Pfingstpredigt über Johannes 14,23-27 im Rahmen des 100-jährigen Bestehens des Gemeinschafts-Diakonissenmutterhauses Hensoldshöhe in Gunzenhausen vom Leitenden Bischof der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD)
Johannes Friedrich
Liebe festliche Gemeinde,
gäbe es einen schöneren Termin, um Ihr Jubiläum zu feiern, als das Fest der Geburtsstunde der Kirche? Heute am Pfingsttag, dem Tag der Geistesgegenwart und der Leben schaffenden Nähe Gottes blicken wir auch auf den Geist, der seit hundert Jahren Ihre Gemeinschaft bewegt: die Liebe Gottes, die uns immer wieder neu begeistert und die den Menschen, die hier leben und arbeiten, Wachsen und Gedeihen schenkt. Aus den ersten Diakonissen, die 1905 auf die Höh’ kamen und die vor hundert Jahren das Gemeinschafts-Diakonissen-Mutterhaus gründeten, ist eine weltweite Gemeinschaft von über 360 Schwestern erwachsen. Und aus der Gastwirtschaft auf der Hensoltshöhe ist ein kleiner Stadtteil geworden, der zahlreichen Menschen Arbeit gibt. Ja, das Wirken der Diakonissen auf der Hensoltshöhe hat sichtlich Früchte getragen. Ein Grund, heute an Pfingsten den, der Wirken und Vollbringen schenkt, aus voller Kehle zu loben.
„Ehre sei Gott auf der Höhe“ – so haben Sie deshalb auch selbstbewusst Ihr Jubiläumsjahr überschrieben. So, als sei man hier Gott ein wenig näher. Einigen von Ihnen mag es so gehen, wenn Sie auf die Höh` hinauf steigen. Haben Sie doch – ob Diakonissen oder Mitarbeiter – hier ihre geistliche Heimat gefunden. Und doch wissen gerade Sie, was es bedeutet, Gott auf der Erde zu loben, mitten in den konkreten Widernissen des Lebens. Der Dienst an dem Mitmenschen in Krankheit, Behinderung und Alter und das Mittragen von Sorgen und Nöten gehört deshalb für Sie untrennbar zum christlichen Glauben.
Gerade vor ein paar Tagen haben wir es wieder gehört: Nach der Himmelfahrt Christi starren die Jünger nicht lange in den Himmel. Sie werden nach Jerusalem zurückgeschickt. Dort, in dem zwielichtigen Grau, in dem Gott nicht immer deutlich zu erkennen ist, werden sie ihm begegnen und seinen Geist empfangen. Und das ist ja gerade das Besondere an Pfingsten: Nicht, dass einige wenige in religiöse Verzückung gerieten, sondern dass sich alle verstanden. Nicht die außerordentliche religiöse Erfahrung lebte fort, sondern die Kraft und der Trost, die halfen, den Alltag zu bestehen. Ganz ähnlich hören wir es in dem Predigtwort für heute. Auch wenn es aus den Abschiedsworten Jesu vor seinem Tod stammt, ist es doch eine Pfingstgeschichte. Denn Jesus verheißt denen, die ihn lieben, seinen heiligen Geist. Wir hören aus dem Evangelium nach Johannes im 14. Kapitel:
23 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. 24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. 25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. 26 Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. 27 Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Die Abschiedsreden im Johannisevangelium sind wie ein Vermächtnis Jesu an die Seinen. Wie ein Testament, das immer wieder gelesen wird, weil es Trost spendet und Mut macht. Jesus kommt sofort auf das Wesentliche zu sprechen: auf Sehnsüchte und Ängste, und immer wieder auf die Liebe. Jeder Satz ist eine Botschaft. Er verheißt seinen verzagten Jüngern das, was sich Menschen, die dem Tod eines Geliebten entgegensehen, wohl am sehnlichsten wünschen: Die Beziehung wird nicht abreißen. Ein bleibendes Band verbindet jene, die ihn lieben, mit ihrem Herrn. Ja er verspricht ihnen sogar eine bisher nie dagewesene Nähe. Mitten in ihrem Herzen wird er Wohnung nehmen.
