Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit

Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

Vorwort

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz legen ihr Wort zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland in einer Zeit vor, in der mutiges und weitsichtiges Handeln besonders gefragt ist. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland hat einen Höchststand nach dem Zweiten Weltkrieg erreicht. Der Sozialstaat ist an Belastungs- und Finanzierungsgrenzen gestoßen. Die traditionelle Sozialkultur befindet sich im Zuge der Industrialisierung und Urbanisierung in einem starken Wandel und hat sich an vielen Stellen aufgelöst. Anspruchsdenken und Egoismus nehmen zu und gefährden den solidarischen Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Geleitet und ermutigt durch das christliche Verständnis vom Menschen, durch die biblische Botschaft und die christliche Sozialethik wollen die Kirchen ihren Beitrag zu der notwendigen Neuorientierung der Gesellschaft und Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft leisten. Ihr Anliegen ist es, zu einer Verständigung über die Grundlagen und Perspektiven einer menschenwürdigen, freien, gerechten und solidarischen Ordnung von Staat und Gesellschaft beizutragen und dadurch eine gemeinsame Anstrengung für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit möglich zu machen. Die Kirchen sehen es dabei nicht als ihre Aufgabe an, detaillierte politische oder ökonomische Empfehlungen zu geben. Es ist auch nicht ihre Sache, zu aktuellen politischen Streitfragen Stellung zu beziehen und eine Schiedsrichterrolle zu übernehmen. Die Kirchen sehen ihren Auftrag und ihre Kompetenz vor allem darin, für das einzutreten, was dem solidarischen Ausgleich und zugleich dem Gemeinwohl dient.

Das Wort der Kirchen ist in sechs Kapitel gegliedert. Kapitel 1 nimmt eine Würdigung des Konsultationsprozesses vor, der der Erstellung des gemeinsamen Wortes vorausgegangen ist. Die Kapitel 2 bis 5 orientieren sich an dem Strukturprinzip "sehen - urteilen - handeln". Im Schlußkapitel soll deutlich gemacht werden, daß das gemeinsame Wort für die Kirchen auch Selbstverpflichtung bedeutet.

Die Kapitel 2 bis 5 haben einen unterschiedlichen Charakter. Kapitel 3 und 4 weisen auf die Prinzipien und Maßstäbe hin, die nach Ansicht der Kirchen unabdingbare Voraussetzung für eine solidarische und zukunftsgerechte Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung sind. Vor allem um diesen Grundkonsens geht es den Kirchen. Dazu erhoffen sie sich eine breite Zustimmung. Die Konkretisierungen und Richtungshinweise in den Abschnitten 2 und 5 hingegen sind ein Beitrag zur öffentlichen Verständigung über Probleme und mögliche Lösungswege.

Den sechs Kapiteln vorangestellt ist eine Art Hinführung, die die Grundgedanken systematisch zusammenfaßt. Dieser "Kurztext" kann und soll das ausführliche Wort nicht ersetzen. Aber er erleichtert es, die Intention der Kirchen zu erfassen und sich über ihre Grundanliegen einen Überblick zu verschaffen.

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz haben ihr Wort in einem breit angelegten Konsultationsprozeß vorbereitet. An der Durchführung des Prozesses haben sich weitere Kirchen beteiligt. Zahlreiche Stellungnahmen sind eingereicht worden. Allen, die auf die eine oder andere Weise mitgewirkt haben, ist sehr herzlich zu danken.

Hannover/Bonn, am 22. Februar 1997

Landesbischof
Dr. Klaus Engelhardt
Vorsitzender des Rates der
Evangelischen Kirche in Deutschland

Bischof
Dr. Karl Lehmann
Vorsitzender der
Deutschen Bischofskonferenz

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