Fazit des Leiters der Kirchenkanzlei der UEK

Präsident D. Wilhelm Hüffmeier

Meine Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

mein Fazit ist so etwas wie eine kleine Begleitmusik zu dem Tätigkeitsbericht der Kirchenkanzlei für die Jahre 2003 – zum Frühjahr 2006. Doch Sie gestatten, dass ich auch noch etwas weiter zurückblicke. Fazit meint ja Ergebnis, Schlussfolgerung. Das, woraus das Fazit gezogen wird, muss also auch in den Blick treten. Insgesamt war ich 23 Jahre bei der EKU und der Arnoldshainer Konferenz und schließlich der UEK, zunächst als theologischer Referent und ab 1995 als Leiter der Kirchenkanzlei.
Wie schwer es mir seinerzeit gefallen ist, aus der Gemeinde in Berlin-Lankwitz in die Kirchenkanzlei der EKU zu wechseln, die in West-Berlin, ganz anders war das in der DDR, kein besonderes Ansehen hatte, habe ich in meiner Antrittspredigt mit einem Spottvers auf den einstigen Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin zum Ausdruck gebracht:

 „Begehrt von oben man Bescheid
 so leuchtet die Bescheidenheit
 darin, dass die Behörde spricht:
 Nein, das ist meines Amtes nicht.
 Von unten baut sich Kirch und Staat,
 ich bin der Ober-Kirchenrat.

 Geht wider Staatsdekrete man
 submiß dann die Behörde an,
 so mahnt sie klug: Bedenket doch,
 was mir bis jetzt geblieben noch!
 Das Regiment hat Welt und Staat,
 ich bin der Ober-Kirchen-Rat.“

 Traut man ihm aber einmal zu,
 dass er doch endlich etwas tu’,
 so mahnt zur Vorsicht sein Amtskleid.
 Er spricht: Es tut mir herzlich leid;
 allein begehrt nur keine Tat
 ich bin der Oberkirchen-Rat.

Nun ja, das war lange her. Ausschlaggebend für mein Ja zur EKU und zur AKf waren da¬mals, abgesehen vom Werben meines Vorgängers Alfred Burgsmüller und des damaligen Präsidenten Peter Kraske, zwei Dinge: die gesamtdeutsche Klammerfunktion der EKU zwischen Ost und West und die Möglichkeit theologischer Arbeit in der EKU wie der AKf. Mehr sach- und zeitgemäße Theologie und mehr gesamtdeutsche Gemeinschaft in der Kirche, und zwar auf allen ihren Ebenen, von den Gemeinden über die Kirchenkreise bis hin zu den Landeskirchen – das war meine Motivation. Und dabei ist es geblieben.

Ich erinnere mich gut, als ich wieder einmal in einer Krise war hinsichtlich der Frage, wem das dient, was wir in der Arnoldshainer Konferenz und in der EKU an theologischen Voten ausarbeiten, sagte mir ein befreundeter Pfarrer aus der Schweiz, dem ich die kleine Broschüre „Sein Licht leuchten lassen. Zur Erneuerung von Gemeinde und Pfarrerschaft“ zugeschickt hatte: „Wenn du an solchen Voten mitarbeitest, dann ist nicht nur den Gemeinden in Deutschland gedient“. Im Rückblick gehört übrigens diese kleine Schrift „Sein Licht leuchten lassen“ zu den mir liebsten Ergebnissen meiner Arbeit. In Kürze wird die Perspektivkommission 2030 der EKD einen Text zu Perspektiven der Evangelischen Kirche im 21. Jahrhundert vorlegen, der – wahrscheinlich ohne es zu wissen – so etwas wie eine Fortschreibung der AKf-Schrift zwanzig Jahre danach ist.

Aber die Arnoldshainer Konferenz war ja eine westdeutsche Veranstaltung und in Ostdeutschland, im Sekretariat des Kirchenbundes zumal, so gut wie unbekannt. Umso willkommener war mir die Mitarbeit in der EKU, wo theologische Leidenschaft und Freude an der grenzüberschreitenden Tätigkeit aufs Beste zusammentrafen. Es war übrigens das EKD-Ratsmitglied, Richard von Weizsäcker, der diese besondere Leistung der EKU im Jahr 1992 in einem seiner Interviews in folgende Worte fasste:
 „Es gibt keine einzige Einrichtung in ganz Deutschland, die den Zusammenhalt der Deutschen zwischen Ost und West während der ganzen Zeit der Teilung so intensiv praktiziert und repräsentiert hat wie die Evangelische Kirche.“ Und Weizsäcker fügte hinzu:
 „Eine Kirchenleitung, nämlich die der so genannten Evangelischen Kirche der Union, der EKU, hat bis zur Wende die Einheitlichkeit seines obersten Leitungsorganes, des Rates, nie preisgegeben“ (R. v. Weizsäcker im Gespräch mit Gunter Hofmann und Werner A. Perger, 1992, 65).

