sein Leben auf der Erde bedroht ist. Ein radikales

    Umdenken und die Entwicklung einer globalen Kultur der Nachhaltigkeit sind dringend geboten.

    Es geht um unsere Erde

    Die Erde ist in einem Zustand, in dem sie nie zuvor war. Auf die menschlichen Eingriffe in das Ökosystem reagiert sie nach den Gesetzen der Natur. Es ist absehbar, wann die Ressourcen verbraucht sind. Schon jetzt lassen Artensterben, Meeres- und Luftverschmutzung und die Veränderung des globalen Klimas ahnen, was das bedeutet.

    Das Ineinandergreifen der Lebenswelten und Lebensräume, die ökologische Sinnhaftigkeit, die Abhängigkeit von den Prozessen anderer Lebewesen – das alles war in einer Balance. „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ (Gen. 1, 10.12.18.21.25) Der Mensch wurde geschaffen als Teil dieses großen Gesamtgefüges.

    Wir leben von unendlich vielen ineinandergreifenden ökologischen Prozessen. Jeder Eingriff in die Natur hat Konsequenzen. (Das erkannte z.B. schon Alexander von Humboldt vor 220 Jahren.) Heute ist es unübersehbar: unser Lebensstil hinterlässt irreversible Schäden im Ökosystem der Erde.  Verantwortlich hierfür ist die falsche Denkweise, der Mensch sei von Gott zum Mittelpunkt der Schöpfung bestimmt worden. Dieser Anthropozentrismus hat eine Lebens- und Wirtschaftsweise hervorgebracht, deren Wesen von beständigem Renditestreben und Maß- und Rücksichtslosigkeit gegenüber den Mitgeschöpfen und der Natur geprägt ist. Notleidende sind Tiere und Pflanzen, Erde, Wasser und Luft und die Armen in allen Teilen der Welt.

    Es geht um unseren Glauben

    Das Anthropozän ist eine Herausforderung für unseren Glauben. Wir leben jenseits von Eden, d.h. inmitten einer natürlichen Umwelt, die auch immer Gefahren birgt. Krankheiten, Naturkatastrophen, die Abhängigkeit der Ernte von klimatischen Bedingungen bleiben auch für den modernen Menschen letztlich unverfügbar. Die menschengemachte Zerstörung der Ökosysteme, (die letztendlich Selbstvernichtung bedeutet,) wirft die existentiellen Fragen nach Leben und Tod, Schuld und Sühne, Verantwortung und Erlösung mit neuer Dringlichkeit auf. Darum fragen wir  im Kontext der globalen ökologischen Krise neu: Was bedeutet das Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde? Was erhoffen wir, wenn wir um „einen neuen Himmel und eine neue Erde“ bitten? Inwiefern sind wir als Mitgeschöpfe nicht nur mit betroffen von der Verschlechterung der Lebensbedingungen für die meisten Arten, sondern auch beauftragt mitzuwirken an Gottes kontinuierlichem Schöpfungshandeln, das Neues hervorbringt?

    Gott hat sich in Jesus Christus in die Tiefen des irdischen Lebens begeben. Dass wir auf einer verwüsteten Erde unser Seelenheil finden könnten, ist daher nicht ausgeschlossen, denn kein Leid(en) ist Gott fremd. Aber es ist ein Irrglaube, dass wir Gott finden könnten, ohne uns vom Leid anderer berühren zu lassen. Das Kreuz Christi weist uns den Weg zum Leiden, es stellt uns an die Seite der Schwachen und regt an zum mitfühlenden Nachdenken über unseren eigenen Umgang mit dem Leben um uns herum. Unser Heil ist eingebettet in die Heiligung der Schöpfung. Im  leidenden Nächsten, in der geschundenen Kreatur und in den Wunden der Erde begegnet uns Christus, der Mensch gewordene, mitleidende Gott. Zusammen mit der gesamten seufzenden Kreatur (Röm.8,20-22) bitten wir um Erlösung und fragen: Wie kann die österliche Hoffnung von der Überwindung des Todes zu einer transformativen, Gesellschaft verändernden Kraft werden?

    Christus ruft zur Umkehr und in seine Nachfolge. Sprachrohr dieses Rufs zu sein, verstehen alle Kirchen als ihren gemeinsamen Auftrag. Es ist „Gottes Wille, dass die ganze Schöpfung durch die verwandelnde Macht des Heiligen Geistes versöhnt in der Liebe Christi in Einheit und Frieden zusammenlebt“ (10. VV des  ÖRK, Busan 2013).  Diesem Ruf wollen wir folgen. Darum bitten wir um den Mut zur Umkehr, um Demut und Geduld, um Einsicht und um die schöpferische  Kraft des Heiligen Geistes. Wir wollen neue Wege zu einer Kultur der Nachhaltigkeit suchen. Wir können aus den Schätzen des Glaubens schöpfen und auf dem Engagement vieler Christinnen und Christen aufbauen. Wir hoffen auf Inspiration und neue Erkenntnisse durch den Austausch mit Menschen aus verschiedenen Generationen, Kulturen und Erdteilen.

    Es geht um unsere Zukunft

    Wir vertrauen darauf, dass Gottes Bund mit den Menschen Bestand hat. In diesem Vertrauen, getragen von der Hoffnung der Auferstehung und beflügelt von der Heiligen Geistkraft

    • werden wir den lebensfeindlichen Geschichten der Zeit unsere Heilsgeschichten entgegenhalten
    • der Erzählung  von den Segnungen des grenzenlosen Reichtums die biblischen Erzählungen von der Genügsamkeit in den Weg stellen
    • dem Narrativ vom Heil des Wirtschaftswachstums mit der Geschichte von der vergnügten Geborgenheit in der Liebe Christi entgegentreten
    • der Jagd nach Rendite unseren Glauben, dass die bleibenden Schätze nicht von dieser Welt sind, entgegenhalten.

    So wird der ängstliche Blick in die Zukunft scharf gestellt auf die Möglichkeiten und Notwendigkeiten menschlichen Handelns. In der Perspektive der Hoffnung, die über alles menschliche Streben und Wirken hinausweist, haben das entschiedene Handeln der Kirchen und einzelner zeichenhafte Bedeutung. So loben wir Gott und leben unser Leben in Ehrfurcht vor allem Lebendigen.

    Annette Muhr-Nelson,
    28.05.2020

  • 10 Commandments for Responsible Pastoral Reactions to the Corona-Crisis - Prof. Dr. Dietrich Werner (Brot für die Welt)

    Grundsatzreferent von Prof. Dr. Dietrich Werner, Brot für die Welt

    10 Commandments for Responsible Pastoral Reactions to the Corona-Crisis

    1. Let not your heart be overcome by fear

    John 16,33: In the world you will have tribulation. But take heart; I have overcome the world.”

    The unprecedented global corona crisis is accompanied by many fears and anxieties which are an indication for how intensely this infectious disease is challenges all economic, financial, social and health related systems on each society.  While it is part of human life to have fear to realize dangers which can threaten the health and integrity of our life and biblical tradition knows of periods of tribulation Christian faith intends to overcome fatalism as well as any attitudes which lead to disempowerment and paralysation of human beings. The word from Jesus “Fear not; I have overcome the world” liberates us to strengthen sober and careful minds to develop integrated and responsible ways for dealing with the pandemic. What holds true to Christian life in general also applies in this emergency particularly: “Pray as if everything depends on God, act as if everything depends on us” (St. Augustine).

    2. Follow protective medical advice to stay clean and wash your hands

    James 4,8: Draw near to God, and he will draw near to you. Cleanse your hands, you sinners, and purify your hearts, you double-minded.

    The wisdom of medical doctors, of experts of immunology and epidemiology is a precious gift of God which he has grated to humankind in the history of growing medical research and insights.  To protect oneself and to protect the weakest in society for further spreading the virus is part of the fundamental tasks of Christians in this period of crisis. Biblical tradition has an ancient respect and deep appreciation for the rituals of washing one’s hands and to stay clean. While the ancient rituals of cleansing and purification in certain historical periods could be criticised if used only as an externalized automatic for achieving a healthy spiritual status before God, nobody should dismiss these regulations today as one of the essential and obligatory ways of halting or at least slowing down the spread of the virus.

    3. Do not encourage religious stigmatization: The virus is not a punishment from God, but God is suffering with those who encounter illness

    Ex 23:25: So you shall serve the Lord your God, and He will bless your bread and your water. And I will take sickness away from the midst of you.

    God is not a cruel “master of the universe” sending waves of punishments to his beloved people. This kind of thinking leads to attitudes which express condemnation and additional religious stigmatization for those who have to struggle with the disease. St. Paul has seen his own disease as a “thorn in the flesh” (2 Cor 12,7), a burden to cope with, not a personal punishment by God but as something to strengthen his faith. God on the contrary wants to take away sickness from the people. The core of the Gospel is not condemnation or punishment, but salvation and healing of all: “God did not send his Son into the world to condemn the world, but to save/heal the world through him”(John 3:17). The early church did not condemn the sick but rather developed rituals of accompaniment by which the closeness of God to these people could be assured: “Is anyone among you sick? Let them call the elders of the church to pray over them and anoint them with oil in the name of the Lord.”(James 5,14)

    4. Be aware of God’s own suffering with the unfinished creation

    Rom 8,22: We know that the whole creation has been groaning as in the pains of childbirth right up to the present time. 

    The whole of creation is in an unfinished stage, God is suffering with his suffering creation. The church should give witness both to the beauty as well as to the groaning of creation.  What human civilization has done to creation destabilizes some of the inner balances and complex regulatory frameworks imbedded in nature.  As human civilization has transgressed planetary boundaries in several dimensions this affects also carefully maintained balances of micro-biotic milieus and the relationship between humankind and the world of animals and bio-organisms. The rigorous deforestation and expansion of industrialized zones of agriculture have pushed back the areas in which wild life can unfold without too close interaction with the milieus in which humankind can grow and survive. The phenomenon of zoonosis, the springing over of viruses from the animal realm to the human realm is also a result of the protracted human violation of creation, the destruction of natural habitats and the excessive overuse of animals for human consumption and industrialized exploitation. We will have to rethink our model of relating to natural resources and to animal life.

    5. Protect churches and societies from false prophets and charlatans

    Mathew 7, 15: "Beware of false prophets, who come to you in sheep's clothing but inwardly are ravenous wolves.

    Any crisis like this will be exploited by religious charlatans and false prophets which spread a religion of fear or encourage attitudes of ignorance trivializing and belittling the extent of the current crisis and use it to create their own fortune.  Those who say that in coming to the church buildings despite public warnings to avoid mass gatherings you provide a witness of the strength of your personal faith are utterly wrong and provide dangerous distortions of proper Christian ethics. Those who say that all this is a result of a secret conspiracy or the virus is fabricated in some laboratories in whatever country are utterly wrong. We should not spread fake news, rumours and vague labelling. We should not lead each other into temptation nor put God to test. Rather we should strengthen each other to follow medically advised measures of caution and physical distancing. Those who stay sober-minded give a proper witness of faith: “Be sober-minded; be watchful. Your adversary the devil prowls around like a roaring lion, seeking someone to devour”( 1 Peter 5,8).

    6. The true test of faith is not to defy public orders and measures of constraint but the endurance of mutual love and support

    James 1,2-4: Consider it all joy, my brethren, when you encounter various trials, knowing that the testing of your faith produces endurance. And let endurance have its perfect result, so that you may be perfect and complete, lacking in nothing.

    The true test of faith is not provided by ignorance over against medical advice but by the endurance in the service of loving support, respect and resistance over against any religious discrimination of those affected. Endurance can imply that we accept the precautionary measures of applying physical distancing so as to avoid the risk of infection, while this does not imply spiritual distancing from each other- as individuals, as communities, as churches in different parts of the world. On the contrary churches all around the world have been very creative to develop new ways of expressing spiritual support, togetherness and the endurance of channels of hope in and between their communities. In all this it is our clear biblical mandate: “do not merely look out for your own personal interests, but also for the interests of others”( Philippians 2:4).

    7. Provide support to all who work in front-line ministries of medical assistance, psycho-social care and direct social or material help

    Rom 12,1-2 I urge you, brothers and sisters, in view of God’s mercy, to offer your bodies as a living sacrifice, holy and pleasing to God—this is your true and proper worship. 2 Do not conform to the pattern of this world, but be transformed by the renewing of your mind. Then you will be able to test and approve what God’s will is—his good, pleasing and perfect will.