Garant dafür ist der Heilige Geist. Jene Leben schaffende Kraft, die sich so schwer fest machen und schon gar nicht herbeizwingen lässt, und die doch immer wieder machtvoll unter uns wirkt. Und doch ist es so eine Sache mit dem Heiligen Geist. Wie soll man ihn erkennen? Und wo ist er am Werk? Wir brauchen nur in die Geschichte unserer Kirche zu blicken, um zu sehen, wie oft eine bestimmte Geisteshaltung oder ein „Volksgeist“ euphorisch als das Wirken von Gottes Geist gedeutet wurde. Spät, viel zu spät zeigte sich, dass es gerade dieser Geist war, der Unheil und großes Elend über die Menschen gebracht hat.
Hinter welchen Entwicklungen zeigt sich Gottes Geist und was ist ein unheilvoller, schädlicher Geist der Zeit? Liebe Festgemeinde, wenn wir die rasanten Entwicklungen in unserer Welt und in unserer Kirche betrachten, dann stellen sich gerade diese Fragen drängend. Wie können wir die Geister unterscheiden? Hinweise darauf gibt uns unser Predigttext der klare Kriterien für das Wirken des Heiligen Geistes nennt: Dieser lehrt den Willen Jesu und erinnert an seine Worten und Taten. Er ist diejenige Kraft, die Kontinuität gewährleistet zwischen Jesu Wirken und Lehren damals und unserem Leben heute. Wenn wir nach seinem Willen fragen, wenn wir uns heute an ihn erinnern, dann leben wir in seinem Geist.
Das heißt aber auch, dass sich, jede Entwicklung und jede Geistesströmung, aber auch jede Erkenntnis, die wir aus der Bibel gewinnen, daran messen lassen muss, ob sie
Jesus Christus entspricht. So schließt dies jede Gesinnung, die Menschen verachtet, klein macht und Leben bedroht, radikal aus. Genauso aber auch jene Haltung, die den Menschen zum Maß aller Dinge erhebt und keinen Gott über ihm anerkennt. Gerade dadurch, dass er sich ganz von Gott abhängig wusste, konnte sich Jesus auch ganz den Menschen zuwenden. Dort, wo Menschen heute furchtlos für andere eintreten, da ist etwas von seinem Geist zu spüren.
Liebe Festgemeinde, wie können wir unterscheiden zwischen Gottes Geist und dem Ungeist unserer Zeit? Es waren ähnliche Fragen, die Christen lutherischen, reformatorischen und unierten Bekenntnisses vor 75 Jahren umtrieben. Sie sahen den Aufstieg des so genannten Dritten Reiches und erlebten, wie Christen dieses bejubelten wie ein göttliches Reich. Die Sorge um die Kirche und die Sorge um ihr Vaterland führte sie zusammen. Und so wurde heute auf den Tag genau vor 75 Jahren die Barmer Theologische Erklärung unterzeichnet, eines der wichtigsten Dokumente der neueren Kirchengeschichte. Mit der Unterzeichnung fand ein monatelanges Ringen seinen Abschluss: ein Ringen um grundlegende Bekenntnisaussagen, die Weisung und Richtung gaben angesichts der Bedrohung durch den Nationalsozialismus. Heraus kam ein in seiner theologischer Dichte und Prägnanz einzigartiges Dokument. Sehr deutlich bekennt es sich dazu, dass die alleinige Herrschaft Jesu Christi einem totalitären Führerstaat, der die Macht über alle Bereiche des Lebens beansprucht, seine Berechtigung entzieht.
