Soziale Marktwirtschaft als weltweites Modell - Ethische Aspekte eines bewährten Konzeptes im Zeitalter der Globalisierung
Manfred Kock
Frankfurt / Main
Es gilt das gesprochene Wort!
Vortrag am in Frankfurt/Main auf Einladung des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer (AEU)
Sehr verehrte Damen und Herren,
Danke, dass Sie mich sprechen lassen in diesem engagierten Kreis evangelischer Unternehmer.
Vor wenigen Tagen ist die UN-Konferenz für Nachhaltigkeit und Entwicklung in Johannesburg zu Ende gegangen. Nach den Medienberichten gab es Tumulte bei zwei Reden, die auf den ersten Blick kaum gegensätzlicher hätten sein können, auf den zweiten Blick aber doch gemeinsame Probleme deutlich werden lassen.
Die erste Rede war die des Präsidenten von Zimbabwe, Robert Mugabe. Sie wissen, dass Mugabe zur Zeit einer der schlimmsten Diktatoren Afrikas ist. Ich erlaube mir dieses Urteil, weil wir nicht erst seit der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1998 in Harare die Situation in Zimbabwe sehr aufmerksam beobachten. Mugabe verbat sich in seiner Rede jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes, insbesondere durch den britischen Premierminister, Tony Blair. Dieser hatte - in der Gemeinschaft der Europäischen Union - gegen die gesetzeswidrige Enteignung weißer Farmer in Zimbabwe protestiert und britische Sanktionen verhängt. Zimbabwe könnte eigentlich ein reiches Land sein, aber es wurde durch die Politik von Mugabe in den Hunger getrieben. Die Tumulte entstanden durch die lautstarke Zustimmung einiger anderer Delegierter aus Ländern des Südens, die der Meinung waren, hier müsse gegen die Einmischung aus dem Norden protestiert werden.
Die zweite Rede, bei der es Tumulte gab, war die des US-amerikanischen Außenministers Powell. Nachdem die USA ihre Unterschrift unter das Kyoto-Protokoll zurückgezogen hatten, beanspruchte Powell nun auch in Fragen des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit eine Führungsrolle der USA. Die Tumulte waren Ausdruck des Protests amerikanischer Aktivisten auf den Zuschauerrängen gegen Powells Darstellung.
Vor einigen Jahrzehnten, meine Damen und Herren, hätten wir heute, eine Woche nach Ende einer solchen Konferenz in Südafrika kaum etwas von solchen Vorgängen gewusst und uns jedenfalls darauf eingestellt, noch ein paar Wochen warten zu müssen bis zur Ankunft des ersten Schiffes mit Augenzeugen des Geschehens. Heute erfahren wir alle Informationen über diese Konferenz fast gleichzeitig mit dem Ereignis. Allerdings ist das alles schon ein paar Tage später wieder fast vergessen. Dieser doppelte Effekt – der blitzschnelle Transport von Informationen in alle Winkel der Erde und die beschleunigte Alterung von Nachrichten - gehört zu den Folgen der Globalisierung. Die politischen und wirtschaftlichen Folgen beschäftigen Sie als Unternehmer ebenso, wie sie Ihnen als evangelische Christen Kopfzerbrechen bereiten. Denn was für die Nachrichten im Zeitalter der Globalisierung gilt, trifft auf vieles andere ebenfalls zu. Globalisierung hat zwei Gesichter: „Sie produziert Ungerechtigkeit und Ängste, sie bringt aber auch Vorteile, birgt Chancen und weckt Hoffnungen.“ (Kundgebung der Synode der EKD vom November 2001).
