Ansprache beim Festakt "Macht des Glaubens – 450 Jahre Heidelberger Katechismus" in der Heiliggeistkirche zu Heidelberg

Nikolaus Schneider

Anrede

"Macht des Glaubens" - ein spannungsvoller Titel steht über der Ausstellung zum 450. Jubiläum des Heidelberger Katechismus und über diesem Festakt!

Glaube und Macht - das ist erst einmal ein historisches Thema, dem wir uns im Vorfeld des Reformationsjubiläums 2017 durchaus kritisch zuwenden: Von der nicht immer heiligen und spannungsvollen Allianz von "Glaube und Macht", von Religion und Politik soll die Rede sein, hier am Beispiel der Kurpfalz.

Dann aber auch: Welche besondere "Macht", welche Wirkungen entwickelt dieses kleine Büchlein aus Heidelberg in den Jahrhunderten danach auf seiner Reise um die Welt! Auch die Wirkungsgeschichte des "Heidelberger" erzählt von den Spannungen zwischen Glaube und Macht und von der Macht des Geistes.

Und schließlich zugespitzt - was heißt eigentlich: "Macht des Glaubens" für unsere Zeit? Wie gehen wir heute mit der Spannung zwischen Macht und Glaube um? Wie können wir heute in so wirkmächtiger Weise vom "Glauben" sprechen, wie die reformatorischen Bekenntnisse das getan haben?

Zum Ersten:
Der Heidelberger Katechismus ist - inmitten der Konflikte um Macht und Glauben im 16. Jahrhundert - ein Bekenntnis zum Frieden zwischen den evangelischen Konfessionen.

Wer sich auf die Spuren der Entstehung des Heidelberger Katechismus begibt, dem wird schnell klar, wie eng im Jahrhundert der Reformation theologische Auseinandersetzungen um den Glauben mit Konflikten um politische Macht verbunden waren.

Der weltliche Landesherr hatte Macht auch über die Konfession seiner Untertanen: "cuius regio - eius religio" - so hatte es der Augsburger Reichstag 1555 bestätigt. Dieses Prinzip zeitigte gerade für Heidelberg und die Kurpfalz turbulente Folgen: Kurfürst Ottheinrich verstand sich als Lutheraner. Darum war die kurpfälzische Reformation zunächst lutherisch geprägt. Sein Nachfolger, Friedrich III., neigte der reformierten Spielart der Reformation zu und berief die entsprechenden Theologen an die Universität. Dessen Sohn Ludwig VI. wiederum war Anhänger der lutherischen Lehre und wies die reformierten Theologen wieder aus dem Land. Und nach dessen Tod sorgte Johann Casimir für die Wiederherstellung der Predigerausbildung im calvinischen Geist - und dies alles in einem Zeitraum von drei Jahrzehnten.

Aus dieser Reihe kurpfälzischer Fürsten steht heute der Initiator des Heidelberger Katechismus im Blickpunkt: Friedrich III., der den Beinamen "der Fromme" erhielt (und der hier in der Heiliggeistkirche seine letzte Ruhe fand). Als sich die Theologen seines Landes in der Frage nach dem rechten Verständnis des Abendmahls immer weiter zerstritten, berief der Kurfürst eine Reihe von Theologen neu an die Heidelberger Universität, die er in besonderer Weise für geeignet hielt, die zerstrittenen Parteien zusammenzuführen - herausragend unter ihnen der Melanchthonschüler Zacharias Ursinus. Er bekam den Auftrag, einen Katechismus für die Kurpfalz zu verfassen. Dem Fürsten war dieses Anliegen so wichtig, dass er selbst alles höchstpersönlich überprüfte und selbst einzelne Formulierungen beitrug.

Für dieses nach seiner eigenen Glaubensüberzeugung gestaltete Bekenntnis setzte der Kurfürst sogar seine machtpolitische Stellung im Reich aufs Spiel. Durch die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens waren allein jene Reichstände und Territorien geschützt, die sich das Augsburger - also "lutherische" - Bekenntnis zu Eigen gemacht hatten. Nun aber wurde der Kurpfälzer Regent angezeigt, diesen Konsens verlassen zu haben und einer "Sekte" anzuhängen. So wurde Friedrich im Jahr 1566 vor Kaiser und Reich zitiert. Hier legte er ein Bekenntnis ab, das heute noch beeindruckt: Er habe niemals die Bücher Zwinglis oder Calvins studiert, sondern allein die Heilige Schrift.

Bei seiner Verteidigung extemporierte er seine wesentlichen Glaubenslehren. Und damit gelang es ihm, die Herzen seiner Mitregenten und Kontrahenten zu erreichen und sie zur Duldung seiner reformierten Konfession zu bewegen.

"Glaube und Macht": Mit der Gestaltung der religiösen Belange in einem Territorium sind in der Reformationszeit machtpolitische Fragen unmittelbar verknüpft.

Der mächtige Kurfürst Friedrich III. nahm seinen Glauben ernst und zeigte: Ich regiere nicht aus eigenem Mutwillen, sondern in der existenziellen Bindung meines Gewissens an den einen Herrn, Jesus Christus, dem ich "mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben" gehöre, wie es Frage 1 des Katechismus formuliert. Am Ende seines persönlichen Gebetbuches trug Friedrich III. den Satz ein: "Du bist mein Herr und ich dein Knecht." Der Kurfürst band seine politische Macht an seinen persönlichen Glauben.

Die Spannung von Glaube und Macht wird hier nicht institutionell aufgelöst, sondern durch das Gewissen eines Herrschers fruchtbar gemacht: aus ihr erwuchs der Heidelberger Katechismus. Er ist in seinem theologischen Gehalt und in seiner religionspolitischen Absicht bis heute ein denkwürdiger Brückenschlag zwischen der Wittenberger und der Schweizer Reformation, zwischen Lutheranern und Calvinisten.

Zum Zweiten:
Der Glaube und die Macht des Geistes - wie der "Heidelberger Katechismus" dazu beiträgt, im Glauben auskunftsfähig zu werden.

Die Reformation war eine Bildungsbewegung. So trug auch der "Heidelberger" über die Jahrhunderte hinweg dazu bei, Konfession zu "bilden" im doppelten Sinne: Als ein Bekenntnis gab er dem christlichen Glauben eine ökumenisch erkennbare Gestalt, er "bildete" Konfession. Und andererseits verknüpfte er die Entfaltung des Glaubens mit dem schulischen Unterricht, also mit dem Anliegen von "Bildung" im umfassenden Sinn.

Als Bildungsbewegung profitierte die Reformation von der Geisteshaltung des Humanismus, der Anfang des 16. Jahrhunderts die Universitäten in ganz Europa erfasste. Im Sinne dieser Geisteshaltung wollte der Heidelberger Katechismus den christlichen Glauben nach-denkend entfalten: Der Heidelberger Katechismus vertrat einen Glauben, der das Verstehen sucht. Er wollte im Kontext der Universität ebenso bestehen wie in der persönlichen Seelsorge. Nach Frage 21 versteht er unter dem "wahren Glauben" beides: eine "zuverlässige Erkenntnis" und ein "herzliches Vertrauen".

Der Heidelberger Katechismus verordnete keine Dogmatik, sondern er argumentierte und versuchte, zu überzeugen. Damit gab er ein Beispiel für den evangelischen Grundsatz "sine vi, sed verbo": Ohne Zwang und Gewalt, allein mit dem Wort und mit dem guten Argument soll der Glaube vermittelt werden.

Aber das Handeln hinkt leider hinter der Erkenntnis her - das ist nicht nur im persönlichen Leben so, sondern auch in der Geschichte. Ausgerechnet hier, auf dem Heidelberger Marktplatz, wurde noch im Jahr 1570, sieben Jahre nach dem "Heidelberger", ein antitrinitarisch gesonnener Theologe hingerichtet. Trotz besserer Einsichten wurde die Spannung zwischen Glaube und Macht in gewaltsamer Weise aufgelöst. Der Glaube benutzte die Macht des Schwertes, um einen vermeintlich falschen Glauben durch die Hinrichtung eines Menschen auszulöschen. Die späteren Glaubenskriege folgten dieser Geisteshaltung.

In der Zuordnung von Macht und Glaube haben wir eine lange und schmerzhafte Lerngeschichte hinter uns. Sie führte zu der Erkenntnis, dass nur die Macht des Geistes und nicht die Macht des Schwertes den Streit um die theologische Wahrheit prägen darf. Daran erinnern wir auch in diesem Themenjahr der Lutherdekade, das den Titel "Reformation und Toleranz" trägt.

Zum Dritten:
"Die Macht des Glaubens" - der Heidelberger Katechismus ist ein auch heute bewegendes Zeugnis des Vertrauens auf Jesus Christus.

Das Zusammenspiel von Frage und Antwort ist die Urbewegung der Bildung; das weiß die Menschheit nicht erst seit Sokrates und seiner pädagogischen Hebammenkunst. Auch der "Heidelberger" lässt fragen "Was musst du wissen, damit du in diesem Trost selig leben und sterben kannst?" (Frage 2) und er gibt Antworten, die theologisch und persönlich tragfähig sein wollen.

Heute, angesichts einer religiösen "Amnesie" nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern teilweise auch in unserer Kirche, wird deutlich, wie wichtig dieser Grundsatz der Reformatoren ist: Jeder Christenmensch soll sich ein Grundwissen über den Glauben aneignen. Dazu gehören das Glaubensbekenntnis, die Einsetzungsworte von Taufe und Abendmahl, die Zehn Gebote und das Vaterunser. Er soll aber nicht nur Worte auswendig kennen, sondern auch ihren wesentlichen Sinn erklären können. Dazu wollen die Katechismen helfen.

Die 129 Fragen und Antworten des "Heidelberger" regen auch heute noch dazu an, eigene Fragen zum Glauben zu stellen - und eigene Antworten auf diese Fragen zu finden: im Gespräch mit der Botschaft der Bibel und mit den christlichen Bekenntnissen. So gewinnt die religiöse Mündigkeit eines Christenmenschen Gestalt. Die Aneignung tradierter Texte soll Menschen helfen, die großen Fragen des Glaubens als Fragen des eigenen Lebens zu erkennen. "Warum hat Christus den Tod erleiden müssen? Starb Christus auch für mich?"oder: "Was nützt uns die Auferstehung Christi? Ist auch für mich der Tod nicht das absolute Ende?"

Das sind die Herausforderungen für die Kirchen Westeuropas in der Gegenwart. Es geht um eine glaubwürdige und verständliche Antwort auf die Frage: "Wer ist Jesus Christus für uns heute?" So hat Dietrich Bonhoeffer einmal die entscheidende Frage formuliert.

Der Heidelberger Katechismus hat diese Frage auf seine Weise gestellt und beantwortet. Die berühmte Frage 1 lautet: "Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?" Und seine Antwort hat über die Jahrhunderte hinweg viele Menschen ein Leben lang begleitet: "Dass ich mit Leib und Seele, beides im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin." Hier wird die "Macht des Glaubens" zu einer persönlichen Erfahrung. Sie wird eine befreiende Macht im Leben und sie ist eine tröstende Macht auch im Sterben eines Christenmenschen.

Dieses Zeugnis sind wir auch heute allen Menschen schuldig. Wo Menschen am eigenen Leib und der eigenen Seele erfahren, dass die Gemeinschaft mit Christus zu einem getrosten Leben und Sterben befreit, da entfaltet die "Macht des Glaubens" ihre heilsame Wirkung.

Es fügt sich wunderbar, dass dieses 450. Jubiläum des Heidelberger Katechismus zusammenfällt mit dem 40jährigen Jubiläum der Leuenberger Konkordie. In der Leuenberger Konkordie ist im Jahr 1973 jenes Zusammengehen der evangelischen Konfessionen Wirklichkeit geworden, das der Heidelberger Katechismus intendierte. So leben heute in der Evangelischen Kirche in Deutschland, in ganz Europa und darüber hinaus, jene einst verfeindeten protestantischen Konfessionen in Kirchengemeinschaft miteinander. Gemeinsam bekennen sie sich zu dem einen Herrn und bezeugen gemeinsam ihren Glauben - in Wort und Tat. Heute geht es nicht mehr um Abgrenzung und Ausgrenzung scheinbar unvereinbarer Gegensätze, sondern um einen offenen Dialog über das angemessene Verständnis unseres Glaubens. Dabei erleben wir die unterschiedlichen Bekenntnisse und Traditionen im besten Fall als gegenseitige Ergänzung und Bereicherung und können gar sagen: Gerade durch diese Vielfalt und Pluralität, die miteinander im verbindlichen Gespräch, ja im friedlichen Streit um die Wahrheit bleibt, zeichnet sich evangelischer Glaube aus.

Ein Verdammungsurteil, wie es der fromme Friedrich 1563 in der Frage 80 über die damalige römisch-katholische Messopferlehre für nötig hielt, kann heute nur noch aus der historischen Situation heraus verstanden werden. In intensiven ökumenischen Gesprächen haben wir diese gegenseitigen Verwerfungen von evangelischer und römisch-katholischer Kirche aufgearbeitet und sagen heute gemeinsam: Diese Verurteilungen treffen in wesentlichen Teilen nicht mehr die heutige Lehre und Praxis unserer Kirchen - sie haben ihre trennende Macht verloren.

Es ist ein bewegendes Zeugnis für die gewachsene Verbundenheit der Konfessionen, dass Erzbischof Robert Zollitsch heute hier an diesem Festakt teilnimmt. Das hätten sich die Väter des Katechismus vermutlich damals kaum träumen lassen! Lieber Bruder Zollitsch, ich danke Ihnen von Herzen für dieses Zeichen ökumenischer Verbundenheit!

In diesem Sinne: Ihnen und uns allen anregende und erhellende Begegnungen mit "dem Heidelberger"!