„Theologischer Biss und Mut zum Bekenntnis“
Rede von Präses Nikolaus Schneider zum Empfang der Evangelischen Kirche im Rheinland für die UEK-Vollkonferenz in der Gemarker Kirche, Barmen
16. Mai 2008
Liebe Schwestern und Brüder,
wie Sie wissen, schuf Gott am Anfang das Rheinland. Vor fast 200 Jahren schuf Preussen die Rheinprovinz und damit einen konsolidierten Protestantismus. Das protestantische Rheinland entwickelte sich zu einem starken Pfeiler der EKU - bis vor 10 Jahren. Da nahm die Evangelische Kirche im Rheinland zur Kenntnis, dass die EKD ekklesialen Rang hat, d.h. mehr ist als ein Inkasso-Büro bzw. eine Denkschriftenproduzentin.
Vor 5 Jahren hat unsere Kirche im Vollbesitz ihrer geistigen und geistlichen Kräfte den interkulturellen Schritt über das kirchenpolitische und kulturelle Ambiente der EKU hinaus gewagt und damit deutlich gemacht, dass sie nicht auf die Repristinierung nationalkirchlicher Bestrebungen preußischer Prägung aus ist. Die Preußenliebe unseres verehrten Präses Peter Beier hatte nie Bekenntnisrang.
Was unsere Kirche schon in der „guten alten Zeit“ unter Preußens Gloria zum unregelmäßigen Verb machte und hoffentlich heute sowohl in der UEK als auch in der EKD im positiven Sinne anstößig sein lässt, ist ihre Prägung als Gemeinschaft von Gemeinden, die nachdrücklich und selbstbewusst ihre jeweiligen konfessionellen Bindungen gelebt haben und vielerorts auch heute mit Sinn und Verstand leben. Wenn in unserer Kirche uniert wurde, dann auf Grund von Überzeugungen der Leitungsgremien von Gemeinden.
Das in den Verfassungsplänen Friedrich Wilhelms IV angestrebte Ziel einer episkopal-staatskirchlichen Neuordnung der preußischen Kirche als Nationalkirche fand zwar auch im Rheinland Sympathisanten, aber immer dominierten die unmissverständlichen Absagen an weltliche Verfügungsgewalt über Bekenntnisbindung und Kirchenleitung. Darum gilt bis heute die Betonung der presbyterial-synodalen Kirchenverfassung und der Bedeutung synodaler Entscheidungshoheit, in der die Pluralität der Bekenntnisbindungen sich glücklich mit dem Sinn für Gemeinsamkeit in Zeugnis und Dienst verband und bis heute verbindet.
Die gewachsenen Wurzeln unserer Kirche reichen tiefer. Das protestantische Rheinland ist geprägt von Christinnen und Christen, die wegen ihres Glaubens in Konflikt mit ihren weltlichen Obrigkeiten gerieten und dafür Leib und Leben, Heimat und Besitz aufgaben. Migrantinnen und Migranten aus Frankreich, dem heutigen Belgien und den Niederlanden haben unserer Kirche den Respekt vor konfessioneller Bindung vererbt, in gleicher Weise aber auch das Gespür für den europäischen Horizont des Protestantismus.
Deshalb ist ein Verständnis von „Bekenntnis“ gewachsen, das von Michael Weinrich gut auf den Punkt gebracht ist: „Bekennen vollzieht sich ... nicht durch Zitation, sondern in erster Linie im jeweils gegenwärtigen Antworten auf das gehörte Wort Gottes im Horizont der spezifischen Herausforderungen, denen sich die Kirche in ihrer jeweiligen Gegenwart ausgesetzt weiß. Indem das Bekenntnis der Kirche nicht nur nach innen, sondern vor allem auch nach außen gerichtet ist, kommt es entscheidend auf seine Deutlichkeit an. Es geht um eine öffentliche Positionierung der Kirche, mit der sie deutlich zu machen versucht, wo sie steht. Hätte die Kirche im Nationalsozialismus anstelle des Barmer Bekenntnisses (1934) nur das Apostolische Glaubensbekenntnis in Erinnerung gerufen, so wäre es wohl kaum gelungen, verstehbar auf die spezifische Brisanz ihrer konkreten Positionierung aufmerksam zu machen.“
Aus diesem Grund genießt die Barmer Theologische Erklärung in unserer Kirche eine - auch in der Kirchenordnung verankerte – Wertschätzung wie vielleicht in keiner anderen Landeskirche. Und wir wissen, dass „Barmen“ vereinigt und trennt, aber m.E. nicht entlang konfessioneller Grenzen. Der Lutherische Weltbund hat z.B. in seinen Erklärungen zu „Mission“ und zur „Globalisierung“ eine hohe Affinität zur Tradition von Barmen.
Insofern sind die durch den Rat der EKU 1997 initiierten Schritte zur Transformation der EKU und der Arnoldshainer Konferenz in eine Union Evangelischer Kirchen, die wiederum die EKD in ihrer ekklesialen Dignität und Bedeutung stärken soll, für die Evangelische Kirche im Rheinland hinsichtlich der denominationellen Entwicklungen völlig unproblematisch. Es geht uns darum, im Geiste der Barmer Theologischen Erklärung bekennende Kirche in der Gestalt von Volkskirche zu sein, bzw. zu werden. Daran ist zu messen, welche Bedeutung die UEK innerhalb der EKD in der Zukunft hat. Daran ist auch die ekklesiale Dignität der EKD zu messen.
Das „Communio-Konzept“ des Lutherischen Weltbundes, das von der VELKD in der Diskussion um die Zukunft der EKD nachdrücklich unterstützt wird, weist auf einen neuralgischen Punkt hin: territoriale Definitionen von Kirche sind als ekklesiologisches Kriterium nur ernst zu nehmen, wenn das Bekennen der Kirche sich theologisch begründet notwendigerweise auf einen bestimmten territorialen Kontext bezieht. Das Faktum, dass alle Vorformen der EKD im 19. Jh., auch in der rechtlich diffusesten Verfassung, genügten, um gemeinsame Minimalforderungen der Kirchen gegenüber dem Staat zu artikulieren, unterstützt die Position der VELKD.
Die beiden Brennpunkte der heute diskutierten Ellipse sind „bekennende Kirche Jesu Christi“ und „dominanter Kontext kirchlichen Lebens und Handelns“. Anders ausgedrückt: Wie formiert sich das „esse“ der Kirche zum „bene esse“? Allgemein wird man dazu sagen können, dass trotz Globalisierung der Nationalstaat hinsichtlich seiner Geschichte, seiner Kultur sowie seiner gesellschaftlichen und politischen Verfassung den für die Kirche noch aktuellen Kontext des Zeugnisses und Diensts hergibt. Ich sage dies unter dem Vorbehalt, dass die EU diesen primären Kontext mehr und mehr relativiert, weshalb unsere Kirche auch weiterhin für eine Europäische Protestantische Synode eintritt.
Die Leitfrage unserer Kirche ist: Welchen Beitrag zur Trennschärfe wie zur verbindlichen Gemeinschaft im aktuellen Bekennen und Leben der EKD kann und muss die UEK als ekklesiales Subjekt angesichts des auf Dauer angelegten Modells „VELKD“ weiterhin leisten? (§ 2 des Vertrags zwischen UEK und EKD vom 31.8.2005: „soviel Gemeinsamkeit wie möglich und soviel Differenzierung, wie aus dem Selbstverständnis der UEK nötig.“)
Ich nenne ein paar Beispiele, die unserer Kirche wichtig sind:
1. Bezüglich der Kirchenverfassung sehen wir – wie schon erwähnt – auch im medial geprägten Zeitalter, dass gern einzelne Köpfe als Symbol für Positionen sieht, keine Veranlassung, uns auf eine umfassende „Episkopalisierung“ des Protestantismus einzulassen. Wie immer kirchenleitendes Handeln in der Öffentlichkeit kommuniziert wird – die Aufrechterhaltung und Stärkung der presbyterial-synodalen Ordnung auf allen Ebenen innerhalb der Landeskirchen wie der EKD ist für uns unabdingbar. Unsere synodalen Erfahrungen weisen uns zwar auch auf Schwächen unseres Systems hin, widerlegen aber insgesamt die Behauptungen mancher Organisationsberater, solche Entscheidungsorgane seien heutzutage nicht mehr effizient.
2. Ebenso ist für unsere Kirche weiterhin wichtig, zu den Themen „Amt“ und „Ordination“ als UEK im kritischen Gespräch mit der VELKD zu bleiben. Ich erinnere mich diesbezüglich gern an den Vortrag Prof. Beintkers über „Die bleibende Bedeutung der theologischen Gespräche im Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR“ (Vollkonferenz 2005). Zur Stellungnahme „Ordnungsgemäß berufen“ der VELKD sollte die UEK ein gemeinsames Votum formulieren.
3. Unsere Kirche hat sich im Bewusstsein, dass die Leuenberger Konkordie und die sich daraus immer profilierter entwickelnde GEKE ein großes Geschenk für die Kirchen der Reformation sind, entschlossen, weder dem Lutherischen noch dem Reformierten Weltbund beizutreten. Wir sind der Überzeugung, dass nach dem Maße theologischer Übereinstimmung in Grundfragen unseres Glaubens und unseres Verständnisses von Kirche auch deren Gestalt transformiert wird, um eines glaubwürdigen gemeinsamen reformatorischen Zeugnisses in Kirche und Gesellschaft willen.
Insbesondere bedauern wir, dass die VELKD weiterhin lutherische Europa-Arbeit als integralen Bestandteil der Gesamtstruktur des LWB reklamiert und damit einer wirksameren Zusammenarbeit von lutherischen, unierten und reformierten Kirchen in der GEKE Grenzen setzt.
Die UEK wird dies auf absehbare Zeit nicht ändern können, hat aber die Chance, ihr Engagement in der GEKE zu profilieren. Lohnend erscheint uns ein gemeinsames Konzept für die Beziehungen nicht nur zur UCC, sondern auch zu den Diaspora- und Minderheitenkirchen in West-, Süd- und Südosteuropa (systematische Öffnung unserer theologischen, pädagogischen und diakonischen Ausbildungsstätten, Freiwilligenaustausch, gemeinsame Jugendarbeit, Koordinierung von Gemeinde- und Kirchenkreispartnerschaften sind nur einige Beispiele).
4. Nicht minder wichtig ist unserer Kirche, dass die UEK in der EKD die Bindungen an lutherische Kirchen im Ausland um unierte und reformierte Kirchen erweitert und die nach wie vor engen Beziehungen zu ehemaligen „Siedlerkirchen“ einer kritischen Revision unterzieht.
5. Auch unsere Verantwortung in unseren Missionswerken, die ein prominenter Teil
protestantischer Mission im deutschsprachigen Raum sind, sollte um der Qualifizierung dieser Arbeit willen in der UEK gemeinsam thematisiert werden.
Last but not least noch ein Votum zum Thema „Globalisierung“. Die Synode unserer Kirche hat im Januar d.J. unter anderem beschlossen: „Die Frage nach dem Bekenntnisrang wirtschaftsethischer Positionen in der gegenwärtigen Debatte über die wirtschaftliche Globalisierung wird im Gespräch mit den Partnerkirchen...weiter erörtert.“ Da sähen wir unsere Schwesterkirchen in der UEK gern mit im Boot. Wir wären froh, wenn die reichen ökumenischen Beziehungen in der UEK und die sozialethische Expertise im Geiste der Barmer Theologischen Erklärung gebündelt würden.
Sie hören: die Erwartungen an die UEK, geboren aus den dankbaren Erinnerungen an die theologische und ethische Arbeit der EKU und der Arnoldshainer Konferenz, sind erheblich. Wir brauchen den theologischen Biss und den Mut zum Bekenntnis, den wir gern im Rückblick loben, auch für die Gegenwart und Zukunft der Kirche Jesu Christi im Bereich Deutschland.