Vergiftete Frucht? - Überlegungen zum Gebrauch neuer Sprachformen für theologische Inhalte aus Anlaß der Diskussion über "Kirche der Freiheit" - Referat bei der Jahrestagung des AEU in Dresden
Hermann Barth
Es gibt kaum eine kritische Stellungnahme zum Impulspapier des Rates, in der nicht prominent und in kritischer Absicht davon die Rede ist, daß wirtschaftliche, insbesondere betriebswirtschaftliche Kategorien in ihm eine große Rolle spielen. Der Vorwurf lautet: Die „Kirche der Freiheit“ ist von dieser Sprache durchdrungen, aber das tut ihr nicht gut, sondern es pervertiert sie.
Es ist reizvoll, diesen Vorwurf in Bilder zu fassen. Das erste Bild, das ich den Kritikern andienen möchte, ist das des Trojanischen Pferdes: Im Bauch der wirtschaftlichen Sprache dringt der Feind in die „Kirche der Freiheit“ ein und zerstört sie. Ein anderes Bild könnte die Ansteckung mit einer Krankheit sein: Die wirtschaftliche Sprache kommt dabei wie der Erreger einer Seuche zu stehen; sie erfaßt und verdirbt die „Kirche der Freiheit“. In einem dritten Bild geht es um eine vergiftete Frucht: Die wirtschaftliche Sprache - so kann man das Bild ausschmücken - muß den Autoren der „Kirche der Freiheit“ offenbar erschienen sein wie die Frucht von dem Baum mitten im Garten Eden: „eine Lust für die Augen ... und verlockend, weil sie klug macht“, und darum pflückten sie die Frucht und aßen davon, aber diese Frucht ist vergiftet.
Im Programm der Tagung folgt mein Referat unmittelbar auf ein schönes Abendessen, bei dem wir auch viele verlockende Früchte genossen haben. Das ist der Grund, warum ich mich mit dem Titel des Referats am dritten Bild orientiere. Ich möchte Folgendes zeigen: So wenig wie das Abendessen, das eine Lust für die Augen und den Gaumen war, bei uns Vergiftungserscheinungen hervorgerufen hat, führt die Anleihe der Autoren bei der wirtschaftlichen Sprache dazu, daß die „Kirche der Freiheit“ eine schleichende Vergiftung erleidet.
In einem ersten Teil werde ich den Vorwurf anhand von Textbeispielen etwas näher unter die Lupe nehmen; dabei werde ich zu zeigen versuchen, daß die wirtschaftliche Sprache im Impulspapier wie ein neues „Sprachspiel“ verwendet wird: Es hat eine verfremdende Wirkung, ruft damit gesteigerte Aufmerksamkeit hervor und erlaubt einen frischen Blick auf vertraute Sachverhalte. Der zweite Teil stellt sich der Einsicht, daß kein „Sprachspiel“ gewissermaßen unschuldig ist; Sprache und "Denke" korrespondieren einander, jede Sprache transportiert eine bestimmte Denkweise; darum ist jedenfalls die Forderung wohl begründet, daß geprüft werden muß, ob die in der „Kirche der Freiheit“ aufgegriffene wirtschaftliche Sprache die Sache, von der die Rede ist, verfälscht. Der dritte Teil schließlich rückt die Frage, inwieweit die Verwendung einer neuen Sprache die anvertraute Sache erschließt oder aber verdirbt, in einen weiteren Horizont: In der biblischen Überlieferung, in der Geschichte der christlichen Theologie, auch in den Versuchen, für Gebet, Kirchenlied und Gottesdienst, nicht zuletzt für die Übersetzung der Bibel, eine der Sache und den Menschen angemessenere Sprache zu finden, bekommen wir es immer wieder mit dieser Frage zu tun; eines der prominentesten Beispiele ist der Streit um die Hellenisierung bzw. die Enthellenisierung des christlichen Glaubens, den Papst Benedikt XVI. vor wenigen Wochen mit seiner Regensburger Vorlesung neu entfacht hat.
I. Die Verwendung wirtschaftlicher Sprache im Impulspapier als Verfremdungseffekt
Das Impulspapier macht von wirtschaftlicher Sprache nicht verschämt Gebrauch, es bekennt sich programmatisch dazu. Das "Lernen von wirtschaftlichem Denken" (S. 40) wird ausdrücklich zu den "Aufbrüchen in der evangelischen Kirche" (S. 40-42) gerechnet: "Unternehmerische, betriebswirtschaftliche und marketingorientierte Methoden und Einsichten" - so heißt es (S. 42) - "werden auch in den Kirchen aufgegriffen gemäß dem paulinischen Grundsatz, alles zu prüfen und das Gute zu behalten". Ohne Anspruch auf Vollständigkeit liste ich auf, welche Stichworte und Kategorien vorkommen:
"Marktverlust im Bereich des Kerngeschäfts" (S. 27),
"Taufquote bei Kindern" (S. 27),
"Qualitätsmanagement" (S. 27, vgl. S. 51),
"Benchmarking ... für alle Bereiche kirchlichen Handelns" (S. 26),
Orientierung an "Erfolgsmodellen (good practice)" (S. 19) und
Lernen aus der "Analyse von missglückten Aktivitäten (bad practice") (S. 27).