    The corona crisis is a huge challenge to the medical and care giving systems and staff in our societies. To provide our lives as living sacrifice for the service of the most vulnerable is a deep obligation and ancient virtue of Christian faith.  Mobilize support in ways possible for you to support those who stand in the front-line ministry of the medical and care-giving professions! Keep them in your daily prayers!  Try to do your own best in following the biblical advice: “Bear one another's burdens, and thereby fulfill the law of Christ”. ( Gal 6,2:). This includes providing support for those who can become easy victims of high levels of domestic violence in a context where people are forced to stay together in limited spaces although they have difficulties in living with tensions. A policy of zero-tolerance should be applied to those who exploit the situation of vulnerable people, women and children and the elderly in current home isolation situations, while not being able to control their potential for violence and aggression.

    8. Do not allow for xenophobic stereotypes to creep in and instigate hatred and discrimination

    Ephesians 2,14-16: For he himself is our peace, who has made the two groups one and has destroyed the barrier, the dividing wall of hostility, 15 by setting aside in his flesh the law with its commands and regulations. His purpose was to create in himself one new humanity out of the two, thus making peace, 16 and in one body to reconcile both of them to God through the cross, by which he put to death their hostility.

    Based on false language and terminologies (even used by heads of state!) which speak of the “Wuhan virus” or the “Chinese virus” insinuating that the virus has a nationality or a priority regional affiliation, new cases of violence and xenophobia are happening in several places. The coronavirus crisis is a global one and teaches us on the contrary how vulnerable we are all as global humanity and how much we need each other to solve the most urgent problems of humankind together.

    9. Promote a closer interaction of faith communities and social and developmental agencies: Towards new structural approaches to ecumenical diaconia

    Luk 10, 34-35: He went to him and bandaged his wounds, pouring on oil and wine. Then he put the man on his own donkey, brought him to an inn and took care of him.  The next day he took out two denarii[a] and gave them to the innkeeper. ‘Look after him,’ he said, ‘and when I return, I will reimburse you for any extra expense you may have.’

    A global crisis like this demands for a very close interaction and good collaboration between the local churches and the institutional agencies of development collaboration and emergency relief. Local faith actors have a key role to play in education, psycho-social care and networking for immediate help. Agencies have to play a crucial role in providing material, financial and logistic resources. It was not necessary only for the Samaritan to take care of the wounded as an individual, but in a second stage of his intervention he asked an institution of diaconical assistance, to provide long-term support of care and medical help.  This is the hour where the language of the localization of actors in emergency relief and support is put to its life test. WCC and ACT Alliance, the NCCs and the national ACT Forums have a crucial task of working closely together.

    10. Do not lose hope and new visions for a period even beyond the Corona-Crisis

    Isaiah 41:10: "So do not fear, for I am with you; do not be dismayed, for I am your God. I will strengthen you and help you; I will uphold you with my righteous right hand."
    Revelations 21:4: "He will wipe every tear from their eyes. There will be no more death or mourning or crying or pain, for the old order of things has passed away."

    The pandemic underlines both the positive and negative side of our current models of globalization, showing our immense vulnerability through interconnectivity, but also indicating possibilities for rapid response mechanisms and nurturing a new political determination to collaborate together as a global community of nations. In view of the pandemic we will have to ask some profound questions on the way we have organized life, economies and medical systems until now. We will need to modify the way of globalization and to strengthen resilience of those who are suffering most. It is a scandal that some nations have refused to provide appropriate financial support for WHO and health related systems in the global South which now is now having dramatic and visible consequences. We need visionary political leadership and we need proper ethical leadership of churches as well as scientists to prepare visions of how to re-organize our life in order to strengthen the ability of humanity to act together, to overcoming narrowminded nationalism as well as ethnocentrism and to face together the huge tasks which we have in front of us to curb the destruction of our planetary systems as otherwise humanity  cannot survive. We are encouraged that this new common ethical thinking and envisioning of an alternative model of globalization and strengthening of an ecological and responsible civilization in living within the given planetary boundaries is inspired by biblical faith which tells us that God wants us not to sink in fatalism and fear, but to be inspired by his love to the whole of his beautiful earth.

  • Zuhause – im Meer des Lebens, unserer „Mutter“, Fernando Enns

    Während ich diese Zeilen schreibe, sind wir alle noch im lock down des Frühjahres 2020 „gefangen“. Es ist eine ganz besondere Zeit. Alles ist anders: ich reise nicht, ich bleibe zuhause. Ich gehe nicht in die Universität, weder in Amsterdam, noch in Hamburg. Ich unterrichte meine Studierenden per Video-Konferenz. Auch die vielen Sitzungen finden online statt, ohne Hände schütteln, ohne Umarmung, ohne eine leichte Berührung, die manchmal so viel mehr Zuwendung und Trost ausdrücken können als viele Worte. Gottesdienste finden per live-stream statt. Das Treffen mit Familie und Freunden muss nicht gänzlich ausfallen – wir sehen uns, sprechen miteinander, können uns zusammenschalten aus weit entfernten Orten. Wir bleiben gemeinsam unterwegs auf dieser Erde, wandern nun virtuell durch die Zeiten.

    Sicherlich, die Nachrichten von der Freundin aus New York, deren Vater an COVID-19 gestorben ist, oder von dem Studenten, dessen Bruder in England verstarb, schockieren mich. Dieses Virus bringt wirklich Menschen um. Der Tod erlaubt nicht einmal einen rechten Ort der Trauer. Beerdigungen – mit maximal 10 Teilnehmenden, die Abstand zueinander wahren müssen – wirken hohl und leer. Bangende Sorge geht zu den geflohenen Menschen. Wenn 100 Menschen nur eine Toilette benutzen können und ein Wasserhahn 1.000 Personen versorgen muss, wie in den Flüchtlingslagern auf Lesbos, dann ist Schutz kaum möglich. Und die europäischen Staaten, wir, schützen jetzt nur uns selbst, jede Nation für sich. Die europäische Erde ist nur für zufällig Auserwählte ein Zuhause! Ohne den richtigen Pass hast Du hier kein Recht auf ein Zuhause! – Die Mystik nennt diese Erfahrung „via negativa“! Es ist die Karfreitagserfahrung – von Menschen ermordet, von Gott verlassen.

    Das macht mich wütend und traurig zugleich. Nicht meine eigene Gesundheit, nicht die Beschränkungen, nicht der (hoffentlich vorübergehende) Verzicht auf körperliche Nähe. Im Gegenteil! Wenn ich die Not und das Sterben verdränge, dann kann ich sagen: ich genieße diese andere Zeit! Seit vielen Jahren habe ich den Frühling nicht mehr so intensiv erlebt wie in diesem Jahr. Jeden Morgen laufe ich durch den frisch erwachten Tag, unter Bäumen, die jeden Tag mehr Grün tragen, vorbei am See, auf dem die Enten und Gänse schon miteinander schnattern, vielerlei Vögel begleiten mich mit ihrem frohen Singen, jeden Tag entdecke ich eine neue Blüte am Wegesrand. Ein Gefühl intensiven Lebens erfüllt mich, ein begeistertes Staunen über all diese Wunder, eine tiefe Verbundenheit mit der Natur – ich bin ein Teil dieser Erde, bin zuhause in diesem Netz des Lebens! In das Staunen mischt sich die Dankbarkeit und der Wunsch, das alles zu feiern. Ja, Dank der Pandemie erlebe ich diese „via positiva“ jetzt jeden Tag. Gesegnet mit der Ostersonntagserfahrung! – Das ist die andere Dimension des „Pilgerwegs der Gerechtigkeit und des Friedens“, zu dem wir uns im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) gegenseitig inspirieren.

    Der Fokus dieses ökumenischen Pilgerwegs liegt in diesem Jahr auf dem pazifischen Raum – dem „flüssigen Kontinent“. Als ich im Januar von der „Pilgerstation“ in Fiji zurückkehrte, da hatte ich mir fest vorgenommen: Bewahre diese Erfahrungen tief in deinem Herzen und rette einiges davon in deinen Alltag! Von keinem Ort kehrt der/die Pilgernde unverändert zurück! Als die Hektik der Termine mich wieder zu treiben begann, dann sagte ich mir leise „Fiji“ – und dann kehrte dieses völlig andere Bewusstsein von Zeit und In-Beziehung-Sein kurzfristig zurück. In den Dorfgemeinschaften wurden wir stets mit einer großen Zeremonie empfangen. Während dieser talanoas sitzen alle beieinander auf einer geflochtenen Matte (sie symbolisiert das Netz des Lebens). Wichtige Worte werden zu Beginn gesprochen – die Gastgeber bitten um Verzeihung für alle Unannehmlichkeiten der Reise und danken für das Kommen. Wir, die „Pilger“, bitten um Verzeihung für die Mühen, die dieser Besuch macht und bitten darum, die „Matte“ für kurze Zeit miteinander zu teilen. Wir trinken nach einer festgelegten Liturgie kawa aus einer Kokusnushchale, die herumgereicht wird. Erst danach beginnt allmählich das Gespräch über das „eigentliche“ Thema: die Folgen des Klimawandels. Die Gastgeber sind deutlich: ihre Inseln versinken bereits jetzt allmählich im Meer – dass sie ihre „Mutter“ nennen. Sie kennen die Ursachen genau: die Wirtschaftsweise, die auf der anderen Seite dieser Erde erdacht, angefeuert und weiter betrieben wird. Den Preis dafür bezahlen sie. Zwischendurch beten wir, manchmal singen wir ein Lied (wenn es eines der alten Missionslieder ist, dann kann ich mitsingen). Und sie erzählen uns von ihren politischen Aktionen. Es wird gelacht und geweint. – Ich staune über diese Weisheit: Das angestammte Wissen aus den vielen Generationen vor ihnen, der christliche Glaube und die politische Aktion sind für diese Menschen ein Ganzes. Und ich beginne zu verstehen: Für sie bedeutet die Beziehung mehr als das Individuum, der gemeinsame Bau eines neuen Kanus für ein Dorfmitglied mehr als die Renovierung des eigenen Hauses, das Nachdenken über Wege aus dieser Situation mehr als Schuldzuweisungen, der Schutz ihrer „Mutter“ (das Meer) mehr als der schnelle Profit, das Vertrauen in Gott mehr als das Zählen auf Politiker. Und sie nehmen sich sehr viel Zeit, für uns und miteinander, sitzend auf der Matte des gemeinsamen Lebens.

    Wie wir aus dieser Krise herauskommen, hängt sehr stark davon ab, wie wir in der krísis (griechisch „Beurteilung“, „Entscheidung“) leben – diese Weisheit übersetze ich in die jetzige Corona-Zeit. Nutzen wir sie als kairos (gr. „günstiger Zeitpunkt für eine Entscheidung“), um das Leben neu zu feiern, unsere Erde und das Meer (unsere „Mutter“) und unsere Teilhabe daran? Verstehen wir jetzt – da wir unsere eigene Verwundbarkeit hautnah spüren, wie verletzbar das gesamte ökologische System ist? Diese Erfahrung schenkt die Einsicht in die Einmaligkeit, den unermesslichen Wert dieses Geschenks des Lebens, das wir im Glauben „Gottes Schöpfung“ nennen. Wenn der politische Wille aufgebracht werden kann, die ganze Weltwirtschaft lahm zu legen, um das menschliche Leben einiger zu schützen, wieviel mehr sollte es dann möglich sein, gemeinsam die Kraft zu entfalten, unsere „Mutter“ vor der Zerstörung durch ihre eigenen Kinder zu retten! Noch leben wir in dieser Ostersamstag-Erfahrung, aber diese „via transformativa“ lässt uns hoffnungsvoll bekennen: „Eine andere Welt ist möglich!“

    Fernando Enns

    Weitere Informationen zu Fernando Enns

  • Frieden - Detlev Besier (Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der ev. Kirche der Pfalz)

    Beitrag von Detlev Besier, Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Evangelischen Kirche der Pfalz

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    Frieden


    Vor ein paar Tagen verband die Losung der „Herrnhuter Brüdergemeine“ Worte aus Philipper 4, 7:
    „Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren“ mit einem Gedanken aus 3. Mose 26, 6:
     „Ich will Frieden geben in eurem Lande, dass ihr schlaft und euch niemand aufschrecke.“ 
     
    Ein schöne Verheißung und Zusage in schwierigen Zeiten. Ermutigend ist es, zu spüren, dass noch andere Worte uns berühren können als all die Nachrichten, Szenarien und Schreckensmeldungen dieser Tage. 
     
    Das bringt mich zumindest auf drei Fragen: 

    1. Wird denn in Syrien noch gekämpft, gestorben, geflüchtet und hat unsere Rüstungsindustrie auch Kurzarbeit angemeldet oder gar geschlossen?
       