Ich sage als bayerischer Landesbischof sehr deutlich: ich bin unseren Vorvätern sehr dankbar dafür, dass sie diese Barmer Theologische Erklärung verabschiedet haben. OKR Thomas Breit aus Bayern war ja – übrigens in enger Rücksprache mit LB Hans Meiser - neben Karl Barth und Hans Asmussen einer der Väter dieser Erklärung, die wir heute als das wichtigste Glaubenszeugnis des vergangenen Jahrhunderts ansehen. Als solches ist es ja auch in unserem Gesangbuch nach den Bekenntnisschriften abgedruckt und kann zum Studium nur sehr empfohlen werden. Sie hilft auch uns als lutherischer Kirche in der heutigen Zeit sehr.
Es ist hier leider nicht die Zeit, alle sechs „evangelischen Wahrheiten“,
die die Barmer Erklärung benennt, zu betrachten. Ich will deswegen nur eine davon aufgreifen, die in enger Beziehung zu Ihrem Haus steht. „Durch Gott seid ihr in Christus Jesus, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung“ – das Leitwort aus dem ersten Korintherbrief (1. Kor. 1,30), das Gründer Ernest Mehl der Hensoltshöhe gegeben hat, steht auch über der zweiten Barmer These. Für die Verfasser, wie für Generationen von Schwestern war dieses Bibelwort Ausdruck dessen, dass allein Jesus Christus Hoffnung und Orientierung, oder wie es in der Erklärung heißt, Zuspruch und Anspruch ist auf unser ganzes Leben. „Durch ihn“, so die Erklärung, „widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem dankbaren Dienst an seinen Geschöpfen.“
Liebe Festgemeinde, auch wenn wir heute in einer ganz anderen Staatsform leben, so hat die Barmer Erklärung in keiner Weise an Aktualität verloren. Wenn Christen und Christinnen in letzter Verbindlichkeit nur Jesus Christus unterstellt sind, dann können und dann müssen sie sich allen Gewalten widersetzen, die eine absolute Macht über sie beanspruchen. Das heißt aber nicht, dass wir uns nun aus der Welt und ihren politischen Prozessen zurückziehen dürften. Im Gegenteil – gerade ihre Bindung an Christus und an seine Liebe zu den Menschen, ruft Christinnen und Christen zu wacher Zeitgenossenschaft und zum Einsatz für die Gesellschaft. Eine Zeitzeugenschaft, die die Entwicklungen der Gesellschaft aufmerksam und engagiert begleitet, sie ins Gebet nimmt und sich couragiert zu Wort meldet.
Ein Beispiel für couragiertes Sich-zu-Wort-melden haben wir vor 10 Tagen nicht weit von hier erlebt: wo zwei Frau mit voller Namensnennung Missstände in einem Altenpflegeheim der Diakonie aufdeckten. Ich danke den beiden ganz herzlich für ihre Courage. Ich danke aber auch allen, die in Pflegeheimen gerade auch der Diakonie arbeiten für ihren schweren und anstrengenden Dienst und dafür, dass sie diese schwere Arbeit in aller Regel so tun, dass die alten Menschen merken, dass sie bis zum letzten Atemzug von Gott geliebte Menschen sind und darum auch von uns Menschen bis zum letzten Atemzug in Würde geehrt und gepflegt werden. Ich weiß, dass das unter den Bedingungen unserer Pflegesituation oft sehr schwer ist. Aber wir müssen als Kirche und Diakonie alles tun, dass diese Liebe zu den Menschen immer sichtbar ist: auch dann, wenn Fehler gemacht werden. Wir dürfen diese nicht vertuschen, sondern müssen dazu stehen und versuchen, es in Zukunft besser zu machen. Und insbesondere auch die Bedingungen zu verbessern, unter denen Pflegende arbeiten müssen – und dann immer wieder überfordert sind – zumal nicht alle so stabil und so gut ausgebildet sind wie Hensoldshöher Diakonissen.