Entwicklung eines "corporate design" (S. 40),
sich "Elemente einer modernen Führungskultur zu Nutze machen" (S. 29),
"eine lernende Organisation werden" (S. 64) oder - um ein letztes Beispiel zu nennen -
"Ziele formulieren" und "Erfolge überprüfen" (S. 64f).
Von den ersten, ganz spontan aufgeschriebenen Reaktionen auf die Veröffentlichung des Impulspapiers bis hin zu den jüngsten, in cold blood, also wohlüberlegt formulierten Kommentaren hat die Sympathie des Impulspapiers für wirtschaftliche Kategorien in vielen Fällen ein kritisches Echo gefunden. Dafür ein paar Belege:
In der Leserbriefspalte der FAZ (vom 17. Juli) schreibt ein Karl-Heinz Bassy: Verstand sich die Kirche "einst als 'creatura verbi', so nunmehr als Geschäft - allein die verwendete Sprache erweist einmal mehr die Lebendigkeit des Zeitgeistes in jenen Mauern und Köpfen, die dem Heiligen vorbehalten sein sollten. Es ist bezeichnend, wie sehr ein diskutables betriebswirtschaftliches Denken über die Theologie triumphiert".
In der linkskatholischen Zeitschrift "Publik-Forum" (vom 14. Juli) befindet der frühere Mitarbeiter der "Evangelischen Kommentare" und des Deutschen Evangelischen Kirchentags und jetzige Chefredakteur von "Publik-Forum" Christoph Quarch: "Das Wohl und Wehe der Kirche wird sich daran entscheiden, ob ihr ein geistlicher Um- und Aufbruch gelingen wird. Genau an diesem Punkt aber lässt das EKD-Papier den Leser besorgt zurück. Denn was dort an Strategien angeboten wird, erscheint eher dem Repertoire der Consulter und Coaches zu entstammen ... Das alles mögen Tools sein, die im Business funktionieren - ob sie aber auch dort greifen, wo es ums Evangelium geht, darf bezweifelt werden."
Im Pfälzischen Pfarrerblatt (Ausgabe Juli/August, jetzt auch breit aufgenommen im Editorial von Heft 11/2006 des Deutschen Pfarrerblatts) geht Martin Schuck, Schriftleiter dieses Organs und zugleich Mitarbeiter des Konfessionskundlichen Instituts, mit dem Impulspapier hart ins Gericht: Der Rat "setzte bei der Berufung der Kommission ... gezielt auf wirtschaftlichen Sachverstand, und demzufolge ist 'Kirche der Freiheit' weniger theologischer als betriebswirtschaftlicher Rationalität verpflichtet ... Pfarrerinnen und Pfarrer werden [von den Gemeindegliedern und der Öffentlichkeit] angesehen als Vertreter einer Institution, die qua Auftrag für das Unverfügbare im Leben zuständig ist ... Müßte sich ... der Pfarrer einer systematischen Qualitätskontrolle unterziehen, wie sie vielen Gemeindegliedern aus ihrer beruflichen Tätigkeit ... bestens bekannt ist, wäre er bald genau dieser Aura des Zuständigen für das Unverfügbare im Leben beraubt. Das wäre dann der Abstieg des Theologen und Seelsorgers hin zum Ekklesio-Technokraten. Die Rede von 'Taufquote' ... sollte hier hellhörig machen."
Vor zwei Wochen erst, pünktlich zur Tagung der EKD-Synode, erschien in der Frankfurter Rundschau (vom 7. November) ein Verriß des Impulspapiers aus der Feder von Joachim Perels, Politologe an der Universität Hannover und Mitglied des Vorstands der Martin-Niemöller-Stiftung. Er setzt ein mit einem Appell an die Synode: "Die Synoden der evangelischen Kirche haben eine große Tradition ... Ein in diesem Jahr veröffentlichtes Impulspapier des Rates ... ist eine Herausforderung für eine Synode, die sich theologischer Erkenntnis verpflichtet weiß. Das Papier orientiert sich in starkem Maße an Kriterien, die Beraterfirmen an Industrieunternehmen oder staatliche Einrichtungen anlegen, um deren Effizienz zu steigern ... An der quantitativ messbaren Erhöhung der ... Kasualien bemisst sich der Wert kirchlicher Arbeit, deren theologisch zu begründender Inhalt [hingegen wird] ... nicht in den Blick genommen ... Von der weltkritischen Dimension des Christentums, die bei Jakobus in den Satz gefasst wird: 'Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein' (Jakobus 4,4), ist in dem Papier nichts zu spüren".
Ich kann die in diesen Reaktionen erhobenen Vorwürfe aus Zeitgründen nicht im Detail analysieren. Es ist auch nicht wirklich nötig. Denn die Vorwürfe sind durch folgende Denkmuster geprägt:
1) Falsche Alternativen: Es wird pauschal - und ohne das am Impulspapier oder an der kirchlichen Praxis zu prüfen - ein Gegensatz unterstellt zwischen der Betrachtung der Kirche als "creatura verbi" einerseits und als menschliches Handlungsfeld, auf dem aus Erfolgen und Mißerfolgen gelernt werden kann, andererseits, zwischen einem geistlichen Aufbruch und handwerklichen Methoden, zwischen der Anerkennung einer Dimension des Unverfügbaren und dem Bemühen um Qualitätskontrolle, zwischen theologischer Erkenntnis und Handlungsrationalität.
2) Hermeneutik des Verdachts: Aus der Zusammensetzung der Perspektivkommission wird der Schluß gezogen, dem Rat sei es mehr um betriebswirtschaftliche Rationalität als um Orientierung an theologischen Einsichten gegangen - als ob die Mitglieder der Kommission nicht in der Lage wären, ihre unterschiedliche Herkunft, Ausbildung und Tätigkeit als Reichtum der vielfältigen Gaben Gottes zu verstehen und zu nutzen.
3) Protestantische Wirtschaftsfremdheit: Aus den Evangelien kennen wir für die Zeit Jesu das Vorurteil: "Was kann aus Nazareth Gutes kommen?" (Johannes 1,46). Für einen Teil des Protestantismus vor allem des 20. Jahrhunderts ist das Vorurteil charakteristisch: Was kann aus dem wirtschaftlichen Denken Gutes kommen? Diese Fremdheits- und Distanzgefühle, die nicht zuletzt mit der Wirtschaftsdenkschrift der EKD von 1991 überwunden oder wenigstens zurückgedrängt erschienen, feiern in der Kritik am Impulspapier traurige Urständ.
Nach meiner Auffassung wird die wirtschaftliche Sprache im Impulspapier als ein "Sprachspiel" angesehen und genutzt. Vielleicht wird gelegentlich ein wenig zu viel "gespielt"; ich könnte auf die "Aufwärtsagenda" (S. 9) oder die "balanced scorecard" (S. 27) gut und gern verzichten. Der Gebrauch dieses besonderen "Sprachspiels" hat eine verfremdende Wirkung, ruft damit gesteigerte Aufmerksamkeit hervor und erlaubt einen frischen Blick auf vertraute Sachverhalte.
II. Welche Denkweise prägt das Impulspapier?
Die Sprache transportiert eine Denkweise. Kein "Sprachspiel" ist gewissermaßen unschuldig. Darum ist die kritische Frage im Prinzip nicht nur berechtigt, sondern notwendig: Von welcher Denkweise ist das Impulspapier, das sich in so auffallender Weise wirtschaftlicher Sprache bedient, grundlegend geprägt?
Folgt man dem Selbstverständnis des Impulspapiers, heißt die Antwort:
"Es gehört zum Selbstverständnis reformatorischer Kirchen, Kurskorrekturen durch theologische Reflexion und innerkirchlichen Diskurs zu steuern. Dabei ist es unerlässlich, sich über Wesen und Auftrag der Kirche zu verständigen. Was sind ihre zentralen Aufgaben und welche Ausrichtung ist ihr von der biblischen Botschaft her aufgegeben? Die folgenden vier biblisch geprägten Grundannahmen sind für [das Impulspapier] leitend:
a. Geistliche Profilierung statt undeutlicher Aktivität. Wo evangelisch draufsteht, muss Evangelium erfahrbar sein ...
b. Schwerpunktsetzung statt Vollständigkeit. Kirchliches Handeln muss nicht überall vorhanden sein, wohl aber überall sichtbar ...
c. Beweglichkeit in den Formen statt Klammern an Strukturen. Nicht überall muss um des gemeinsamen Zieles willen alles auf dieselbe Weise geschehen; vielmehr kann dasselbe Ziel auch auf verschiedene Weise erreicht werden ...
d. Außenorientierung statt Selbstgenügsamkeit. Auch der Fremde soll Gottes Güte erfahren können, auch der Ferne gehört zu Christus ...“ (S. 8, vgl. ausführlicher S. 44f).