    2. Sind alle Geflüchteten jetzt entweder so untergebracht, dass ihr Recht auf Asyl von aufnehmenden Staaten geachtet wird oder wurde ihnen in ihrem ehemaligen Heimatland ein angst- und gewaltfreies Leben ermöglicht?
       
    3. Sind endlich alle Anstrengungen zur Erreichung des 1,5 Grad-Zieles (Pariser Klimaabkommen) und dem Zurückfahren von CO2–Emissionen erfolgreich umgesetzt, damit Natur, Artenvielfalt, Menschen auf diesem Planeten überleben? 

     
    „Der Friede Gottes, höher als alle menschliche Vernunft ...“
    Bei geschlossenen Kirchen machen sich unendlich Viele, sehr gute, tragende, tröstende, ermutigende Gedanken, die jetzt in Wort, Bild und Musik gestreamt werden, um Menschen zu erreichen.
    Milliardenschwere Hilfspakete werden geschnürt, um einen wirtschaftlichen Kollaps zu verhindert. Soziale Kommunikation sucht sich ihren Weg über Briefe, Rufe von Balkon zu Balkon, Stand-Up–Konzerte bei offenem Fenster für die Nachbarschaft. Einer kauft für den anderen ein, eine liest per Telefon einer anderen etwas vor. Es wird geskypt und per Videokonferenz getagt. 
     
    Wir haben viele neue Wege gefunden, in Kontakt zu bleiben. 
     
     „... dass ihr schlaft und euch niemand erschrecke ...“
    Tatsächlich erschreckt es mich nicht mehr, dass nach wie vor Menschen vor Bomben fliehen müssen, Kinder in Flüchtlingslagern elend dahin vegetieren und sterben, kaum ein Insekt in diesen sonniger werdenden Tagen unterwegs ist. Ich sehe die „Corona-Sondersendungen“. Mich übermannen die Zahlen aus Italien, Spanien, Deutschland ... und ich höre, dass an Impfstoffen gearbeitet wird. 
     
    Allmählich bekomme ich Angst, nicht vor dem Virus, sondern vor uns Menschen mit unserer Hysterie und dem immer noch funktionierenden Mechanismus auszublenden. 
     
    Wie sehr habe ich mir gewünscht, dass nach der Aufnahme vieler Geflüchteter 2015 nicht der Populismus, völkischer Nationalismus und der mit Faschismus gepaarte Rassismus die Oberhand gewinnen. Ich hoffte so sehr auf Menschlichkeit, Solidarität, Teilhabe und den Willen, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen.  
    Ja, wir hätten viel Geld in die Hand nehmen, wir hätten Ideen entwickeln, unser Wirtschaftssystem dem 21. Jahrhundert anpassen müssen. Wir hätten ... müssen:

    • Konsequent Waffenexporte kontrollieren und die Verbote durchsetzen
    • Eine emissionsarme, menschenfreundliche Mobilität entwickeln
    • Wirtschaften um des Menschen willen erlernen, das die natürlichen Ressourcen entlastet
    • Gerechte Teilhabe und Solidarität als schulische und gesellschaftliche Lernfelder etablieren
    • Nicht nur beten und hoffen, sondern als Kirchen schöpfungsgemäß handeln 

     
    „...wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren...“
    Aus diesem Gefühl des Bewahrt-Werdens erwächst ganz bestimmt die Energie, dass wir aus der Bewältigung der Corona-Pandemie lernen, auch für andere Krisen beherzt Veränderungen anzugehen.   
     
    Ja, ich trauere um jeden Toten dieser Epidemie und fühle mit denen, die Angehörige nicht beerdigen können. Ich habe unendlich großen Respekt vor all jenen, die jetzt die Versorgung auf allen Ebenen ermöglichen. 
     
    Gleichzeitig beschleicht mich ein ungutes Gefühl, dass wir über das eigene Betroffen-Sein die Welt mit ihren Problemen einfach vergessen. Und wenn dereinst die Epidemie eingedämmt ist, uns noch viel größere Scherbenhaufen gegenüber stehen:

    • Wenn das Virus in den Favelas, Armenvierteln und Ghettos gewütet hat
    • Wenn Obdachlose, Straßenkinder irgendwo tot verscharrt wurden
    • Der Regenwald fast abgeholzt ist
    • Ethnische Volksgruppen in Grenzgebieten vertrieben oder ermordet wurden
    • Wirtschaftlich nötige Ressourcen unter Weltkonzernen und bestimmten Staaten aufgeteilt sind
    • Die klimatischen Bedingungen irreversibel zerstört, viele Arten unwiederbringbar ausgestorben sind 

     Ich mache mir große Sorgen, dass der berechtigte Krisenmodus unserer Tage die dahinterliegenden Fragestellungen und Probleme einfach wegschiebt. In diesem Sinne möchte ich nicht einfach beruhigt einschlafen, weil mich das Virus nicht trifft, das Krisenmanagement der Virolog*innen und Politiker*innen zu greifen scheint. 
     
    Wer bis hierher gelesen hat, den und die bitte ich, wachsam und offen zu bleiben für das, was sich neben dem Virus noch entwickelt. Haltet eure Kontakte z.B. nach Übersee, in andere Länder, zu anderen Gruppen außerhalb der beliebten Wohlfühlblase. Lest und studiert die vielfältigen Nachrichten, damit ihr nicht Opfer von Verschwörungstheorien und Fake-News werdet.  Verliert eure menschliche Vernunft nicht. Bleibt und werdet solidarisch. 
     
    Die Menschen der so genannten Risikogruppen brauchen uns ebenso wie das Klima, unsere Natur, damit wir in ihr weiterleben können.  Die Menschen am Rande unserer Gesellschaft brauchen uns und vor allem diejenigen, die durch unsere Wirtschaftsweise aus ihrer eigenen Gesellschaft herauskatapultiert wurden. 
     
    Wenn wir uns darauf einlassen können, so solidarisch zu sein, ist ein gesundes und gerechtes Leben für alle in dieser Welt möglich. Darauf ruht dieser göttliche Friede, diesem Zustand ist er verheißen. 
     
    Ich wünsche mir so sehr, dass dieser Virus uns das lehrt. Bleibt behütet und gesegnet und vor allem, bleibt gesund. 
     
    Detlev Besier * Pfarrer in der Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Ev. Kirche der Pfalz 26.03.2020 detlev.besier@evkirchepfalz.de 

  • Blind und taub - Sibylle Wiesemann (Umweltbeauftragte der ev. Kirche der Pfalz)

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    Ein Beitrag von Sibylle Wiesemann, Umweltbeauftragte der Ev. Kirche der Pfalz

    Die freiheitseinschränkenden Regeln, um CoVid-19 einzudämmen, hätte vor ein paar Wochen niemand für möglich gehalten. Dennoch spricht kaum jemand von „Corona-Diktatur“. Der Begriff wäre auch unangebracht, denn die Maßnahmen wurden durch unsere demokratischen Organe angeordnet. Die persönlichen Freiheiten werden massiv eingeschränkt, ganze Wirtschaftsbereiche machen dicht, Schulen und Kitas sind geschlossen. Einige Auswirkungen dieses Shut-Down entlasten die Umwelt: Der Autoverkehr geht drastisch zurück, der Konsum beschränkt sich – bis auf absurde Ausnahmen – auf das Lebensnotwendige, die Freizeit wird im nahen Wald verbracht. Wir können hören, wie angenehm Stille ist und wie blau der Himmel eigentlich sein kann.

    Um die multiple Umweltkrise einzudämmen, strampeln sich Umweltverbände, Parteien, die FridaysFor-Future-Bewegung, Mediziner*innen, Entwicklungshilfeorganisationen und viele in ihrem privaten und beruflichen Umfeld teilweise schon seit Jahrzehnten ab. Im Gegensatz zur aktuellen Situation wurde bisher wenig unternommen, was tatsächlich an den Ursachen der weltweiten Umweltkrise arbeitet und eine ausreichende Entlastung bringt. Wahnsinnig traurig mutlos ist die Umweltpolitik und das, obwohl die Auswirkungen viel dramatischer sind als bei der Corona-Krise. Die Klimaerhitzung, die Zerstörung von Lebensräumen, das unwiederbringliche Aussterben von Arten, die Vergiftung und Vermüllung unserer Lebensgrundlagen greifen massiv in die Überlebensfähigkeit der Menschheit ein, über Jahrtausende. Selbst kleine Maßnahmen, die niemandem wehtun, werden als „demokratisch nicht tragbar“ bezeichnet, als „Ökodiktatur“.

    Als Grund, weshalb für unsere Lebensgrundlagen zu wenig politisch und individuell getan wird, höre ich oft: Der Klimawandel sei zu weit weg, das betrifft die Leute nicht. Der Virus würde die Leute unmittelbar gefährden, deshalb tragen sie die Maßnahmen mit. Aber, wie blind und taub kann man sein? Wenn ich im Autoverkehr der Vor-Corona-Zeit Fahrradfahre, bin ich immer absprungbereit, weil ich jeden Augenblick von einem abgelenkten Autofahrer angefahren werden kann. Wenn ich an der Ampel hinter einem stinkenden Diesel stehe, schaden die Stickoxide meiner Lunge. Nach Berechnungen der Europäischen Umweltagentur sterben in Europa jährlich 430.000 Menschen vorzeitig wegen Luftverschmutzung. Wenn meine Kinder mit dem Fahrrad zur Schule fahren, weiß ich, dass auch sie gefährdet sind. Wenn ich Hauptverkehrsstraßen entlanglaufe, denke ich an die Anwohner*innen, die eine um Jahre geringere Lebenserwartung haben, weil sie dem Lärm ausgesetzt sind. Wenn ich Kleidung kaufe, weiß ich, dass weltweit jährlich 200.000 Menschen an Pestiziden sterben, viele davon beim Baumwollanbau. Wenn ich durch eine leergeräumte Agrarlandschaft laufe, vermisse ich Insekten und Vögel. Wenn ich Kinder mit Haltungsschäden und Übergewicht sehe, die nicht draußen spielen können, sehe ich schon die Langzeitfolgen einer von der Natur entkoppelten Lebensweise. Ich vermisse den Schnee im Winter, sah in den vergangenen heißen Sommern ältere Menschen mit Kreislaufproblemen und habe im Hinterkopf, dass Hitzesommer wie 2003, durch den in Europa 70.000 Menschen gestorben sind, in Zukunft kühle Sommer sind, so die Berechnungen der Klimaforscher*innen. Badeseen trocknen aus, der geliebte Wald ist selbst in Mitteleuropa substantiell gefährdet.

    Die Umweltzerstörung ist nicht in ferner Zukunft, sie betrifft uns selbst jetzt und direkt. Unsere Kinder, Enkel und die Menschen in 300 Jahren werden die Auswirkungen in einem gravierenden Ausmaß spüren. Ich wünsche mir keine Ökodiktatur, aber eine mutige, demokratische und handelnde Politik. Die aktuelle Politik zeigt schließlich: Es ist möglich zu handeln! Und uns als Bürger*innen, die gemeinsam und solidarisch (das Wort habe ich in den letzten Tagen so oft gehört wie nie) für das Leben eintreten, wünsche ich, dass wir diese Solidarität in gleicher Intensität auch in der Umweltkrise zeigen. Es kommt auf uns an, Leben zu retten. Dass wir das können, haben wir jetzt bewiesen.  
      
    Sibylle Wiesemann, 2. April 2020 Umweltbeauftragte der Ev. Kirche der Pfalz Mobil: 0151 40122671; E-Mail: wiesemann@frieden-umwelt-pfalz.de  

  • Corona-Pandemie und Klimaschutz – einige Anregungen zur Diskussion. Volker Teichert, Hans Diefenbacher und Oliver Foltin (Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft)

     Corona-Pandemie und Klimaschutz – einige Anregungen zur Diskussion
    Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg

  • Die Wasser der Flut steigen - Klara Butting

    Die Wasser der Flut steigen. Dieses Bild ist seit der Sabbatwoche zum Thema „Noah und die Arche“, die direkt vor der Kontaktsperre noch stattfinden konnte, in meinem Kopf. Es hat sich mit der steil ansteigenden Kurve der Coronainfektionen verbunden. Eine „Naturkatastrophe in Zeitlupe“, so hat Christian Drosten die Pandemie genannt. Sie reiht sich an Dürren, an Artensterben, an Waldbrände mit Millionen verbrannter Tiere – an all diese Anzeichen, dass das ökologische Gleichgewicht des Lebens auf dieser Erde durch unsere Art zu leben zerstört wird. In dieser Situation werden die Bilder der Noahgeschichte zu Gleichnissen. Es gibt eine Auslegung der Noaherzählung, die in der einen oder anderen Fassung in den meisten Kinderbibeln zu finden ist:

    Die Menschen hatten sich wieder von Gott abgewendet und nicht so gelebt, dass Gott sich an ihnen freuen konnte. Die einzige Ausnahme bildete Noah mit seiner Familie. Gott beschloss deshalb, die ganze Welt in einem Hochwasser zu ertränken und nur Noahs Familie zu retten.