Chancen und Risiken der Globalisierung sind nicht Schicksal, sondern sie sind die direkten oder indirekten Folgen menschlichen Tuns und Lassens. Dementsprechend sind Gewinner und Verlierer der Globalisierung nicht so sehr Naturgewalten oder Naturgesetzen unterworfen, vielmehr ist ihr Erfolg und ihr Scheitern eng an Bedingungen, Vereinbarungen und Verträge geknüpft, die auf politischem Wege zustande kommen. Dabei wirken Machtinteressen mit, die die Rahmenbedingungen nach partikularen Bedürfnissen zu gestalten suchen. Jedenfalls sind die Bedingungen wirtschaftlichen Handelns – wie eh und je - grundsätzlich politisch beeinflußbar geblieben. Umstritten ist nur - und auch das ist nicht neu - , wie viel Freiheit des Marktes und wie viel nationale und internationale politische Gestaltung notwendig sind, um möglichst vielen Menschen einen angemessenen Anteil am Erfolg zukommen zu lassen.
Die UN-Konferenz in Johannesburg hat einmal mehr deutlich gemacht, wie schwer es uns Europäern fällt, ausreichend Gefolgschaft für unsere Einsichten und Errungenschaften zu gewinnen. Dabei könnte man gerade von der sozialgeschichtlichen Entwicklung Europas - nicht zuletzt von der Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik viel lernen – gerade auch für die Gestaltung weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen. In der Geschichte unseres nationalen und des europäischen Wirtschaftraumes bedurfte es immer wieder klarer politischer Vorgaben, damit die positiven sozialen Implikationen wirtschaftlicher Wachstumsprozesse auch tatsächlich stattfinden und möglichst vielen zugute kommen, auch denen, die - aus Gründen, die sie selber nicht verschuldet haben - nicht unmittelbar zu den Teilhabern des Erfolgs zählen. Gerade deutsche Unternehmer betonen immer wieder - und auch der AEU hat sich damit ja intensiv befasst -, dass neben dem hohen Ausbildungsstandard und der Leistungsfähigkeit der ökonomischen Akteure, der soziale Frieden in unserem Land und die freiheitliche Verfassung unserer Gesellschaft wesentliche Standortvorteile sind. Davon sind viele Regionen der Welt noch weit entfernt. Selbst in Europa ist der gerechte Ausgleich zwischen begünstigten und benachteiligten Regionen noch längst nicht vollständig hergestellt.
Gerade deutsche, sehr oft ja exportorientierte Unternehmen, betonen den Wettbewerb der Standorte auf dem internationalen Markt. Hier sehe ich die Gemeinsamkeit der beiden eingangs geschilderten Tumultszenen: Wir wissen uns heute über nationale Grenzen hinweg verbunden. Diese weltweite Verbundenheit hat nicht nur Elemente des Wettbewerbs, sie hat Elemente der Sorge um Recht und Gerechtigkeit, insbesondere den Schutz der Menschenrechte in anderen Ländern. Und sie kennt Elemente des Schutzes vor ungewollten Folgen des Klimawandels. Dieses globale Bewusstsein hat aber auch Elemente von Macht und von Ohnmacht, von Gefahrenabwehr und Sicherung der eigenen Interessen. All diese Elemente muss man in ihren Wechselwirkungen sehen, um zu einer nüchternen und realistischen Einschätzung der Globalisierungsfolgen zu kommen. Die Weisung Christi, sich dem Bedürftigen nicht zu verschließen und den Armen zu helfen, zielt nicht nur auf die Lebensverhältnisse seiner Nachfolger, sondern auf die aller Menschen. Weil wir als Christen wissen, dass alle Menschen Gottes geliebte Kinder sind, gehört zu unserem globalen Bewusstsein auch das Element der gegenseitigen Verantwortung, der Sorge füreinander, des Einsatzes gegen Hunger und Not, Krankheit und Tod. Deswegen engagieren sich die Kirchen in Deutschland gerade auch mit Blick auf die internationalen Konsequenzen unseres Handelns in Fragen der Wirtschaftsethik.
Ist die Wirtschaft, ist der freie Markt zur neuen Religion geworden?
