Grußwort zum Auftakt der Konzert-Stafette „366 plus 1, Kirche klingt 2012“
Landesbischof a. D. Pfarrer Dr. Johannes Friedrich, Mitglied des Rates der EKD. Augsburg, St. Anna
Liebe Gemeinde,
jetzt ist es noch keine drei Monate her, dass ich meinte, wohl zum letzten Mal hier in St. Anna stehen zu dürfen, bei meinem vorletzten Gottesdienst als LB – bei der Wiedereinweihung dieser wunderbaren Kirche. Und nun stehe ich schon wieder hier, diesmal allerdings in meiner Eigenschaft als bayerisches Mitglied des Rates der EKD. Ich habe gerne zugesagt – kann man denn das Jahr schöner beginnen als in dieser herrlichen Kirche?
Und dieses neue Jahr beginnt ja ganz besonders beschwingt, liebe Musikerinnen und Musiker, liebe Sänger und Sängerinnen, liebe Festgemeinde, hörbar stimmvoll, fröhlich und zuversichtlich mit der Kantate „Nun danket alle Gott“.
Dieser Festgottesdienst läutet das neue Jahr ein und ist gleichermaßen Auftakt für die Konzert-Stafette „366 plus 1, Kirche klingt 2012“. Ab heute zieht sich im gesamten Jahr 2012 ein musikalisches Band durch ganz Deutschland, und da wir uns in einem Schaltjahr befinden, reihen sich Tag für Tag insgesamt 366 Konzerte aneinander. Nachdem es heute und in den nächsten zwei Wochen hier in Bayern anfängt, knüpft sich das Band weiter in Baden-Württemberg, kommt dann über den Westen und die Mitte Deutschlands im Sommer an die Nord- und Ostsee, um über Berlin und Brandenburg im Herbst weiter zu den Stätten der Reformation in Thüringen und Sachsen-Anhalt zu ziehen. Den Abschluss bilden im Dezember die Konzerte in Sachsen, und so endet das Band, das in Augsburg mit „A“ beginnt, in Zittau mit „Z“. So werden zum ersten Mal Kirchengemeinden aller Landeskirchen miteinander verbunden und ergeben ein klingendes und singendes Miteinander.
Der interessante Name „366 plus 1“ zeigt das besondere Konzert „+1“ in der Osternacht an, mit dem aus der Mitte Deutschlands – genauer gesagt aus der Fraumünsterkirche in Fritzlar – die frohmachende österliche Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi erschallen wird. Mit diesen 367 Konzerten befinden wir uns im diesjährigen Themenjahr „Reformation und Musik“ auf dem Weg zum Reformationsjubiläum 2017, in dem wir 500 Jahre Reformation feiern werden. Im vergangenen Jahr, durfte ich ebenfalls in Augsburg für Bayern das Themenjahr „Reformation und Freiheit“ eröffnen. So wollen wir jedem Jahr bis 2017 jeweils ein Jahr lang einen prägnanten Impuls der Reformation aufnehmen.
Die zahlreichen Lieder aus der Reformationszeit werden mit „366 plus 1, Kirche klingt 2012“ aufgenommen und gleichzeitig neu interpretiert, wenn sie überall im Land gesungen, gespielt und gehört werden. Wenn Sie durch das Evangelische Gesangbuch blättern, werden Sie vermutlich staunen, wie viele Liedtexte Martin Luther geschrieben hat und wie viele Lieder in den Anfängen der evangelischen Kirchen entstanden sind. Viele dieser Lieder, wie „Geh aus mein Herz und suche Freud“, „Gott ist gegenwärtig“, „Ein feste Burg ist unser Gott“ oder „Wie soll ich dich empfangen“ sind vielen bekannt und geben auch heute Kraft und Mut für die alltäglichen Anforderungen.
Mit den 367 Konzerten ziehen 77 Leit-Lieder durch die Bundesrepublik. Lieder aus der Reformationszeit sowie Texte, Melodien und Sätzen der letzten Jahrzehnte bis zum Jahr 2011, die reformatorische Grundüberzeugungen aktuell zum Ausdruck bringen. Mit diesen Liedern, die Leitmotiv für ganze Wochen und für die Feiertage sind, erklingt das musikalische Erbe der Reformation im Jahr 2012 in Kinderchören, Kirchenchören sowie aus dem Mund von professionellen Sängerinnen und Sängern. Daneben treten verschiedenste Ensembles auf und neue Instrumentalsätze werden zu hören sein – gespielt auf Orgeln, Klavieren, Geigen, Posaunen, Flöten, Gitarren und vielem anderen mehr.
Als Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland freue ich mich sehr über dieses Projekt, vor allem weil es Menschen verbindet und so den reichen musikalischen Schatz des Protestantismus in seiner Vielfalt sichtbar werden lässt. Diese Schätze der Kirche liegen nicht auf einem Bankkonto, sondern bei den Begabungen der Menschen in den Chören, Ensembles und auf der Orgelbank. So kommen unterschiedliche Stile zusammen, kleine Dorfkirchen beteiligen sich neben großen Stadtkirchen und über die landeskirchlichen Grenzen hinaus arbeiten Kirchenmusikdirektoren, Kantorinnen und Kantoren zusammen. „366 plus 1, Kirche klingt 2012“ geht mit einem Konzert im französischen Straßburg sogar über die Landesgrenze hinaus.
Damit, liebe Festgemeinde, wird gleichermaßen hörbar, dass Kirchen Kulturträgerinnen sind und dass in ihnen – angefangen vom Kinderchor bis zum Singen im Seniorenkreis – in einer großen Vielfalt kulturelle Bildung zu Hause ist. Neben allen Gottesdiensten und Gemeindegruppen in denen das Singen ganz selbstverständlich zum Glauben und zum Zweifeln gehört, wird mit dieser besonderen Konzertreihe, die heute hier ihren Anfang nimmt, die wohltuende Wirkung des Singens und Hörens für Leib und Seele hervorgehoben.
Denn die Musik besitzt die eigentümliche Kraft, das Innerste anzurühren. Sie spendet Trost, entlastet, lässt fröhlich werden und zuversichtlich. Die Musik geht in jene hinein, die singen und musizieren und geht auf all jene über, die sie hören.
So hat damals das Lied „Nun danket alle Gott“, das Martin Rinckart, inspiriert durch ein Bibelwort, dichtete, Halt gegeben mitten in den politischen und wirtschaftlichen Wirren des 30-jährigen Krieges. In einer Zeit voll von Verlust, Hunger, Krankheit spürte der Kantor, Pfarrer und Seelsorger Rinckart die wohltuende und tröstende Wirkung von Liedern und dichtete so, damit gesungen werden konnte.
Der zweite Grund für sein Dichten war die 100 Jahr-Feier der Confessio Augustana, die ihren Namen ja dieser Stadt verdankt, weil das Augsburger Bekenntnis unweit dieser Kirche von Philipp Melanchthon, 1530 Kaiser Karl V. überreicht wurde.
In und mit der Musik verbreitete sich damals das reformatorische Bekenntnis. Und ab heute knüpft die Konzert-Stafette „366 plus 1, Kirche klingt 2012“ an diese Idee an und bringt mit Instrumentenspiel und Gesang reformatorische Motive zum klingen. So möge Gott durch die Musik Leib, Seele und Geist lebendig erhalten und ein fröhliches Herz geben.