Predigt im ökumenischer Gottesdienst im Dom St. Petri in Bremen zur Woche für das Leben
Margot Käßmann
Gnade sei mit euch ...
Liebe Gemeinde,
„auf diese Steine können Sie bauen!“ – erinnern Sie sich? Werbung für eine Bausparkasse. Wer an die Zukunft denkt, wünscht sich zuverlässige, solide Partner! Ja, wir wollen Steine, auf die wir bauen können. Irgendwie möchten wir uns absichern, für die Zeit, wenn wir alt werden, falls wir krank werden oder unseren Arbeitsplatz verlieren. Ja, es gibt ein tiefes Bedürfnis nach Sicherheit. Und gleichzeitig sehen wir, wie viele durch das Netz der Sicherheit fallen: arbeitslos, obdachlos, krank, behindert, pflegebedürftig. Auf Sand gebaut?
Was es heißt, wenn Sicherheiten des Lebens, die eigenen Häuser, das eigene Hab und Gut davon gespült werden, das haben wir alle deutlich vor Augen. Ich denke an die Fernsehbilder vom Tsunami Weihnachten 2004. Oder an die Bilder von New Orleans 2005. Doch, da hat uns alle, auch aus der Ferne, Nachdenklichkeit überfallen. Wie verletzbar ist das Leben! Wie schnell kann alles zerstört werden, von einem Moment zum anderen. Es hätte dich treffen können und mich. In solchen Momenten sehen wir in brutaler Klarheit, wie leicht verwundbar wir sind. Auf Sand gebaut... Keine Versicherung der Welt, kein Sparbuch und kein Haus kann uns dann helfen. Wir erfahren ganz existentiell: du bist angewiesen auf eine größere Macht als diese Welt sie dir bieten kann. Du bist angewiesen auf Gott.
Die Kinder, die jetzt in der Ostkrypta zum Kindergottesdienst zusammen sind, sie überlegen gerade, auf welchen guten Grund, sie ihr Lebenshaus bauen können. Was ist wirklich wichtig, fragen sie auf verschiedenen Gesprächsinseln. Wünsche und Bilder, Sätze und Begriffe malen und kleben sie auf Kartons. Bausteine sind das. Wenn wir uns diese Bausteine der Kinder anschauen, dürften wir ins Nachdenken kommen. Meine Erfahrung ist, dass Kinder uns sehr deutlich auf den Prüfstand stellen. Ihre Fragen sind glasklar: Wo ist der Opa jetzt? Was passiert, wenn ich sterbe? Glaubst du an den Himmel? Wer ist Gott? Da können wir nicht ausweichen, da sind wir wahrhaftig gefragt. Und dann ist es entscheidend, ob wir über all diese Fragen einmal selbst nachgedacht haben: Wer bin ich? Woher komme ich? Was will ich im Leben? Wo finde ich Halt? Worauf baue ich meine Zukunftspläne?
Wenn wir an den Hausbau denken, von dem Jesus im Gleichnis spricht, wird uns ja deutlich: Vor allem der Grund muss solide sein! Das gilt zuallererst für unser Leben. Die meisten Menschen bauen heute auf Geld. Noch nie gab es so viele Sparguthaben in Deutschland wie heute! Wir sparen und wollen damit Sicherheit schaffen. Das ist gewiss auch sinnvoll. Aber allzu oft haben Menschen erfahren, wie trügerisch solche Sicherheit ist. Ich denke an diejenigen, die im Krieg alles verloren haben. Gerade erst haben wir all die Geschichten gehört: Das Landgut, das verlassen werden musste, das Schiff, das mit Hab und Gut unterging. Oder denken wir in jüngerer Zeit auch an Menschen, die ihre Zukunft in Aktien absicherten und dann tief gestürzt sind. Da war dann alles weg, auf Sand gebaut.
Was wirklich trägt im Leben, ist der Glaube an Jesus Christus als den Weg in meinem Leben, die Wahrheit, an die ich mich halten kann in guten und in schlechten Zeiten. Auch das zeigt die Erfahrung unserer Väter und Mütter. Wer auf der Flucht noch singen konnte: „Befiehl du deine Wege und was dein herze kränkt“, hatte Halt mitten in Angst und Chaos. Wer in großer Bedrängnis beten kann: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“, weiß, wo die Quelle von Lebenskraft liegt. Solchen Glauben einem Kind weiter geben, heißt, ihm Halt, einen festen Grund und Mut zur Zukunft anbieten. Deshalb geht es zuallererst darum, diese Geschichten weiter zu erzählen, diese Texte, die Glaubensgeschichten unserer Väter und Mütter der nachwachsenden Generation zu vermitteln.
Ja, da geht es auch um Werte. Den Nächsten lieben, mich selbst auch. Gott lieben über alle Dinge, die mir vor die Nase gesetzt werden. Die Gebote ernst nehmen, die Gott uns mitgegeben hat. Die Schöpfung bewahren wollen, weil sie Gottes Schöpfung ist. Gewalt überwinden wollen, weil wir zum Frieden gerufen sind. Gerechtigkeit nicht als naives Wort ansehen, sondern als Ziel, um das wir ringen. Wer diese Maßstäbe aus der Bibel mitnimmt und sie weitergibt an die nachwachsende Generation, schafft ein Ethos, eine Lebenshaltung, die Orientierung bietet und Vorbild schafft.
Dazu kommt ein Netzwerk. Steine werden ja nicht stumpf gemauert, sie müssen miteinander verbunden sein. Die Verknüpfungen haben Bedeutung für die Belastbarkeit. Deshalb ist es so entscheidend, dass Kinder nicht nur Eltern haben. Oh ja, Eltern sind wichtig! Allzu viele Eltern heute machen sich gar nicht bewusst, wie sehr ihr Vorbild gefragt ist. Erziehung ist eine Leistung, die auch erbracht werden muss. Und wer erzieht, muss für sich selbst die elementaren Lebensfragen geklärt haben!
Aber wie sagt ein afrikanisches Sprichwort: It takes a village to raise a child“ – Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen. Das muss unsere Gesellschaft neu lernen. Ja, Eltern schenken die Gene. Sie legen auch Glaubensfundamente, vermitteln Werte und eine Lebenshaltung. Das ist eine ungeheuer große Verantwortung. Eine enorme Leistung. Und eine wunderbare Aufgabe. Aber auch die Menschen ohne Kinder oder die Älteren, die schon Kinder erzogen haben, leisten einen unschätzbaren Beitrag. Die „Meme“, die Kultur, das Gedächtnis, die Bildung einer Gesellschaft sind hiermit gemeint. Clinton Richard Dawkins hat sie parallel zu den Genen gestellt. Er führte den Begriff Mem für den Bereich Kultur analog zum Gen in der biologischen Evolution ein. Wir alle tragen dazu bei, Kindern in unserem Land diese Meme mitzugeben, ob wir Kinder haben oder nicht.
Netzwerke, das heißt: dieses Kind braucht Deutschland. Wir brauchen jedes Kind, jedes Kind braucht uns. Keines soll verloren gehen. Der renitente Junge, der die Kita auf den Kopf stellt, das junge Mädchen, das an Magersucht leidet, der coole Jugendliche, der kifft, die etwas abgedrehte Schulabbrecherin – sie sind wertvoll! Gott weiß das, er liebt sie ja ohnehin. Aber sie sollen spüren: Wir brauchen dich. Du bedeutest uns etwas. Wir wollen für dich da sein. Das hat mich am meisten erschüttert, als ich die Berichte Jugendlicher über ihre Freiwilliges Soziales Jahr gelesen habe: viele haben erzählt, sie hätten zum ersten Mal gespürt, dass jemand sie braucht! Da läuft etwas sehr falsch, wenn junge Leute in unserem Land den Eindruck haben: wir brauchen euch nicht. Und wir müssen begreifen: wenn wir diesen Eindruck vermitteln, dann bauen wir die Zukunft wahrhaftig auf Sand.
Vielleicht können wir von diesen Überlegungen her deutlich machen, was das Engagement für Kinder in unserem Land bedeutet: ja, es geht um die biologischen Eltern, um Eltern insgesamt, die sich für Kinder engagieren. Aber es geht auch um die Haltung einer Gesellschaft insgesamt, die ihre Zukunft auf Kinder baut. Wer nur auf Bausparverträge baut, der baut auf Sand. Wer nur Börsenkurse im Blick hat, kann tief fallen. Aber wer im eigenen Leben an kommende Generationen denkt, lebt wahrhaftig nachhaltig. So spielen Elternschaft und gesellschaftliches Engagement für Kinder ineinander und nicht gegeneinander.
