Einbringungsreferat Hans Asmussens
"Die Deutsche Evangelische Kirche ist nach den Eingangsworten ihrer Verfassung vom 11. Juli 1933 ein Bund der aus der Reformation erwachsenen, gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Bekenntniskirchen. Die theologische Voraussetzung der Vereinigung dieser Kirchen ist in Artikel 1 und Artikel 2,1 der von der Reichsregieung am 14. Juli 1933 anerkannten Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche angegeben:
Artikel 1: Die unantastbare Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist. Hierdurch werden die Vollmachten, deren die Kirche für ihre Sendung bedarf, bestimmt und begrenzt.
Artikel 2,1: Die Deutsche Evangelische Kirche gliedert sich in Kirchen (Landeskirchen)."
Mit diesen Worten beginnt die theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage in der Deutschen Evangelischen Kirche. Sie will mit ihnen Nachstehendes zum Ausdruck bringen:
Die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche ist nicht gleichbedeutend mit der Gründung einer neuen Kirche. Vielmehr setzt sie sich zusammen aus Vertretern derjenigen Bekenntniskirchen, welche im Jahre 1933 durch die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche in diese zusammengefaßt wurden. Sie ist also Vertretung in rechtmäßiger Nachfolge der bisherigen Landeskirchen. In der Zusammenfassung durch die Verfassung von 1933 lag nach dem Willen des Gesetzgebers nicht, daß die bestehenden Kirchen aufhören sollten zu sein, was sie sind: Bekenntniskirchen. Darum trug die Zusammenfassung den Charakter eines Bundes, in welchem weitergeführt wurde, was im Deutschen Evangelischen Kirchenbund bereits vorher angestrebt worden war. Jede Veränderung dieser Art der Zusammengehörigkeit hätte unabsehbare rechtliche und vor allen Dingen kirchliche Folgen nach sich gezogen.
Die Verfassung bringt zum Ausdruck, daß die Deutsche Evangelische Kirche nur auf bestimmten kirchlichen und theologischen Voraussetzungen aufgebaut werden kann. Darum dürfen auch nur bestimmte theologische und kirchliche Ziele gesteckt werden. Diese Voraussetzungen und diese Ziele ergeben sich für die Deutsche Evangelische Kirche allein "aus dem Evangelium von Jesus Christus, wie es uns in der Heiligen Schrift bezeugt und in den Bekenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist".
Damit ist ausgesprochen, daß der Ausgangspunkt der Arbeit und der erwünschten Entwicklung die bestimmte, durch den Charakter der einzelnen Bekenntniskirchen festgelegte Grundlage eben dieser Bekenntniskirchen ist. Diesen Tatbestand hat die Reichsregierung unter dem 14. Juli 1933 gesetzlich anerkannt.
Auf dem Grund dieser theologischen Voraussetzungen und mit gutem Gewissen gegen das Deutsche Reich – auf Grund dieser seiner Gesetzgebung – bestimmt die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche ihren Standort so:
"Wir, die zur Bekenntnissynode der DEK vereinigten Vertreter lutherischer, reformierter und unierter Kirchen, freier Synoden, Kirchentage und Gemeindekreise erklären, daß wir gemeinsam auf dem Boden der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes der deutschen Bekenntniskirchen stehen. Uns fügt dabei zusammen das Bekenntnis zu dem einen Herrn der einen, heiligen, allgemeinen und apostolischen Kirche Jesu Christi."
Damit bringt die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche zum Ausdruck, daß man ihr nur zu Unrecht ein Verlassen der Bekenntnis-, Verfassungs- und Rechtsgrundlage vorwerfen kann. Wir sind keine Rebellen; aber wir müssen um unserer Verantwortung willen vor Gott und Menschen fordern, daß weder uns noch anderen durch Verrückung der Bekenntnis- und Rechtsgrundlage die Möglichkeit genommen wird, dieser unserer Verantwortung vor Gott und Menschen gerecht zu werden. Wir können nicht mit gutem Gewissen Glieder der Deutschen Evangelischen Kirche sein, wenn sie nicht in Worten und Handlungen dem Tatbestande Rechnung trägt, daß sie in ihrer Verfassung mit ganzem Ernst und ohne Vorbehalt sich auf jene Bekenntnisgrundlage bezieht. Uns wäre es unmöglich gemacht, weiter in der Deutschen Evangelischen Kirche zu verbleiben, wenn die angezogenen Artikel der Verfassung etwa nur den Sinn hätten, hinter ihrem Schutz allmählich eine grundsätzliche Umwandlung des Wesens der Deutschen Evangelischen Kirche zu vollziehen.
Man könnte uns fragen, inwiefern wir zur Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche gerade in dieser Zusammensetzung uns versammelt haben. Denn wir sind ein Kreis, der sich zusammensetzt aus gesetzlichen Vertretern deutscher Kirchen, aber auch aus freien Vertretern freier Synoden, Kirchentage und Gemeindekreise, denen die gesetzlich anerkannte Berufung noch abgeht. Wir haben aber dabei ein gutes Gewissen. Nicht aus Vorwitz haben wir uns versammelt und nicht in Übereilung, sondern es haben sich hier die Vertreter solcher Kirchenkörper und solcher freien Kreise zusammengefunden, welche überzeugt sind, daß es nunmehr des Einsatzes aller Kräfte, und zwar ohne Verzug, bedarf, weil ein Notstand, nämlich Bekenntnis- und Rechtsnot, eingetreten ist. Aus diesem Notstand, der die Bekenntnis- und Verfassungsgrundlagen der Deutschen Evangelischen Kirche bis aufs äußerste gefährdet, erklärt und rechtfertigt es sich, daß wir hier in dieser Zusammensetzung uns versammelt haben. Dem bestehenden Notstand geben wir mit folgenden Worten Ausdruck:
"Wir erklären vor der Öffentlichkeit aller evangelischen Kirchen Deutschlands, daß die Gemeinschaft dieses Bekenntnisses und damit auch Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche aufs schwerste gefährdet ist. Sie ist bedroht durch die in dem ersten Jahr des Bestehens der Deutschen Evangelischen Kirche mehr und mehr sichtbar gewordene Lehr- und Handlungsweise der herrschenden Kirchenpartei der Deutschen Christen und des von ihr getragenen Kirchenregiments. Diese Bedrohung besteht darin, daß die theologische Voraussetzung, in der die Deutsche Evangelische Kirche vereinigt ist, sowohl seitens der Führer und Sprecher der Deutschen Christen, als auch seitens des Kirchenregiments dauernd und grundsätzlich durch fremde Voraussetzungen durchkreuzt und unwirksam gemacht wird. Bei deren Geltung hört die Kirche nach allen bei uns in Kraft stehenden Bekenntnissen auf, Kirche zu sein. Bei deren Geltung wird also auch die Deutsche Evangelische Kirche als Bund der Bekenntniskirchen innerlich unmöglich."
Unsere Bekenntnisgemeinschaft ist also nach der positiven und nach der negativen Seite hin begründet. Uns Vertreter dieser Synode eint das gemeinsame Bekenntnis zu der einen Kirche Jesu Christi; uns eint der verfassungs- und rechtsmäßig feststehende Grund der Deutschen Evangelischen Kirche. Uns eint aber ebensosehr der unerhörte, Grundlage und Wesen der Deutschen Evangelischen Kirche zerstörende Angriff, welchem die Deutsche Evangelische Kirche seit mehr als einem Jahr ausgesetzt ist. Wir würden uns vor Gott versündigen, wir würden auch die uns gebotene Liebe zu Volk und Vaterland verleugnen, wenn wir diesen Tatbestand nicht mit dem Ausdruck des schärfsten Protestes vor der deutschen Öffentlichkeit darlegen würden. Denn die Einheit des Bekenntnisses zu der einen Kirche Jesu Christi ist in der Deutschen
Evangelischen Kirche auf das schwerste gefährdet. Damit droht die Deutsche Evangelische Kirche überhaupt auseinanderzufallen. Denn nur in diesem Bekenntnis gibt es Deutsche Evangelische Kirche.
Offenbar geworden ist diese Gefährdung sowohl durch Lehr- und Handlungsweise der herrschenden Kirchenpartei der Deutschen Christen als auch durch die von ihr getragene Reichskirchenregierung. Dabei handelt es sich nicht um gelegentliche Versehen einzelner, denen man auf dem Verwaltungswege begegnen und sie so beseitigen könnte; sondern es handelt sich um falsche Lehre auf der ganzen Front und um ein Verhalten, das nicht nur gelegentlich, sondern grundsätzlich und in seiner ganzen Breite dem Evangelium, den in Kraft stehenden Bekenntnissen und der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche widerstreitet. Wir müßten dicke Bände schreiben, um die Unsumme von Gewalttaten, Unrecht, Rechtsbeugung und Rechtsbruch aufzuzählen, in welchen diese Handlungsweise sichtbar geworden ist. Nicht mit Unrecht werden wir den neuesten Annäherungsversuch der Deutschen Christen an uns so deuten, daß auch ihnen selbst aufzugehen beginnt, welche unabsehbaren Folgen aus der bisher vertretenen falschen Lehre und aus den bisher begangenen unkirchlichen und rechtswidrigen Handlungen sich ergeben werden. Auch sieht jeder Einsichtige, daß die heillose Verwirrung der durch die Reichskirchenregierung geübten Gesetzgebung kaum noch übertroffen werden kann. Wenn man auch hin und wieder den gröbsten Entgleisungen auf dem Gebiet der Lehre widerstand, so sehen wir mit Schrecken, daß dieser Widerstand nur dann erfolgte, wenn taktische Erwägungen ihn erwünscht erscheinen ließen.
Die von uns angefochtenen lehrhaften Äußerungen und die daraus fließenden unchristlichen und widerrechtlichen Handlungen sind aber nicht der tiefste Grund unseres Protestes. Vielmehr geht dieser Protest entscheidend gegen diejenigen der Kirche art- und wesensfremden Voraussetzungen, mit denen die Reichskirchenregierung ebensowohl wie Führer und Sprecher der Deutschen Christen die theologischen Voraussetzungen der Deutschen Evangelischen Kirche dauernd und grundsätzlich durchkreuzt und unwirksam gemacht haben. Unser Protest ist also nicht ein zufälliger und gelegentlicher, sondern ein grundsätzlicher. Er ist nur so verständlich, daß er aus einer anderen Wurzel erwächst wie die grundsätzliche Haltung der Deutschen Christen und der Reichskirchenregierung. In dieser anderen Wurzel liegt viel mehr die drohende Auflösung der Deutschen Evangelischen Kirche schlechthin begründet, als in dem vielfach begangenen Unrecht und den häufig geäußerten lehrhaften Ungeheuerlichkeiten. Weil aber die Dinge, um die es geht, so tief greifen, ist auch die Einheit, die uns in unserer Synode zusammenführt, so tief begründet, daß sie nur durch Abfall unserer Glieder vom lauteren Evangelium gefährdet werden könnte. Das möge Gott in Gnaden verhüten!
Wenn nun jemand sagen wollte, daß die Einheit, die uns zusammenführt, eine unredliche Einheit ist oder ein neuer Versuch, die alte Union wieder zu erneuern, so müssen wir dagegen auf das schärfste protestieren, auch dann, wenn uns dieser Einwand nicht aus taktischen und propagandistischen Erwägungen heraus gemacht würde. Wir bestimmen das Verhältnis der in unserer Gemeinschaft vorhandenen Konfessionen wie folgt:
"Gemeinsam dürfen und müssen wir als Glieder lutherischer, reformierter und unierter Kirchen heute in dieser Sache reden. Gerade weil wir unseren verschiedenen Bekenntnissen treu sein und bleiben wollen, dürfen wir nicht schweigen, da wir glauben, daß uns in einer Zeit gemeinsamer Not und Anfechtung ein gemeinsames Wort in den Mund gelegt ist. Wir befehlen es Gott, was dies für das Verhältnis der Bekenntniskirchen untereinander bedeuten mag."
Als Lutheraner, Reformierte und Unierte sind wir heute zusammengekommen. Eine frühere Zeit hat meinen können, daß die zwischen uns noch unerledigten Fragen unwesentlich seien. Wir erachten es als ein Geschenk Gottes, daß wir in den letzten Jahren gelernt haben, wie wesentlich diese Fragen sind. Es seien nur einige dieser Fragen genannt: Wie kann und soll das vor mehr als 300 Jahren abgebrochene Gespräch zwischen Lutheranern und Reformierten über das heilige Abendmahl, über die Lehre von Christus, über die Erwählung wieder aufgenommen werden? – Kann und darf man die Union als Bekenntniskirche parallel den lutherischen und reformierten Kirchen bezeichnen? – Hat die Union überhaupt ein Bekenntnis? – Uns ist bewußt, daß diese und andere Fragen noch ihrer einheitlichen Beantwortung harren, und nichts liegt uns ferner, als sie in irgendeinem Sinne zu verharmlosen. Dabei ist uns bewußt, daß die neuerworbenen Erkenntnisse über den Unterschied des genuin Reformatorischen und der später aufkommenden orthodoxen Theologien erheblicher [sind], als man lange Zeit meinte. Uns als Schülern der Reformatoren geht es darum, das Gespräch dort wieder anzuknüpfen, wo es im 16. Jahrhundert abgebrochen worden ist, nicht aber darum, den Ausgangspunkt im 17. Jahrhundert zu wählen. Wird das beachtet, dann wird das Verhältnis der Konfessionen sehr viel echter.
Wir sind der Überzeugung, daß die Erkenntnis von diesem Unterschiede bei uns sehr viel klarer und theologischer ist als bei unseren Gegnern, und verabscheuen es, die konfessionelle Frage mit einer politischen zu verquicken, als ob der Unterschied von Luthertum und Calvinismus durch völkische Verschiedenheiten erklärt werden könnte. Aber bei dieser Erkenntnis können wir nicht umhin, jetzt gemeinsam zu reden und gemeinsam zu kämpfen. Denn der Angriff auf die christliche Substanz, wie er von seiten der Deutschen Glaubensbewegung und von seiten der Deutschen Christen erfolgt, liegt restlos außerhalb des Verhältnisses der Konfessionen. Wir vermögen die Deutschen Christen nicht anders zu verstehen denn als die Vorläufer und – gewiß meist ungewollt –Vorkämpfer der Deutschen Glaubensbewegung selbst. Damit wollen wir nicht gesagt haben, daß es unter ihnen nicht Menschen gäbe, die nur aus einem Irrtum heraus sich in der Front der Deutschen Christen befinden; aber solange sie sich dort befinden, können wir sie nur mit den extremen Gegnern zusammen in einer Front stehend erblicken. Daran ändert auch nichts der kürzlich von den Deutschen Christen eingeschlagene Kurs, solange wir nicht der Überzeugung sind, daß die neuerliche Betonung des lutherischen Bekenntnisses bei den Deutschen Christen aus anderen als aus taktischen Erwägungen erfolgt. Hierfür muß von ihnen der Beweis geliefert werden, indem sie durch sichtbare Zeichen den Willen bekunden, die durch ihre Mitschuld herbeigeführte Zerstörung der Reste evangelischer Kirchen in Deutschland wiedergutmachen zu wollen.
Es erhebt sich die Frage, wie wir uns unsere Bekenntnis- und Arbeitsgemeinschaft in Zukunft denken. Wir können darauf nur antworten, daß wir das nicht wissen und nicht den Mut haben, Gott in sein Weltregiment hineinzupfuschen. Denn wir sehen unsere Bekenntnisgemeinschaft so: Gott hat sie – und nicht wir haben sie herbeigeführt. Denn unsere theologische Entwicklung ging, weit entfernt davon, eine Annäherung der Konfessionen herbeizuführen, vielmehr in der Richtung, daß wir uns unseres Konfessionsstandes von Tag zu Tag mehr bewußt wurden. Darum mag Gott sehen, nachdem er uns diese große und schöne Gemeinschaft gegeben hat, wie es weitergeht. Wir trauen ihm zu, daß er es herrlich hinausführt.
Nachdem es denn vor aller Welt Augen ist, daß Gott uns ein gemeinsames Wort des Glaubens bereits seit langem in den Mund gelegt hat, versuchen wir jetzt auch, diesem gemeinsamen Wort Ausdruck zu verleihen:
"Wir bekennen uns angesichts der die Kirche verwüstenden und damit auch die Einheit der Deutschen Evangelischen Kirche sprengenden Irrtümer der Deutschen Christen und der gegenwärtigen Reichskirchenregierung zu folgenden evangelischen Wahrheiten."
Die sechs Sätze, die nun folgen, sind nicht zu verstehen als Verhandlungsbasis mit unseren Gegnern, als könnte noch etwas davon abgemarktet werden, als könnten wir uns von diesen Ausgangspunkten aus auf einer gemeinsamen Linie mit unseren Gegnern einigen. Sondern sie sind zu verstehen als conditio sine qua non. Das zu bezeugen ist uns ein ernstes Anliegen; denn der gegenwärtige Kampf in der Kirche ist wahrlich keine Parteiauseinandersetzung im Sinn der letzten 14 Jahre, sondern es geht hier um die letzten Dinge.
1.
"Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich" (Joh 14, 6).
"Wahrlich, wahrlich ich sage euch, wer nicht zur Tür hineingeht in den Schafstall, sondern steiget anderswo hinein, der ist ein Dieb und ein Mörder ... Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden" (Joh 10, 1.9).
Jeder unserer Sätze beginnt mit einer Schriftstelle, in welcher nach unserer Überzeugung eine ganze Reihe von Schriftstellen zusammengefaßt sind, die Gehorsam heischend vor uns treten und zeigen, daß es uns nicht um programmatische Forderungen geht, über die man allenfalls reden kann, sondern daß wir auf Leben und Seligkeit hin gerufen sind. Wir stehen an einem Ort der Kirchengeschichte, an welchem nach unserer Überzeugung versucht wird, an einer anderen Stelle in den Schafstall einzusteigen als durch die Tür. Wir stehen an einem Punkt der Kirchengeschichte, an dem jedem, dem Gott Glauben gegeben hat, einsichtig geworden sein muß, daß es um die Rettung und das Seligwerden von Sündern geht. Mag die Frage der Art des Einsatzes der Kirche im Dritten Reich eine dringende Frage sein, so wissen wir, daß es für die Kirche noch viel dringlicher ist, ob ihre Diener wirklich durch die Tür in den Schafstall gehen.
Uns ist für die heutige Zeit dieses Verständnis der Bibelstelle gegeben:
"Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben."
Dieser Absatz besagt, daß es die Aufgabe ist, und zwar die einzige und vordringliche Aufgabe der Kirche, Jesus Christus zu predigen. Es ist nur durch einen Irrtum möglich, ihn als Idee zu predigen, die in der Geschichte mehr oder weniger verwirklicht wird. Wäre es so, dann wäre die Deutung einer gegenwärtigen Geschichte und die Verkündigung von Jesus Christus ein und dasselbe. Vielmehr ist es so, daß Jesus Christus nicht verwirklichte Idee, sondern ins Fleisch gekommener Gott ist, der sich erniedrigt hat, um uns von den Versuchen der Selbsterhöhung und der Selbstüberhöhung zu erlösen, der noch heute zu uns kommt in seinem Wort als der einmal Erniedrigte. Denn er selbst ist das Wort, das von Anfang war, das in der Zeit erschienen ist und das uns offenbar wird in der Predigt, die in der Gemeinde geschieht. Daraus folgt aber, daß in der Gemeinde nur er gehört werden soll. Alles Vertrauen und aller Gehorsam, der im Leben und im Sterben getätigt wird, darf nur Vertrauen und Gehorsam ihm gegenüber sein. Wo er im Leben einen Grund schenkt, ist dieser Grund so viel fester als alle anderen, die man nennen möchte, daß diese anderen Grundlagen im Leben und Sterben schlechthin nicht wert sind, neben ihm genannt zu werden. Wo ein Anspruch von ihm her uns im Leben oder Sterben trifft, ist dieser Anspruch so dringlich, daß alle anderen noch so ernsten Ansprüche in diesem Augenblick als Gehorsamsforderung hinfällig sind, wo er Gehorsam von uns erheischt.
Eben dies wird heute von denen bestritten, die sich fälschlicherweise auch Kirche nennen.
"Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle ihrer Verkündigung außer und neben diesem einen Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen."
Wir dürfen um unseres Herrn Jesu Christi willen nicht müde werden, immer wieder zu betonen, daß es falsche Lehre ist, wenn man neben die Bindung an das in Christo fleischgewordene Wort und das in ihm gepredigte Wort noch andere Bindungen für die Kirche stellt. Man ist dauernd und nachhaltig an die Kirche und an ihre Glieder mit dem Anspruch herangetreten, die Ereignisse des Jahres 1933 als bindend für die Verkündigung und Schriftauslegung, als Gehorsam heischend neben der Heiligen Schrift und über ihren Anspruch hinaus anzuerkennen. Wenn wir dagegen protestieren, dann protestieren wir nicht als Volksglieder gegen die jüngste Geschichte des Volkes, nicht als Staatsbürger gegen den neuen Staat, nicht als Untertanen gegen die Obrigkeit, sondern wir erheben Protest gegen dieselbe Erscheinung, die seit mehr als 200 Jahren die Verwüstung der Kirche schon langsam vorbereitet hat. Denn es ist nur ein relativer Unterschied, ob man neben der Heiligen Schrift in der Kirche geschichtliche Ereignisse oder aber die Vernunft, die Kultur, das ästhetische Empfinden, den Fortschritt oder andere Mächte und Größen als bindende Ansprüche an die Kirche nennt. Alle diese Größen können die Verkündigung von Christus nicht begrenzen, sie können auch nicht neben Christus als Gegenstände der Verkündigung treten, sie können vielmehr in der Verkündigung keinen anderen Raum haben als diesen: Sie sind verschiedene Malzeichen der einen und im Grunde unveränderten Welt, die in Christus, aber nur in Christus, Erlösung finden kann.
2.
Wir wissen uns gerufen, gerade heute zu sagen, worin das Werk Christi für uns, an uns und in uns besteht. Wir müssen diesem Ruf folgen, damit wir als Lehrer, Diener und Glieder der Kirche die Menschen, soweit möglich, vor einer Verwechslung des Werkes Christi mit anderen Werken bewahren. Das Werk Christi ist zusammenfassend ausgedrückt in den Worten der Schrift:
"Jesus Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung" (1. Kor 1, 30).
Dieses Bibelwort faßt die Botschaft der Heiligen Schrift so zusammen, daß offenbar wird: Das Werk Christi ist nicht eine Teilerscheinung in einem in sich selbst ablaufenden Erlösungsprozeß der Menschen, es ist auch in keinem Sinne Fundament für ein von Menschen zu leistendes Werk, sondern es ist als sein, und nur als sein Werk umfassend. Es begreift in sich alles, was Gott zur Behebung menschlichen Elends getan hat, tut und tun wird. Es leidet keinerlei Ergänzung und Unterstützung von seiten sündiger, ungläubiger oder gläubiger Menschen. Es ist allgenugsam und erträgt darum auch keinerlei Zerteilung und Zerspaltung.
Wir glauben, diesem Bibelwort heute folgende Auslegung geben zu müssen:
"Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen."
Wir versuchen also, dem umfassenden Charakter des Werkes Christi dahin Ausdruck zu verleihen, daß er uns nicht nur aus der Sünde in den Stand der Gnade versetzt, um uns dann uns selbst zu überlassen, sondern daß er vielmehr uns darum aus Sünde und Gottlosigkeit erlöst, damit wir sein eigen seien und unter ihm leben, so daß seine Gegenwart in dem von ihm geschenkten Leben als richtender und uns rettender Anspruch dauernd an uns herantritt, aber zugleich uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt bedeutet, so daß wir ihm frei und dankbar an seinen Geschöpfen dienen.
Denn nicht darum lehnen wir es ab, daß neben ihn und sein Wort in der Heiligen Schrift noch andere Offenbarungsquellen treten, weil wir uns etwa gerufen wüßten, eine bestimmte theologische Erkenntnistheorie durchzufechten. Vielmehr geschieht unser Protest gegen andere Offenbarungsquellen in der Erkenntnis, daß der Anspruch solcher anderen Quellen ein Anspruch göttlicher Bindung und damit eine Leugnung der in Christo uns widerfahrenen Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung ist.
Wer uns vorwirft, daß unsere Verkündigung kein Verständnis für die göttliche Schöpfung und das göttliche Weltregiment habe, der macht uns diese Vorwürfe aus Unverstand oder aus Böswilligkeit. Wir erfahren die Schönheit der Kreaturen Gottes und ihre Dämonie, wir erfahren Höhepunkte und Tiefstände in der unter Gottes Weltregiment sich vollziehenden Geschichte genau so wie andere Leute. Was wir aber fürchten mehr als den Tod, ist die Tatsache, daß die Kreaturen Gottes und Geschehnisse der Geschichte uns in Versuchung führen, wie sie im Lauf der Geschichte alle Menschen in Versuchung geführt haben. Diese wurden zu Heiden, wenn sie der Versuchung unterlagen, aus ihnen und in ihnen Gott ohne Christus zu suchen. Wo immer das geschieht, ob unter heidnischen oder christlichen Bezeichnungen, vollzieht sich eigene Weisheit, eigene Gerechtigkeit, eigene Heiligung, eigene Erlösung. Es gewinnen andere Herren als Jesus Christus, andere Gebote als seine Gebote über uns Gewalt. Sie bieten sich uns an als Erlöser, aber sie erweisen sich als Folterknechte einer unerlösten Welt. Darum ermahnen wir alle Christen, sich mit äußerstem Fleiß vor der Irrlehre zu hüten, als könne man Rechtfertigung und Heiligung auseinanderreißen. Wir warnen alle vor dem Mißbrauch des göttlichen Angebotes, in welchem man Zuspruch der Sündenvergebung will, aber Gottes Anspruch auf Grund der Sündenvergebung verweigert. Diese Erkenntnisse fassen wir so zusammen:
"Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften."
Nun ist uns sehr wohl bekannt, daß solche Erkenntnis und solcher Glaube nur der christlichen Kirche gegeben ist und also auch nur von ihr und ihren Gliedern, vor allem von ihren Dienern verlangt werden kann. Darum würden wir auch in einem anderen Ton sprechen und sprechen müssen, wenn wir zu der Welt sprächen, die keinen Wert darauf legt, Kirche zu sein. Wir sprechen aber zu der Welt, die den Anspruch erhebt, Kirche zu sein, und den Christen, die sich dieser Welt verbündet haben. Um diese zu locken und zurückzurufen, müssen wir sie, in deutlicher Absetzung zu ihnen, bekämpfen. Würden wir zu der Welt reden, die nicht Kirche sein will, so würden wir sie damit, daß wir sie locken, bekämpfen.
3.
Aus diesem Grunde haben wir auch an die Brüder und Schwestern, die mit uns in der Bekenntnisgemeinschaft zusammen sind, keine dringlichere Mahnung als diese, daß sie recht Kirche seien und als Glieder der Kirche in Bewußtheit kämpfen. Wir finden, daß diese biblische Mahnung ihren zusammenfassenden Ausdruck findet in Eph 4, 15.16:
"Lasset uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem, der das Haupt ist, Christus, von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist."
Wenn der Apostel so spricht, so redet er nicht von einer moralischen Rechtschaffenheit oder einer dem Blut entwachsenen Liebe. Täte er das, dann würde er von einer menschlichen Gesellschaftsform, aber nicht von der Kirche reden. Denn die Kirche wird nicht aus bürgerlicher Rechtschaffenheit und blutmäßiger Liebe, sondern sie wird aus Christi Gerechtigkeit und Christi Liebe. So allein kann sie etwas anderes sein als Größe innerhalb der menschlichen Gesellschaft und als soziologische Größe; so allein kann sie in rechtschaffener Liebe zusammengefügter Leib sein, an welchem Christus das Haupt ist. Würden wir von der Kirche nicht glauben, daß sie etwas anderes ist als menschliche Gesellschaftsform, so würden wir den ganzen von uns geführten Kirchenkampf als unberechtigt, ja als verbrecherisch halten. So aber glauben wir von der Kirche dies gemeinsam bekennen zu müssen:
"Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als die Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, daß sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte."
Wenn in der Gemeinschaft der Brüder, die nicht aus Geburt, sondern aus Wiedergeburt Brüder sind, Jesus Christus als der Herr verkündigt wird, so geschieht etwas grundsätzlich anderes, als wenn eine weltanschauliche oder kulturelle Gemeinschaft sich die Pflege ihrer Überzeugungen angelegen sein läßt. Denn in der Verkündigung Jesu Christi als des Herrn geschieht es, daß die in der Kirche Zusammengefaßten neue Schöpfung werden, wie Christus spricht: "Ihr seid rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe." Darum ist es wesentlich, daß die Kirche mit ihrem Wort bezeuge und durch die Art ihres Daseins ein aufgerichtetes Zeichen sei, daß sie nur Kirche ist als Eigentum Jesu Christi, daß sie nur leben kann von seinem Trost und seiner Weisung. Sie bezeugt, in diesem Trost und in dieser Weisung so reich geworden zu sein, daß sie auch nicht mehr anders leben möchte. In dieser Weise ist die Kirche Missionarin der Welt, indem sie unter allen menschlichen Gesellschaftsformen als besonderes Zeichen ins Auge fällt und in ihrer Verkündigung deutet, warum es so und nicht anders mit ihr bestellt ist. Das gilt von der Kirche unbeschadet der Tatsache, daß sie für die Gemeinschaft der Brüder, die im Worte rein geworden sind, dennoch zugleich eine Gemeinschaft der Sünder ist, aus demselben Blut und von derselben Herkunft wie die Kinder der Welt. Wie könnte sie sonst Mission treiben, wenn sie nicht in Wort und Wandel bezeichnete, daß gerade so unvollkommene, so verlorene, so gottlose Menschen wie die Glieder der Kirche zu dem werden und das sein können, was sie als Glieder der Kirche sind: im Worte durch das Blut Jesu Christi gereinigte Gotteskinder.
Diese Botschaft und diese Existenz werden aber der Kirche unmöglich gemacht in dem Augenblick, wo man die Grenze zwischen ihr und der Welt verwischt. Das geschieht immer dann, wenn das freie Belieben der Sünder und nicht mehr das unwandelbare Wort Gottes von der Vergebung in Christo die Kirche beherrscht. Wir verstehen sehr wohl, daß man die Wünsche unserer Zeitgenossen und den Wechsel ihrer Überzeugung als kirchenbildende Macht in den Raum der Kirche hineinbeziehen möchte. Man möchte der Welt deutlich machen, daß es in ihrem eigenen Interesse liegt, kirchlich und christlich zu sein, um auf diese Weise die Welt zu missionieren. Aber dagegen müssen wir protestieren. Denn so wenig wie die Untertanen sich damit bei der Obrigkeit beliebt machen können und dürfen, daß sie obrigkeitliche Allüren annehmen, so wenig der Lehrer ein guter Lehrer wird dadurch, daß er mit den Schülern gemeinsame Sache macht, so wenig wird die Kirche dadurch missionstüchtig, daß sie sich mit der Welt, welche durch sie missioniert werden soll, auf eine Ebene stellt. Es muß jeder sich selbst treu bleiben, sonst kann er seinem Nächsten nicht dienen. Es muß die Kirche Kirche bleiben, sonst kann sie nicht missionarisch wirken.
4.
Darum muß auch die Gestaltung der Kirche ihrem innersten Wesen entsprechen. Unser Herr Christus spricht:
"Ihr wisset, daß die weltlichen Fürsten herrschen, und die Oberherren haben Gewalt. So soll es nicht sein unter euch; sondern, so jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Diener" (Mt 20, 25.26).
Christus wendet sich nicht dagegen, daß im Raume der Welt die Fürsten herrschen und die Oberherren Gewalt haben. Auch uns ist es eine ernste Sorge, daß wir diesem Rechte der Welt Rechnung tragen. Aber ebenso ernst möchten wir als Lehrer, Diener und Glieder der Kirche gerade in diesem Punkte uns nach dem Wort des Herrn von den weltlichen Fürsten und Oberherrn unterschieden wissen. "So soll es unter euch nicht sein." Mit diesem Wort zeigt Christus klar und deutlich, daß die christliche Gemeinde nur als Umkehrung der Welt Bestand hat und nur dann ihrer Verpflichtung nachkommt, wenn sie diese Umkehrung des weltlichen Schemas auch zum Ausdruck bringt. Im Blick auf die Gestaltung der Kirche verstehen wir das angezogene Wort des Herrn so:
"Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes."
Auch in der Kirche gibt es ein Unten und Oben, ein Geführtwerden und ein Führen. Pfarrer und Gemeinden sind gehalten, ihrer rechtmäßigen kirchlichen Obrigkeit zur rechten Zeit die Kollekten und Steuernachweise einzuliefern, die Statistiken aufzustellen, die Ordnung der Kirche bei Wahlen und im Gottesdienst aufrechtzuerhalten. Aber wehe der Kirche, wenn dieses Obrigkeitsverhältnis zum Wesen der Kirche wird. Schon einmal in der Geschichte der christlichen Kirche ist es dazu geworden: im Papsttum des Mittelalters. Zum zweiten Male wird es heute so. Denn die in der Kirche zur Herrschaft gekommene Führeridee beschränkt sich gerade nicht auf Kollektennachweisung, Steuereintreibung, Statistiken und äußere Ordnung des kirchlichen Lebens, sondern sie bestimmt gewisse inhaltliche Bedingungen, ohne deren Erfüllung es nach ihrer Meinung weder geistliches Amt noch Presbyterium, noch Kirchenvorstand, noch Stimme der Gesamtgemeinde in der Synode geben soll. So wird aus dem anvertrauten und befohlenen Dienst eine selbstgewählte und usurpatorisch an sich gerissene Herrschaft. Aus dem: "So soll es unter euch nicht sein" wird ein: "Noch schlimmer soll es unter euch sein."
Auf Grund der neutestamentlichen Verkündigung erkennen wir also die Möglichkeit und die Notwendigkeit verschiedener Ämter in der Kirche an. Wir wissen auf Grund des Befundes im Neuen Testament, daß für die Art und Zahl der verschiedenen Ämter keine endgültige und überall einzuführende Ordnung besteht. Wir meinen, daß in der christlichen Gemeinde eine bischöfliche und eine presbyteriale Verfassung sein kann. Wir sind aber auch überzeugt, daß in der christlichen Gemeinde sowohl unter der bischöflichen Verfassung als auch unter der presbyterialen Verfassung der Teufel zur Herrschaft kommen kann. Keine der möglichen Verfassungen garantiert christlichen Brauch und christliches Leben. Vielmehr sollen Verfassungen der Kirche der Versuch sein, ein Zeichen aufzurichten, welches der Welt deutlich macht, was der Herr sagt: "So soll es unter euch nicht sein." Präses und Bischof, Bischof und Präses, Pastor und Diakon, Diakon und Pastor sind in umgekehrtem Verhältnis zu ihrem Rang die untersten Diener der Gemeinde. Die entscheidenden Vorgänge aber vollziehen sich außerhalb dieser Rangordnung überall da und dann, wo und wann Gott durch sein Wort und sein Sakrament Menschen aus dem Tode zum Leben, aus dem Reich der Finsternis in das Reich des lieben Sohnes Gottes durch seine machtvolle Hand versetzt.
Damit ist bereits ausgelegt, was wir mit dem zweiten Absatz meinen, der so lautet:
"Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben oder geben lassen."
5.
Aus dem Gesagten ergibt sich, wird aber auch jeder ehrlich denkende Mensch sehen, wie wir zu Staat und Volk stehen. Damit wir aber den Lügnern das Maul stopfen, lassen wir noch einmal die Stimme der Heiligen Schrift laut werden, welche spricht:
"Fürchtet Gott, ehret den König!" (1. Petr 2, 17).
Dazu ist nur zu bemerken: Wenn wir auch aus keiner anderen Erwägung heraus uns mit ganzem Ernst bemühten, gute Staatsbürger zu sein, so soll doch alle Welt wissen, daß uns dieses eine Wort der Schrift fester bindet und hält, als tausend Eide und irdische Bindungen uns halten könnten. Oft genug haben wir zum Ausdruck gebracht, daß man nur im Unrecht gegen Zeit und Ewigkeit uns als Rebellen verdächtigt, offenbar mit dem stillen Wunsche, uns dadurch auch kirchlich unmöglich zu machen. Um aber noch einmal bindend und eindeutig unsere auf die Schrift gegründete Überzeugung auszusprechen, fassen wir die aus der ganzen Heiligen Schrift gewonnene Auslegung unseres Bibelwortes so zusammen:
"Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt."
Damit ist ausgesprochen, daß wir Glieder der Bekenntnisfront im Gehorsam und in der Treue gegen Volk und Staat durch ein göttliches Gebot gehalten sind. Nur deshalb, weil man nicht mit uns die Heilige Schrift ernst nimmt, kann die ewig neue Verdächtigung gegen uns ausgesprochen werden. Sonst wüßte man und würde es uns unterstellen, daß es keine stärkere Bindung für uns geben kann als die, die bei uns mit Gottes Hilfe bereits vorhanden ist. Die ewig neuen Verdächtigungen machen sichtbar, daß die Heilige Schrift bei unseren Gegnern nicht das Ansehen hat wie bei uns und daß man vom Staate mehr erwartet, als ihm die Schrift für seinen Bereich zuschreibt.
Beide, Staat und Kirche, sind Gebundene, diese im Bereich des Evangeliums, jener im Bereich des Gesetzes. Ihre Bindung bezeichnet den Raum ihrer Freiheit. Jede Überschreitung der Bindung führt sowohl die Kirche wie auch den Staat in eine ihrem Wesen fremde Knechtung. Allein aus der jeder der beiden Größen eigenen Bindung erwachsen ihr Dienst und ihre Aufgaben aneinander. Verkündigt der Staat ein ewiges Reich, ein ewiges Gesetz und eine ewige Gerechtigkeit, dann verdirbt er sich selbst und mit sich sein Volk. Verkündigt die Kirche ein staatliches Reich, ein irdisches Gesetz und die Gerechtigkeit einer menschlichen Gesellschaftsform, dann überschreitet sie ihre Grenzen und reißt den Staat in ihre eigene Versumpfung mit sich hinab.
Das meinen wir, wenn wir in Abweisung falscher Lehre sagen:
"Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden."
Wir glauben, nichts zu tun als unsere Pflicht vor Gott, dem allein Weisen und allein Gerechten, wenn wir in Abwehr der deutsch-christlichen Irrtümer darauf aufmerksam machen, daß auch die Staatsweisheit in unserer gegenwärtigen Staatsform, über die wir uns sonst kein Urteil erlauben, nicht Gottes Weisheit, daß auch das Maß der Gerechtigkeit, welches in unserem Staatswesen herrscht, nicht das Maß göttlicher Gerechtigkeit ist. Und ein für allemal müssen wir es betonen, daß wir kein irdisches Gesetz kennen, durch welches mit Recht göttliches Gesetz gebrochen werden könnte. "Totaler Staat", das kann nur heißen: ein Staat, der sich bemüht, innerhalb der von Gott gesetzten Grenzen das gesamte Leben des Volkes zu umfassen. Wollen die Deutschen Christen eine Umfassung über diese Grenze hinaus, dann verleugnen sie die Realität und die Aktualität des göttlichen Gebotes.
6.
Wir geben abschließend Zeugnis davon, warum uns die Kirche so groß ist, trotz ihrer vielleicht äußerlich geringen Gestalt, daß wir immer wieder ihre Einzigartigkeit und ihre Uneinholbarkeit betonen. Dieses Zeugnis ist beschlossen in den Worten der Schrift:
"Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende" (Mt 28, 20).
"Gottes Wort ist nicht gebunden" (2. Tim 2, 9).
Es gibt kein Staatswesen, es gibt auch kein Volk, für welche das Wort Gültigkeit hätte, daß Christus bei ihnen wäre bis an der Welt Ende. Aus diesem Grunde gibt es auch keine Politik, auch keine Kirchenpolitik, die nicht unter das Wort der Schrift fällt: "Alles Fleisch ist wie Gras." Jede politische Rede ist den Machtmitteln dieser Erde mit Recht ausgesetzt. Das Wort Gottes kann nicht gebunden werden, weil Er bei uns ist bis an der Welt Ende. In dem einen besteht das andere.
Daraus und allein daraus ergibt sich das der Kirche Eigentümliche, was wir zur Geltung bringen müssen.
"Der Auftrag der Kirche, in welchem ihre Freiheit gründet, besteht darin, an Christi Statt und also im Dienst seines eigenen Wortes und Werkes durch Predigt und Sakrament die Botschaft von der freien Gnade auszurichten an alles Volk."
Wenn wir um die Freiheit des kirchlichen Auftrages kämpfen, dann meinen wir grundsätzlich etwas anderes als das, was die vergangene Zeit meinte, wenn sie von der Freiheit des Menschen sprach. Wenn wir betonen, daß die Gemeinde nicht mundtot gemacht werden könne, dann bringen wir damit kein demokratisches Prinzip zur Geltung. Wenn wir zum Ausdruck bringen, daß der einzige Rahmen, innerhalb dessen zu stehen von dem Verkündiger gefordert werden kann, der Rahmen der Heiligen Schrift in der Gemäßheit des Bekenntnisses dieser Kirche ist, so meinen wir damit nicht, daß dem Verkündiger neben anderen Staatsbürgern ein Sonderrecht zukäme. Alle diese Anliegen sind nichts als der Ausdruck unseres Glaubens, daß in der Gemeinschaft von Brüdern, von der wir oben gesprochen haben, die man Kirche heißt, Christus nicht nur als Idee, sondern als der lebendige Herr, nicht nur in unerreichbarer Ferne, sondern mitten unter uns lebt, wirkt und regiert, wie die Schrift spricht: "Das Wort Gottes ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen." Und eine andere Schrift spricht: "Sie werden alle von Gott gelehrt sein." Es ist dringliche Aufgabe der Kirche, durch sichtbare Zeichen zum Ausdruck zu bringen, daß die Belehrung durch den Heiligen Geist und daß die Gegenwart Christi nicht erstrebenswerte Ideale der Kirche, sondern geschenkte Ausgangspunkte ihres Handelns sind in Wort und Werk.
So und so allein ist es zu verstehen, wenn wir die falsche Lehre verwerfen, als könne
"die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen".
Wenn wir im Laufe des letzten Jahres und jetzt erneut immer wieder zum Ausdruck gebracht haben, daß die Verkündigung der Kirche nicht der menschlichen Selbstherrlichkeit zum Dienst bereitgestellt werden dürfte und nicht menschlich gewählten Wünschen, Zwecken und Plänen unterstellt werden kann, so sagen wir nicht, daß diese Wünsche, Zwecke und Pläne nicht innerhalb der menschlichen Einsicht und des menschlichen Vermögens gut und wünschenswert seien; aber wir sind dessen eingedenk, daß dieses Urteil, sie seien gut und wünschenswert, menschliches Urteil ist. Wir überlassen es aber Gott, am Jüngsten Tag darüber zu entscheiden, ob diese Pläne und Wünsche auch göttlich erstrebenswert sind. Aus diesem Grunde können wir es nicht dulden, daß die Verkündigung in ihren Dienst gestellt wird, weil das soviel bedeuten würde, wie wenn die Gegenwart Christi und die Ungebundenheit des Wortes durch den Heiligen Geist in diesen menschlichen Plänen und Wünschen ebenso wirksam wäre wie in dem in der Gemeinde gepredigten Wort und dem in der Gemeinde gespendeten Sakrament.
Zusammenfassend beurteilt die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche diese sechs Punkte wie folgt.
"Die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche erklärt, daß sie in der Anerkennung dieser Wahrheiten und in der Verwerfung dieser Irrtümer die unumgängliche theologische Grundlage der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes der Bekenntniskirchen sieht. Sie fordert alle, die sich ihrer Erklärung anschließen können, auf, bei ihren kirchenpolitischen Entscheidungen dieser theologischen Erkenntnisse eingedenk zu sein. Sie bittet alle, die es angeht, in die Einheit des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung zurückzukehren."
Das bedeutet also, wie schon oben erwähnt, daß diese Punkte nicht ein Programm zur Geltung bringen, sondern vielmehr Äußerungen eines von Gott geschenkten Glaubens sind, über den man eben darum nicht verhandeln kann, weil er von Gott geschenkt ist.
Es bedeutet, daß die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche dieser Sache so gewiß ist, daß sie andere mit in diese Verantwortung hineinzuziehen wagt. Es bedeutet im Hinblick auf die Deutschen Christen, insonderheit auf ihre neuerdings angewendete Taktik, die Notwendigkeit des lutherischen Bekenntnisses zu bezeugen, daß wir um der Wahrheit willen diese Bezeugung nicht als Wiedergutmachung und damit als Erledigung unserer Beschwerdepunkte ansehen können. Nicht aus Hochmut, sondern aus ernsten Bedenken heraus müssen wir bezeugen: Wir wollten gern mit ihnen einig sein, aber der Preis dieser Einigkeit wäre das von den Deutschen Christen deutlich ausgesprochene Bekenntnis, daß sie ihre bisherige Lehre und Praxis als kirchenzerstörend anerkennen und ihre Bereitschaft bekunden, nach anderen Grundsätzen und in anderer Ordnung zukünftig Kirche zu bauen, als sie das bisher versucht haben. Denn wir sind ja nicht frei, zu tun und zu lassen, was wir möchten. Uns liegt Frieden und Gemütlichkeit mehr als Kampf und Risiko. Wir sind aber gebunden durch den unaufhebbaren Tatbestand:
"Verbum Dei manet in aeternum."