Die Orientierung an diesen vier Grundannahmen jedenfalls gibt der Vermutung keine Nahrung, das Impulspapier sei „weniger theologischer als [vielmehr] betriebswirtschaftlicher Rationalität verpflichtet“. Nun könnte es allerdings immer noch sein, daß das Impulspapier in seiner Durchführung dem erklärten Anspruch, sich an den Grundannahmen zu orientieren, nicht genügt und de facto eben doch vom wirtschaftlichen Denken gesteuert und theologisch defizitär ist. Dieser Punkt bedarf der Prüfung - nicht zuletzt wegen des Umstandes, daß die biblische und theologische Reflexion im Impulspapier mehr vorausgesetzt und angedeutet als ausgeführt ist. Ich kann im Rahmen meines Referats die Prüfung nur exemplarisch vornehmen. Dazu werde ich einige der heftig angegriffenen, aus der wirtschaftliche Sprache übernommenen oder von ihr inspirierten Stichworte des Impulspapiers - Qualitätsmanagement, Marktverlust im Bereich des Kerngeschäfts, Ziele formulieren und Erfolge überprüfen, Taufquote - näher betrachten und fragen, ob ihr Verständnis und ihre Verwendung zu den vier Grundannahmen in Spannung stehen:
1) Wilfried Härle hat (in seinem Beitrag in der September-Ausgabe von „zeitzeichen“) beanstandet, daß das „aus evangelischer Sicht maßgebliche Verständnis der Kirche als Werk Gottes und Geschöpf des Evangeliums [im Impulspapier] keine grundlegende und orientierende Bedeutung gewonnen hat.“ Daß „wir arbeiten sollen, als ob alles Beten nichts nützte, davon ist in dem Text viel zu spüren. Dass wir beten sollen, als ob alles Arbeiten nichts nützte, das findet sich dagegen allenfalls in Spurenelementen.“ Diese Kritik ist nicht unbegründet. Sie will aber expressis verbis gerade nicht in Abrede stellen, daß auf die Qualität kirchlicher Arbeit geachtet werden muß, mit anderen Worten: daß es handwerkliche Anforderungen an Predigt und Gottesdienst, Kasualien und Seelsorge, Unterricht und diakonisches Handeln gibt. Den handwerklichen Anforderungen zu genügen gewährleistet noch nicht, daß das Wort Gottes in den Herzen einwurzelt. Aber Bemühungen um ein Qualitätsmanagement mit Verachtung zu strafen ist nicht Ausdruck von Vertrauen in das Wirken des Geistes, sondern von Nachlässigkeit.
2) Vor Jahrzehnten sprach man gern vom „Proprium“ des kirchlichen Handelns oder von den „eigentlichen“ Aufgaben der Kirche. Ich kann nichts Schädliches darin erkennen, dieser Terminologie den Ausdruck „Kerngeschäft“ an die Seite zu stellen. Mein Großvater sagte gern: Variatio delectat. Nicht ganz so harmlos ist die Kategorie des Marktverlusts. Der Sendung Jesu Christi zu folgen und das Wort von der Versöhnung auszurichten geht nicht darin auf, Anbieter auf dem Markt religiöser Suche oder religiöser Lebensbegleitung zu sein. Aber das behauptet ja auch niemand. Die Rede vom Marktverlust im Bereich des kirchlichen Kerngeschäfts will nur signalisieren, daß es kirchliche Handlungsfelder gibt, auf denen wir mit anderen Anbietern konkurrieren und ihnen gegenüber den Kürzeren ziehen. Das beste Beispiel ist die Bestattung. Es gab eine Zeit, in der die freien Bestattungsredner so dilettantisch auftraten, daß man schon sehr antiklerikal sein mußte, um sie einem Pfarrer vorzuziehen. Die Zeiten haben sich geändert. Der Anteil von Kirchenmitgliedern, die nicht kirchlich bestattet werden, wächst.
3) Der positive Effekt, der davon ausgeht, Ziele - auch quantifizierte Ziele - zu formulieren und den Erfolg der zielgerichteten Anstrengungen zu prüfen, wird im Impulspapier durch zwei Faktoren etwas verdunkelt: Es werden im Einzelfall - insbesondere was die Steigerung des Gottesdienstbesuchs auf 10% angeht - Ziele formuliert, die so unrealistisch sind, daß sie nicht motivieren, sondern frustrieren. Vor allem aber sind Ziele, die Durchschnittszahlen für die gesamte EKD angeben, virtuelle Größen und stimmen - beide als Beispiele genommen - praktisch weder für die Kirchenprovinz Sachsen noch für Bayern. Werden Ziele jedoch paßgenau für eine einzelne Gemeinde oder - meinetwegen - auch einen Kirchenkreis formuliert, können sie eine enorme Antriebskraft darstellen. Zu dem Instrument der Zielverabredungen gehört es dann notwendig hinzu, den Erfolg, also das in bestimmten Zeitabständen Erreichte, zu überprüfen.
4) Daß der Begriff „Taufquote“ zunächst ein Störgefühl auslöst, kann niemanden überraschen. Das geistliche Geschehen der Taufe scheint einer ganz anderen Welt anzugehören als die Quoten, von denen wir in den Medien erfahren: Investitionsquote, Arbeitslosenquote, Sparquote. Erstaunlich ist freilich, daß das Störgefühl bei vielen anhält. Denn eigentlich liegt auf der Hand, daß es wissenswert und handlungsorientierend ist, für die eigene Gemeinde oder Landeskirche - am besten im Vergleich mit anderen Gemeinden bzw. Landeskirchen - angeben zu können, wie sich, unterschieden nach der Kirchenzugehörigkeit der Eltern, beispielsweise Taufbereitschaft und Taufvollzug zueinander verhalten und welche Veränderungen in zwei Jahrzehnten festzustellen sind, mit anderen Worten: Es liegt auf der Hand, daß Taufquoten relevante Daten darstellen.
