Christlicher Glaube und wissenschaftliche Vernunft im Gespräch
Bericht über die Evangelische Forschungsakademie (EFA) für die Vollkonferenz von Professor Dr. Andreas Lindemann, Bielefeld
17. Mai 2008
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,
sehr herzlich danke ich Ihnen dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, die Evangelische Forschungsakademie – abgekürzt mit dem schönen Namen EFA – kurz vorzustellen. Seit ihrer Gründung im Jahre 1948 wurde die EFA als Einrichtung der Evangelischen Kirche der Union finanziell und ideell gefördert; wir sind außerordentlich dankbar dafür, dass die Union Evangelischer Kirchen in der EKD diese Förderung unserer Arbeit fortsetzt und dass in dem Grundsatzpapier der UEK die Evangelische Forschungsakademie ausdrücklich Erwähnung findet.
Ich möchte Ihnen in aller Kürze etwas zur Geschichte der EFA sagen und zu unserer gegenwärtigen Arbeit.
Die Evangelische Forschungsakademie entstand im Zuge jener Entwicklung nach 1945, die zur Gründung der Evangelischen Akademien führte. Das Besondere der EFA war es, dass sie ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachbereiche wurde, die das Gespräch zwischen Wissenschaft und Kirche bzw. zwischen Wissenschaft und christlichem Glauben suchten und voranzubringen bemüht waren. Ich zitiere aus einem 1948 an die Studiengemeinschaft der Evangelischen Akademien gerichteten Brief: Die Evangelische Forschungsakademie ist „eine Arbeitsgemeinschaft evangelischer Gelehrter. Sie bezweckt den Austausch zwischen dem evangelischen Glauben und der wissenschaftlichen Arbeit aus allen Gebieten. Sie veranstaltet Arbeitstagungen und gibt wissenschaftliche Veröffentlichungen heraus.“
Die Arbeit und der Kreis der Mitglieder der EFA mußte sich schon früh auf das Gebiet der sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR beschränken; im Westen entstand die Evangelische Studiengemeinschaft mit ihrer Forschungsstelle in Heidelberg. Dazu noch ein interessantes historisches Detail: Im November 1988 legte der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR der EFA nahe, sie solle sich von der EKU trennen und sich dem Kirchenbund zuordnen. Nach eingehender Diskussion darüber fasste das Kuratorium den Beschluss: „Die EFA behält ihre Zuordnung zur EKU bei aus Gründen, die in ihrer spezifischen Arbeit und Aufgabenstellung liegen.“ Auch nach 1990 blieb die Forschungsakademie eine Einrichtung der EKU und dann der UEK.
In der Arbeit der EFA sollte und soll es zur Begegnung der einzelnen Wissenschaften untereinander und auch zu deren Begegnung mit der Theologie kommen, um der durch die Spezialisierung sich verstärkenden Entfremdung entgegenzuwirken. In seinem Grundsatzreferat auf der Eröffnungstagung der EFA 1948 sagte Alfred Dedo Müller, Professor für Praktische Theologie in Leipzig, man wolle versuchen, „die Universalität der in der christlichen Offenbarung erschlossenen Wirklichkeitserkenntnis, die dem modernen Bewusstsein völlig verborgen ist, neu zu erschließen“. Um eine allzu enge Begrenzung der menschlichen Erkenntniswege auf ausschließlich wissenschaftlich nachprüfbare und messbare Ergebnisse zu vermeiden, wurde und wird bei der EFA auch auf die Einbeziehung der Künste Wert gelegt.
Die von mir zitierten vor sechzig Jahren gegebenen Situationsbeschreibungen gelten letztlich immer noch, im Grunde sogar verstärkt: Es gibt einerseits einen ständigen Zuwachs an wissenschaftlicher Erkenntnis, der von den einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern selbst im engeren Fachgebiet kaum noch zu bewältigen ist. Es gibt zugleich immer weniger Spielräume für die Möglichkeit, über den Horizont der eigenen engen Forschung hinaus blicken zu können.
Die Evangelische Forschungsakademie will dazu beitragen, eine rein positivistisch ausgerichtete Interpretation der gegenwärtigen Forschung zu überwinden. Auf diese Weise wollen wir der immer mehr um sich greifenden reduktionistischen Deutung wissenschaftlicher Arbeitsergebnisse eine der christlichen Offenbarung Raum gebende integrierende Sichtweise entgegenstellen. Ein aktuelles Beispiel sind die Tendenzen, die sich gegenwärtig etwa in der Hirnforschung zeigen; die nächste Tagung im Januar 2009 in Berlin, die unter dem Thema „Die Würde des Menschen – Herausforderungen in unserer Zeit“ steht, wird zu dieser Debatte in besonderer Weise einen Beitrag leisten.
In einer Sondersitzung des Kuratoriums haben wir kürzlich intensiv über Struktur- und Zukunftsfragen der Evangelischen Forschungsakademie nachgedacht. Uns ist bewusst, dass die Bereitschaft zu einer lebenslangen Bindung an eine Institution abnimmt, und wir sehen, dass säkulare Denkweisen und Denkstrukturen das gesellschaftliche Leben immer mehr beeinflussen und zu einer Herausforderung werden. Die EFA mit ihrem besonderen Arbeitsstil und mit ihren Erfahrungen kann angesichts dessen eine wichtige stabilisierende Funktion für ihre Mitglieder und wohl auch für die Kirche darstellen. Alfred Krabbe, Professor für Astrophysik in Köln und Mitglied des EFA-Kuratoriums, umriss für das Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Glaube einige Perspektiven, die ich kurz referieren will, da sie mir wichtig und weiterführend zu sein scheinen: Wissenschaftliche Methoden enden an den Grenzen objektiv vermittelbarer Erkenntnis und demonstrierbarer Verfahren, und so bewegen sie sich stets in den Grenzen dessen, was experimentell überprüft werden kann. Der unbestreitbare Erfolg wissenschaftlicher Arbeit beruht nicht zuletzt auf dem von ihr angewandten methodischen Atheismus. Dieser ist wissenschaftlich unvermeidlich; aber die rein mathematische Beschreibung der physischen Wirklichkeit stellt eine Reduktion der Gesamtwirklichkeit dar. Krabbe spricht von drei „Wirklichkeitsräumen“: Es gibt erstens den Raum der Wirklichkeit bereits gewonnener wissenschaftlicher Erfahrung. Es gibt zweitens den Raum künftiger wissenschaftlich möglicher Erfahrungen. Und es gibt drittens den Raum jenseits dieser Erkenntnisgrenzen. Materialisten oder Atheisten bestreiten die Existenz dieses dritten Raumes; aber die Frage nach dessen Existenz muss offen gehalten werden, weil Aussagen über ihn nicht objektiv vermittelt werden können. Christen sind in ihrem Glauben davon überzeugt, dass die wissenschaftlich überprüfbare Wirklichkeit jedenfalls nur ein Teil des größeren Raumes ist, den wir die Wirklichkeit Gottes nennen und in dem subjektive, persönliche Glaubenserfahrungen gemacht werden können. Der Atheismus vieler Wissenschaftler beruht faktisch selber auf einer „Glaubensentscheidung“ – nämlich auf der Ansicht, es gebe keine Erfahrung jenseits der wissenschaftlich messbaren und nachprüfbaren Erfahrung und es lasse sich alle Erfahrung in den wissenschaftlichen Raum einordnen.
Die gemeinsame Arbeit in der Evangelischen Forschungsakademie will sowohl die Geistes- als auch die Naturwissenschaften möglichst in ihrer ganzen Breite umfassen; darin hat sie, wie man so schön sagt, ein „Alleinstellungsmerkmal“. Ich zitiere Wilhelm Hüffmeier, ebenfalls Mitglied des Kuratoriums der EFA: „Eine solche Arbeitsgemeinschaft aus sich evangelisch verstehenden Wissenschaftlern aus allen Wissenschaftsrichtungen gibt es sonst nicht im deutschen Raum.“
In 120 Tagungen mit insgesamt fast 750 gehaltenen wissenschaftlichen Referaten und nahezu 150 sonstigen Beiträgen, darunter Lesungen von Schriftstellern, Berichten zur aktuellen kirchlichen Lage und Exkursionen, hat sich die Evangelische Forschungsakademie den Herausforderungen der Zeit gestellt. 560 Referenten haben bei den Tagungen gesprochen, etwa zur Hälfte Mitglieder der EFA selber; hier zeigt sich das inhaltliche Engagement der Mitglieder, die ehrenamtlich arbeiten und keine Vortragshonorare erhalten. Als Illustration zur Atmosphäre bei den Tagungen zitiere ich die Aussage eines jüngeren Akademie-Mitglieds: „Der von der Evangelischen Forschungsakademie erstrebte und praktizierte interdisziplinäre Dialog hebt sich vom Befahren alter, ausgefahrener Gleise über weite Strecken wohltuend ab … Das Erleben von aus der Fachlichkeit resultierender Distanz und von in der eigenen Fachlichkeit begründeter Grenzen der Erkenntnis macht (wohl nicht nur für den neu hinzukommenden Gast) den Reiz der Tagungen der Evangelischen Forschungsakademie aus.“
Die Mitglieder der EFA werden durch das Kuratorium berufen. Gegenwärtig hat die Forschungsakademie 85 ordentliche Mitglieder; 19 von ihnen sind Theologen aller theologischen Fächer, elf Mitglieder gehören zum weiten Bereich der Geisteswissenschaften, darunter Historiker und Juristen; ferner arbeiten mit sieben Sozialwissenschaftler, zwei Wirtschaftswissenschaftler, acht Kulturwissenschaftler, zehn Mediziner, 23 Naturwissenschaftler und fünf Technikwissenschaftler. Dass wir diese Fächervielfalt erhalten und verbreitern, war und ist eine ständige Aufgabe der EFA. An dieser Stelle darf aber vielleicht auch an Sie eine Bitte richten: Es wäre schön, wenn Sie aktiv forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Bereich Ihrer Kirchen, insbesondere Nichttheologen, auf die Arbeit der Forschungsakademie aufmerksam machen könnten.
Ein Wort zu unseren beiden jährlich stattfindenden Arbeitstagungen: In den Januartagungen arbeiten wir über solche Themen, die über den Fachdisziplinen stehen – das Thema der nächsten Tagung zum Thema „Menschenwürde“ habe ich bereits erwähnt. Den Berichtsband von der diesjährigen Januartagung, die unter dem Thema stand „Zukunft der Arbeitswelt – Arbeitswelt der Zukunft“, haben Sie erhalten. In aller Regel werden die bei den Tagungen gehaltenen Vorträge in gedruckter Form und teilweise auch im Internet dokumentiert. Beiträge, die das Kuratorium für besonders wichtig hält, werden in der Schriftenreihe „Erkenntnis und Glaube“ publiziert.
Die Pfingsttagungen enthalten im allgemeinen ein mehr oder weniger breites Angebot von Vorträgen aus den in der Evangelischen Forschungsakademie selber vertretenen Fachgebieten. Ich nenne als Beispiel drei der neun Vortragsthemen von der diesjährigen Pfingsttagung im Evangelischen Zentrum Kloster Drübeck: „Bauklimatische Fragestellungen bei der Präsentation von Kunstgütern am Beispiel des Fastentuches in Zittau“ – der Vortrag eines Ingenieurs aus Dresden. „Am Anfang war das Wort – Zum Verhältnis von Schöpfung und Sprache im Alten Israel“ – der Beitrag eines Leipziger Alttestamentlers. Und ein drittes Beispiel: „Logistik- und Supply Chain Management – Von Funktionenlogistik zur globalen Netzwerklogistik“ – so der Titel des Vortrags, der von einem im Bereich operations research tätigen Mathematiker aus Köln gehalten wurde. Die Pfingsttagungen geben neben der wissenschaftlichen Arbeit auch Gelegenheit, das persönliche Gespräch zwischen den Mitgliedern zu fördern.
Wir sind bemüht, Verbindungen zu ähnlich arbeitenden Institutionen in anderen Ländern aufzubauen. Seit langem bestehen Beziehungen zum „Zentrum für reformatorische Philosophie“ in den Niederlanden; diese Zusammenarbeit fand ihren besonderen Ausdruck darin, dass die Pfingsttagung 2007 in Doorn stattfand. Dabei bildete, abweichend vom Üblichen, ein inhaltliches Thema den Rahmen – die Frage nach der Haltung der Kirchen angesichts der sozialen Lage in Europa.
Ich möchte noch einmal betonen: Die Evangelische Forschungsakademie richtet ihre Arbeit aus an dem Grundanliegen der Suche nach der Erkenntnisfunktion des Glaubens. Christen stehen als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor zwei Herausforderungen: Sie haben zum einen die Aufgabe, den christlichen Glauben vor der wissenschaftlichen Vernunft zu verantworten; sie haben aber auch die Aufgabe und die Verpflichtung, den christlichen Glauben vor der religiösen Unvernunft zu schützen.
Vielleicht darf ich noch etwas hinzufügen: Der Forschungsakademie könnten in zweifacher Weise konkrete Aufgaben gestellt werden: Die in den Kirchen für die theologische Arbeit Verantwortlichen könnten Fragen an die in der EFA vertretenen, meist interdisziplinär verflochtenen Wissensgebiete richten. Und umgekehrt könnten vor allem diejenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der EFA, die nicht Theologen sind, auf Probleme hinweisen, die ihnen ihre Arbeit unter den gegenwärtigen auch wissenschaftspolitischen Bedingungen aufzwingt.
Uns ist bewusst, dass der Ertrag der Arbeit der EFA in erster Linie für die Mitglieder selber wirksam ist. Dass sie als Multiplikatoren in die Gesellschaft und insbesondere auch in die Kirchen hinein wirken, ist freilich unsere Hoffnung. Wir sehen mit Optimismus und von Zuversicht getragen in die Zukunft, und wir möchten unseren Weg gehen in der nicht nachlassenden Bemühung, den selbstgesetzten Zielen und Aufgaben nach bestem Vermögen zu entsprechen.