„Unsere Hoffnung auf das ewige Leben“ Einbringungsreferat zum Votum des Theologischen Ausschusses der UEK

Prof. Dr. Michael Beintker

Herr Vorsitzender, liebe Schwestern und Brüder!

Zum ersten Mal legt Ihnen der Theologische Ausschuß der Union Evangelischer Kirchen in der EKD eine umfangreichere theologische Ausarbeitung vor. Ganz bewußt haben wir an die im Theologischen Ausschuß der EKU und im Theologischen Ausschuß der Arnoldshainer Konferenz geleistete theologischen Arbeit angeknüpft und uns nach der Zusammenführung beider Ausschüsse für ein Arbeitsvorhaben entschieden, das uns theologisch fordert und von dem zugleich theologische Orientierung zu einem zentralen Thema von Verkündigung und Seelsorge erwartet werden kann. Dabei war es uns wichtig, daß der zu erarbeitende Text nicht nur von den Spezialisten, sondern auch von interessierten Gemeindegliedern mit Gewinn gelesen und verstanden werden kann. Gehaltvolle und zugleich kommunizierbare Theologie war schon immer ein Markenzeichen der von den Vorgängerausschüssen verfaßten Texte. Wir hoffen, daß uns das auch dieses Mal geglückt ist.

 Der vorliegende Text ist Ihnen im März zugesandt worden. Das erfolgte vor der Endredaktion, die der Theologische Ausschuß vor drei Wochen auf seiner Aprilsitzung vorgenommen hat. Die redaktionellen Änderungen sind freilich so geringfügig, daß Sie sie kaum bemerken werden, wenn sie diesen Text dann mit dem Text der geplanten Buchpublikation vergleichen.

Das Thema „Unsere Hoffnung auf das ewige Leben“ empfahl sich gewissermaßen von selbst. Mit den Fragen nach dem Weiterleben nach dem Tode, nach einem Wiedersehen der Menschen, denen man in diesem Leben verbunden war, oder auch nach Paradies und Gericht beschäftigen sich heute viele Menschen. Zugleich ist in unseren Kirchen eine spürbare Unsicherheit zu beobachten, wie man angemessen auf diese Fragen eingehen kann. Zu lange ist die protestantische Hoffnungslehre von einem Denkansatz geprägt gewesen, der die eschatologische Gemeinschaft des auferweckten Menschen mit dem auferstandenen Christus so stark in den Vordergrund rückte, daß darüber die Frage, was aus mir und meinen Mitmenschen eigentlich wird, wenn wir bei Christus sind, vergleichgültigt, ja sogar theologisch problematisiert werden konnte. Allen Ernstes konnte sich das häßliche Wort von der „Ganztod-Hypothese“ in der evangelischen Hoffnungslehre einnisten, nach der die konkret gelebte biografische Existenz des Menschen vom Osterlicht des auferstandenen Christus regelrecht weggeblendet werden konnte.

Daß man es auf diese Weise schwerlich lernt, die Frage, was aus uns nach dem Tod wird, angemessen zu beantworten, liegt auf der Hand. Zusätzlich verstärkt wurden die bestehenden Unsicherheiten durch eine betont kollektive Ausrichtung der christlichen Hoffnung in den vergangenen vier Jahrzehnten. Seit dem berühmten Buch von Jürgen Moltmann zur Theologie der Hoffnung (1964) hat man zweifellos neu von der Verheißung des neuen Himmels und der neuen Erde, vom endzeitlichen Schalom, von Gottes neuer Schöpfung und der mobilisierenden Kraft der Reich-Gottes-Erwartung zur reden gelernt, aber dabei ebenfalls den individuellen, sehr persönlichen Horizont der Hoffnung schwerlich in der ihm geziemenden Weise sichtbar machen können. Außerdem geriet hier die Perspektive des Individuums rasch unter den Verdacht, sich aus der gesellschaftlichen Verantwortung und damit auch aus der Hoffnung für Welt und Gesellschaft herausretten zu wollen.

So hat sich die evangelische Theologie in ihren Aussagen zur individuellen Eschatologie und zur Hoffnung des einzelnen über seinen Tode hinaus in den vergangenen Jahrzehnten sehr zurückgehalten. Im Votum heißt es dazu: „Aus der Sorge heraus, Beschreibungen der Zukunft und des Jenseits könnten wörtlich genommen und damit mißverstanden werden, verzichteten viele Predigten und theologische Voten auf Beschreibungen des Lebens nach dem Tode. Unterrichtsentwürfe für den Religions- und Konfirmandenunterricht behandeln zwar ausführlich die Sterbe- und Trauerbegleitung, sie schweigen aber zu der Frage, was nach dem Tod auf den Menschen wartet. So ist theologisch ein Vakuum entstanden. Es besteht offenkundig eine Differenz zwischen elementaren religiösen Fragen und kirchlichen Antworten.“ (S. 7) Unser Votum möchte dieser Differenz entgegenwirken und das entstandene Vakuum überwinden. Es muß nicht sein, daß Menschen schließlich auf Reinkarnationsvorstellungen zurückgreifen, nur weil in der evangelischen Kirche an dieser sehr sensiblen Stelle nichts Hilfreiches gesagt wird.

Erlauben Sie mir einige Hinweise zum Aufbau und zu den Grundaussagen des Textes. Nach einführenden Problemanzeigen (S. 1-11) wendet sich das Votum zunächst dem biblischen Zeugnis zu, um Entstehung und Ausformung der Hoffnung auf das ewige Leben in der biblischen Überlieferung nachzuzeichnen. Gemessen am Gesamtumfang beanspruchen die der Bibel gewidmeten Darlegungen (12-53) etwa die Hälfte der Sacherörterung. Das entspricht der grundlegenden Bedeutung der biblischen Texte für die Sprache unserer Hoffnung.
Die Ausführungen zum Alten Testament machen bewußt, daß sich in Israel in biblischer Zeit die Einsicht in eine den Tod des Menschen übersteigende Treue Gottes erst allmählich entwickelt hat. Zunächst ist der Tod als Abbruch des Lebens und damit auch als Abbruch des menschlichen Gottesverhältnisses verstanden worden. Nach und nach kommt dann immer deutlicher zum Vorschein, daß Gottes Treue stärker ist als der Tod. So zeichnet sich vor allem in einzelnen Psalmen (vgl. S. 20ff.) eine Gemeinschaft mit Gott ab, die das irdische Leben und den Tod übersteigt. In einem späten Text im Danielbuch wird dann ausdrücklich von einer Auferstehung der Gerechten zu ewigem Leben gesprochen.
Weder im Alten noch im Neuen Testament finden wir die Vorstellung von der Seele als einem womöglich unsterblichen Teil des Menschen. Das Neue Testament spricht vielmehr von der Auferstehung der Toten zum ewigen Leben und sieht in der Auferweckung des gekreuzigten Jesus von Nazareth durch Gott den einzigen Grund unserer Hoffnung. Was das bedeutet, wird im Votum auf der Basis der beiden maßgeblichsten Textbereiche entfaltet: der Auferstehungsaussagen in den Briefen des Apostels Paulus sowie des Zeugnisses des Johannesevangeliums. Da die Hoffnung auf das ewige Leben im Neuen Testament immer wieder mit der Erwartung eines endgültigen Gerichts verbunden ist, werden auch jene Texte beachtet, die vom Endgericht und vom ewigen Leben sprechen. Es wird erkennbar, daß Gott uns über unser irdisches Leben hinaus die Treue hält und daß uns also der Tod nicht wirklich von Gott zu trennen vermag. Im Gerichtsgedanken kommt unsere unvertretbare Verantwortung vor Gott zum Ausdruck. Gewiß steht die Verkündigung des Endgerichts nicht im Zentrum der biblischen Hoffnungsaussagen, aber sie unterstreicht doch den Ernst der Heils- und Rettungsbotschaft des Evangeliums: „Ohne das Wissen um die Auferstehung der Toten und das endzeitliche Gericht bliebe die Ansage des endgültigen Heils ohne das ihr zukommende Gewicht“ (S. 53).
Auf die Interpretation grundlegender Aussagen der Bibel folgt das theologische Hauptkapitel des Votums (S. 54-72). In vier Schritten wird erstens nach dem Gegenstand unserer Hoffnung, zweitens nach dem, was uns erwartet, drittens nach der Hoffnung für alle Menschen und viertens nach dem spezifischen Charakter des ewigen Lebens gefragt.