Auch wenn ich nur exemplarisch vorgehen konnte - so viel scheint mir deutlich: Die vier biblisch geprägten und das Impulspapier inhaltlich steuernden Grundannahmen werden durch die aus der wirtschaftlichen Sprache übernommenen oder von ihr inspirierten Ausdrücke weder konterkariert noch verbogen. Man mag an der einen oder anderen Stelle leichte Spannungen registrieren, aber man kann den Autoren keine Widersprüchlichkeit oder Inkonsistenz vorwerfen. Das geht auch noch aus einer anderen Beobachtung, sozusagen e negativo hervor. Unter den Importen aus der Wirtschaftssprache fehlt der in diesem thematischen Zusammenhang gelegentlich begegnende Begriff der Kundenorientierung. Unterstellt, daß dies ein bewußt oder intuitiv geübter Verzicht ist, zeigen sich darin bei den Autoren Urteilskraft und die Fähigkeit zu kritischer Unterscheidung (anders jüngst der Generalvikar des Erzbistums Köln, Dominik Schwaderlapp, der - vgl. Frankfurter Rundschau vom 24. November 2006 S. 23 - die Gläubigen als "Kunden" bezeichnet). Nichts gegen die Förderung von Servicementalität. Aber das Verständnis der christlichen Gemeinde als Kunden, selbst schon der Vergleich mit ihnen droht zum slippery slope, zur schiefen Ebene zu werden. Es ist dann nicht mehr weit zu der Vorstellung, auch in der christlichen Gemeinde sei der Kunde König und bestimme über den Umfang und die Schwerpunkte des Angebots.
III. Der Gebrauch neuer Sprachformen für theologische Inhalte als kreativer und kritischer Prozeß
Daß das Impulspapier zur Beschreibung kirchlicher Aufgaben und Handlungsfelder Anleihen bei der wirtschaftlichen Sprache macht, wirkt, wie wir gesehen haben, auf viele befremdlich und irritierend. Dabei ist es in Kirche, Gottesdienst und Theologie seit ihren Anfängen überhaupt nicht ungewöhnlich, vertraute theologische Inhalte in neuen Sprachformen auszudrücken. Die Entdeckung anderer sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten (oder die Suche nach ihnen) ist stets ein kreativer und kritischer Prozeß: kreativ, weil er die Chance bietet, neue Facetten der Sache selbst zu entdecken, kritisch, weil sorgfältig geprüft werden muß, ob die Veränderung der sprachlichen Gestalt unter der Hand auch den Inhalt verändert.
1) Dieser kreative und kritische Prozeß findet schon innerhalb der biblischen Überlieferung, nämlich in der Formation der biblischen Texte statt. Ich erinnere nur an die vier Evangelien in ihren Übereinstimmungen und Unterschieden; dabei gehören die ersten drei, das Matthäus-, Markus- und Lukasevangelium, die man wegen ihrer Parallelen und Abhängigkeiten die "synoptischen" nennt, enger zusammen, während sich das Johannesevangelium in der Sprache deutlich von ihnen abhebt. Auch jede Übersetzung der Bibel stellt einen solchen kreativen und kritischen Prozeß dar. Von der Frühgeschichte der christlichen Kirche bis hin zur Missionsgeschichte der Neuzeit führte die Entstehung von Gemeinden in einem neuen Kultur- und Sprachraum binnen kurzem dazu, daß eine weitere Übersetzung der biblischen Texte entstand. Luther wünschte, daß „jede einzelne Stadt ihren eigenen Übersetzer oder Dolmetscher hätte, damit dies Buch ... in jedermanns Sprache, Hand, Augen, Ohren und Herzen wäre“ (zitiert nach: Ingolf U. Dalferth, Der Ewige und die Ewige. Rezension der „Bibel in gerechter Sprache“, NZZ vom 18. November 2006).
Beides - das Bewußtsein davon, daß die biblischen Texte einem jahrhundertelangen Werdegang zu verdanken sind, ebenso wie das Drängen darauf, sie in Übersetzung zugänglich zu machen - markiert einen deutlichen Unterschied zu den Verhältnissen im Islam. Der Koran gilt im Islam - von wenigen, zaghaften Stimmen abgesehen - als eine in sich geschlossene, einheitliche Schrift; die Entdeckung seines historischen Charakters und die damit verbundene Öffnung für einen historisch-kritischen Umgang mit ihm stehen noch aus. Die Verehrung des Koran als heiliger Schrift bezieht sich allein auf seine ursprüngliche - oder besser: seine früheste zugängliche - Gestalt, die in einem so heute nicht mehr gesprochenen Arabisch abgefaßt ist. In allen Ländern, in denen Muslime leben, unabhängig davon, welche Sprache sie sprechen, ist dieselbe Fassung des Koran im Gebrauch. So sehr dieser Umstand der Zusammengehörigkeit der muslimischen Gläubigen einen sinnenfälligen Ausdruck verleiht - die Beschränkung auf die eine, sakrosankte Sprachgestalt und die Relativierung der als bloße Übertragung geltenden Versionen in den zeitgenössischen Sprachen bringen es mit sich, daß der Koran als gegenständliche, verfügbare Wahrheit erscheint. Die Spannung zwischen verschiedenen Sprachgestalten der heiligen Schrift, der Streit um die rechte Interpretation und die Suche nach neuen Sprach- und Ausdrucksformen sind nicht konstitutiv für den Islam, und das macht ihn anfällig für fundamentalistische Auffassungen.