Sicher, die Arbeit der EKU war auch beeinflusst und beeinträchtigt von der Trennung. So kam z. B. kein Gemeinsamer Theologischer Ausschuss zu Barmen V zustande, wiewohl gerade die aktualisierende Interpretation der Barmer Thesen Kennzeichen und Stolz der einen EKU war. Aber an Barmen V gemeinsam zu arbeiten, war denn doch für die EKU   Bereich DDR   ein wenig zu heikel. Dazu gab es nur einen westdeutschen Ausschuss, übrigens unter Leitung von Jürgen Schmude. Der gemeinsame Ost-West-Ausschuss der EKU arbeitete derweil – sinnig genug - über das Reich Gottes. Dabei wäre ein gemeinsamer Ausschuss zu Barmen V eine aktuelle Bewährungsprobe der Einheit gewesen. Als dann allerdings die Demokratiedenkschrift der EKD im Jahr 1986 erschien, gerieten die Kirchen in der DDR unter einen gewissen Druck ihrer Regierung, nun doch auch etwas Theologisches zu dem Staat zu sagen, in dem sie existierten. Wäre es da nicht hilfreich gewesen, in der EKU etwas Gemeinsames zu Barmen V gemacht zu haben?

Liebe Brüder und Schwestern, dass es dennoch mit dem Nebeneinander von EKU und Arnoldshainer Konferenz im Westen sowie dem Kirchenbund und der EKU im Osten auf Dauer so nicht weiter gehen konnte, war uns schon in der Zeit vor 1989 bewusst. Ich erinnere mich noch an Zusammenlegungsmodelle, die wir in der EKU und der AKf in den 80er Jahren diskutierten. In den 70er Jahren hatte der kürzlich verstorbene westfälische Präses Hans Thimme von der in die EKD integrierten EKU gesprochen und der badische Bischof Heidland von AKf und VELKD als Arbeitsgemeinschaften in der EKD. Dabei standen wir in der EKU seit 1979 unter dem Eindruck des – dann gescheiterten - Weges vom Bund der Evangelischen Kirchen zur Vereinigten Evangelischen Kirche in der DDR. Da war ja schon einmal ein Ende der EKU angesagt und auch fast, wie bei der VELK/DDR, realisiert. Was damals viele gedacht und gewollt haben, kommt nun in der EKD-Strukturreform zum Ziel. Die Initiatoren haben dabei vom Scheitern früherer Initiativen gelernt. „Verbindungsmodell“ hieß nun das Schlüsselwort.

Wir in der EKU sind jedenfalls nicht überrascht worden. Das ist auch einer der Gründe, warum ich mich sehr dafür eingesetzt habe, nach der Vollversammlung der Leuenberger Kirchen 1987 in Straßburg dem Leuenberg-Sekretariat in Berlin eine Heimat zu geben. Düsseldorf war damals übrigens auch im Gespräch. Leuenberg – das bedeutete wiederum eine theologische Herausforderung, nun allerdings im Gestaltungsraum Europa, der auch Deutschlands Zukunft war und ist.
Ich hatte damals übrigens einen Traum. In ihm nahm die EKU ab und die evangelische Kirchengemeinschaft in und für Europa wuchs und wuchs. Zu diesem Traum gehörte eine Berliner Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirchengemeinschaft in Europa. Ja, so etwas habe ich schon vor 1989 geträumt. Dass es anders gekommen ist, nun, dafür gibt es viele Gründe. Oft genug erfüllen sich Visionen nicht unbedingt an dem Ort und in der Art und Weise, wofür und wie sie ursprünglich einmal geträumt wurden. Wie singt Paul Gerhardt: „Bist du doch nicht Regente, der alles führen soll, Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl!“

Liebe zur evangelischen Theologie, gesamtdeutsches Bewusstsein und Leidenschaft für die evangelische Präsenz in Europa, das sind die drei Konstanten, die das Fazit meiner Tätigkeit als Leiter der Kirchenkanzlei der EKU/UEK ausmachen. Nichts Besonderes je für sich, aber vielleicht als Trias eben doch. Das war’s auch, was zu der verheißungsvollen und jäh abgebrochenen Arbeitsgemeinschaft mit Peter Beier in der EKU, der AKf und in Leuenberg führte.
Zu der ersten Konstante gehört nicht nur die Erinnerung an Leistungen, die die EKU für die Interpretation der Barmer Theologischen Erklärung oder bei der Stiftung des Karl-Barth-Preises erbracht hat. Wenn Sie einen Lutherforscher in der DDR danach fragen, wer von den Landeskirchen oder den Kirchenbünden am meisten für die Lutherforschung in der DDR getan hat, werden sie fast durchweg hören: die EKU. Da sind Einzelpersonen wie Joachim Rogge zu nennen oder Hans-Ullrich Delius, der die sechsbändige Luther-Studienausgabe betreute, die nun in eine dreibändige lateinisch-deutsche Studienausgabe einmündet. Deren 1. Band ist gerade im Februar 2006 erschienen. Endlich, endlich die wesentlichen Luthertexte wie z. B. „Assertio omnium articulorum“ oder „De servo arbitrio“ oder „Disputatio de homine“ in der Ursprache und neuer Übersetzung beisammen. Wenn auch die Idee dazu an der Universität entwickelt ist, so hat die UEK-Kirchenkanzlei den wesentlichen Schritt zu ihrer Realisierung mit der VELKD und der EKD getan.

Aus dieser Verbundenheit der EKU mit den kirchlichen Hochschulen und den theologischen Fakultäten heraus sind die Historische Kommission zur Erforschung des Pietis¬mus, der Theologische Arbeitskreis für reformationsgeschichtliche Forschung, der Arbeitskreis für kirchengeschichtliche Forschung in der EKU und nicht zuletzt die Evangelische Forschungsakademie entstanden. Alle diese Aktivitäten arbeiten mit relativ kleinen Haushalten, sind aber von großem Nutzen für die Wechselbeziehung von Kirche und Theologie. Deshalb gehört es zu einer der bitteren Enttäuschungen am Ende meiner Tätigkeit, dass eine der großen Landeskirchen in der EKD trotz Bittens und Flehens aus der Trägerschaft der Pietismuskommission ausgeschieden ist, wobei es nur um einen Beitrag von jährlich 3.500,00 Euro ging. Hier stattdessen für Stabilität der Beziehungen, für Verlässlichkeit zu sorgen, bleibt eine Aufgabe unserer UEK, auch bei abnehmender Finanzkraft.

Dass darüber hinaus die Arbeit unseres Theologischen Ausschusses der UEK weitergeht, scheint mir ein gutes Zeichen, auch wenn ich überzeugt bin, dass die Traditionen der theologischen Ausschüsse von EKU und AKf sich in der Kammer für Theologie der EKD gut fortsetzen werden. Die Konstruktion dieser Kammer verlangt freilich in gewisser Weise auch die Fortexistenz unseres Theologischen Ausschusses, denn die Vorsitzenden der theologischen Ausschüsse von UEK und VELKD sind qua Amt Vorsitzende der Kammer für Theologie der EKD. Das war sozusagen ein Vorgriff auf die Strukturreform.

Was – die zweite Konstante meines Fazits - den Zusammenhalt zwischen Ost und West, die Förderung der Einheit unserer Evangelischen Kirche in Deutschland und unseres Vaterlandes angeht, weiß ich ja, dass das Ende der EKU in ihrer alten Form auch damit zusammenhängt, dass unsere westdeutschen Kirchen an dem Finanzausgleich zugunsten der östlichen Kirchen teilnehmen und sie über die EKU nicht noch einen zweiten Finanzausgleich finanzieren wollten und konnten. Umso erfreuter stimmt mich die Fortsetzung der Arbeit der Berliner Bibelwochen im Rahmen der Evangelischen Akademie zu Berlin. Hier wächst auf Gemeindeebene zusammen, was zusammengehört, was aber aufgrund einer längeren unterschiedlichen Geschichte doch sehr unterschiedliche Sichtweisen haben kann. Im Übrigen existieren ja viele der Gemeindepartnerschaften aus der Zeit der Trennung fort. Dem weiteren Zusammenwachsen wird auch die gegründete EKU-Stiftung, z. B. mit ihrer Hilfe für das Predigerseminar Wittenberg oder für den geistlichen Leuchtturm in der Prignitz, dem Kloster Stift zum Heiligengrabe, dienen, die Fortdauer des Alt-EKU-Kollektenverbundes (Baden ist auch schon dabei) und viele einzelne Gemeindepartnerschaften. Aber auch die künftige UEK muss als ein Element ihrer Tätigkeit die Pflege dieser Gemeinsamkeit erkennen und praktizieren.
Zum Schluss komme ich auf die dritte Konstante meines Fazits zurück. Sie bildet ja ein Extrathema dieser Vollkonferenz: Die Verantwortung der UEK für die Gemeinschaft Evan¬gelischer Kirchen in Europa; genauer: für den Erhalt und die Stabilisierung des Sekre¬tariats der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa, nun nicht an dem von mir er¬träumten Standort Berlin, sondern in Wien. Welches der bessere Ort ist, darüber kann man streiten. Ich neige dazu zu sagen, Wien ist besser. Nicht nur wegen des Charmes der Stadt und der Österreicher. In Wien muss eine protestantische Minderheitenkirche zeigen, was ihr das evangelische Europa im Ganzen und die Gemeinsamkeit der Evangelischen Kirchen in den verschiedenen europäischen Ländern im Einzelnen wert ist. Und die die GEKE tragenden Kirchen müssen beweisen, was ihnen ein solches Sekretariat gerade in einer Minderheitenkirche wert ist. Die Herausforderung ist ein Art Lackmustest. Dabei kommt den unierten Kirchen, die finanziell nicht die konfessionellen Weltbünde mittragen, eine besondere Verantwortung zu.