Der christliche Glaube erwartet alles von Gott und seinem Handeln in Jesus Christus. Das unterscheidet ihn von den Zukunftsängsten und den Jenseitsspekulationen in der Welt der Religionen. Ewiges Leben ist „als vom ewigen, gnädigen Gott aus dem Tode erwecktes Leben zu verstehen, in dem die Sünde keine Macht mehr hat und in dem die Grenzen unserer Endlichkeit kein Hindernis für die uneingeschränkte Kommunikation mit Gott, ja mit allen seinen Geschöpfen mehr darstellen“ (S. 58). Und weiter: „Auf ein solches Leben hoffen Menschen, denen der auferstandene Jesus Christus zur ewig gültigen Bejahung ihres Lebens geworden ist. Sie hoffen darauf, daß ihnen Gott, wenn sie sterben, dieses ewige Leben geben wird.“ (ebd.). Dabei ist „ewig“ ein Gottesattribut, von allem zu unterscheiden, was wir in unserem hiesigen Leben als Zeit erfahren. Gottes Ewigkeit ist als die Konzentration der Zeitdimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Wenn Gott uns an seiner Ewigkeit teilhaben läßt, dann wird unser ewiges Leben die Konzentration unseres irdischen Lebens als erfülltes Leben sein. Unsere Lebenszeiten werden auf das konzentriert, was Gott und wir selbst nur bejahen können: „Nichts von uns selbst, was wir im Glauben, in der Liebe, in der Hoffnung und in allen von Gott bejahten Lebensvollzügen waren, wird in der Klarheit des ewigen Gottes verloren sein. Es wird von Gott erkannt und zu Ehren gebracht werden, so daß wir uns dann auch im Erkennen Gottes selbst erkennen und bejahen können (vgl. 1 Kor 13,12).“ (S. 61)

Wir heben im Votum hervor, daß die Erweckung von Menschen zum ewigen Leben nicht im Sinne einer gänzlichen Neuerschaffung des gelebten Lebens zu verstehen ist, und unterstreichen, daß Gott in seinem Offenbarmachen unserer selbst die Kontinuität wahrt zwischen dem, was wir gewesen sind und bei ihm in Ewigkeit sein werden. Wir bleiben freilich darauf angewiesen, was der ewige Gott aus unserer Lebensgeschichte machen wird, denn an uns als seinen Geschöpfen als solchen ist nichts Unsterbliches. Und wir stellen uns den biblischen Aussagen über das Gericht Gottes, dem wir als Glaubende in der Gewißheit unserer Rechtfertigung entgegengehen dürfen. Das Gericht wird offenbar machen, was uns in unserem Leben letztlich immer verborgen bleibt: „Es wird ans Licht kommen, wer wir in Wirklichkeit gewesen sind“ (S. 60). Aber wir hoffen darauf, daß im Gericht des gnädigen Gottes unser Leben auf das konzentriert werden wird, was uns als von Gott geliebte Geschöpfe eigentlich ausgemacht hat und dann ewig ausmachen wird. Und das hoffen wir nicht nur für uns, sondern für alle Menschen (vgl. 65ff.): Auch wenn sich Menschen dem Glauben an Jesus Christus verweigern, weil sie einer anderen Religion angehören oder sich als Atheisten verstehen, „können sie im Horizont der Ewigkeit Gottes doch nicht als Verlorene betrachtet werden“ (S. 65). Unsere Hoffnung richtet sich darauf, daß Jesus Christus in der Ewigkeit auch für sie eintritt.

Wichtig war uns, daß der Zusammenhang von universaler und individueller Hoffnung gewahrt bleibt. Die Zuwendung zu den Fragen der individuellen Hoffnung verläuft im Horizont der universalen Hoffnungsperspektive. Es geht hier gerade nicht um ein individuelles Sondergeschick abseits von der Zukunft, die Gott der ganzen Welt verheißen hat. Die Einseitigkeit der universalen Eschatologie der letzten Jahrzehnte soll also nicht einfach durch die einseitige Betonung des Individuellen korrigiert werden. Einseitigkeiten an dieser Stelle gehen immer zu Lasten der Hoffnung, die wir haben dürfen.