Die Differenz, die sich in dieser Hinsicht zwischen Christentum und Islam auftut, ist vor einigen Tagen von dem Religionswissenschaftler Karl-Heinz Ohlig (in einem Artikel in der FAZ vom 21. November 2006, dort S. 41) auf den Punkt gebracht worden:
"Wie eine Revolution wirkte es im Christentum, als man begann, sich seiner Überlieferung ... mit der historisch-kritischen Methode zu nähern. Vieles von dem, was man bisher als vom Himmel gefallen erachtete, wurde nun in seinem historischen Gewordensein sichtbar. Damit öffneten sich hermeneutische Spielräume, eine wortwörtliche Lesart der heiligen Texte schien endgültig obsolet. Das Absolute wird damit nicht negiert, es wird in seinen stets nur relativen Aussagebedingungen begriffen. Mit anderen Worten: Man hat im Zuge der Aufklärung gelernt, die Religion mit (hermeneutischer) Vorsicht zu genießen."
An drei Beispielen will ich den gerade für die evangelische Welt bezeichnenden Prozeß veranschaulichen, kreativ nach neuen, angemesseneren Sprachformen für die Inhalte von Glaube und Theologie zu suchen: an neuen Bibelübersetzungen, am gottesdienstlichen Gebet und am Streit um die Hellenisierung bzw. Enthellenisierung des christlichen Glaubens.
2) 2005 und 2006 haben zwei neue Bibelübersetzungsprojekte Schlagzeilen gemacht: die Volxbibel [„Volx“ geschrieben mit x] und die „Bibel in gerechter Sprache“.
a) Die Volxbibel beschränkt sich auf das Neue Testament und sieht sich selbst als „Sprachexperiment“. Sie sei „die erste deutsche Bibel, die versucht, zu zeigen, wie Jesus möglicherweise heute geredet hätte“. Sie beruft sich dabei auf Luthers Motto, „dem Volk aufs Maul zu schauen". Genauso sei es das Ziel der Volxbibel, „eine möglichst normale Sprache zu sprechen, mit Ausdrücken, wie man sie im Jugendzentrum oder auf dem Schulhof hört. Begriffe, die erst mal nur jemand versteht, der christlich aufgewachsen ist, sollten, so weit es ging, vermieden werden.“
Was kommt bei diesem Ansatz heraus? Offen gesagt: kaum etwas Anregendes und schon gar nichts von Bedeutung. Der verwendete Slang wirkt künstlich und ist als Dauerton unerträglich. Dem „Volk aufs Maul schauen“ meint ja auch nicht, den biblischen Text sprachlich auf das Niveau des Schulhofslang zu bringen. Der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Klaus Reichert, hat dieser Tage (vgl. FAZ vom 18. November 2006) gesagt: Modernismen dürfe man bei der Übersetzung der Bibel nicht verwenden. "Dort muß es eine andere Sprache geben als die des Alltags." Es wäre ein Leichtes, Textbeispiele zu zitieren, die die Volxbibel gnadenlos lächerlich machen. Aber wir sollen ja, wie Luther das 8. Gebot ausgelegt hat, unseren Nächsten „entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren“. Darum als Beispiel ein paar Zeilen aus der Bergpredigt Jesu (Matthäus 7,21-23):
„Die, die mich immer volllabern mit ‚O Herr, allmächtiger Jesus’, werden nicht in das Land kommen, wo Gott das Sagen hat ... Am letzten Tag auf dieser Welt, da wird abgerechnet. Dann werden viele große Sprüche machen und sagen: ‚Mann, Gott, wir haben doch immer weitererzählt, was du unserer Meinung nach zu uns gesagt hast ... Ich werde dann nur kontern: ‚Habt ihr auf euren Ohren gesessen? Ihr habt doch die ganze Zeit nur euer eigenes Ding durchgezogen! Haut bloß ab!’“
b) Von einem anderen Kaliber ist die „Bibel in gerechter Sprache“. Ihr Kernproblem ist die ideologische Brille, die sich hinter dem Stichwort „gerechte Sprache“ verbirgt. Vor ein paar Tagen hat der Zürcher evangelische Theologe Ingolf Dalferth in einer Rezension (in der NZZ vom 18. November) den kritischen Punkt genauestens markiert: Die Bibel kann „Regel und Richtschnur des Glaubens nur sein, wenn die biblischen Texte nach allen Regeln philologischer Kunst davor bewahrt werden, sich in die Sichtweisen ihrer Leser hinein aufzulösen. Sich den Sinn der Texte nach eigenem Gusto zurechtzulegen, war für Luther das Kennzeichen von Schwärmerei ... Der Eigensinn der Bibeltexte war deshalb gegen ihre kirchlichen und antikirchlichen Aus- und Zurechtleger stark zu machen. Nur wer die Texte gegen die eigenen und fremden Vorurteile zum Zug kommen lässt, ist ihrem Sinn auf der Spur ... Ganz anders diese Neuübersetzung, die nicht richtig, sondern ‚gerecht’ zu übersetzen beansprucht. Sie traut den Lesern gar nichts zu, sondern schreibt ihnen unablässig vor, wie sie verstehen sollen, was sie lesen.“
3) Als ein weiteres Beispiel für Prozesse, in denen vertraute theologische Inhalte eine andere Sprachform erhalten, soll die Entstehung neuer Fassungen des gottesdienstlichen Sündenbekenntnisses in den Blick genommen werden. Der evangelische Gottesdienst ist nicht festgelegt auf ein und dieselbe, gewissermaßen klassische Gestalt des Gebets. Neben sie treten bewährte neuere oder experimentelle Gestalten. So ist es auch beim Sündenbekenntnis.