    Ich finde diese Wiedergabe der Geschichte fahrlässig. Sie stärkt das Bild von einem allmächtigen Gott, der sich in zerstörerischen Naturkatastrophen zeigt. Nach biblischer Erzählung ist die Flut aber keine Strafe für menschliches Fehlverhalten, sondern Darstellung der Katastrophe, die ist.

    Die Flut

    Eskalierende Gewalt, die die Erde zerstört, ist Thema und Hintergrund der Noaherzählung. 

    Die Erde verdarb vor dem Angesicht Gottes,
    Gewalt erfüllte die Erde.
    Gott sah die Erde:
    siehe, sie war verdorben;
    denn alles Fleisch hatte seinen Lebensweg auf Erden verdorben.
    Da sprach Gott zu Noah:
    Das Ende alles Fleisches ist vor mich gekommen;
    denn die Erde ist seinetwegen erfüllt von Gewalt;
    siehe, ich verderbe es mit der Erde.
    (1. Mose 6,11-13)


    Hier wird auf ein Geschehen der Vergangenheit zurückgeblickt. Die Erde ist durch Gewalt zerstört. Worte aus der Schöpfungsgeschichte klingen an – allerdings in verdrehter Form. Gott sieht, aber er sieht nichts Gutes, sondern Verderben. Der Auftrag „vermehrt euch und füllt die Erde“ wurde erfüllt, die Erde ist gefüllt – aber nicht mit Segen, sondern mit Gewalt. Gott konstatiert, dass tödliche Gewalt globale Ausmaße angenommen hat. „Das Ende alles Fleisches ist vor mich gekommen“. Gott verhängt das Ende des Lebens nicht, sondern stellt fest, was Realität ist. D.h. die Flut ist ein Bild für Ausmaße und Ergebnis der tödlichen Gewalt, die die Welt beherrscht. „Missachtet man die Metaphorik der hier erzählten Flut, muss die Auslegung am Text vorbeigehen. Der Tod in der Flut ist die Darstellung der gewalttätigen Welt. Der Dauerzustand wird literarisch verdichtet zum zeitlich begrenzten Ereignis“ (Baumgart 225).

    Dass die Erzählerinnen und Erzähler von der menschengemachten Katastrophe dann doch so erzählen, dass Gott die Katastrophe bewirkt, ist eine typisch biblische Wendung. Sie hat damit zu tun, dass sie nicht nur die Auswegs- und Zukunftslosigkeit der tödlichen Geschäfte sichtbar machen wollen, sondern in dem allem einen Ausweg zum Leben suchen. Gott nimmt das Heft des Handelns an sich, um dort, wo nur noch die Selbstzerstörung und das Ende des Lebens konstatiert werden kann, einen Weg des Überlebens zu finden. Alles Gewicht der Erzählung liegt auf diesem Ausweg, der als ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Noah beschrieben wird. Gerade in der gegenwärtigen Krise ist diese Blickrichtung wichtig. Wir können nicht Gottes Sein oder Handeln aus der Coronapandemie oder anderen Naturkatastrophen herauslesen. Auch angesichts von Katastrophen handelt der biblische Gott im Bund mit Menschen, die einen Weg der Rettung zu finden versuchen. Die Noahgeschichte bietet ein Paradigma dieses Bundeshandelns Gottes, dem es um die Rettung alles Lebendigen aus der Katastrophe geht. 


    Nach biblischer Erzählung ist die Flut keine Strafe für menschliches Fehlverhalten, sondern Darstellung der Katastrophe, die ist.
     

    Die entscheidende Mitte

    Der Aufbau der Erzählung unterstützt die Konzentration auf Gottes rettendes Tun. Auch wenn die Gelehrten darüber streiten, wie die Noahgeschichte entstanden ist, ob es irgendwann zwei getrennte Überlieferungen gegeben habe, Einigkeit besteht in einem: Das Material ist um ein Zentrum geordnet. Zentrum der Erzählung ist der Satz: „Gott gedachte Noahs und aller Tiere und alles Viehs, das mit ihm in der Arche war“ (8,1).

    Die Zuwendung zu Noah und allem Lebendigen ist die Mitte eines Triptychons. Zur Linken und zur Rechten dieser Mitte entsprechen sich die Erzählelemente. Links steigen die Wasser; rechts sinken die Wasser. Links werden die Berge bedeckt; rechts werden die Gipfel der Berge sichtbar. Zur Linken und zur Rechten steht die Erkenntnis, dass die Verwirklichungen der menschlichen Herzen böse sind. Gottes Bund mit Noah zur Linken entspricht Gottes Bund mit allem Lebendigen zur Rechten.

    Vor und nach der Flut

    Äußerster Rand der beiden Seitenflügel sind zwei Geschlechterregister. Zehn Geschlechter vor der Flut von Adam bis Noah (5,1-32) und zehn Geschlechter nach der Flut von Schem bis Terach, dem Vater Abrahams (11,10-32) bilden den Rahmen der Erzählung.

    Vor und nach der Geburt des Erstgeborenen

    Beide Listen sind einzigartig in ihrer Struktur. Ein Mann wird namentlich genannt mit seinem Alter, „Set lebte 105 Jahre“, dann folgt die Erzeugung seines Erstlings, „er zeugte Enosch“, anschließend folgen die Jahre, die er nach der Erzeugung seines Erstlings lebte: „nach Enoschs Erzeugung lebte Set 807 Jahre und zeugte Söhne und Töchter“. Neunmal wird diese Struktur wiederholt.  Dasselbe nach der Flut noch einmal: Und NN lebte XX Jahre und zeugte JJ. Nach der Erzeugung JJs lebt NN XXX Jahre und zeugte Söhne und Töchter. So wird in der biblischen Erzählung das Vor und Nach der Flut umschlossen von dem Vor und Nach der Geburt des Erstlings.

    Mit Blick auf die außerbiblischen Mythen von der großen Flut, die es in vielen Völkern gibt, hat Reinhard Kratz betont, dass es in diesen Erzählungen „gar nicht so sehr die Flut selbst (ist), auf die es ankommt. Sie ist (…) nur als Wasserscheide wichtig, die zwei Epochen voneinander trennt. Besondere Bedeutung kommt dem Vorher und Nachher (…) zu“ (Kratz, 175). Das Besondere in der biblischen Erzählung ist nun, dass die Erzähler*innen in das bekannte Vorher und Nachher der Flut ein überraschendes Vorher und Nachher einschieben: das Vor und Nach der Geburt des Erstgeborene. Dabei ist als Hintergrund wichtig zu wissen, dass dieser „Erste“ in der Bibel nicht etwa derjenige ist, der als der Erste geboren wird, sondern derjenige, der für die Gemeinschaft Verantwortung übernimmt. (Nicht Kain, sondern Schet, nicht Esau, sondern Jakob etc.) In einer Welt, in der Geschichte ein Leben in Erwartung und Erinnerung der Katastrophe zu sein scheint, behauptet die Noahgeschichte, Geschichte sei ein Leben in Erwartung und Erinnerung derjenigen Menschen, die Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen.

    Das Nachdenken über Geschichte macht die Noahgeschichte zum Gleichnis gegenwärtiger Krisen. Was bestimmt unsere Sicht auf die Welt und die Menschen: Hoffnungsprojekte oder „die Flut“ (hebräisch: Mabul, griechisch: Katastrophe)? Was bedeutet es, dass wir in einer Welt leben, in der die Katastrophen die Zeit bestimmen: vor und nach dem Ersten Weltkrieg, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, vor und vielleicht kein „Nach“ der Klimakatastrophe – und wir doch eine andere Zeitrechnung tradieren: vor und nach der Geburt Jesu Christi?

    Der Bund

    Die Noahgeschichte erzählt das Versprechen, dass die herrschende Gewalt das Leben auf dieser Erde nicht vernichten wird. Gott verbindet sich für alle Zeit mit allem, was lebt, mit Menschen und Tieren. Gottes Selbstverpflichtung, dass Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht niemals ausbleiben werden (8,22) und der Regenbogen als Zeichen der bleibenden Verbindung Gottes mit aller Kreatur (9,13ff) sind bekannte Hoffnungstexte. Der Weg dieser Hoffnung wird in zwei Bundesschlüssen entfaltet. Auf den linken Seiten des Triptychons der Bund mit Noah. Er besteht aus Bauanweisungen für den rettenden Kasten, die Arche. Gott überträgt Noah schöpferische Aufgaben. Er soll einen Raum des Überlebens schaffen. Auf der rechten Seite werden die Dimensionen dieses Bundes sichtbar. Schon beim Auszug aus der Arche sprengt die Formulierung die Erzählung, denn alles Lebendige zieht aus der Arche:

    Da ging Noah hinaus und seine Frau, seine Söhne und die Frauen seiner Söhne mit ihm. Alles Lebendige, alle Kriechtiere und alle Flugtiere, alles, was auf der Erde kriecht, familienweise gingen sie aus dem Kasten heraus.“ (Genesis 8,18f) 


    Wenn wir in der gegenwärtigen Krise nach Gott suchen, werden wir nicht an einen verborgenen Gott verwiesen, der seine vermeintlich dunklen Seiten in Viren zeigt.
     

    Es geht zweimal ums Ganze. Die ganze Welt geht an der herrschenden Gewalt zu Grunde. Die ganze Welt soll durch Gottes Zuwendung zu Noah gerettet werden. Die herrschende Gewalt zerstört das Leben („alle sind gestorben“, kann Paulus in einem anderen Zusammenhang zuspitzen, 2. Korinther 5,14), Gott aber ergreift in der Todesverfallenheit die Initiative, damit sich ein Weg des Lebens für alle Kreatur auftut. Entsprechend ist der Bund auf der rechten Seite des Triptychons ein Bund „zwischen Gott und alle jeder lebenden Seele von allem Fleisch das auf Erden ist“ (9,16). Auch dieser  zweite Bund besteht aus Anweisungen für einen Raum des Überlebens. Was links die rettende Arche ist, ist rechts das Recht. In Lebensregeln wird Gottes bleibende Verbundenheit mit allem Lebendigen konkret. Lebensregeln sind das Mittel, die Gewalt zu zähmen, sowohl im Umgang mit den Tieren, als auch im Miteinander der Menschen.

    Der Umgang mit den Tieren

    Der Verzehr von Blut wird untersagt und damit Würde und Heiligkeit alles Lebendigen als Maß des menschlichen Umgangs mit den Tieren gegeben.

    Der Umgang unter den Menschen

    Die Gewalt von Menschen gegen Menschen wird untersagt, und damit die unantastbare Würde der Menschen als Bild Gottes festgehalten: „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll durch Menschen vergossen werden. Denn als Bild Gottes sind die Menschen gemacht.“ (9,6) Hier wird festgehalten. „Eben die Menschen, von denen die Gewalt ausgeht, genau diese Menschen werden für die Sicherung menschlichen Lebens verantwortlich gemacht. Die abschließende Begründung hat zwei Seiten: Zu schützen ist das Leben der Menschen vor den Menschen, weil sie Ebenbild Gottes und damit unantastbar sind. Und weil sie Ebenbild Gottes sind und bleiben, wird ihnen trotz ihres immer wieder in Gewalt umschlagenden Tuns das menschliche (wie das tierische) Leben anvertraut.“ (Crüsemann, JK 3/2017, 55). Lebensregeln, die gutes Miteinanderleben auf dieser Erde regeln und ermöglichen – so wird die Arche in der rechten Hälfte des Triptychons ausgelegt.

    Der konzentrische Aufbau der Erzählung sperrt sich gegen ein linear-historisches Verstehen. Uns wird ein Doppeltes bildhaft vor Augen geführt: einerseits die Herrschaft des Todes, andererseits die Zuwendung des Gottes, der sich mit allem Lebendigen verbindet und so Leben  eröffnet. Dabei legen beide Bundesschlüsse einander aus. Wer auf das Vernichtungspotential starrt und fragt, wie Gott denn Saat und Ernte, Kälte und Hitze, Sommer und Winter garantieren will, während wir erleben, dass die Winter ausbleiben, dem wird Noahs Kasten als Gleichnis gegeben. Jede*r ist gefragt!  Die biblische Gottheit beginnt mit Einzelnen ihren Weg der Rettung. Wer seinen Kasten dicht macht und hamstert, soll die rechte Seite bedenken: Gottes Liebe gilt aller Kreatur. Bei der Zuwendung zu Einzelnen geht es ums Überleben aller. Typisch für die biblische Erzählweise werden Partikularität und Universalität untrennbar verbunden.