Bereits vor 10 Jahren, nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der staatlichen Wirtschaft in den kommunistischen Ländern und zu einer Zeit, als das Wort Globalisierung in Deutschland noch weitgehend unbekannt war, haben sich verschiedene Gremien der EKD mit wirtschaftlichen Fragen auseinandergesetzt und eine Denkschrift mit dem Titel „Gemeinwohl und Eigennutz“ herausgegeben. Darin finden wir folgende Aussagen, die auch heute hilfreich sind:
- Wirtschaft ist kein verantwortungsfreier Raum. Auch in der Wirtschaft übernehmen Menschen Verantwortung für andere Menschen und für die Mitwelt. Dies ist zugleich Verantwortung vor Gott.
- Gewinnorientierung und Wettbewerb sind Instrumente, die dem eigentlichen Ziel der Güterversorgung und der Daseinssicherung dienen.
- Gewinnorientierung und Wettbewerb führen zu haushälterischem Handeln mit Geld und Gütern und zur Beschränkung von Macht, weil sich Produzenten und Handeltreibende notwendigerweise an den Bedürfnissen der Konsumenten orientieren müssen. Aber Gewinnstreben und Wettbewerb führen nicht aus sich selbst heraus zu sozialer Gerechtigkeit, denn zur Sündhaftigkeit des Menschen gehört die Neigung, sich von materiellen Gütern des Lebens, vom Glanz des Geldes verführen zu lassen und ökonomische Gesichtspunkte zum eigenen Vorteil absolut zu setzen. Das hat Folgen für die ökonomisch Schwachen und Auswirkungen auf die Lebensbedingungen kommender Generationen.
Gewinnorientierung und Wettbewerb, Geld und Eigentum sind nicht an sich sündhaft, sondern es ist der unrechte Gebrauch, der die Heilige Schrift vom Götzen Mammon sprechen läßt, als dem Symbol für diese sündhafte Welthaltung, die sich von materiellen Gütern verführen läßt.
Wo dem „freien Markt“ unbedingter Vorrang vor der Rücksicht auf soziale und ökologische Verträglichkeit zugemessen wird, wo Rüstungsexporte gefördert werden ohne Rücksicht auf die Verschärfung von Konflikten, wo Öl gefördert wird ohne Rücksicht auf die Kultur und die Natur, da wird der Markt und der wirtschaftliche Erfolg zum widergöttlichen Prinzip. Gott die Ehre zu geben heißt, der Übermacht der Ökonomie zu widerstehen und der Macht des Geldes Grenzen zu setzen.
Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Monate lässt mich gespannt sein, wie die ökonomische Diskussion auf den massiven Kursverfall an den Börsen reagiert. Der ist nicht nur auf konjunkturelle Schwankungen zurückzuführen, auch Bilanzmanipulationen in großem Stil haben eine zeitlang spekulative Illusionen genährt. Nun, da etliches aufgedeckt wurde, reagieren die Börsen entsprechend pessimistisch. Dass die Kleinaktionäre verunsichert sind, kann ich gut verstehen. Die Nachrichten über die Zusammenbrüche amerikanischer und britischer Pensionsfonds und die Schieflage, in die deutsche (auch kirchliche) Lebensversicherungen geraten sind, lassen aufhorchen, und ich sage Ihnen ehrlich, ich selber bin froh, dass meine Alterssicherung in wesentlichen Teilen von aktiengebundener Vorsorge unabhängig ist. Nun geht es mir mit dieser Bemerkung nicht um mich. Vielmehr möchte ich damit verdeutlichen, warum ich der Überzeugung bin, dass das Vertrauen in den Markt nicht unbegrenzt sein darf.
Wirtschaft um der Menschen Willen
Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht umgekehrt. Darum braucht sie einen Rahmen, durch den ihr ein Wirkungsraum zugewiesen wird, der den ökonomischen Akteuren Orientierung bietet und der die Grenzen des Verträglichen aufzeigt. Ich möchte hier vor Ihnen als evangelischen Unternehmern ausdrücklich dafür werben, diesen Rahmen nicht als ein aus wirtschaftlichen Gründen zu bekämpfendes Übel anzusehen, sondern ihn auch als das zu bewerten, was er für Sie ist: Nämlich die notwendige Voraussetzung für erfolgreiches wirtschaftliches Handeln. Zu diesem Rahmen gehört das Zivilrecht, das Vertragsabschlüsse wesentlich erleichtert; dazu gehört das Zivilprozessrecht, dass die Durchsetzung berechtigter Forderungen ermöglicht; [ dazu gehört auch das internationale Vertragsrecht und internationale Vereinbarungen über Flug- und Schiffsverkehr, über Post- und Funkverbindungen; ] dazu gehört die Schulpflicht und die staatliche Ausbildungsordnung, die - bei allem was es daran zu verbessern gilt - qualifizierte Arbeitskräfte bereitstellt. Dazu gehören Infrastruktur, der Schutz des Besitzes und der Unversehrtheit der Person durch Polizei und Militär, dazu gehört letztendlich auch ein tragendes Wertesystem. Wer undifferenziert einen völlig freien Markt fordert, stellt auch diese Regeln in Frage. Nur maffiose und korrupte Systeme können das wollen. Staaten, in denen alle Ordnungen zusammengebrochen sind, bieten keine Strukturen und Regeln. Ausschließlich das organisierte Gangstertum profitiert davon, paradoxerweise weil es über durchsetzbare Regeln verfügt.
In diesem Zusammenhang muss auch betont werden, dass unser christliches Menschenbild sehr klar die Verführbarkeit des Menschen und die Macht der Sünde kennt - und das gilt natürlich auch für Unternehmer wie für alle in Gesellschaft und Staat besondere Verantwortung Tragende. Wer eine Verringerung staatlicher Kontrollen fordert, muss sich jedenfalls auch mit den Phänomenen von Wirtschaftskriminalität und Korruption auseinandersetzen. So wenig aussagekräftig die jüngst veröffentlichte "Rangliste" des Korruptionsregisters ist, so ist doch deutlich, dass sich Deutschland in dieser Hinsicht verbessern kann und muss und dass staatliche und öffentliche Kontrollen dringend notwendig sind.
Nach meiner Überzeugung braucht die Wirtschaft auf vier Ebenen einen Rahmen:
- Den ersten Rahmen für unsere Wirtschaft setzt jeder Einzelne, durch individuelles Konsumverhalten, durch das Verhalten als Bürger und Christ. Wie will ich leben? Wie will ich arbeiten? Was ist mir wichtig? Wie viel Konsum brauche ich? Das sind die Fragen, die wir uns selbst beantworten müssen.
- Der zweite Rahmen wird durch die Gesellschaft gesetzt und durch die Werte, an denen sie ihr Zusammenleben ausrichtet. In Deutschland und in den meisten Ländern Europas war dies in Bezug auf die Wirtschaft die Balance von Freiheit und Gerechtigkeit, die zur Ausformung der sozialen Marktwirtschaft geführt hat.
- Den dritten Rahmen setzt die Politik, die durch Gesetze und Regeln diese Werte sichern hilft. Vor allem ist dabei auch das zu sichern, was jenseits der Tagesinteressen für kommende Generationen wichtig ist. Dieser dritte Rahmen kann heute nicht mehr nur im nationalstaatlichen Konsens und innerhalb des bestehenden Rechtssystems erarbeitet werden. Sinnvoll für ein globales wirtschaftliches Handeln ist ein breiter internationaler Konsens, auf dessen Basis verbindliche Regeln eines internationalen Wirtschaftsrechts gestellt werden müssen.
- Die drei Rahmen bedürfen jedoch eines weiteren Rahmens, den ich den weltpolitischen nennen möchte: Alle politischen Bemühungen, die Globalisierungsrisiken auszuschalten, dürfen nicht von dem Interesse geleitet werden, Krisen ausschließlich in den entwickelten Industrieländern zu vermeiden. Sie dürfen auch nicht nur auf die Regionen der Erde konzentriert werden, die wegen ihrer Rohstoffe für die Industrienation interessant sind. Der weltpolitische Rahmen muss alle Kontinente einschließen und auf die Verbesserung der Lebensbedingungen gerade der Schwachen zielen.
Es gibt Indizien, dass dieser vierte Rahmen außer Acht bleibt: Terrorismus, der von konkurrierenden Machteliten gesteuert wird, bedient sich der globalen Unzufriedenheit; Flüchtlingsströme aus Kriegs- und Elendsgebieten sind nur notdürftig zu bremsen, oft unter Missachtung humanitärer Grundsätze.
In dem Gemeinsamen Wort von EKD und Deutscher Bischofskonferenz unter dem Titel „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" (Gemeinsame Texte 9, S. 7) treten die Kirchen dafür ein, „dass Solidarität und Gerechtigkeit als entscheidende Maßstäbe einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Wirtschafts- und Sozialpolitik allgemeine Geltung erhalten.... Denn Solidarität und Gerechtigkeit gehören zum Herzstück jeder biblischen und christlichen Ethik." (S. 8)
Es gilt, dem Anliegen jener Gehör zu verschaffen, „die im wirtschaftlichen und politischen Kalkül leicht vergessen werden, weil sie sich selbst nicht wirksam artikulieren können: [ sc. dem Anliegen ] der Armen, Benachteiligten und Machtlosen, auch der kommenden Generationen und der stummen Kreatur." (S. 8)
Lassen Sie mich ausdrücklich betonen, dass es dabei nicht nur um das soziale Engagement Einzelner gehen kann, sondern um die Bereitstellung von Strukturen sozialer Hilfe.
Globale Wirtschaft verantwortlich gestalten
Kirchen sind Anwälte der Schwachen und Armen. Deshalb wächst in den Kirchen und insbesondere in der ökumenischen Bewegung der Widerstand gegen eine Globalisierung, bei der die Freiheit des Marktes zur obersten Maxime geworden ist. Die kirchlichen Äußerungen stellen die Globalisierung in ihrer Gesamtheit nicht in Frage, gleichwohl gibt es ernstzunehmende Kritik insbesondere aus der kirchlichen Entwicklungsarbeit und der ökumenischen Partnerschaftsarbeit, die hier mehr Eindeutigkeit einfordert. Doch: Eine Rückkehr zu abgeschotteten nationalen Ökonomien wäre unsinnig, und sie zu fordern, ist unrealistisch. In den Auseinandersetzungen um Globalisierung muss es darum gehen, die Gewinner globaler wirtschaftlicher Freiheit durch nationalstaatliche und multinationale Regelungen dafür zu gewinnen, angemessene Beiträge für ökologische Nachhaltigkeit und für mehr soziale Gerechtigkeit zu leisten.
Gerade deswegen müssen wir so vehement protestieren, wenn gerade die, die öffentlich lautstark wirtschaftliche Globalisierung und staatliche Deregulierung fordern, genau auf den Märkten, auf denen ihnen internationale Konkurrenz droht, Barrieren errichten. Die Agrarsubventionen und Schutzzölle etwa der EU gegenüber den sogenannten Entwicklungsländern sind daher ein Skandal, und für mich würden die Forderungen gerade der deutschen Wirtschaft sehr an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie ihr gesamtes Gewicht einsetzen würden, um mitzuhelfen, diesen Skandal zu beenden.
Zwar gibt es theoretisch in der Zwischenzeit eine hohe Übereinstimmung in der Politik und auch in der Wirtschaft, dass die Globalisierung politischer Steuerung bedarf und eine Balance von sozialpolitischen, ökologischen und wirtschaftspolitischen Zielen angestrebt werden soll. Doch in der Realität passiert zu wenig: Die UN-Konferenz von Johannesburg hat die globalen Probleme zwar benannt, aber sich immer noch nicht auf verbindliches gemeinsames Handeln verständigt. Das hier sichtbar gewordene Glaubwürdigkeitsdefizit der Politik bestärkt jene Kritiker der Globalisierung, die längst eine Übermacht der privaten Wirtschaft gegenüber den parlamentarischen Instanzen ausgemacht haben. Aber es ist nicht nur die Übermacht der privaten Wirtschaft. Oft sind es auch die kurzfristigen Eigeninteressen nationaler Politik, die eine politische Steuerung der Globalisierung durch verbindliche internationale Vereinbarungen verhindern.
Politik muss vorhandene internationale Strukturen ausbauen und politische Rahmenbedingungen für weltweites wirtschaftliches Handeln so setzen, dass mehr Menschen von der Globalisierung profitieren können als bisher. Es geht darum, den globalen Markt durch ein Modell der sozialen Marktwirtschaft im Weltmaßstab zu qualifizieren, in dem Handel und Wirtschaft zu ihre Sozial- und Umweltverträglichkeit verpflichtet sind und demokratische Kontrolle unterliegen. Es ist ja nicht so, dass es an Verständigung darüber mangeln würde. Über die prinzipielle Eignung der Methoden der sozialen Marktwirtschaft herrscht in der Völkergemeinschaft breite Übereinstimmung, wie die Beschlüsse der 8. UN-Vollversammlung im September 2000 gezeigt haben. (1)
Mehr als andere Organisationen der Zivilgesellschaft haben die Kirchen durch ihre ökumenische Verbundenheit über Staatsgrenzen hinweg die Möglichkeit zur weltweiten Zusammenarbeit, die positive Globalisierungsziele verfolgt. Die Kirchen sind auf der Basis ihres gemeinsamen Glaubens in allen politischen Kontexten den Grundwerten der Solidarität verpflichtet, ebenso einer Kultur des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung. Dies ist ihr unverwechselbarer Beitrag für positives Verständnis von Globalisierung. Dieses baut auf einer christlichen Ethik auf, die die Schöpfung dem Zugriff vermeintlicher wirtschaftlicher Sachzwänge nicht preisgibt und die darum nicht alle Lebensbereiche des Menschen einer ausschließlich an privater Bereicherung orientierten ökonomischen Rationalität unterwirft.
Dazu gibt es bereits viele Ansätze, z. B. durch den Fairen Handel, durch BROT FÜR DIE WELT, durch einen verantwortlichen Umgang mit Energie und mit dem Land, das Kirchen gehört, durch das Engagement für den zivilen Friedensdienst.
Ich wünsche mir, dass die unterschiedlichen Bewegungen und Ansätze zusammenwachsen. Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gehören zusammen, sind untrennbar miteinander verbunden, von welchem Ansatzpunkt aus auch sich Menschen dafür engagieren. Deshalb danke ich der AEU ausdrücklich für ihre engagierten Beiträge zu dieser Thematik.
Nach dem 11. September 2001 haben wir deutlich erkannt, dass wir in einer Welt leben, in der Frieden und Sicherheit, Wohlstand und Gerechtigkeit nur gemeinsam und für alle erreichbar sind oder für keinen.
Die Kirche verkündet die frohe Botschaft von der Befreiung des Menschen von Sünde und Verderben. Als Christen, die aus dieser befreienden Botschaft leben, arbeiten wir mit an der göttlichen Befreiung der Schöpfung aus der Gewalt, die ihr auch durch kurzsichtiges wirtschaftliches Handeln angetan wird. Wo immer uns dabei Positives gelingt, ist es ein Zeichen für das Versprechen Gottes, dass ein neuer Himmel und eine neue Erde kommen werden.
Fußnote:
(1) (vgl. politische Grundsätze und Ziele der United Nations Millennium Declaration der 8. VN-
Vollversammlung vom September 2000)