C. Empfehlungen
C.VI. Zur Verantwortung von Gemeinden
- Damit medizinische Behandlung, Pflege, Beratung und Begleitung auf Dauer gelingen, ist Achtsamkeit für die Person der Hilfe- und Pflegebedürftigen wie für den Prozess nötig. Eine wesentliche Ressource ist dabei die Spiritualität der behandelnden Personen. In einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD zu der Frage, wie sich innere Kraftquellen in der Pflege manifestieren, wurde deutlich: Spiritualität kann helfen, leichter mit kritischen Situationen beim Leiden und Sterben der Patienten umzugehen. Die Interviewten sprechen davon, dass sie sich getragen und geschätzt fühlen, dass sie Kraft bekommen, durchzuhalten, auch wo Erfolg nicht zu sehen ist. Diese Erfahrungen sind nicht auf die Pflege begrenzt. Gerade der Umgang mit chronischen Krankheiten, mit Verletzlichkeit und Sterblichkeit und schließlich mit dem Tod ist angesichts der hohen professionellen Standards und der insgesamt guten finanziellen Ausstattung unseres Gesundheitssystems eine der wichtigsten Herausforderungen. Es geht darum, immer neu zu lernen und zu akzeptieren, dass wir uns zwar um ein gesundes Leben bemühen und Kranke behandeln können, dass Gesundheit aber gleichwohl ein Geschenk bleibt. Es geht darum, zu verstehen, dass es vollkommene Gesundheit nicht gibt und dass Gesundheit nicht einfach die Abwesenheit von Krankheit, sondern die Fähigkeit beinhaltet, auch mit Einschränkungen gut zu leben und sorgsam umzugehen. Damit das gelingt, sind nicht nur die professionellen Kompetenzen der Gesundheitsberufe notwendig. Ebenso wichtig sind die Perspektiven von Seelsorgerinnen und Seelsorgern. Aber auch soziale und nachbarschaftliche Netze, Selbsthilfegruppen und Engagierte sind gefragt, damit zum Beispiel chronisch Kranke, demenzkranke Ältere oder behinderte Menschen Gestalter ihres eigenen Lebens und Beteiligte in der Gemeinschaft bleiben können.
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Hier liegt eine wichtige Aufgabe von Kirchengemeinden. Nicht nur Kommunen und Betriebe sind gefragt, wenn es darum geht, ein gesundes Umfeld zu schaffen, nicht nur Schulen haben einen Bildungsauftrag, wo es um Ernährung, Sport und Fragen des Lebensstils geht, auch Kirchengemeinden können dazu beitragen, dass Menschen psychische und soziale Kräfte aktivieren, einander stützen und helfen, gemeinsam singen und mit ihrer Sterblichkeit menschlich umzugehen lernen. Dass Gesundheit nicht das höchste Gut ist, dass viel vom Miteinander in einer Gemeinschaft abhängt, das kann gerade in einer Kirchengemeinde erfahren werden. Es ist wieder an der Zeit, dass die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Kirche "Gesundheit" nicht den Gesundheitsberufen überlassen. Die Sehnsucht vieler Menschen nach ganzheitlicher Gesundheit und integralen Heilverfahren äußert sich längst in einer religiösen Suche, oft in der Zuwendung zu fernöstlichen Religionen, aber auch zu esoterischen Praktiken. Kirchengemeinden, in deren Zentrum die Verkündigung vom versöhnenden und heilenden Handeln Jesu, von Kreuzigung, Tod und Auferstehung steht, dürfen sich dieser Sehnsucht nicht verschließen. Salbungs-, Segnungs- und Fürbittengottesdienste sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Zugleich geht es theologisch darum, die Spaltung zu überwinden, die nach den ganzheitlichen diakonischen Aufbrüchen des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der modernen wissenschaftlichen Medizin und Pflege vielfach auch in den kirchlichen Einrichtungen Einzug gehalten hat. Die Frage nach dem Zusammenhang von Heil und Heilung bleibt ein wesentlicher Stachel im Fleisch jedes modernen "Medizinbetriebes" und muss gerade in christlichen Gesundheitseinrichtungen von Seelsorgerinnen und Seelsorgern wie von Besuchsdiensten und der Dienstgemeinschaft der professionellen Mitarbeitenden, aber auch in den Gemeinden vor Ort aufgenommen und reflektiert werden.
Kirchengemeinden sollten sich aber auch an dem Bemühen um eine gesunde Stadt beteiligen und ihre ganz eigene Perspektive einbringen - in Predigt, Seelsorge und Chorarbeit, in Religionsunterricht, Gemeinwesendiakonie und Kommunalpolitik und in der Zusammenarbeit mit Tageseinrichtungen und Diakoniestationen. Die Kirche trägt wesentlich dazu bei, die sozialen Ressourcen unserer Gesellschaft zu stärken. Auf dieser Grundlage kann und muss sie sich auch einmischen in politische Prozesse, wie es mit dieser Schrift geschieht. Darüber hinaus kann sie Mitverantwortung für die diakonischen Träger und Unternehmen in ihrem Bereich übernehmen - durch Mitarbeit in den Gremien, Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen mit ambulanten Diensten, durch gemeinsame Gottesdienste, den regelmäßigen Austausch in Diakonieausschüssen und nicht zuletzt durch ihre Fürbitte. Aber auch diakonische Unternehmen sollten in der Sprache ihrer Geschäftsberichte, im Umgang mit Patienten und Mitarbeitenden deutlich machen, dass die Diakonie der Kirche nicht nur Teil einer Gesundheitsbranche ist, sondern aus der Sorge für den Nächsten heraus arbeitet und lebt. Das erinnert daran, dass wir nur dann wirklich ruhig schlafen können, wenn wir unsere kranken "Nachbarn" nicht vergessen, sondern vor Gott bringen und mit unseren menschlichen Möglichkeiten wachsam für sie sorgen.
- Das gilt auch über unsere nationale Gesundheitspolitik hinaus. Das Ziel, die gute Qualität medizinischer Versorgung, die wir genießen, allen Menschen zugutekommen zu lassen, darf nie aus dem Blick geraten oder auch nur zur Nebensache werden. Basisgesundheitsversorgung und Teilhabe behinderter Menschen sollten daher wesentliche Ziele deutscher Entwicklungszusammenarbeit und internationaler diakonischer Dienste bleiben oder werden, sei es auf staatlicher, sei es auf gesellschaftlicher Ebene.