    Ausblick

    Wenn wir in der gegenwärtigen Krise nach Gott suchen, werden wir nicht an einen verborgenen Gott verwiesen, der seine vermeintlich dunklen Seiten in Viren zeigt. Das Wunder, von dem wir hören, ist das Vertrauen, dass Gott trotz der menschlichen Sünden- und Todesverfallenheit in die Menschen setzt. Die Zerstörtheit des Miteinanderlebens wird nicht beschönigt. Doch auch wenn nur noch konstatiert werden kann, dass das Ende gekommen ist und alle gestorben sind, die biblischen Erzählungen berichten von Wegen und Regeln des Überlebens. Wir können so miteinander leben, dass nicht Gewalt das Zusammenleben regiert und zerstört. Wenn wir nach Gott in der Krise suchen, finden wir ihn dort, wo Orientierung gesucht und erstritten wird und sorgende Gemeinschaft entsteht.
     
    Klara Butting leitet das Zentrum für Spiritualität und Verantwortung  an der Woltersburger Mühle und ist eine der Herausgeber*innen der Jungen Kirche. 

    Literatur
    Baumgart, Norbert Clemens: Die Umkehr des Schöpfergottes, Freiburg i. B. u. a. 1999.
    Crüsemann, Frank: Gott ist treue – und ändert sich, in Junge Kirche 3/2017, 53-56.
    Zgoll, Anette und Kratz, Reinhard G.: Arbeit am Mythos, Tübingen 2013.
     

    Der Artikel ist erschienen in Junge Kirche 2/20
     

  • Corona und Klima. Romeo Edel, Wirtschafts- und Sozialpfarrer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in der Prälatur Stuttgart, Juli 2020

     Lässt sich aus der Corona-Krise für die Klimakatastrophe lernen

    Wenn man heißes Wasser eingießt, verschwindet Florida von der Weltkarte. Diese sehr spezielle Tasse gibt es in allen Souvenirläden in Miami Beach. Eine Warnung: Das Klima darf nicht heißer werden, sonst werden weite Teile der Küstenregionen dieser Welt überflutet oder große Gebiete in Afrika, Asien, Australien oder Lateinamerika bei Temperaturen von über 40 Grad für Menschen unbewohnbar.

    Ein Rückblick: Ab dem 31. Dezember 2019 lagen unter dem Stichwort: bat + coronavirus (Fledermaus und Coronavirus) bei PubMed alle wichtigen Daten im Blick auf die Gefährdung durch Corona vor (PubMed ist die US-amerikanische Meta Datei mit Bezug auf den gesamten Bereich der biomedizinischen Artikel der nationalen Bibliothek der Vereinigten Staaten).

    Seit 17 Jahren gibt es deutliche Warnungen, dass eine erneute Corona-Pandemie bevorsteht (nach SARS 2003 bzw. MERS 2012). 2015 hielt Bill Gates eine weit beachtete Rede mit dem Tenor: Die Welt sei auf die nächste Corona-Pandemie nicht vorbereitet. Im März 2019 wurde in der epidemiologischen Studie von Peng Zhou aus Wuhan geäußert, dass u.a. aufgrund der Biologie der Corona-Viren in den Fledermäusen in China vorausgesagt werden kann, dass es in Kürze eine erneute Corona-Pandemie geben und der Hotspot in China sein werde. Wer dann bis Ende Februar 2020 die einschlägigen Publikationen verfolgte, konnte wissen 1. was auf uns zukommt und 2. was zu tun ist.

    Wie unterschiedlich die einzelnen Staaten dieser Welt darauf reagiert haben, konnten wir in den letzten Monaten miterleben. Natürlich waren die Ausgangsbedingungen und Schutzmöglichkeiten der einzelnen Länder sehr unterschiedlich.

    Zum Vergleich: Die Warnungen vor dem Klimawandel und der daraus folgenden Katastrophe für die Lebensbedingungen von Milliarden von Menschen auf diesem Planeten gibt es seit über 30 Jahren. Manche erinnern sich vielleicht noch an den eindrücklichen Film von Al Gore: „Die unbequeme Wahrheit“ (2006) und zahllose Publikationen, nicht zuletzt die regelmäßgen Publikationen des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change).

    Viele Wissenschaftler, Publizisten und Politiker weisen in Bezug auf die aktuelle Pandemie daraufhin: Die Folgen des Klimawandels werden die Menschen um ein Vielfaches mehr bedrohen als Corona und viel mehr Tote fordern. Und viele vergleichen die beiden Krisen und sagen: hätten wir doch nur annähernd den Mut, weltweit Maßnahmen zu ergreifen, um den Klimawandel noch bestmöglich abzuschwächen, wie wir jetzt Milliarden einsetzen für das Gesundheitssystem und unsere Wirtschaft!

    Beide Krisen bedrohen Menschen, erzeugen Angst und Schrecken. Beide Krisen fordern Menschenleben und verändern das menschliche Miteinander. Und in beiden Krisen stellt sich die Frage: wer verliert und wer gewinnt?

    Corona kam für die allermeisten wie über Nacht. Es traf unsere Gesellschaften und die politisch Verantwortlichen unvorbereitet und oft ratlos – trotz der Warnungen von Bill Gates oder die epidemiologische Studie von Peng Zhou etc.

    Wie oft hören wir den Satz: Wir können nur auf Sicht fahren.

    Das ist doch insgesamt gut gelungen in unserem föderal organisierten Staat in den Absprachen zwischen Bundesregierung und Landesregierungen. Ich habe damit kein Problem damit, dass sich nicht alle verantwortlichen Akteure immer einig sind. Im Gegenteil, dies ist für mich ein Zeichen unserer lebendigen Demokratie. Und bisher sieht es doch so aus, dass wir im Vergleich zu vielen anderen Staaten tatsächlich auf einem guten Weg sind. Aber diese Krise stand so unmittelbar und bedrohlich vor uns, dass schnelles und entschiedenes Handeln gefordert war und erfolgte: Milliarden werden bewegt. Die Schuldenbremse wurde aufgehoben. Viele Berufsgruppen erhielten unkompliziert finanzielle Hilfe. Ich staune, was da alles in wenigen Wochen in großem Konsens möglich wurde.

    Warum jedoch tun wir uns bei Maßnahmen für mehr Klimaschutz so schwer?

    Für die meisten von uns, vor allem in den reichen Ländern, sind die Folgen kaum spürbar oder weit weg – räumlich und zeitlich. Es sind die Küstenstreifen in Asien oder Amerika, oder an der Nordsee, die überschwemmt werden. Es ist die nachfolgende Generation, die Probleme haben wird – da sind auch meine Kinder und Enkelkinder dabei und die leben schon. Und wenn ich selbst noch 20 Jahre leben darf, dann werde ich diese Folgen des Klimawandels vermutlich auch noch deutlich erleben. Es fällt uns als Menschen sehr schwer, schon heute etwas Großes zu tun, dessen Auswirkungen wir erst in Jahren oder gar Jahrzehnten spüren werden. Deshalb sind wir immer noch zu wenig entschieden.

     Außerdem hätten diese Maßnahmen vermutlich deutliche Auswirkungen auf unseren derzeitigen Lebensstil: weniger Fliegen, weniger Fleisch, weniger Individualmobilität, und für viele weniger Konsum. Da mögen wir nicht so recht hinschauen. Und wie das in unserer Wirtschaft gehen könnte – wir wissen es nicht. Nur eins scheint mir völlig klar: Jetzt in dieser Zeit wieder die Automobilwirtschaft zu stützen, das ist falsch. Verantwortliche der Automobilwirtschaft haben Millionen von Verbraucher betrogen und waren so dreist zu erwarten, dass die Steuerzahler die Gewinne der Aktionäre und die Boni der Manager bezahlen. Gut, dass es jetzt keine Kaufprämie für eine veraltete Mobilität gibt. Darin sehen ich ein deutliches Signal.

    In Notsituationen sind auf einmal viele Entscheidungen möglich und gigantische Geldmittel flüssig. Ein solches Notprogramm brauchen wir jetzt für die Abschwächung der Klimakatastrophe. Wir brauchen neue Impulse für unsere Wirtschaft und für die Mobilität, aber nicht für den Individualverkehr auf vier Rädern für nur eine Person von A nach B. Vielleicht können wir das aus der Corona-Krise lernen. Denn so geht es nicht weiter.

    Dieser Kommentar basiert – neben vielen anderen Infos – u.a. auf folgendem Artikel:

    Prof. Dr. Paul Robert Vogt
    COVID-19 – eine Zwischenbilanz oder eine Analyse der Moral, der medizinischen Fakten, sowie der aktuellen und zukünftigen politischen Entscheidungen

    https://www.mittellaendische.ch/2020/04/07/covid-19-eine-zwischenbilanz-oder-eine-analyse-der-moral-der-medizinischen-fakten-sowie-der-aktuellen-und-zuk%C3%BCnftigen-politischen-entscheidungen/ und das Update dazu https://www.mittellaendische.ch/2020/04/20/covid-19-update-von-prof-paul-r-vogt/708386724/

    Romeo Edel (https://www.ev-akademie-boll.de/mitarbeiter/romeo-edel.html) ist Wirtschafts- und Sozialpfarrer beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) in der Prälatur Stuttgart. Der KDA (https://www.kda-wue.de/) ist ein Fachdienst der Evangelischen Akademie Bad Boll in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.  

2. Naturwissenschaftliche Beiträge zum Zusammenhang von ökologischer Krise und Corona-Krise

3. Kirchliche Beiträge zur Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Lock Down

  • Stellungnahme „Zukunftsfähiger Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Lock Down“, EKD

    EKD-News: Menschenwürdiges Leben für alle gewährleisten (30. April 2020)

    Angesichts der aktuellen Corona-Pandemie haben Prof. Hans Diefenbacher, Umweltbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Ruth Gütter, Referentin für Fragen der Nachhaltigkeit im Kirchenamt der EKD, sowie Oliver Foltin und Volker Teichert von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e. V. (FEST) eine Stellungnahme verfasst, die sich mit der Frage beschäftigt, wie jetzt der Klimaschutz gestärkt und die umfangreichen staatlichen Hilfen für einen nachhaltigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft beim Neustart nach dem Lock down genutzt werden können.

  • Corona-Pandemie und Klimaschutz – einige Anregungen zur Diskussion. Volker Teichert, Hans Diefenbacher und Oliver Foltin (Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft)

     Corona-Pandemie und Klimaschutz – einige Anregungen zur Diskussion
    Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST), Heidelberg

  • Lebensgrundlagen der Menschen schützen, Pfälzische Landeskirche und Bistum Speyer

    Speyer (lk). Im Kampf gegen das Corona-Virus und beim Schutz der Gesundheit des Einzelnen darf die globale Klimazerstörung und die angegriffene Gesundheit des Planeten Erde nicht vergessen werden. Das haben Oberkirchenrätin Dorothee Wüst und Domkapitular Franz Vogelgesang in einem Brief an pfälzische und saarpfälzische Abgeordnete in den Europa-, Bundes- und Länderparlamenten erklärt. Die Politik habe in der Corona-Krise gezeigt, dass sie handlungsfähig sei und ein beispielloses Maßnahmenpaket beschlossen, damit die gesundheitliche keine gravierende soziale Krise werde. Nun gelte es im Blick auf die Klimakrise ebenso entschieden die Lebensgrundlagen der Menschen zu schützen. 
     
    Um der schleichenden Zerstörung dieser Grundlagen entgegenzutreten, die sich zum Beispiel in der Klimaerhitzung, der Zerstörung von Lebensräumen oder im Aussterben von Arten zeige, bedürfe es nicht eines maximalen individuellen Gewinns, eines scharfen Wettbewerbs und oberflächlicher Freiheit, sondern der Solidarität, die nicht an den Staats- und Kontinentalgrenzen enden könne, sagten die Kirchenvertreter. Die von den Regierungen und Parlamenten beschlossenen Wirtschaftshilfen und Konjunkturprogramme sollten daher ökologisch und sozial nachhaltig wirken und sich an den internationalen Umwelt- und Klimazielen orientieren. 
     