Dazu eine kleine Geschichte: „Zwei Schwestern wohnten beieinander. Die jüngere war verheiratet und hatte Kinder, die ältere war unverheiratet und hatte keine Kinder. Beide arbeiteten zusammen, pflügten das Feld, brachten das Getreide ein und teilten die Garben in zwei gleich große Stöße. Als es nacht geworden war, konnte die Ältere keine Ruhe finden: „Meine Schwester hat eine Familie, ich bin allein und ohne Kinder, sie braucht mehr Korn als ich.“ Also stand sie auf und wollte heimlich ein paar von ihren Garben zu denen ihrer Schwester legen. Auch die Jüngere konnte nicht einschlafen. „Meine Schwester ist allein und hat keine Kinder. Wer wir in ihren alten Tagen für sie sorgen?“ Und sie stand auf, um von ihren Garben ein paar zum Stoß der Älteren zu tragen. Auf halbem Weg, mitten auf dem Feld, trafen sie aufeinander. Da erkannt jede, wie gute s die andere mit ihr Meinte. Sie ließen ihre Garben fallen und umarmten einander.
Unsere egomanische, ökonomiefixierte Gesellschaft lernt gerade ganz neu: die Zukunft liegt im Verletzbaren, im Kind. Das ist christlich gesehen die zentrale Lektion. Selbst Gott kommt als Kind verletzbar zu Welt. Die Zukunft der Menschheit, so glauben wir, wird in dem Kind, das in Bethlehem geboren wurde, sichtbar.
Alles, was wir für so entscheidend halten, hält gar nicht stand, wenn es ernst wird im Leben. Wenn wir krank werden, wenn wir sterben, dann stürzen all unsere Sicherheiten zusammen, die uns angepriesen werden. Dann zählen Glaube, Liebe Hoffnung, diese drei. Aber die Liebe ist die größte unter ihnen. Die Liebe, die wir als Eltern einem Kind gegeben haben. Die Liebe, die wir als Nachbarin oder Lehrer, als Ausbilderin oder Pastor, als Erzieherin oder Pate in ein Kind investiert haben, sie ist eine Investition in die Zukunft. Da hinterlassen wir eine Spur im Leben. Wir geben die Meme weiter, den Glauben, die Kultur, die Werte, die wir selbst ererbt haben von unseren leiblichen und geistlichen Vätern und Müttern.
Liebe Gemeinde, worauf wir unser Lebenshaus bauen – wir müssen den Mut haben, darüber nachzudenken. Wenn wir selbst wissen, dass wir nicht für uns selbst leben, sondern für und mit anderen, dass wir unseren Lebenssinn nicht kaufen und nicht erarbeiten können, sondern dass er uns von Gott geschenkt ist, dann erfahren wir innere Freiheit. Wir werden frei, zu lieben, frei zur Hingabe. Wir werden frei von all den Zwängen unserer Zeit, von allem „Du musst“, von der Sorge um die Zukunft. Und wir werden offen dafür, den festen Grund zu sehen, auf dem wir stehen: Gott selbst, der uns bei unserem Namen gerufen hat.
Das können wir Kindern weiter geben. Und so werden wir Zukunft gestalten. Sie fängt ja schon heute an. Ich glaube und gebe meinen Glauben weiter. An meine Kinder. An Kinder, denen ich begegne, an Jugendliche, mit denen ich spreche. Und so baue ich mit an der Zukunft auf gutem Grund. An der Zukunft unseres Landes, aber auch an der Zukunft unserer Welt. Denn gerade als Christinnen und Christen ist und ja bewusst: wir sind nur ein kleiner Teil der Welt. Und wir wissen: wir sind nur Teil der vorläufigen Welt, in der wir Häuser bauen. Gottes zukünftige Welt wird noch eine ganz andere sein. Doch jetzt und hier sind wir in Verantwortung für die Zukunft. Und die liegt in den Kindern. Sie sind die Hoffnung, die wir vor Augen haben, die uns verpflichtet zum Weitererzählen und zum Handeln.
Amen.