Liebe Schwestern und Brüder, in all den Jahren meiner Tätigkeit in der EKU, der AKf und nun in der UEK spielte ein Wort immer eine hervorgehobene Rolle. Das Wort: „verbind¬lich“. Verbindlichere Strukturen, verbindlichere Gemeinschaft, Verbindlichkeit in der Beziehung von Ost und West. Auch die Strukturreform der EKD zielt ja auf mehr Verbindlichkeit. Was meinen diese Worte eigentlich? Die deutschen Ausdrücke „verbindlich“ und „Verbindlichkeit“ haben gleich eine dreifache Bedeutung. Zum einen meint „verbindlich“ soviel wie freundlich, persönlich, gewinnend und kommunikativ. Zum anderen bedeutet es „verpflichtend“, „bindend“, „verlässlich“ und zum Dritten schwingt darin die Bedeutung von „verbinden“ mit. Verbindlichkeit ermöglicht und erhält Gemeinschaft.
Verbindlich im Sinne von freundlich und gewinnend weist in die Dimension des Evangeliums. Was an die Kirche bindet und in der Kirche verbindet, muss stets zurückzuführen sein auf den befreienden und tröstlichen Zuspruch des Evangeliums. Denn was mich nicht froh macht, wird mir auch nicht verbindlich sein. Hingegen bringt die Bedeutung „verpflichtend“ und „bindend“ das zum Ausdruck, was man den Anspruch des Evangeliums nennen könnte. Wer das Evangelium wirklich verstanden hat, wird sich auch darauf festlegen lassen wollen. Er wird es nicht missen wollen. Das ist der Sinn von Barmen III, und hier liegen die Aufgaben unseres Rechtsausschusses. Gerade um der Verbindlichkeit willen, war mir das Zusammenwirken mit den Kirchenjuristen ein hohes theologisches Gut, abgesehen von der Klarheit juristischen Denkens.

Mein Wunsch ist es, dass sowohl die durch die Strukturreform verbesserte EKD als auch die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa von der gewinnenden und der verpflichtenden Verbindlichkeit der beteiligten Kirchen getragen sein möchte. Einen kleinen Beitrag zu beiden habe ich versucht zu leisten. Ich hätte das nicht vermocht, wenn ich nicht im Kollegium der Kirchenkanzlei und in der Mitarbeiterschaft jene doppelte Verbindlichkeit vorgefunden hätte, ein Miteinander gegenseitiger Freundlichkeit und Verlässlichkeit. Und natürlich auch im Rat bzw. im Präsidium, was übrigens den Zusammenprall verschiedener Meinungen nicht ausschließt. Sie sind manchmal befreiend und reinigend wie Gewitter.

Im Übrigen gilt für den Beginn und das Ende einer kirchlichen Tätigkeit: Gottes Knecht macht keinen Lärm. Ich kann nun wieder verstärkt dorthin zurückkehren, von wo einst wegzugehen mir so schwer fiel: in die Gemeinde, womöglich in die der Friedenskirche in Potsdam, deren Gemeindeglied ich seit kurzem bin. Aber erst einmal gilt es ja, bis zum Jahresende auszuharren. Dass der Abschied dann aus dem Haus in der Jebensstraße schwer fallen wird, brauche ich nicht zu beteuern, auch wenn es zwischen Preußen, speziell Potsdam, und der Militärseelsorge eine bemerkenswerte Verbindung gab und wieder gibt. In jedem Fall werde ich eine These aus Peter Beiers berühmten Reformationsthesen von 1989 im Kopf haben: „Lebe deine Tage. Es sind lauter letzte Tage“, allerdings ergänzt und interpretiert durch Johannes Zwicks Morgenlied: „All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu …“. Ich danke Ihnen.