    Die klare Ansage der Politik in der Corona-Krise, dass das Verhalten jedes Einzelnen zähle, ist nach Auffassung von Oberkirchenrätin Dorothee Wüst und Domkapitular Franz Vogelgesang bei den Menschen angekommen. „Diese Kommunikation ist auch in der Umweltkrise notwendig, um die Einzelnen in ihre Verantwortung zu nehmen“, sagten beide. Die derzeitige Situation sei ermutigend für politisch Verantwortliche, „weil sich eine für lebenswichtige Fragen offene und reife Gesellschaft zeigt.“ 
     
    12. Mai 2020
     

    Pressereferat der Evangelischen Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche)  
    Domplatz 5
    67346 Speyer
    Telefon: 06232 667 145
    Mail: presse@evkirchepfalz.de 
     
    www.evkirchepfalz.de 

  • Corona-Krise und ökologische Krise? - Zehn Thesen für die Kirche, von Dr. Constantin Gröhn und Christian Seiberth, Diakonie & Bildung Hamburg, Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland
    1. Es zeichnet sich immer deutlicher ein direkter Zusammenhang zwischen ökologischer Krise und dem Auftreten von Pandemien ab.
       
    2. Eine wesentliche Ursache für den in den letzten Jahrzehnten beobachteten Anstieg von neuen zwischen Mensch und Tier übertragenen Infektionskrankheiten ist die rasant voranschreitende Zerstörung des Lebensraums von Wildtieren. Fragen der Ökologie bekommen durch Corona eine neue Dringlichkeit, vor allem das Verhältnis zwischen Menschen und Natur im Allgemeinen und Menschen und Tieren im Besonderen.
       
    3. Dass Klimaschutz nun „ganz von selbst“ geschieht, indem ein Großteil des wirtschaftlichen Lebens erliegt, ist kein Grund zum Jubeln – zeigt aber die Unvereinbarkeit unseres derzeitigen Wirtschaftens mit nachhaltigem Handeln.
       
    4. Ohne gezielt steuernde Klimaschutz-Maßnahmen werden die durch Corona bedingten Einsparungen an Emissionen bloß zu einem Jo-Jo-Effekt führen. Das Vorwärts nach Corona darf kein Rückwärts sein. Es geht nach Corona nicht mehr um ein „Business as usual“, sondern um den Mut, Gesellschaft gerecht und nachhaltig neu zu gestalten.
       
    5. Jetzt ist die Zeit, etwas zu bewirken. Nie war die Chance für einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft größer. Ein gut anzupackendes Beispiel ist in Deutschland die Initiative Lieferkettengesetz: Die jetzt entstehenden Lieferengpässe zwingen Staaten und Unternehmen dazu, bestehende Lieferketten neu zu strukturieren. Das ist der Augenblick, diese auch im Blick auf Ökologie und Menschenrechte umzubauen.
       
    6. Wurzeln dieser Krise liegen in den Geschichten, die wir uns erzählt haben: im Mythos, dass der Mensch von Gott zum Mittelpunkt der Schöpfung gemacht wurde, im Mythos, dass wir getrennt sind von der Natur, im Mythos, dass Wohlstand unendlich wachsen kann. Es lohnt sich, die Bibel und die Urgeschichten daraufhin noch einmal neu zu lesen.
       
    7. Der Mensch ist nach biblischer Vorstellung ein „Erdling“, also Teil der Natur, aber die Natur ist auch eine Bedrohung für den Menschen. Eine verantwortungsbewusste kirchliche Schöpfungstheologie reduziert den Schöpfungsbegriff nicht auf Vorstellungen von reiner Güte: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ darf durchaus auch Dissonanzen haben.
       
    8. In der Theologie vollzieht sich ein grundlegender Wandel zu einer integralen Theologie, weg vom Prinzip des Dualismus hin zum Prinzip der Verwobenheit. Ein anschauliches Bild aus dem ökumenischen Kontext ist dafür der Bezug auf das „gemeinsame Haus“.
       
    9. Der „Krieg gegen Corona“ befördert Kontrolle und Abgrenzung. Es ist wichtiger denn je, das Gebot der Nächstenliebe nicht nur auf das eigene Umfeld und die Nation zu begrenzen, sondern die Konsequenzen der eigenen Privilegien in einer globalisierten Welt bewusst auf den Prüfstand zu stellen.
       
    10. Die biblischen Worte und Geschichten vom Weltuntergang bekommen durch die drohende Umweltkatastrophe eine neue Aktualität. Religiosität wird unter „endzeitlichen Bedingungen” erlebt.[1] Doch was ans Ende kommt, ist nicht das Ende der Welt, sondern unsere Art und Weise zu leben.


       4. Mai 2020, im Anschluss an eine Videokonferenz unter OKR Dr. Ruth Gütter vom 20. April

    [1] Vgl. den Buchtitel von Geiko Müller-Fahrenholz: Christliche Spiritualität unter endzeitlichen Bedingungen.

  • Der Gott der Hoffnung und das Lieferkettengesetz (Stand 20.4.2020), Dr. Constantin Gröhn, Pastor und theologischer Referent für Diakonie und Bildung im Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg

    In letzter Zeit wurde viel von Hoffnung gesprochen. Wenn Gesundheitsschutz, Naturschutz und Klimaschutz aber eng beeinanderliegen, ist entsprechend eng auch Hoffnung mit dem Engagement für Nachhaltigkeit verbunden. Und trotzdem hat sich die Kirche während der Corona-Pandemie bislang nur wenig als Akteurin des sozial-ökologischen Wandels gezeigt.[1] Ein momentan gut anzupackendes Beispiel könnte das Lieferkettengesetz sein, das mit anderen zivilgesellschaftlichen Partnern von Brot für die Welt unterstützt und gefordert wird.

    Sars-CoV-2 ist eine Zoonose.[2] Wie schon HIV, Mers oder Ebola wurde der Erreger von Wildtieren auf Menschen übertragen.[3] Die Voraussetzungen für Zoonosen schaffen wir Menschen selbst, indem wir Viren aus bislang isolierten Gebieten wie z. B. tropsichen Regenwäldern herausholen und die Viren mit neuen Wirten in Kontakt bringen, wie auf dem Wildtiermarkt in Wuhan. Doch nicht nur der illegale und legale Wildtierhandel bringt Zoonosen auf den Vormarsch, sondern auch die industrielle Massentierhaltung. Wenn natürliche Lebensräume zerstört werden, entstehen Kontakträume, in denen die Wahrscheinlichkeit der Übertragung von Tieren auf Menschen besonders groß ist. Dies geschieht derzeit etwa, wenn Wälder für den Anbau von Futtermitteln oder Palmöl gerodet werden. Millionen Tonnen Soja wachsen am Amazonas als Kraftfutter für europäische Schweine- und Geflügelhaltung. Die Lebensräume werden so zunehmend kleiner, und die Wildtiere kommen mit Menschen und Haustieren bedenklich in Berührung.

    Unsere Globalisierung tut das ihre: Sars-CoV-2 hat sich auf einen individuenreichen, hochmobilen und global gut vernetzten Wirt begeben; seitdem breitet es sich rund um den Globus aus.

    Seit längerem weisen Wissenschaftler darauf hin, dass auch der menschenverursachte Klimawandel die Wahrscheinlichkeit der Entstehung neuer, durch Mikrolebewesen und Viren verursachter Krankheiten begünstigt.[4]  In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass sich neue Seuchen noch einmal verstärkt ausbreiten werden, falls die Permafrostböden durch den Klimawandel auftauen.[5]

    Gerade zu Beginn der Diskussion um das Coronavirus wurde „die Wirtschaft“ noch undifferenziert und einseitig als Opfer der Krise verstanden. Dabei müsste eine bestimmte Wirtschaftsweise auch als Ursache gelten. Und so ließe sich gerade jetzt auch auf die Bedeutung eines Lieferkettengesetzes hinweisen, dass deutsche Unternehmen nicht nur freiwillig dazu bringen wird, etwa die Abholzung des Regenwaldes durch vorsorgende Maßnahmen im Ausland zu vermeiden. Die Initiative Lieferkettengesetz ist ein breites, zivilgesellschaftliches Bündnis aus Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen, von Gewerkschaften und Kirchen. Gemeinsam ist ihnen die Forderung, einen gesetzlichen Rahmen zu schaffen für den Schutz von Umwelt und Menschenrechten in weltweiten Lieferketten. Bislang müssen Unternehmen für Schäden in globalen Lieferketten kaum Konsequenzen fürchten, während global verantwortliches Wirtschaften teilweise sogar Geschäftsnachteile bringt. Seit Beginn der Initiarive ist die Gruppe der Unterstützerinnen und Unterstützer eines Lieferkettengesetz immer breiter geworden. Auch große Unternehmen wie beispielsweise Nestlé, Ritter Sport, Tchibo oder Hapag-Lyod befürworten es.[6] Für die Initatoren selbst überraschend forderte sogar der Parteitag der CDU vom letzten November die Bundesregierung auf, gesetzliche Regelungen für die Wertschöpfungskette zu entwickeln.[7] Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollten daraufhin den Prozess voranbringen, ein Lieferkettengesetz auszuarbeiten.[8] Im März legten Kanzleramt und Wirtschaftsministerium die Pläne der ungewöhnlichen Koalitionäre aber vorerst auf Eis.[9] Unternehmen dürften in der derzeitigen Corona-Krise nicht zusätzlich belastet werden.

    Diese Entscheidung klingt aufgrund der hohen wirtschaftlichen Belastungen, die auf uns zukommen werden, vielleicht sogar verständlich. Und doch scheint sie nur kurzfristig gedacht. Die jetzige Krise wird Unternehmen weltweit dazu zwingen, bessere Systeme aufzubauen, die Lieferengpässe auch in Krisenzeiten vermeiden. Und das ist eine große Chance, Lieferketten nicht nur ökonomisch mit Blick auf die Sicherheit nationaler Versorgung, sondern auch im Blick auf ökologische oder auch menschenrechtliche Risiken umzubauen.

    Ein immer breiteres Bündnis aus Politik, Wirtschaft und NGOs in Europa fordert ohnehin die durch die Pandemie ausgelöste Zäsur zu nutzen und ein „neues Wohlstandsmodell“ unter grünem Vorzeichen zu entwickeln.[10] Mit anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren müssen sich daher auch die kirchlichen aus der Corona-Schockstarre befreien, um eine umweltfreundliche Politik einzufordern und freilich auch bei sich selbst voranzubringen.

    Zu untermauern wäre dieses durch eine ökotheologische Hermeneutik des Geschehens. Es scheint nicht weit hergeholt zu sein, Sars-CoV-2 als die biologische Manifestation einer viel allgemeineren ideellen Krise zu deuten und das Virus auf ein überhebliches Mensch-Natur-Verhältnis zurückzuführen.[11] Die Vorstellung einer „Rache des Schuppentiers“,[12] das zeitweilig als Zwischenwirt für das Corona-Virus vermutet wurde, drückt die Befürchtung vieler aus: „Menschen machten sich die Erde untertan und nahmen sich, was sie wollten. Jetzt wehrt sich die Natur und schlägt zurück.“ Viel Aufsehen erregte der brasilanische Befreiungstheologe Leonardo Boff, als dieser bereits am 14. März das Coronavirus als eine Reaktion von Mutter Erde auf den Raubbau des Menschen an der Natur bezeichnete.[13] Vielleicht auch aufgrund der darauf folgenden Kritik als „Heidentum pur“[14]  oder „abstruse Esoterik“[15] differenzierte sein deutscher Kollege Jürgen Moltmann zwischen der naturgemachten Katastrophe der Viren und der menschengemachten Umweltkatastrophe und sprach dem Gott der Hoffnung zu, uns auch in der Corona-Pandemie immer einen Anfang zu geben, wenn wir am Ende seien.[16] Bei aller Sympathie Moltmanns für die Umwelt- und Klimabewegung wirkt sein Statement inzwischen doch recht zahnlos im Engagement für eine grüner werdende Kirche. Denn auch wer die Natur nicht personaliseren oder religiös überhöhen will, dem hat das Virus mittlerweile ins Gedächtnis gerufen, was die polnische Literaturnobelpreisträgern Olga Tokarczuk zur Coronakrise so anschaulich formulierte: „Dass wir von der Welt nicht durch unser ‚Menschentum‘ und unsere Außergewöhnlichkeit geschieden sind, sondern dass die Welt eine Art großes Netz ist, in dem wir hängen, mit anderen Wesen durch unsichtbare Fäden von Abhängigkeit und Einfluss verknüpft“.[17]

    Und auch in der christlichen Religion bahnt sich nach und nach ein Wandel zu einer integralen Theologie und Glaubensvorstellung, vom Prinzip des Dualismus zum Prinzip der Verknüpfung, hin an.[18] Denn gefangen im Anthropozentrismus haben auch wir Theologinnen und Theologen und Aktive in der Kirche lange eines verdrängt: Gottes Bund gilt allen Lebewesen (1. Mose 9,16) – auch zum Schutz des Menschen.

