„Dritter Weg für faire Arbeitsbedingungen“
Nikolaus Schneider spricht zum kirchlichen Arbeitsrecht in Eichstätt
Der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider hat in der Diskussion um das kirchliche Arbeitsrecht die „Wahrung der Dienstgemeinschaft“ als „unverzichtbar“ bei der Erfüllung des kirchlichen Auftrages bezeichnet: „Der Begriff ,Dienstgemeinschaft‘ hat für mich eine unaufgebbare theologische Qualität“, sagte Schneider am heutigen Montag auf der 15. Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht in Eichstätt (Oberbayern). Dienstgemeinschaft sei mehr als nur eine Bestimmung des kirchlichen Arbeitsrechtes. Sie müsse „ganz konkret in der Unternehmenskultur, im Führungsverständnis und im Umgang mit anvertrauten Menschen gelebt werden.“
Das Leitbild der Dienstgemeinschaft, so Schneider weiter, erfordere für die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, dass die Wesensmerkmale des „Dritten Weges“, nämlich „Parität, Partnerschaft, Gleichberechtigung und Unabhängigkeit“ ernstgenommen werden müssten. Dies bedeute, dass die auf dem „Dritten Weg“ gefundenen Regelungen in den kirchlichen Einrichtungen vollständig und konsequent zur Geltung gebracht werden müssten. Schneider betonte: „Einseitig gestaltete Regelungen, die das Niveau kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen unterschreiten, sind schlicht nicht akzeptabel und beschädigen die Dienstgemeinschaft sowie das Ansehen unserer Kirchen insgesamt.“ Bei der beruflichen Mitarbeit in der Kirche und in ihrer Diakonie müssten die Gehälter und Arbeitsbedingungen „fair und angemessen“ sein und in einer „gleichberechtigt ausbalancierten Sozialpartnerschaft“ geregelt werden.
Durch die Aufgabe des Kostendeckungsprinzips und die Schaffung von Wettbewerbsstrukturen stehe das Sozial- und Gesundheitswesen unter steigendem Druck. Dennoch müssten die „aus dem Leitbild der Dienstgemeinschaft resultierenden Anforderungen an die Arbeitsbedingungen“ weiterhin zur Geltung kommen. Schneider betonte allerdings: „Wir müssen sowohl nach innen als auch nach außen deutlich sagen, dass wir Angebote nicht mehr aufrechterhalten können und wollen, wenn es den Einrichtungen unmöglich gemacht wird, Gehälter nach den kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen zu zahlen.“
Der Ratsvorsitzende zeigte sich überzeugt, dass der Dritte Weg auch für die Zukunft ein „kirchengemäßes und effektives Verfahren der partnerschaftlichen Regelung der Arbeitsbedingungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darstellen“ könne und werde. Dazu allerdings, räumte der Schneider ein, müssten am Verfahren selbst „wesentliche Verbesserungen“ vorgenommen werden. Der „Gefahr der Zersplitterung“ des kirchlichen Arbeitsrechtes müsse vorgebeugt werden. Unterschiedliche kirchliche Tarife dürften nicht zu einer „innerdiakonischen Konkurrenzsituation“ führen. Schneider erinnerte in diesem Zusammenhang an die Beschlüsse der EKD-Synode vom vergangenen November. Die Synode habe zu Recht gefordert, dass an die Stelle der Zersplitterung wieder ein „einheitlicheres Recht“ treten müsse. „Nicht zuletzt zugunsten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen für die Diakonie die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werks der EKD wieder die Leitwährung werden“, betonte Schneider.
Dass es aber Regionen gebe, in denen die Tariffindung auf dem „Dritten Weg“ schlecht oder sogar „gar nicht“ funktioniere, liege in erster Linie daran, dass die „Verfahrensbeteiligten“ die „Spielregeln“ verletzten. Dies sei insbesondere der Fall, wenn „Interessenvertreter der Mitarbeiterschaft die Mitarbeit im ,Dritten Weg‘ verweigern und das Funktionieren des Systems dadurch verhindern“, beklagte Schneider. Der Streit um das Verfahren der Arbeitsrechtssetzung dürfe aber nicht „auf dem Rücken unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern“ ausgetragen werden.“ Diese Feststellung, so Schneider, richte sich „gleichermaßen“ an die Dienstgeber- und die Dienstnehmerseite. Schneider betonte, dass
Gewerkschaften und Mitarbeitervereinigungen im Bereich der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie ausdrücklich eingeladen seien, sich am „Dritten Weg“ zu beteiligen, sei es als Institutionen, oder sei es durch „individuelles Engagement der Mitglieder“. Schneider: „In der Vergangenheit haben sich die Gewerkschaften in vielen Fällen in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen engagiert. Dies ist im Moment nicht der Fall, obwohl die evangelische Kirche offen und nachdrücklich zur Mitarbeit einlädt.“
Der Ratsvorsitzende berichtete weiter, dass der Rat der EKD eine paritätische Arbeitsgruppe eingesetzt habe, in der Vertreterinnen und Vertreter der Mitarbeiterseite, der Arbeitsgemeinschaften der Mitarbeitervertretungen aus der Diakonie sowie Dienstnehmervertreter-/innen aus Arbeitsrechtlichen Kommissionen mitwirken. Diese Arbeitsgruppe habe am vergangenen Freitag, dem 2. März, ihre Tätigkeit aufgenommen. Der Rat der EKD erwarte, so Schneider, baldmöglichst einen Bericht mit konkreten Vorstellungen für „substanziell und nachhaltig wirkende Verbesserungen“ für die Praxis Tariffindung auf dem „Dritten Weg“.
Was die Tarifbindung angehe, räumte Schneider ein, dass in Einzelfällen diakonische Dienstgeber das kirchliche Arbeitsrecht unterschritten oder nicht anwendeten, dass „in der Gesamtschau“ jedoch festzustellen sei, dass die Tariffindung auf dem „Dritten Weg“ einen sehr hohen Grad an Tarifbindung nach sich ziehe, deutlich höher als sonst in weiten Bereichen der Wohlfahrtsbranche. Von Dumpinglöhnen in der Diakonie könne deshalb keinesfalls die Rede sein!
Abschließend äußerte der Ratsvorsitzende seine Besorgnis, dass das bestehende „hohe Maß der Bindung an die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen“ durch die Einführung tarifvertraglicher Beziehungen „erheblich reduziert“ würde. Weiterhin würde die „Rechtzersplitterung“ erheblich gefördert, da keine Einrichtung gezwungen werden könne, sich einem bestimmten kirchlichen Arbeitgeberverband anzuschließen. Größere Träger würden – wie die Situation im außerkirchlichen Sozial- und Gesundheitswesen zeige – Haustarifverträge abschließen. Schneider: „Diese gegenüber dem Status Quo noch viel größere Tarifvielfalt dürfte kaum zu Gunsten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausfallen.“
Hannover, 5. März 2012
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick