Statement der Reformationsbotschafterin bei der ICE-Taufe der Deutschen Bahn

Margot Käßmann

Die Reformatoren waren überzeugt, dass jeder Mensch selbstständig denken und entscheiden darf, frei ist in Fragen von Glauben und Gewissen. Aus dieser Freiheit heraus kann er Verantwortung übernehmen. Um zu dieser Überzeugung zu kommen, die Reformation zu entwickeln brauchte es Gesprächspartner und Kontakte.

Deshalb reisten die Reformatoren viel: in andere Klöster, zu Reichstagen, zu Disputationen. Martin Luther, Philipp Melanchthon und ihre Zeitgenossen hatten vor 500 Jahren noch nicht die Möglichkeit, anders als zu Fuß oder in einer Kutsche zu reisen. Martin Luther berichtet in einem Brief an Spalatin von so einer Reise, wobei nicht so klar ist, ob das Beschwerliche die Reise war oder die wechselnde Reisebegleitung. Er schrieb 1518: „Endlich bin ich, mein lieber Spalatin, durch Christi Gnade zurückgekehrt und am Sonnabend nach Himmelfahrt (15. Mai) in Wittenberg angekommen. Ich bin aber im Wagen wiedergekommen, während ich zu Fuße weggegangen war, da ich nämlich von den Oberen genötigt wurde, mit den Nürnbergern bis nahe Würzburg zu fahren. Und von da fuhr ich mit den Erfurtern, von Erfurt aber mit den Eislebenern, welche mich schließlich auf ihre Kosten und mit ihren Pferden nach Wittenberg brachten. Ich bin auf dem ganzen Wege völlig wohl gewesen, und Speise und Trank sagten mir erstaunlich gut zu, so daß einige meinen, ich sei behäbiger und beliebter geworden ...[1].

Genossen hat Luther diese Reise offensichtlich. Reisen blieb zu Luthers Zeit oft wohlhabenden Menschen vorbehalten. Das hat sich geändert und das ist gut so. Zudem: Mit modernen Zügen oder anderen Verkehrsmitteln können Menschen auch über weite Räume zusammenkommen. Mit modernen öffentlichen Verkehrsmitteln können die Menschen bequem und schnell reisen. Und ja, ich finde Speis und Trank im ICE sind inzwischen beachtlich, das hätte Martin Luther ganz offensichtlich gefallen.

Ich selbst bin ständig mit der Bahn unterwegs und freue ich mich deshalb besonders, dass ein hochmoderner ICE 4 nach Martin Luther benannt wird. Allerdings wissen wir auch heute um die Gefahren des Reisens. Bei aller Hochtechnologie sind Eschede und Bad Aibling Symbolnamen dafür, dass es vollkommene Sicherheit  nicht gibt.

Das Reformationsjubiläumsjahr hat gerade begonnen. Die Bahn wird eines der wichtigsten Verkehrsmittel sein, Menschen zu den Orten zu bringen, wo wir gemeinsam feiern wollen und heute Kirche und hinterfragen und damit in unserer Zeit Verantwortung übernehmen. Gerade mit Blick auf die Lutherstadt Wittenberg, die von hier in 40 Minuten und von Leipzig in 24 Minuten zu erreichen ist, werden viele Menschen vom ICE profitieren. Mit modernen Fortbewegungsmitteln kann das, was vor fünf Jahrhunderten von Wittenberg und anderen Zentren der Reformation ausgestrahlt hat, durch die Menschen von überall her wieder dorthin zurück gebracht werden und miteinander an dem Ort der Reformation diskutiert und gefeiert werden.

So freue ich mich auf das Jubiläumsjahr und bin dankbar, dass wir diese gute Verbindung nutzen können. Und ich hoffe, dieser ICE erinnert manche, die mit ihm reisen, an die Reformation.

[1] Martin Luther: 1518. Zeno.org: Martin Luther: Werke, S. 7123¸ vgl. Luther-W Bd. 10, S. 42 (c) Vandenhoeck und Ruprecht