    Informationen: lieferkettengesetz.de

    Zum kirchlichen Engagement: suedwind-institut.de/recht-und-gerechtigkeit.html


    [1] Die christlichen Kirchen haben auf globaler wie auch auf nationaler Ebene umfassend Wege zu Transformationsprozessen und zu einer transformativen Spiritualität immer wieder angemahnt und aufgezeigt. Vgl. z. B. das Impulspapier der Kammer für nachhaltige Entwicklung der EKD, Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben, https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/ekd_texte_130_2018.pdf.

    [2] Vgl. Christoph Jähnert, Die Lehren aus Corona: Mehr Naturschutz, weniger Seuchen, https://www.tagesschau.de/inland/corona-pandemien-naturschutz-101.html, 2.4.2020.

    [3] Vgl. Matthias Lambrecht, Raubbau schadet der Gesundheit. Ein Interview zur Corona-Pandemie: Zoonosen auch Folgen der industriellen Tierhaltung, https://www.greenpeace.de/themen/umwelt-gesellschaft/raubbau-schadet-der-gesundheit, 7.4.2020.

    [4] Mikro- und Halblebewesen können sich mutativ und selektiv besser als Großlebewesen an die durch Klimawandel verönderte Umgebung anzupassen. Vgl. bereits die Studie von Dr. Günter Beckmann und Dr. Burkhard Klopreis von 1994, die keineswegs der sog. Ökoszene angehören, sondern als Wissenschaftler in der chemischen Industrie tätig waren, https://duepublico2.uni-due.de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00011326/04-Beckmann.pdf. Zudem schafft der Klimawandel Voraussetzungen, dass Tiere sich in Regionen ausbreiten, in denen sie bisher nicht einheimisch waren. Sie bringen vormals „exotische“ Erreger mit, gegen die die Bevölkerung keinen etablierten Immunschutz aufweist.

    [5] Vgl. etwa https://www.merkur.de/welt/wetter-klimawandel-laesst-frostboeden-auftauen-enorme-gefahren-und-bedrohungen-moeglich-zr-12948525.html, 30.12.2019.

    [6] Vgl. https://www.business-humanrights.org/en/statement-f%C3%BCr-eine-gesetzliche-regelung-menschenrechtlicher-und-umweltbezogener-sorgfaltspflichten

    [7]https://www.cdu.de/system/tdf/media/images/leipzig2019/32._parteitag_2019_sonstige_beschluesse_2.pdf?file=1.

    [8] Vgl.Zacharias Zacharakis, Lieferkettengesetz: „Für die Wirtschaft derart schädlich“,  https://www.zeit.de/wirtschaft/2019-12/lieferkettengesetz-arbeitsbedingungen-zulieferer-menschenrechte-arbeitgeberverband-kritik/komplettansicht, 11.12.2019.

    [9] Vgl. Dorothea Siems, Jetzt stoppt die Corona-Krise auch das Lieferkettengesetz, https://www.welt.de/wirtschaft/article206500449/Lieferkettengesetz-Kanzleramt-stoppt-Entwurf-wegen-Coronavirus.html, 12.3.2020.

    [10] Vgl. Suzanne Krause, Lehren aus der Coronakrise: Europaweiter Aufruf zum Umdenken, https://www.deutschlandfunk.de/lehren-aus-der-coronakrise-europaweiter-aufruf-zum.697.de.html?dram:article_id=474694, 15.4.2020. In Deutschland kommt zu diesem Schluss auch die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in einer Stellungnahme vom 13. April, in der sie fordert, wirtschaftliche Impulse nachhaltig zu gestalten, vgl. Christoph Rosol, Jürgen Benn und Robert Schlögl, Der Schock hat System. Warum gerade jetzt die Zeit ist für verstärkten Klima- und Artenschutz. Ein Gast-Beitrag von Co-Autoren der Leopoldina-Stellungnahme, Süddeutsche Zeitung, 15. April 2020.

    [11] Vgl. Johannes Vogel, Dieses Virus ist auch der Preis unserer Ausbeutung der Natur, in: https://www.tagesspiegel.de/politik/artensterben-und-naturzerstoerung-dieses-virus-ist-auch-der-preis-unserer-ausbeutung-der-natur/25676216.html, 24.3.2020.

    [12] Vgl. Wufel Yu, Coronavirus: Revenge of the Pangloins, https://www.nytimes.com/2020/03/05/opinion/coronavirus-china-pangolins.html, 5.3.2020.

    [13] Vgl. Leonardo Boff, As origens do Coronavirus,https://aterraeredonda.com.br/coronavirus-uma-reacao-e-represalia-de-gaia/, 14.3.2020.

    [14] So der Macher von „katholisches.info“ Giuseppe Nardi, vgl. ders., https://katholisches.info/2020/03/18/das-coronavirus-ist-eine-strafe-dixit-leonardo-boff/, 18.3.2020.

    [15] Michael Meier, „Der gerechte Preis für unsere Grausamkeit“: Der Befreiungstheologe Leonardo Boff ist jetzt Esoteriker, https://www.tagesanzeiger.ch/leben/gesellschaft/der-gerechte-preis-fuer-unsere-grausamkeit/story/29234175, 22.3.2020.

    [16] Vgl. Jürgen Moltmann, Hoffnung in Zeiten der Corona-Pandemie, https://2komma42.ekir.de/blog/worauf-hoffen/, 26.3.2020.

    [17] Olga Tokarczuk, Jetzt kommen neue Zeiten!, https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/reihe-mein-fenster-zur-welt-jetzt-kommen-neue-zeiten-16703455.html, 1.4.2020.

    [18] So bereits 1991 die südkoreanischen Theologieprofessorin Chun Hyun Kyung auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Cranberra, vgl. dies., Komm, Heiliger Geist – erneuere die ganze Schöpfung, in: Müller-Romheld, Walter (Hg.), Im Zeichen des Heiligen Geistes. Bericht aus Cranberra 1991, Frankfurt am Main 1991 ,47-56, S. 53. Auch sei an dieser Stelle noch einmal auf die Enzyklika von Papst Franzikus „Laudato si. Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ verwiesen.

  • „Kirche muss gesellschaftliche Beruhigungspflaster abreißen“. Landesbischof Ralf Meister im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst

    epd-Gespräch: Daniel Behrendt mit Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers  (29. Juli 2020)
     

    Rund ein halbes Jahr nach Beginn der Corona-Krise blickt Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, zurück auf eine Zeit geschlossener Kirchen - und nach vorn auf ungekannte gesellschaftliche Herausford

    Hannover (epd). Seit rund einem halben Jahr prägt die Corona-Pandemie nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Neben Einschränkungen in Schulen, Kitas, und Kultureinrichtungen, für den Handel und die Gastronomie, sind auch die Kirchen weiterhin von den Schutzmaßnahmen betroffen. In der Phase des Übergangs aus dem kurzfristigen Management der akuten Krise in die "neue Normalität" - dem längerfristigen Leben mit dem Covid-19-Virus - schaut Ralf Meister, Landesbischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, auf bevorstehende Herausforderungen für Kirchen, Gesellschaft und Wirtschaft.

    Ziemlich genau ein halbes Jahr hat uns die Corona-Pandemie jetzt im Griff, und allmählich schalten wir aus dem Modus der akuten Krisenbewältigung in die vielbeschworene "neue Normalität" um. Herr Meister, das ist womöglich ein guter Zeitpunkt, Sie zu fragen: Welche bleibenden Erkenntnisse haben Sie bis hierhin gewonnen?

    Über allem steht für mich die positive Erkenntnis, dass wir es als Gesellschaft geschafft haben, das Gemeinwohl über die Bedürfnisse des Einzelnen zu stellen. Die meisten Menschen haben die Einschränkung individueller Freiheit nicht nur akzeptiert, sondern üben sich freiwillig und aus tiefer Überzeugung in Rücksicht vor dem Nächsten, der womöglich schwächer, verwundbarer ist als sie selbst. Mitzuerleben, wie mitmenschlich es in Corona-Krise ganz überwiegend zugeht, bewegt mich. Und es gibt mir Hoffnung, zumal ich mit derart viel Gemeinsinn nicht zwingend gerechnet hätte.

    Wieso nicht?

    Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von einem fast überbordenden Individualismus. Die persönliche Freiheit - und damit auch eine gewisse Ungebundenheit - schien beinahe das höchste aller Güter. Jetzt in der Krise wächst neues Bewusstsein für gesellschaftlichen Zusammenhalt, dafür, dass im Umgang mit dem Nächsten unser Bestes verlangt wird. Diese Haltung brauchen wir dringender denn je.

    Weshalb?

    Weil die Pandemie viele ernste Fragen aufgeworfen hat. Fragen, die weit über den gegenwärtigen Ausnahmezustand hinausgehen, darunter durchaus Systemfragen. Ich denke an die noch nicht abzusehenden wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Zum einen werden gewaltige politische und finanzielle Anstrengungen unternommen, um drastische Einbrüche zu verhindern. Schnelle Maßnahmen, die auch kurzfristig wirksam sein müssen, um vor allem auch soziale Verwerfungen zu mildern. Zugleich steht in dieser Zeit, in der ohnehin viel infrage steht, auch die viel grundlegendere, viel langfristigere Frage im Raum, ob wir so weiter wirtschaften können wie bisher. Oder ob wir die nachhaltige Transformation vieler Wirtschaftszweige - etwa Mobilität, Energiesektor, Handel - jetzt nicht forcierter angehen müssen.

    Ist das jetzt, da es vor allem darum geht, erst einmal Schlimmeres zu verhindern, nicht etwas zu viel verlangt?

    Wann, wenn nicht jetzt? Gerade jetzt ist das Problembewusstsein geschärfter denn je. Die Automobilkrise stellt Grundfragen an unsere Mobilität. Die Missstände in der Fleischwirtschaft stellen Fragen an unseren Konsum auf Kosten von Tieren, Menschen und der Umwelt. Und das sind ja nur zwei Beispiele für hochproblematische Entwicklungen, die lange bekannt waren, aber nun, in der Krise, gewaltigen Handlungsdruck erzeugen. In diesem Druck liegt auch eine Chance: Jetzt, da sich die Probleme nicht mehr beiseiteschieben lassen, müssen wir gründlicher, wahrhaftiger über unsere Form des Wirtschaftens nachdenken. Wir müssen dabei auch unsere entfesselte Wachstumslogik, die zunehmende Ökonomisierung all unserer Lebensbereiche infrage stellen. Und auch unsere ganz persönliche Haltung zu Konsum und Komfort.

    Zugleich hat diese Wachstumslogik für breiten Wohlstand in der Gesellschaft gesorgt. Sägen wir durch ihre Infragestellung nicht den Ast ab, auf dem wir sitzen - mit womöglich verheerenden Folgen für die Schwächsten in der Gesellschaft?

    Natürlich besteht die Gefahr, dass soziale Brüche, die in der Corona-Krise ebenfalls offenkundiger werden, sich weiter vertiefen. Deshalb muss eben dieser gestärkte Gemeinsinn, von dem ich eingangs sprach, weiter an Bedeutung gewinnen. Dieser Gemeinsinn darf ruhig auch darin zum Ausdruck kommen, dass Erfolgreiche und Vermögende bereit sind, noch mehr Verantwortung zu übernehmen. Wirtschaftsforscher fordern bereits seit längerem einen noch stärkeren Dialog über gesellschaftliche Verantwortung mit Vermögenden.

    Also etwa durch eine Reichensteuer?

    Wie auch immer man es konkret nennen mag: Soziale Gerechtigkeit wird immer auch im Steuersystem erkennbar werden.

    Welche Rolle kann die Kirche in dieser von Unsicherheit, aber auch von Übergang und sich abzeichnendem Wandel geprägten Zeit übernehmen?

    Zunächst einmal: Hoffnung vermitteln. Gottvertrauen, und darin das Vertrauen, dass wir auch in dieser Phase der Ungewissheiten getragen und geborgen sind. Hoffnungsstiftende Verkündigung bleibt eine zentrale Aufgaben der Kirche. Und die Seelsorge ist die Muttersprache unserer Kirche. Darüber hinaus kann Kirche aber auch zu einer starken Kraft im Wandel werden. Sie kann Mahner, Mittler und Motor sein.

    Zum einen auf der institutionellen Ebene, als verlässliches Gegenüber von Politik, Verbänden und gesellschaftlichen Interessengruppen. Aber auch beharrliche Stimme im großen Diskurs. Eine Stimme, die auf Wahrhaftigkeit, Bewahrung der Schöpfung und soziale Gerechtigkeit pocht. Die ethische Brüche und Schieflagen anspricht und durchaus auch mal das eine oder andere gesellschaftliche Beruhigungspflaster abreißt.

    Zum anderen beweist Kirche aber auch vor Ort handfest, dass sie ein Motor für Kreativität und Veränderung, für nachhaltiges Denken und Handeln ist. Wie das geht, zeigen Zigtausende Kirchengemeinden allein in Deutschland. Das sind nicht nur geistliche Kraftorte, sondern auch Zentren des sozialen und kulturellen Lebens im Dorf, im Stadtviertel. Gemeinschaften, die sich einsetzen für die Flüchtlingshilfe, den Umweltschutz, die Unterstützung armer und bildungsferner Menschen, die gemeinsam singen und feiern: Das sind nur einige Facetten von Gemeinde. Dort ist an gutem, nachbarschaftlichem Leben im kleinen Maßstab zu erleben, was ich mir für die ganze Gesellschaft wünsche.

    Klar, dass dieses nachbarschaftliche Leben in Zeiten von Abstandsgebot und Hygieneregeln erschwert ist. Aber hätten die Kirchen deshalb ganz schließen müssen, obwohl die Baumärkte offen hatten? Dafür gab es ja auch Unverständnis.

    Manche mögen uns vorwerfen, dass wir da zu bereitwillig, sozusagen zu staatstreu gewesen sind. Und persönlich bin ich gewiss nicht glücklich über die Schließungen unserer Kirchen. Aber egal, welche Entscheidung wir getroffen hätten: Keine wäre in dieser Zwickmühle wirklich befriedigend gewesen. Unter schwierigsten Voraussetzungen haben wir abgewogen und vernünftig entschieden, niemandes Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

    Als wir das beschlossen haben, waren viele Risiken, etwa des Singens, noch nicht einmal vollständig bekannt. Wäre ein Gottesdienst zu einem Hotspot für die Verbreitung des Virus geworden, hätte das eine Tragweite für unser gottesdienstliches Leben gehabt, die ich mir gar nicht ausmalen mag. Und die Kritik an unserer vermeintlich zu passiven Haltung lässt außer Acht, wie schnell und kreativ in vielen Kirchengemeinden neue, ansprechende Formen von Verkündigung entwickelt worden sind.

    Schmerzhaft ist auch der dramatische Mitgliederschwund in den Kirchen, wie die jüngsten Zahlen einmal mehr deutlich machen. Ist es da nicht folgerichtig, über gelockerte oder temporäre Formen der Mitgliedschaft, eine Kultussteuer für alle Bürger oder eine "Kirchensteuer light" nachzudenken?

    Sicher sind derartige Überlegungen nicht unberechtigt. Zugleich sollte man sich davon aber nicht allzu viel versprechen. Etwa, dass mehr Menschen kommen oder gar reguläre Kirchensteuerzahler werden. Denn wer im Kirchenchor mitsingen oder sich in der Kleiderkammer, bei der Hausaufgabenhilfe oder in der Flüchtlingsarbeit der Gemeinde engagieren will, tut das heute schon - auch als Nichtmitglied.

    Also muss sich Kirche kampflos damit abfinden, kontinuierlich zu schrumpfen?

    Keineswegs. Wir "kämpfen" durchaus. "Kämpfe den guten Kampf des Glaubens", heißt es in der Bibel. Wir machen sowohl als Institution als auch in den Gemeinden gute Arbeit. Nur wird das nicht automatisch mit Eintritten honoriert. Das ist manchmal frustrierend. Aber es raubt uns doch nicht die Gewissheit, dass unsere Botschaft bestens in diese Welt, in diese Zeit passt! Daran ist nicht zu rütteln, egal wie groß wir sind.

4. Beiträge aus Wissenschaft und Gesellschaft zur Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft nach dem Lock Down

  • Coronavirus-Pandemie – Die Krise nachhaltig überwinden, Leopoldina
  • Matthias Horx, Die Welt nach Corona

    Die Welt nach Corona
    Website: Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, Publizist und Visionär

  • Kommentar Daniel Dettling, Glokalisierung statt Globalisierung, Neue Züricher Zeitung
  • Stellungnahme Greenpeace zur Frage: Wie können Wirtschaftshilfen in der Coronakrise auch dem Klimaschutz dienen

    Grüner Marshallplan für Deutschland
    Wie notwendige Wirtschaftshilfen die Corona-Krise abfedern  und die ökologische Transformation beschleunigen können
    www.greenpeace.de
     

  • Der Soziologe Prof. Dr. Hartmut Rosa analysiert im Interview, was der Corona-Lockdown mit uns und der Gesellschaft macht. (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

     

    „Wir können das Hamsterrad anhalten“
    Hartmut Rosa ist Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie der Universität Jena

     

     

  • Raus aus der Corona-Krise im Zeichen der Nachhaltigkeit, Rat für Nachhaltige Entwicklung

    Berlin, den 13. Mai 2020  
     
    Für die Bewältigung der Pandemie-Folgen in Wirtschaft und Gesellschaft wird es entscheidend sein, dass die Weichen von Beginn an richtig im Sinne der globalen Nachhaltigkeitsziele gestellt werden. Denn für ein grundlegendes Nachkorrigieren wird es keinen finanziellen Spielraum geben. Deshalb empfiehlt der Rat für Nachhaltige Entwicklung, folgende erste ausgewählte Schlussfolgerungen aus der Krise zu ziehen: 

    1. Nachhaltigkeit zum Leitprinzip für alle Schritte raus aus der Krise machen 

    Nachhaltiges Denken und Handeln beugt Krisen vor und wappnet Wirtschaft und Gesellschaft bestmöglich für den Krisenfall. Nachhaltige Daseinsvorsorge und nachhaltiges Wirtschaften sind das Gebot der Stunde. Ökologisch und sozial nachhaltige Strukturen und nachhaltig wirtschaftende Unternehmen sind nachweislich weniger risikoanfällig.  

    2. Krise als Chance zur Transformation nutzen 

    Die tiefgreifenden Folgen der Krise zwingen auch weiterhin zu raschem Handeln. Angesichts der gerade unter Beweis gestellten Fähigkeit unserer Demokratie, auf Grundlage wissenschaftlicher Empfehlungen zu schnellen und zukunftsweisenden Entscheidungen zu gelangen, eröffnen sich jetzt Chancen für die nächsten Schritte der Transformation zu nachhaltigen Strukturen. Wir setzen auf die schnelle Einführung von sozialen und technologischen Innovationen im Sinne der Nachhaltigkeit, z. B. in Digitalisierung (Bildung und Gesundheit), Energie (Sonne, Wind und Wasserstoff) und Infrastruktur (Energie- und Datennetze). Es sollten dabei die Möglichkeiten zur digitalen Bürgerbeteiligung (ohne Aufgabe eines Erörterungstermins) ausgebaut sowie Verfahren verschlankt und soweit wie möglich beschleunigt werden. Die nötigen Veränderungen in den Sektoren Industrie und Energie, aber auch in Mobilität und Landwirtschaft sollten so zügig wie möglich verwirklicht werden. Entsprechende Innovationen schaffen die Basis für qualitatives Wachstum, verbessern die Krisenprävention und erhöhen die Resilienz. Entscheidend ist, dass die Wirtschaft sich auch am gesellschaftlichen Wohl orientiert. 

    3. Chancengleichheit und sozialen Zusammenhalt fördern 

    Die Corona-Krise trifft trotz des bestehenden sozialen Netzes einige Bevölkerungsgruppen sehr stark, insbesondere Familien mit kleinen Kindern sowie Menschen mit geringem Einkommen und ohne größere finanzielle Rücklagen. Die Krise ist also eingebettet in soziale Ungleichheitsstrukturen. Frauen sind insgesamt stärker betroffen als Männer. Deswegen entscheidet jetzt die Wahl der Wege aus der Krise auch darüber, wie es in unserer Gesellschaft in Zukunft um Chancengleichheit und sozialen Zusammenhalt bestellt ist. Es ist dabei wichtig, den Bildungserfolg und die Chancen auf sozialen Aufstieg von der Herkunft zu entkoppeln. Aktuell ist sicherzustellen, dass alle Kinder und Jugendlichen, auch die aus ärmeren und bildungsfernen Familien, erfolgreich an der digitalen Bildung teilnehmen können. Ferner ist auch darauf zu achten, dass Maßnahmen zur Abmilderung der Corona-Krise nicht nur Männerberufe, z.B. in der Industrie, in den Fokus nehmen, sondern Beschäftigungsformen und        -verhältnisse von Frauen gleichermaßen berücksichtigt werden. Für die Bewältigung der Corona-Krise zentrale Berufsgruppen, z.B. im Gesundheitswesen und in der Pflege, sollten aufgewertet und entsprechend ihrer gesellschaftlichen Bedeutung fair entlohnt werden, mit entsprechender Berücksichtigung in der Rente.  

    4. Konjunkturprogramme an Klima-, Umwelt- und Ressourcenschutz binden 

    Es wäre ein Kardinalfehler, in Schlussfolgerung aus der Krise die beschlossenen Klimaschutz- und Umweltziele aufzuweichen oder zeitlich zu verschieben. Der Klimawandel schreitet voran, Wetterextreme und Dürren nehmen zu. Zusammen mit dem generellen Wachstum der Weltbevölkerung, der Urbanisierung, der globalen Mobilität sowie der Vernichtung von Ökosystemen und der Verringerung der Biodiversität erhöhen sich die Risiken von Krisen, sozialer Not und Pandemien. Daher gilt es jetzt, beim Klima- und Umweltschutz effektiv, aber auch effizient zu handeln, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden. 

    Ein besonderer Akzent sollte einerseits auf diejenigen Branchen gelegt werden, die von der CoronaKrise besonders betroffen und zugleich sehr relevant sind für die Transformation der deutschen Wirtschaft. Beim Wiederaufbau müssen Erhalt und Schaffung von guten Arbeitsplätzen und wirksamer Klimaschutz Hand in Hand gehen. Andererseits gibt es auch viele Unternehmen, die sich bereits vor der Krise im Sinne der Transformation neu ausgerichtet haben. Alle Unternehmen brauchen Planungs- und Investitionssicherheit.  

    5. Gemeinsame Wiederaufbau- und Transformationsfinanzierung schaffen 

    Da die Leistungsfähigkeit aller Volkswirtschaften massiv reduziert ist und alle öffentlichen Haushalte extrem belastet sind, kommt der intelligenten Finanzierung von Wiederaufbau und Transformation eine Schlüsselrolle zu. Es gilt, einen geeigneten Mix von Instrumenten zu finden, aus staatlicher Förderung, steuerlichen Anreizen und Finanzierungen über Banken und den Kapitalmarkt, z. B. über Green Bonds und nachhaltige Fonds. Es sind zuverlässige rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Investoren Mittel für die Transformation zeitnah zur Verfügung stellen und nicht potenzielle Verbesserungen der Rahmenbedingungen abwarten. Deshalb sollten die Vorschläge des Sustainable Finance Beirats schnell umgesetzt werden. Im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft sollten die Verhandlungen zu Sustainable Finance auf europäischer Ebene sowie die Umsetzung des Green Deal vorangetrieben werden. Der deutsche Staat sollte sich zur Refinanzierung ebenfalls des Instruments der Green Bonds bedienen und mit den globalen Nachhaltigkeitszielen konforme Staatsanleihen auflegen.
     
    Unternehmen, die öffentliche Konjunkturprogramme oder sogar Eigenkapital vom Staat in Anspruch nehmen, sollen verpflichtet werden, Nachhaltigkeitskriterien bei der Mittelverwendung und in der Entwicklung ihrer Unternehmen zu beachten und anschließend darüber zu berichten (z. B. über den Deutschen Nachhaltigkeitskodex, DNK). Dies schließt auch eine Selbstbeschränkung bei Dividenden und Boni ein. Neue Ansätze wie die von der EU-Kommission vorgeschlagene Ergänzung der Rechnungslegungsstandards (Generally Accepted Accounting Principles) um soziale und ökologische Kriterien sind ein wesentlicher Beitrag, um Sozialsysteme zu stabilisieren, aber auch Anreize zu geben für die Finanzierung von Umweltinnovationen durch den Kapitalmarkt. Um einen zusätzlichen Anreiz für Klimaanstrengungen zu schaffen, könnten Zins- und Tilgungsvorteile für die Erreichung von Klimazielen in Aussicht gestellt werden. 

    www.nachhaltigkeitsrat.de

  • Essay und Diskurs zum Thema Anthropozän, Deutschlandfunk, 24. Mai 2020