Eine alte Dame, die stets schöner wird.
Das Kloster Stift zum Heiligengrabe zieht immer mehr Menschen in seinen Bann – zu Recht
05. September 2008
Die Damen lächeln milde, alle fünf. Ohne Hände sind sie gemalt: Stiftsdamen, die im 18. Jahrhundert im Kloster Stift zum Heiligengrabe wohnten und wirkten. Damals wurden sie samt Häubchen und Ordensschmuck mit Öl auf Leinwand verewigt, seitdem richten sie in der Kapitelstube der Abtei ihre weit geöffneten Augen auf die Anwesenden. „Ohne Hände sind sie dargestellt, damit der Maler ein paar Taler weniger berechnete. Das Privileg, mit Händen gemalt zu werden, hatte nur die Äbtissin“, erklärt Christa Schwede, eine der Frauen, die heute in Heiligengrabe zu Hause sind.
Stolz wären die Frauenzimmer von einst, wenn sie tatsächlich sehen könnten, was ihre Nachfolgerinnen in den Klostermauern und darum herum erreicht haben. Das 1287 gegründete und von der Union Evangelischer Kirchen (UEK) getragene Kloster Stift zum Heiligengrabe gilt heute als das bedeutendste und am besten erhaltene Frauenkloster in der Mark Brandenburg. Seit 1997 ist es als Denkmal von nationaler Bedeutung anerkannt. „Ein kleines Wunder in der Prignitz“; haben Manfred und Ingrid Stolpe, Schirrmherr und –herrin des Kloster Stifts, das eindrucksvolle Ensemble genannt. Dazu gehören die gotische Klosterkirche, die Abtei mit umlaufendem Kreuzgang und „Kaiserturm“, die Heiliggrabkapelle mit den repräsentativen Sterngewölben, das spätklassizistische Stiftshauptmannshaus, aber auch liebevoll restaurierte Wohn-, Wirtschafts- und Nebengebäude. Das Kloster Stift versammelt einmalige Zeugnisse brandenburgischer Klosterarchitektur. Es bietet Kultur- und Religionsgeschichte zum Anfassen. Die Gebäude sind umgeben von einer alle Sinne ansprechenden Anlage mit Teichen, alten Bäumen, blühenden Gärten und einer Ruhe, die den Besucher sofort tief durchatmen lässt. „Hier bleiben“ bittet eine innere Stimme dann ungewohnt deutlich. Und während Augen und Füße das idyllische Gelände langsam erkunden, nehmen die Ohren plötzlich etwas anderes wahr. Ein Hämmern durchbricht die Stille, ein stetes Klopfen folgt und dann auch noch das Kreischen einer Säge. Unüberhörbar: Heiligengrabe ist eine Dame, die sich herausputzt, und sie ist nicht zimperlich dabei.
Ob es die oberen Etagen im Innern der Abtei sind, die Fachwerkhäuser am so genannten Damenplatz oder der nahe Gutshof, auf dem Jugendliche für traditionelle Bauberufe vorbereitet werden - überall wird deutlich: Dieses Klosterleben ist eine Baustelle. Die acht Stiftsfrauen unter der Leitung von Äbtissin Friederike Rupprecht stört das nicht, im Gegenteil. Sie arbeiten tatkräftig daran, der wiedererwachenden Schönheit Leben einzuhauchen. „Ora et labora“, das Motto der Zisterzienser, gilt ihnen auch heute als Leitspruch. Die Gemeinschaft von Kapitel und Konvent, die regelmäßigen Tagzeitengebete und Gottesdienste bilden die „geistliche Mitte“ im Kloster Stift. Gleichzeitig ist die Geschäftigkeit der Damen beinahe schwindelerregend. Unterstützt von ehrenamtlichen Helferinnen und inzwischen acht fest angestellten Mitarbeitern bieten sie zwei bis vier Klosterführungen täglich, weit über die Region bekannte Sommerkonzerte, theologische Seminare, Gespräche, „Einkehrzeiten“ für Menschen, die Besinnung suchen. Drei Mal jährlich findet ein großer Klostermarkt statt, ganzjährig ist ein Klosterladen geöffnet, das Gästehaus ist fast immer ausgebucht. Das Museum im Stiftshauptmannhaus zeigt die Geschichte des Klosters, Sonderausstellungen locken Interessenten und Ausflügler von weither in die Abtei. „Rund 8000 Besucher haben wir im letzten Jahr hier gehabt“, sagt Margret Schobert, die Geschäftsführerin. Und es sollen noch mehr werden: Das Herbergswesen wird ausgebaut, in den oberen Etagen der Abtei entstehen Meditationsräume für Besuchergruppen, im Ostflügel ist die Restaurierung der Räume für eine exquisite neue Sonderausstellung fast abgeschlossen.
Während all’ die sichtbaren und geplanten Prächtigkeiten in Heiligengrabe jedes Herz sogleich gefangen nehmen, fragt sich mancher Kopf bang, wie denn das nötige Geld dafür zusammenkommt. Vom früheren EKD-Ratsvorsitzenden Manfred Kock heißt es, dass er beim ersten Betreten der Abtei gesagt haben soll: „Geld habe ich aber nicht.“ Tatsächlich müssen die heutigen Stiftsdamen wie ihre Vorgängerinnen auf jeden „Taler“ achten. Finanzielle Grundlage des Klosterlebens sind traditionell die Erträge aus der Verpachtung von stiftseigenen Landwirtschafts- und Waldflächen – die reichen heute bei weitem nicht aus. Die kulturellen und touristischen Angebote des Kloster Stifts tragen sich überwiegend selbst. Eine finanzielle Entlastung könnte die Aufstellung von Windkrafträdern auf dem Land bieten, doch dazu bedarf es noch der Zustimmung der Behörden. Und dann sind da noch die begonnenen und geplanten Sanierungsmaßnahmen. Viel Geld kommt vom Bund, vom Land aber auch aus der EU. Engagierte Sponsoren, Förderkreise und Stiftungen helfen dazu - immer muss aber auch ein beträchtlicher Eigenanteil aufgebracht werden. Allerdings: Was bisher erreicht wurde, kann sich sehen lassen: „Hier entsteht etwas, das für die Spiritualität in der Evangelischen Kirche weiterhin und noch stärker als bisher von Bedeutung sein wird“, ist sich Bischof Martin Schindehütte, Leiter des Amtes der UEK, sicher.
Evangelisch wurde das 1287 gegründete Frauenkloster Mitte des 16. Jahrhunderts übrigens erst nach heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Nonnen und dem Kurfürsten Joachim II.. Im 18. Jahrhundert erhob Friedrich der Große das Kloster zum Stift; seit dem 19. Jahrhundert war Heiligengrabe vor allem Mädchenbildungsstätte. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Friedenshort-Schwesternschaft aus Schlesien im Kloster Stift eine neue Heimat. Heute ist dort jede Besucherin und jeder Besucher herzlich willkommen.