An seine klassische Gestalt lehnt sich die Fassung an, die ich in meiner hannoverschen Gemeinde verwende. Sie werden unschwer die traditionellen Formulierungen von den neuen Akzenten unterscheiden können:
„Heiliger, barmherziger Gott, der du nahe bist allen, die dich anrufen,
wir beugen uns vor dir und bekennen,
daß wir von deinen Geboten gewichen und ungehorsam gewesen sind.
Wir sind deiner Liebe und Treue nicht wert.
Wir haben oft auf dein Wort nicht geachtet und uns nicht leiten lassen von deinem Geist.
Wir haben vieles getan, was wir hätten lassen sollen,
und vieles unterlassen, was wir hätten tun sollen -
aus Unglauben und Mißtrauen gegen dich
und aus Mangel an Liebe gegen unsere Nächsten und uns selbst.
Das ist uns von Herzen leid.
Darum nehmen wir Zuflucht zu deiner großen Barmherzigkeit
und bitten dich, daß du uns Sündern gnädig seist:
Der allmächtige Gott erbarme sich unser,
er vergebe uns unsre Sünde und führe uns zum ewigen Leben.“
Einen ganz anderen Ton - ohne jedoch in der Sache abzuweichen - schlägt ein Text aus der „Reformierten Liturgie“ (S. 61f) an:
„Gnädiger, geduldiger Gott,
offen von unserer Sünde zu reden gelingt uns selten.
Schuld einzugestehen fällt uns schwer,
und die Bitte um Vergebung will kaum über die Lippen.
Lieber reden wir uns heraus,
sagen: So schlimm war es doch nicht
oder: Andere sind noch schlechter als ich.
Du hast es schwer mit uns, Gott. Wir machen dir viel Mühe.
Du hast mit dem Leben deines Sohnes bezahlt, um uns zu gewinnen.
Lass uns im Licht deiner Güte anfangen, ehrlich mit uns zu sein.
Und wenn wir vor den Abgründen in uns erschrecken,
dann lass dein Gnadenwort stärker sein als die anklagende Stimme unseres Gewissens.
Gott, hilf uns, deiner Vergebung zu trauen und einen neuen Anfang zu machen.“
Zunächst kaum als Sündenbekenntnis wiederzuerkennen, aber gerade deshalb vielleicht einen neuen Zugang bahnend ein Text von Lothar Zenetti:
„Ich weiß nicht, was ich beichten soll
Ich habe mir nichts vorzuwerfen
Ich halte mich immer an meine Grundsätze
Ich belüge niemand und betrüge niemand
Ich bin höchstens mal ungeduldig
Ich hätte vielleicht manchmal mehr Verständnis für meine Frau haben können
Ich habe mich nicht immer viel um sie gekümmert
Ich habe mich recht wenig um sie gekümmert
Ich habe nur an mich gedacht
Ich kenne eigentlich nur mich
Ich erkenne das
Ich bekenne“
4) Die unterschiedliche Gestalten des Sündenbekenntnisses lenken unseren Blick auf einen kleinen, sehr speziellen Ausschnitt der Sprachwerdung von Glauben und Frömmigkeit. Das letzte Beispiel ist von ganz anderer Art und betrifft ein großdimensioniertes Thema der christlichen Dogmen- und Theologiegeschichte. Es geht - knapp und schlicht gesagt - um die Frage: Bedeutet der Übergang des biblischen Gottesglaubens in den Raum der griechischen Sprache und die geistige Welt der griechischen Philosophie, der in den biblischen Texten Alten und Neuen Testaments bereits beginnt, seine sachgerechte Entfaltung, oder führt er zu seiner Entstellung? In seiner Regensburger Vorlesung (vom 12. September, veröffentlicht u.a. in der FAZ vom 13. September) hat Papst Benedikt XVI. kraftvoll die erstgenannte These vertreten:
Das „Zugehen aufeinander, das sich zwischen biblischem Glauben und griechischen philosophischen Fragen vollzogen hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern weltgeschichtlich entscheidender Vorgang, der uns auch heute in die Pflicht nimmt ... Diese Begegnung, zu der dann noch das Erbe Roms hinzutritt, hat Europa geschaffen und bleibt die Grundlage dessen, was man mit Recht Europa nennen kann. Der These, daß das kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich zum christlichen Glauben gehört, steht die Forderung nach der Enthellenisierung des Christentums entgegen, die seit dem Beginn der Neuzeit wachsend das theologische Ringen beherrscht" und "vom Christentum nur ein armseliges Fragmentstück" übrigläßt.