Unter der Überschrift „Der Hoffnung Gestalt und Sprache geben“ widmet sich ein weiteres Kapitel vornehmlich den Fragen des Verstehens, also dem hermeneutischen Problem eschatologischer Vorstellungen und Bilder (73-85). Die Sprache der Hoffnung ist auf Bilder angewiesen, weil sie Aussagen über Zusammenhänge macht, die über den Bereich des Hier und Heute hinausgreifen und die Bindung unserer Vorstellungen an Raum und Zeit überschreiten. Einerseits können die Bilder nicht im Sinne einer „Topographie des Jenseits“ oder einer „Reportage künftiger Ereignisse“ verstanden werden. Andererseits steht uns keine andere Möglichkeit zur Verfügung, als die Hoffnung auf das ewige Leben in solchen Bildern auszusprechen. Im Wissen um die Grenzen menschlicher Erkenntnis können wir aber darauf vertrauen, daß sich uns gerade im Gebrauch der Hoffnungsbilder Gottes rettende und heilende Wirklichkeit erschließt: Bilder der Nähe und Geborgenheit in Gott, wie sie unübertroffen im 139. Psalm aufleuchtet, Bilder des Getröstetwerdens, wie das bewegende Bild von einem Gott, der alle Tränen abwischen wird (Jes 25,5; Offb 7,17, 21,4), Bilder gelungener Gemeinschaft wie die vom Wohnen Gottes bei den Menschen (Offb 21,3) oder vom messianischen Freudenmahl und schließlich Bilder, in denen sich die Identität zwischen hier und dort mitteilt wie in der Vorstellung von der Verwandlung unseres hiesigen Leibes in den Leib der Herrlichkeit Christi (vgl. Phil 3,21) oder in der Vorstellung vom Weizenkorn, das erstirbt und gerade so viel Frucht bringt (Joh 12,14).

Das Votum schließt mit einer Betrachtung, wie die Hoffnung auf das ewige Leben dem hier und jetzt gelebten Leben zugute kommt.
Erstens: Sie verändert unser Verhältnis zu unserem Tod. Sie beschönigt und verharmlost das Elend des Todes nicht. Sie weiß um das Leid, das der Tod bringt. Aber sie kann den Gedanken zulassen, daß wir sterben müssen. Sie kann ihn ertragen, weil sie ebenso weiß, daß die Allmacht des Todes längst gebrochen ist. Deshalb hat die allgemeine Verdrängung des Todes in der christlichen Gemeinde keinen Raum. Die Gewinnung einer nüchternen Haltung gegenüber dem Sterben ist nicht der geringste Dienst, den die Gemeinde den Menschen erweisen kann. Denn nur wer es lernt, richtig zu sterben, kann auch richtig leben.

Zweitens: Die Hoffnung auf das ewige Leben verändert unser Verhältnis zu unserer Endlichkeit. Sie übt uns in der Kunst des Loslassens und rechtzeitigen Abschiednehmens. Das Geheimnis echter Lebenskunst ist der mündige Umgang mit den durch die eigene Vergänglichkeit gezogenen Grenzen. Die Erwartung des Lebens nach dem Tod verweist den Hoffenden an das Leben vor dem Tod. Er wird frei: frei von der Angst vor seinen Grenzen, seinen Fristen, seiner Endlichkeit, frei für das Jetzt, frei für die Mitmenschen, frei für Gott und die Freude an ihm.

Drittens: Als Leben in der intensiven Kommunikation mit Gott wird das ewige Leben von der unmittelbaren, durch nichts behinderten Gegenwart Gottes bei den Menschen erfüllt sein. Es ist ein Leben, in dem der Mensch das vollkommene Vertrautsein mit sich selbst erfahren wird. Frei von der Entfremdung in der Existenz der Sünde wird der Mensch in das unverfälschte Lob Gottes einstimmen. Und es ist ein Leben, in dem der Mensch durch Jesus Christus in die dichteste Kommunikation mit anderen Menschen einbezogen werden wird. Wenn aber bereits der Glaube als Kommunikation des Menschen mit Gott gelebt wird, dann wird im ewigen Leben etwas aufleben, was wir bereits in den Tagen dieses Lebens immer wieder – wenn auch bruchstückhaft und fragmentarisch – erfahren. Man kann auch sagen: Im ewigen Leben kommt zur uneingeschränkten, vollen Entfaltung und damit Erfüllung, was uns bereits jetzt im Leben und im Sterben tröstet.

Von daher läßt sich der christliche Glaube als der Anfang des ewigen Lebens mitten in dieser Weltzeit charakterisieren. Das ewige Leben beginnt gewissermaßen schon heute. So haben wir dann geschrieben: „Wer zu Jesus Christus gehört, kann eigentlich gar nicht mehr sterben. Er gehört auf die Seite jenes Lebens, auf der der Tod nur noch eine unvermeidliche Äußerlichkeit ist. Der Tod ist unvermeidlich, weil das uns geschenkte Leben ein befristetes Leben ist und bei jedem Menschen diese Frist eines Tages ablaufen wird. Der Tod ist aber nur eine Äußerlichkeit, weil er das Wesen des menschlichen Lebens nicht erreicht. Der Geborgenheit dieses Lebens in Gott, die uns durch Jesus Christus geschenkt wird, kann der Tod nichts anhaben. Gehalten in Gott, ist das Leben, unser aller Leben wirklich stärker als der Tod.“ (S. 91)