Glitzerndes Glas für den Christbaum
Seit mehr als einem Jahrhundert fertigen Glasbläser im thüringischen Lauscha Weihnachtsschmuck und exportieren ihn in die ganze Welt
Weihnachtsstimmung? Nein, an Weihnachten mag man in dieser schlichten Fabrikationshalle im thüringischen Lauscha so gar nicht denken. Und doch geht es die ganze Zeit nur darum: um die Herstellung von festlichem Christbaumschmuck. Veit Hoch, 52 Jahre alt, gelernter Kunstglasbläser, wirft in seiner kleinen Manufaktur den Kompressor an und setzt sich die Schutzbrille auf. Vor ihm liegen eine Handvoll Glaskolben. Feuer flammt auf, Veit Hoch nimmt einen Kolben, hält ihn an dem kleinen Rohr am Ende fest und dreht ihn vorsichtig in der Flamme: zunächst einige Sekunden vorwärmen.
Dann zischt es laut, eine große bläuliche Flamme schießt aus dem Brenner. Veit Hoch reguliert die Flamme mit dem Fußpedal. Er dreht das Glas schneller. Jetzt glüht der Kolben in der Mitte feuerrot, doch außen am Röhrenstab bleibt das Glas kühl, so dass Veit Hoch weiter drehen kann. Ein kleiner Schwung und der weiche Glaskörper landet in der vor dem Brenner installierten Form.
„Klack“, fällt der Deckel von oben darauf. Fast zeitgleich bläst Veit Hoch von außen durch das Rohr in die Form hinein. Die Form geht wieder auf, aus dem Kolben ist ein Weihnachtsmannschlitten geworden. Nun fehlt nur noch die Öse zum Aufhängen, die Veit Hoch vorsichtig aus der immer noch weichen Masse herausdreht. Nebenan steht ein Tablett mit Ständern – darauf wird die fertig geformte Glasfigur nun zum Auskühlen eingehängt.
Blasen, Versilbern, Bemalen
Schon eine Minute später schmilzt der nächste Kolben im Feuer, dann der übernächste – und so geht es weiter im Minuten-, wenn nicht gar Sekundentakt. Nachdem genügend Schlitten fertig sind, geht Veit Hoch in den Nebenraum, um die Figuren von gestern mit einer Silbernitratlösung von innen zu verspiegeln. Oben im ersten Stock grundiert Ehefrau Ines, gelernte Porzellanmalerin, die Schneemännerfiguren der letzten Woche mit dem Airbrush. Daneben bemalt ihre Kollegin Peggy Porsche-Neupert jede einzelne Figur liebevoll bis in die kleinste Augenbraue in Gold, Grün, Silber und Rot. Zum Schluss wird verpackt.
Der kleine Ort Lauscha liegt im südlichen Teil des Thüringer Waldes, dort wo die Berge aus Schiefer hochgewachsen, die Täler eng und bewaldet sind. Rechts und links der steilen Dorfstraße stehen Schieferhäuser dicht an dicht, dominiert von einer prachtvollen alten Kirche aus Feldstein. Im Winter tummeln sich hier die Skiläufer, etwas oberhalb sieht man eine große Ski-Sprungschanze. Es gibt eine Sommerrodelbahn, viele Wanderwege und andere Freizeitangebote.
Früchte und Zucker waren Luxusgüter, Quarzsand hingegen billig
Doch weltbekannt ist Lauscha wegen seiner Weihnachtsbaumkugeln – aus Glas geblasen, von innen verspiegelt, bemalt und ausgeschmückt. Die Tradition der Glasbläserkunst reicht in Lauscha weit zurück. Schon im späten Mittelalter wurden hier Butzenscheiben und Apothekerfläschchen gefertigt. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts schmückten viele Familien ihren Christbaum mit kandierten Äpfeln und Nüssen. Doch für die armen Bewohner im Thüringer Wald waren Früchte und Zucker Luxusgüter. Quarzsand hingegen, der Rohstoff für die Glasbläserei, war billig. Also fertigten sie Baumschmuck aus Glas – zunächst in der Form von Äpfeln und Nüssen. So entstand die Christbaumkugel.
Mit den Jahren wurde die Produktion verfeinert. Neue Brenntechniken machten das Glas immer feiner, dünner und leichter. Zwischen 1879 und 1939 wurden in der Region rund 5000 verschiedene Formen für Weihnachtsbaumschmuck entwickelt. Die meisten von ihnen entstanden in Heimarbeit in kleinen familiären Betrieben und wurden über einen Katalogversand in die ganze Welt verschickt. 1880 entdeckte der Amerikaner Frank Winfield Woolworth die Kugeln aus Lauscha und importierte sie in die USA. Heute findet man sie in der ganzen Welt: Sie schmückten schon Bäume im Buckingham Palace, im Bundeskanzleramt oder im Kreml.
Neue Eigentümer aus Bayern
Michael Krebs steht im Verkaufsraum seiner Firma „Krebs Glas Lauscha“ und zeigt seine Lieblingsfigur: eine Schneeeule als Christbaumspitze. Als er diese „Spitzen-Idee“ seinem Kreativteam vor ein paar Jahren vorstellte, da winkten die ab. Doch der Chef setzte sich durch: Innerhalb eines Jahres verkaufte Krebs 80.000 Exemplare, die Schneeeule wurde zum Bestseller.
Wenn der 62-Jährige heute diese Geschichte erzählt, dann schmunzelt er. Viel lieber ist er Teamplayer und zählt auf die Expertise seiner Fachleute. So wie damals Anfang der 1990er Jahre: Seine Eltern, Abkömmlinge einer Glasbläser-Dynastie aus Rosenheim in Bayern, waren nach Thüringen gekommen, um sich hier nach weiteren Niederlassungen umzusehen. In Lauscha gab es damals den „VEB Thüringer Glasschmuck“ mit mehr als 1200 Angestellten. Die Treuhand hatte den Großbetrieb aufgeteilt und wollte ihn stückweise verkaufen.
Die Menschen am Ort waren ausschlaggebend
Irgendwann ging bei Michael Krebs, damals selbstständiger Unternehmer im bayerischen Schongau, das Telefon. Der Vater war dran. Die Verbindung war miserabel, gute Telefonleitungen gab es noch nicht in den neuen Bundesländern. Doch die Botschaft kam an: Sohn, jetzt musst du ran. Wir brauchen deine Hilfe.
Die Entscheidung fiel am gleichen Tag – ein Feiertag, wie sich Michael Krebs genau erinnert. Er fuhr sofort nach Lauscha. Wenn er an diese Zeit zurückdenkt, dann weiß er: Für seinen Entschluss, in das Unternehmen einzusteigen, waren vor allem die Menschen am Ort ausschlaggebend. So wie Gerd Ross. Er stammt aus der Eigentümerfamilie, der die Glasbläserfabrik vor den DDR-Zeiten gehörte, und war später Vertriebsleiter des VEB. Bei den Verhandlungen mit der Treuhand saßen der alte Ost- und der neue Westmanager nebeneinander und entschieden sich gemeinsam für eine Aus- und Neugründung. „Ohne diese Unterstützung“, so weiß Michael Krebs heute, „hätte ich das nie geschafft.“ Mit der ganzen Familie zog er nach Lauscha, seine Frau eröffnete eine Arztpraxis, die sie heute noch führt.
Vom Großbetrieb zum Manufaktur-Netzwerk
Bald wurde allerdings klar: Veraltete Produktionsmethoden und ein hoher Personalstand konnten mit der Billigkonkurrenz aus Fernost nicht mithalten. Eine chinesische Weihnachtskugel, berichtet Michael Krebs, kostet im Einkauf weniger als das Material für eine handgearbeitete Kugel aus Thüringen. Nur über eine Insolvenz ließ sich der Betrieb retten, viele der 120 Angestellten wurden arbeitslos. Eine traurige Zeit auch für Michael Krebs.
Mittlerweile geht es wieder leicht bergauf. Die eigene Produktion hat „Krebs Glas Lauscha“ aufgegeben, stattdessen bestellt die Firma Kugeln, Weihnachtsmänner und anderen Christbaumschmuck bei einer Handvoll Manufakturen in Deutschland und Rumänien. Der wichtigste Partner sitzt mit auf dem Gelände der alten Fabrik: Veit Hoch. Er hat schon für den VEB gearbeitet. Jetzt hat er eine eigene Manufaktur wie manche andere Glasbläser am Ort, produziert aber immer noch überwiegend für Krebs. Wenn Michael Krebs mal wieder eine neue Produktidee hat, dann braucht er nur wenige Meter gehen und steht direkt im Glasbläserraum von Veit Hoch.
Gläserne Weltspitze
Produkte aus Glas prägen heute den ganzen Ort Lauscha. Weltspitze ist man hier auch in der Herstellung von Glasaugen – für Teddys und für Menschen: In Lauscha entwickelten Glasbläser im 19. Jahrhundert die Technik zur Herstellung von Augenprothesen, die heute noch genutzt wird. Es gibt einen Glashütten-Rundweg für die Touristen, ein Museum für Glaskunst und eine Schau-Glasbläserei, kleine Glasmanufakturen und größere Firmen wie die von Michael Krebs. Sie alle haben längst Verbindungen ins Ausland geknüpft: Krebs-Lauscha heißt in Atlanta „Christmas by Krebs“ und wird von der Familie des Bruders geführt. Auch in Hongkong gibt es eine Niederlassung. Als Land ohne offizielles Weihnachtsfest sei China kein großer Markt. Doch, so Michael Krebs optimistisch: „Das kann ja noch kommen.“
Dorothea Heintze
Der Text erschien erstmalig in Stiftung KiBa Aktuell 4/2018