Briefe eines evangelischen Mystikers
Gerhard Tersteegen als Seelsorger
17. Juni 2008
Die seelsorgerlichen Briefe des Mystikers und Liederdichters Gerhard Tersteegen liegen erstmalig in einer umfassenden Edition vor. Herausgegeben von Gustav-Adolf Benrath erscheinen zwei Bände mit 750 Briefen des Mystikers in der Reihe „Texte zur Geschichte des Pietismus“. In Auswertung von Erkenntnissen einer mehrere Forschergenerationen umfassenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Briefen und im Licht zahlreicher archivarischer Entdeckungen und neuer historischer Erkenntnisse hat dazu der Mainzer Kirchengeschichtler Gustav Adolf Benrath unter Mitarbeit von Ulrich Bister und Klaus vom Orde sämtliche zuzuordnenden Briefe von Gerhard Tersteegen neu ediert und wissenschaftlich kommentiert. Damit sind die 750 Briefe Tersteegens neu zugänglich; viele davon schlummerten bislang unentdeckt in Archiven und Nachlässen. Teilsammlungen dieser seelsorgerlichen Briefe wurden seit Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder zu erbaulichen Zwecken herausgegeben. Dazu wurden die Empfänger anonymisiert, Datierungen getilgt und die Texte vielfach gekürzt und inhaltlich wie sprachlich verändert.
„Macht nicht soviel Überlegungen aufs Zukünftige, wo es endlich hinaus wolle. Grämt sich auch ein Kindlein den Kopf krank, ob es wohl ein vollkommen erwachsener Mann soll werden?“ Mit diesen Worten ermutigt der 32-jährige Gerhard Tersteegen am 28. Juni 1729 seine „geliebte Freundin und Mitstreiterin“ Christiana Maria Griesenbeck. Damit beginnt eine über zehn Jahre währende seelsorgerliche Begleitung in Briefen, wie sie der Mystiker vom Niederrhein zahlreichen Freunden und Anhängern angedeihen ließ. Eine neue historisch-kritische Gesamtausgabe seiner Briefe lässt Gerhard Tersteegen vor allem als Seelsorger in seiner Zeit lebendig werden, für den der Briefwechsel von Tersteegen und Griesenbeck nur ein Beispiel ist.
Gerhard Tersteegen wurde am 25. November 1697 als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns in Moers im niederländisch-deutschen Grenzgebiet geboren. Seine Laufbahn als Geschäftsmann brach er mit 22 Jahren ab, um sich einer intensiven geistigen und religiösen Suche zu widmen. Inspiriert von radikal-pietistischen Gruppierungen verschrieb er am Gründonnerstag 1724 sein Leben an Jesus Christus. Er wurde zum geistlichen Führer der „Pilgerhütte“ zu Otterbeck, einer kommunitären Gemeinschaft im niederbergischen Heiligenhaus. In der Folgezeit wirkte Tersteegen als Prediger bei Erweckungsversammlungen, als Heilpraktiker und vor allem als Seelsorger. Auf Drängen seiner Anhänger veröffentlichte er später Sprüche, Gedichte und Lieder, die ursprünglich als Gelegenheitslyrik für bestimmte Adressaten entstanden sind. Zu seinen bekanntesten Texten zählen die Choräle: „Gott ist gegenwärtig“ und „Ich bete an die Macht der Liebe“, die sich bis heute im Evangelischen Gesangbuch wiederfinden.
Eine öffentliche Präsentation der beiden neu erschienenen Bände findet statt am Mittwoch, dem 18. Juni, 18 Uhr, im Gerhard Tersteegen-Haus, Haagstraße 11, in Moers. Neben dem Herausgeber sprechen unter anderem Präses Nikolaus Schneider, Düsseldorf, und Christian Bunners, Berlin, Vorsitzender der Historischen Kommission zur Erforschung des Pietismus.
Hannover, 17. Juni 2008
Pressestelle der UEK
Christof Vetter
Hinweise:
Gustav-Adolf Benrath (Hg.), Gerhard Tersteegen: Briefe. Unter Mitarbeit von Ulrich Bister und Klaus vom Orde. Texte zur Geschichte des Pietismus, Abteilung V, Band 7. Gießen und Göttingen 2008. 1268 Seiten mit 2 Abbildungen in 2 Bänden mit 663 und 605 Seiten, Leinen, 199,00 Euro; Preis bei Abnahme der Reihe: 179,00 Euro.
ISBN 978-3-525-55339-8
Die Historische Kommission zur Erforschung des Pietismus (Pietismuskommission) ist die organisatorische Basis zur Herausgabe von Standardwerken zu Geschichte und Gegenwart des Pietismus. Sie veranstaltet internationale wissenschaftliche Tagungen. Unter anderem wird sie getragen von 17 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Seit Gründung der Pietismuskommission im Jahr 1964 lag die Geschäftsführung bei der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union. Sie wurde 2003 von der Union Evangelischer Kirchen (UEK) übernommen und obliegt heute dem Amt der UEK in Hannover.