EKD warnt vor Aufweichung des Embryonenschutzes

Wolfgang Huber zur Erklärung der DFG zu Stammzellforschung

Vor der Aufhebung der Stichtagsregelung für die Forschung an embryonalen Stammzellen hat der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, gewarnt. Zur heute veröffentlichten Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur Stammzellforschung in Deutschland erklärte der Ratsvorsitzende, dass die EKD bereits im Januar 2002 vor der Aufweichung des Embryonenschutzes gewarnt hat. Da sich die DFG nun für eine vollständige Aufhebung der Stichtagsregelung ausspreche, drohe der „Einstieg in den Ausstieg aus dem Embryonenschutz“.  Ein solcher Schritt würde den Geist der vom Deutschen Bundestag 2002 beschlossenen gesetzlichen Regelung verraten: „Der Vorschlag der DFG trifft darum auf meinen entschiedenen Widerspruch.“ Eine neue Festsetzung des Stichtages könnte einen Ausgleich zwischen den gegensätzlichen ethischen Positionen darstellen.

Hannover, 10. November 2006

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi


Die Erklärung im Wortlaut:

Erklärung des Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Dr. Wolfgang Huber, zur Stellungnahme der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) "Stammzellforschung - Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland"

"Zum dritten Mal innerhalb von sieben Jahren hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Stellungnahme zur Stammzellforschung vorgelegt. Der heute veröffentlichte Text, der den Titel "Stammzellforschung - Möglichkeiten und Perspektiven in Deutschland" trägt, informiert eingehend über den wissenschaftlichen Sachstand, den in den vergangenen fünf Jahren erzielten naturwissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt und die mit den rechtlichen Rahmenbedingungen gemachten Erfahrungen. Er schließt auch eine Aktualisierung der ethischen Überlegungen ein. Die Stellungnahme verdient und fordert eine gründliche Beschäftigung. Aus der Sicht der evangelischen Kirche ist dabei zu prüfen, ob von der DFG Gesichtspunkte vorgebracht werden, die uns dazu veranlassen, die bisher von uns eingenommene Position zur Stammzellforschung zu revidieren.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat am 22. Februar 2002 zu dem Beschluss des Deutschen Bundestags vom 30. Januar 2002 zur Regelung des Stammzellimports Stellung genommen und dabei unter anderem ausgeführt:

"Auch ein Import, der strengen Bedingungen unterworfen ist, entfernt sich von dem Grundsatz, das Lebensrecht und den Lebensschutz menschlicher Embryonen von Anfang an zu gewährleisten und nicht um vermeintlich höherer Ziele willen in Frage zu stellen ... Die Befürworter der Mehrheitsentscheidung des Bundestages haben vorgebracht, auch im Fall der Stammzellforschung solle die rechtliche Regelung so gefasst werden, dass ethische Konflikte in der Rechtsordnung befriedet werden können. In diesem Sinne respektiert der Rat der EKD den vom Deutschen Bundestag unternommenen Versuch, einen Ausgleich zwischen gegensätzlichen, tiefen Überzeugungen zu finden ... Das Vertrauen gegenüber Vertretern der Forschung, aber auch der Politik wird [jedoch] dadurch aufs Spiel gesetzt, dass schon unmittelbar nach dem Bundestagsbeschluss die Forderung nach seiner Aufweichung unverhohlen laut wurde. Dieses Vertrauen würde schweren Schaden leiden, wenn sich in einigen Jahren oder sogar bereits nach wenigen Monaten herausstellen sollte, dass die Entscheidung des Deutschen Bundestages ... die engen Voraussetzungen, unter denen sie den Import von Stammzellen zugelassen hat, gar nicht ernst gemeint hat und im Ergebnis lediglich den Einstieg in den Ausstieg aus dem Embryonenschutz markiert."

Knapp fünf Jahre später droht diese Entwicklung einzutreten. Denn die DFG spricht sich für eine vollständige Aufhebung der Stichtagsregelung aus: "Im Hinblick auf die durch den festen Stichtag erheblich eingeschränkte Forschungsfreiheit ... spricht heute viel dafür, den Stichtag für solche Zelllinien aufzuheben, die aus 'überzähligen' Embryonen etabliert wurden." Mit einem solchen Schritt jedoch würde der Geist der vom Deutschen Bundestag  2002 beschlossenen gesetzlichen Regelung verraten. Die Rechtsordnung wäre unter diesen Voraussetzungen nicht länger in der Lage, die tiefen ethischen Konflikte zu befrieden und einen Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Überzeugungen herzustellen. Der Vorschlag der DFG trifft darum auf meinen entschiedenen Widerspruch. Was sie als "Lösungsmöglichkeit" präsentiert, kann in gesellschaftspolitischer, rechtlicher und ethischer Hinsicht nicht als Beitrag zu einer wirklichen Problemlösung akzeptiert werden.

Wer dem Geist und der Logik der vom Deutschen Bundestag am 30. Januar 2002 beschlossenen Regelung verpflichtet ist, verfügt gleichwohl über Spielräume, um zu einer Lösung für die von der DFG aufgewiesenen Probleme zu gelangen. Zu diesen Problemen gehört insbesondere die Kontaminierung der in Deutschland bisher verfügbaren Stammzelllinien durch tierische Produkte und Viren. Der vom Bundestag angestrebte Ausgleich zwischen den gegensätzlichen ethischen Überzeugungen bliebe gewahrt, wenn der Stichtag neu festgesetzt würde. Dabei müsste es sich, wie auch schon 2002, um einen zurückliegenden Stichtag, also beispielsweise den 31. Dezember 2005, handeln. Aus evangelischer Sicht würden damit zwar die grundlegenden ethischen Bedenken gegen den Verbrauch menschlicher Embryonen bei der Gewinnung von humanen embryonalen Stammzellen nicht ausgeräumt. Aber ein solcher Weg ließe sich - wie schon die vom Deutschen Bundestag 2002 getroffene Regelung - respektieren als ein ernsthafter Versuch, einen Ausgleich zu finden und ethische Konflikte zu befrieden."