Bedrohung der Religionsfreiheit

Vorwort

Der Einsatz für die Religionsfreiheit ist, auch historisch gesehen, ein Schwerpunkt des menschenrechtlichen Engagements der Kirchen. Dieses Engagement ist wichtig. Einerseits hat es zur Verankerung der Religionsfreiheit als zentrale Forderung in den grundlegenden Menschenrechtsdokumenten beigetragen. So ist auch die Aufnahme der Religionsfreiheit in die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die aller Aussicht nach bevorstehende Aufnahme in den zukünftigen EU-Verfassungsvertrag mit auf ein gemeinsames Engagement von Kirchen zurückzuführen. Andererseits ist das Bekenntnis zu einer universellen Religionsfreiheit, die allen Religionsgemeinschaften gleichermaßen gilt, Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben von Religionsgemeinschaften und Konfessionen. Dieses Bekenntnis bedingt, wenn es ernst gemeint ist, auch die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in religiösen Konflikten.

Kirchen haben vielfältige Möglichkeiten, zur Verwirklichung von Religionsfreiheit beizutragen. Aufgrund ihrer ökumenischen Kontakte sind sie über Eingriffe in die Religionsfreiheit besonders gut unterrichtet. Diese Informationen machen sie bekannt und geben sie an Verantwortliche in Politik und Gesellschaft weiter. Hierzu nutzen sie ihre Kontakte zu Regierungen und zu internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen, dem Europarat oder der OSZE. Durch das Ansprechen des Themas in ökumenischen Kontakten und interreligiösen Dialogen wird das Bewusstsein für die Bedeutung universeller Religionsfreiheit geschärft. Vielfältige Ansatzpunkte für eine Stärkung der Religionsfreiheit bietet die ökumenische Zusammenarbeit auch deswegen, weil sie – etwa im Rahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen oder der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) – einen Austausch zwischen Mehrheits- und Minderheitskirchen fördert und damit zur Ausräumung von Missverständnissen und Konflikten beiträgt, die die Religionsfreiheit gefährden können.

Zur Wahrnehmung dieser gemeinsamen Verantwortung haben die KEK und der Rat Europäischer Bischofskonferenzen im Jahr 2001 mit der Verabschiedung der „Charta Oecumenica“ beigetragen. In ihr verpflichten sich die Kirchen, „die Rechte von Minderheiten zu verteidigen und zu helfen, Missverständnisse und Vorurteile zwischen Mehrheits- und Minderheitskirchen in unseren Ländern abzubauen.“ Die Charta enthält ferner die Verpflichtung, „die Religions- und Gewissensfreiheit von Menschen und Gemeinschaften anzuerkennen und dafür einzutreten, dass sie individuell und gemeinschaftlich, privat oder öffentlich ihre Religion oder Weltanschauung im Rahmen des geltenden Rechts praktizieren dürfen.“

Weitere Ansatzpunkte bieten sich im Rahmen der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit. Sie fördert Projekte, die Dialoge zwischen Christen und Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften und die interreligiöse Zusammenarbeit zur Überwindung gemeinsamer Probleme initiieren und unterstützen. Dies ist ein wichtiger Beitrag zum Abbau von Vorurteilen und Feindbildern und setzt Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung in repressiven Gesellschaften.

Innerhalb Deutschlands haben die Große Anfrage an die Bundesregierung unter dem Titel „Verfolgung von Christen in aller Welt“ im Juni 1999, an der sich die Evangelische Kirche in Deutschland mit einer Stellungnahme beteiligt hat, und die anschließende Bundestagsdebatte das Thema Religionsfreiheit verstärkt ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Dieses Bewusstsein ist nötig, um diejenigen, die ihren Glauben nicht frei leben und ausüben können, zu schützen und zu stärken. Deswegen begrüße ich das Erscheinen der vorliegenden Textsammlung und hoffe, dass sie Anstoß für eine nähere Auseinandersetzung mit dem Thema gibt. All diejenigen, die wegen ihres Glaubens getötet, misshandelt, inhaftiert gefoltert oder bedroht werden, ersuchen uns um unsere Gebete und Unterstützung. Möge diese Publikation dazu beitragen, dass Ihr Rufen gehört und ihr Schicksal beachtet wird.

Der Rat der EKD hat auf seiner Sitzung vom 27. Juni 2003 die vorliegende Textsammlung mit Dank entgegengenommen und beschlossen, sie zu veröffentlichen. Die Evangelische Kirche in Deutschland wird sich auch in Zukunft engagiert für eine Stärkung der Religionsfreiheit einsetzen.

Hannover, im September 2003
Präses Manfred Kock
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
Nächstes Kapitel