Die gottlosen Bindungen dieser Welt sind auch heute spürbar; bei uns vielleicht eher als vor 75 Jahren darin, wenn – wie in der Pflege alter Menschen – oft Geld und materielle Argumente wichtiger sind als die Würde des Menschen. Barmen macht uns auch heute darauf aufmerksam: wir dürfen als Gottes dankbar Geschöpfe ihm fröhlich dienen und unseren Mitmenschen darum fröhlich helfen.
Im Namen unserer Kirche danke ich allen Diakonissen der Hensoltshöher Gemeinschaft und allen anderen Mitarbeitenden dafür, dass Sie diese Liebe Gottes den Menschen deutlich werden lassen, wo immer Sie arbeiten. Dass Sie die frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt vorleben und ihnen widerstehen.
Wir alle wissen, dass die wenigsten Menschen vor 75 Jahren den Mut aufgebracht haben, im Namen Jesu zu widerstehen. Unter demselben Bibelvers haben sich Christinnen und Christen dem Nazi-Regime widersetzt und sich ihm geöffnet – manchmal in dem fatalen Glauben, das Christentum damit voranzubringen, manchmal einfach aus Angst. Wir wissen nicht, wie wir heute reagieren würden. Zu der Tragik unseres menschlichen Daseins gehört es ja gerade, dass wir oft erst im Nachhinein die Tragweite dessen begreifen, was jetzt und heute geschieht. Gerade deshalb ist es so wichtig, sich heute ehrlich zu erinnern. Wir müssen uns erinnern, ohne die dunklen Kapitel der Geschichte auszulassen. Und wir müssen wachsam darauf achten, dass die Geschichte nicht verschwiegen, geleugnet oder verfälscht wird. Das ist gerade in unserer Zeit wichtig, in der es immer weniger Zeitzeugen gibt, die Auskunft geben könnten über die Zeit, in der die Barmer Erklärung entstand. Dass Sie in ihrer Ausstellung zu hundert Jahren Hensoltshöhe auch die dunklen Kapitel ihres Mutterhauses dargestellt haben, ist für mich dabei ein gutes Zeichen gegen das Vergessen.
Liebe Festgemeinde, so sehr wir nach Gottes Geist Ausschau halten können, so sehr wir uns für ihn öffnen und ihm Wohnung bereiten können – machen können wir ihn nicht. Wir können nur unsere Augen und Herzen für ihn wach halten und darauf vertrauen, dass Gott seine Verheißung erfüllt. Das ist ein wenig wie mit dem Frieden, den Jesus verheißt: Wir können und sollen unseren Staat in allen seinen Bemühungen um Frieden unterstützen, uns für den Frieden in unseren Kommunen einsetzen und uns auch unter den christlichen Konfessionen um immer stärkere Einheit und um Frieden bemühen, indem wir einander als Christusgläubige, als im Geist Gottes Getaufte anerkennen, so unterschiedlich unsere Frömmigkeit auch sein mag. Und doch wird unser Frieden immer unvollkommen sein. Der tiefe Friede, der Herz und Seele erfüllt, der nicht mit Kompromissen lebt, und der nicht nur glückliche Länder, sondern die ganze Welt umspannt, dieser Friede kann uns nur geschenkt werden. Unser Machen und Tun bleibt vorläufig und unvollständig, wenn Gottes Geist nicht dazu tritt.
In einer Geschichte verwendet ein Rabbi ein sehr schönes Bild dafür: Wir können nichts dazu tun, dass die Sonne aufgeht. Aber wir können etwas dazu tun, dass wir wach sind, wenn die Sonne erstrahlt. Gott schenke Ihrer Gemeinschaft und er schenke uns allen an diesem Pfingstfest, dass wir wach bleiben für seinen Heiligen Geist; dass wir ihn nicht aussperren durch unsere Engstirnigkeit.
Er erfülle uns immer wieder mit der Kraft seiner Liebe, heute und alle Tage unseres Lebens. Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen