Für ein Leben in Würde. Die globale Bedrohung durch HIV/Aids und die Handlungsmöglichkeiten der Kirche

Eine Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung, EKD-Texte 91, 2007

Vorwort

Seit dem ersten registrierten Auftreten von HIV/Aids vor einem Vierteljahrhundert sind mehr als 60 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert worden, davon sind mehr als 25 Millionen gestorben. Aids ist eine noch immer nicht heilbare Krankheit und verursacht großes Leiden. Oft führt es zu Perspektivlosigkeit nicht nur bei den Erkrankten, sondern auch bei ihren Angehörigen und Familien.

Aids* [1] ist in vielen Teilen der Welt zur häufigsten Todesursache bei Erwachsenen geworden. Das hat in den besonders betroffenen Regionen zu dramatischen Rückgängen bei der Lebenserwartung geführt. Und es macht viele Anstrengungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in den ärmsten Ländern zunichte. Christen und Kirchen können nicht unberührt bleiben von vorzeitigem Sterben und Leben in Not und Abhängigkeit [2].

In den letzten Jahren sind eine Reihe von kirchlichen Stellungnahmen zu HIV* und Aids erschienen. Der Rat der EKD hat zuletzt 1988 einen Text mit dem Titel „Aids. Orientierungen und Wege in der Gefahr“ herausgegeben [3]. Seitdem hat sich die Pandemie* mit ihren dramatischen Auswirkungen allerdings grundlegend geändert, so dass eine neue Studie notwendig erscheint.

In Deutschland ist die Aufmerksamkeit für HIV und Aids stark zurückgegangen. Nach anfänglichen Befürchtungen, eine massive Epidemie* würde auch Deutschland heimsuchen, wird diese Krankheit nun wieder als „die Krankheit der anderen“ aufgefasst, die die deutsche Öffentlichkeit nicht stark berührt. In Prävention* und Aufklärung wird immer weniger investiert, in Folge neuer Therapiemöglichkeiten wiegen sich viele Menschen in falscher Sicherheit. Dabei besteht für Entwarnung kein Anlass. Nach wie vor ist Aids eine tödliche Krankheit, an der weltweit jedes Jahr etwa 3 Millionen Menschen sterben. Auch in Deutschland und anderen wohlhabenden Ländern kann die Krankheit nur gelindert, aber nicht geheilt werden.

Auch wenn die Infektionsrate in Deutschland im Vergleich zu anderen Teilen der Welt als sehr gering bezeichnet werden kann, ist HIV/Aids dennoch nicht nur ein Problem der anderen. Das gilt insbesondere für eine christliche Perspektive. Denn die Kirche ist eine Gemeinschaft, in der sich Gesunde und Kranke, von HIV/Aids direkt und indirekt Betroffene und Menschen, die selbst nicht erkrankt sind, als Glieder des Leibes Jesu Christi mit gleichem Wert und gleicher Würde akzeptieren und einander in Solidarität unterstützen. Diese Betrachtungsweise tragen Christen auch in die Gesellschaft hinein; denn die Würde des Menschen ist unteilbar. Doch allzu oft wurden und werden HIV-Infizierte und sogar ihre Angehörigen ausgegrenzt; auch in den Kirchen ist das immer wieder der Fall. Im Gespräch mit kirchlichen Partnern in aller Welt müssen wir uns deshalb immer wieder wechselseitig daran erinnern, dass wir sowohl in den Ortsgemeinden als auch in der weltweiten christlichen Gemeinschaft zu dem einen Leib Christi gehören, der keine Ausgrenzungen kennt – auch nicht auf Grund einer bestimmten Infektion oder einer unheilbaren Krankheit. Vielmehr ist die Kirche durch eine Solidarität des Mitleidens bestimmt: Wenn ein Glied leidet, leiden alle anderen mit. Wie Jesus sich vorbehaltlos denen zugewandt hat, die wegen ihrer Krankheit von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden, den Aussätzigen und Leprakranken, so eindeutig müssen sich Christen und Kirchen heute den HIV/Aids-Erkrankten zuwenden.

In allen Gesellschaften der Welt verweist HIV/Aids auf gesellschaftliche Tabus und Missstände, welche die Ausbreitung des Virus begünstigen. Die Krankheit nötigt zu einer Auseinandersetzung mit Fragen der sexuellen Orientierung, mit dem Selbstbestimmungsrecht von Mann und Frau, mit Drogenabhängigkeit, Armut, Ausbeutung und sexueller Gewalt. Darum kann sich eine kirchliche Stellungnahme nicht auf krankheitsspezifische Aspekte von HIV/Aids beschränken, sondern muss gesellschaftspolitische, ökonomische und ethische Fragestellungen einbeziehen. Diese Krankheit ist kein Schicksal, sondern kann verhindert und behandelt werden. Dazu leisten die Kirchen überall auf der Welt einen wichtigen Beitrag. So stellen sie in vielen Ländern Afrikas bis zu 60% der nationalen Gesundheitsversorgung.

Menschen mit HIV/Aids erwarten Solidarität und Gemeinschaft; sie erwarten Unterstützung im Kampf für das Leben. Ihrerseits müssen die von HIV/Aids potentiell Bedrohten und unmittelbar Betroffenen sich der Gemeinschaft zuwenden und Verantwortung für ihr Leben übernehmen. Dazu will die vorliegende Studie der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung ermutigen.

Der Rat der EKD dankt der Kammer für nachhaltige Entwicklung für die Erarbeitung dieser fundierten Studie und wünscht ihr eine breite und intensive Resonanz in Deutschland, aber auch in der weltweiten Ökumene.

Hannover, 13. Juni 2007

Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

EKD-Texte 91: Für ein Leben in Würde (pdf)

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