Der Papst unterscheidet „drei Wellen des Enthellenisierungsprogramms“, deren zweite er mit der liberalen Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts identifiziert und für die ihm „Adolf von Harnack als herausragender Repräsentant steht“. In der Tat propagierte von Harnack „ein gänzlich undogmatisches Christentum“, dessen Zentrum ’das Evangelium’, nämlich „die Verkündigung Jesu als das geschichtlich Ursprüngliche und damit inhaltlich Authentische“ bildete (so Wolf-Dieter Hauschild in: Profile des Luthertums. Biographien zum 20. Jahrhundert, 1998, S. 275-300, dort: 287f). Er sah in der „Fixierung“ des Christentums in der Kirche und ihren Dogmen eine „Verfremdung des Evangeliums“ (Hauschild, aaO S. 288). Adolf von Harnack im Originalton: „Das Lebensbild und die Reden Jesu zeigen kein Verhältnis zum Griechentum.“ Oder: „Das Einströmen des Griechentums, des griechischen Geistes und die Verbindung des Evangeliums mit ihm ist die größte Thatsache in der Kirchengeschichte des zweiten Jahrhunderts, und sie setzte sich, grundlegend vollzogen, in den folgenden Jahrhunderten fort“ (Das Wesen des Christentums, Leipzig 1915, S.22.125). So sehr sich von Harnack, um das Wesen des Christentums zu bestimmen, an der Verkündigung Jesu - bzw. was er dafür hielt - orientierte und so sehr er die Entwicklung der paulinischen Theologie und der kirchlichen Glaubenslehre als „Verfremdung des Evangeliums“ qualifizierte - dies bedeutete ihm „nicht einfach eine Degeneration des Christentums“: Die „authentische Wahrheit, das Evangelium Jesu, benötigte diesen Vermittlungsweg neuer Formen, um sich durchzusetzen und in der Menschheitsgeschichte verwirklichen zu können; das war allerdings zugleich eine ‚Beschränkung und Belastung’“ (Hauschild, aaO S. 289f).
So verlockend es ist - ich kann dem Streit um Hellenisierung bzw. Enthellenisierung des Christentums hier nicht weiter nachgehen (vgl. aber den bei der XIV. Konsultation zwischen Kirchenleitung und wissenschaftlicher Theologie am 20. September 2006 in Bad Herrenalb gehaltenen und demnächst in den EKD-Texten zur Veröffentlichung kommenden Vortrag von Volker Gerhardt: "Glauben unter den Bedingungen des Wissens", dort Abschnitt 3: "In die Moderne verstrickt"). Bis auf einen Punkt: Die Position des Papstes impliziert, daß - so seine Worte - „das kritisch gereinigte griechische Erbe wesentlich [Hervorhebung durch H.B.] zum christlichen Glauben gehört“ und eine "ihm gemäße Entfaltung" darstellt. Das zieht der Inkulturation des christlichen Glaubens enge, zu enge Grenzen. Da halte ich es lieber mit Adolf von Harnack: „Das Evangelium ist nicht als statuarische Religion in die Welt getreten, und es kann daher auch in keiner Form seiner intellektuellen und gesellschaftlichen Ausprägung, auch nicht in der ersten, seine klassische und bleibende Erscheinung haben“ (Das Wesen des Christentums, S. 119). Mit anderen Worten: Es kann nicht um Hellenisierung oder Enthellenisierung gehen. Das Evangelium und der christliche Glaube können auch ohne die Ehe mit dem griechischen Erbe eine ihnen gemäße Entfaltung finden. Die Suche nach neuen Ausdrucksformen darf den Kreis ruhig weiter ziehen.
Ich habe Ihnen, verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer, einen weiten Weg zugemutet: von dem Detail der wirtschaftlichen Sprache im Impulspapier des Rates bis hin zu den grundsätzlichen Fragen nach dem Verhältnis zwischen dem Evangelium oder dem christlichen Glauben und seinen unterschiedlichen Sprachgestalten. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld und Aufmerksamkeit und bin gespannt auf das Gespräch.