Wenn Menschen sterben wollen - Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung

Ein Beitrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD-Texte 97, 2008

Vorwort

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist dem Schutz des menschlichen Lebens und der menschlichen Würde verpflichtet. Dies gilt für das menschliche Leben in all seinen Phasen; es gilt deshalb auch und in besonderer Weise an den Grenzen und Rändern des Lebens. Wenn Menschen ins Leben treten, wenn ihr Leben gefährdet ist und wenn es sich seinem Ende zuneigt – in all solchen Fällen stehen Lebensschutz und Menschenwürde in besonderer Weise auf dem Spiel. Die Grundsätze, denen die EKD in solchen Fragen folgt, hat sie zusammen mit der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und anderen christlichen Kirchen in der Schrift „Gott ist ein Freund des Lebens: Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens“ (Gütersloh 1989) formuliert. So gehört es zu den besonderen Aufgaben der christlichen Kirchen, die Würde der Sterbenden zu achten, die Unverfügbarkeit des Lebens anderer Menschen zu wahren, zum Leben Mut zu machen, beim Sterben zu begleiten. Die „Tötung auf Verlangen“ (auch als „aktive Sterbehilfe“ bezeichnet) ist auch bei einem todkranken Menschen ethisch nicht zu vertreten. Immer kommt es vielmehr darauf an, Sterbende zu trösten, ihr Leiden zu lindern und ihnen die Gewissheit zuzusprechen, dass ihr Leben von Gott gewollt und gesegnet ist.

Solche klaren Aussagen werden nicht nur in kirchlichen Dokumenten vertreten; sie finden sich vielmehr ebenso in verbindlichen Äußerungen aus der Ärzteschaft. Trotzdem kommt es immer wieder dazu, dass dieser Grundkonsens durch beunruhigende Debattenbeiträge in Zweifel gezogen wird; Meinungsfragen legen Veränderungen in der Einstellung breiterer Bevölkerungskreise zu solchen Fragen nahe. In besonderer Weise gilt dies für das Problemfeld der Hilfe zur Selbsttötung. So treten kommerzielle „Sterbehilfeorganisationen“ auf; es werden Maschinen und Mechanismen zur Selbsttötung vorgestellt und angeboten; über das Internet lassen sich so genannte „Exit Bags“ erwerben, die einen „humanen Tod“ aus der Tüte versprechen.

Diese Diskussionslage hat die Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD dazu veranlasst, sich mit dem Problem des ärztlich assistierten Suizids zu beschäftigen. Die Eingrenzung der Thematik auf die „ärztliche“ Beihilfe zur Selbsttötung ist dabei überzeugend. Denn Ärzte und Ärztinnen stehen in einer besonderen Verantwortung, wenn Menschen in hohem Alter oder angesichts von schwerer Krankheit sterben wollen und von ihnen womöglich Medikamente zur Durchführung eines Suizids erbitten. Der Text widmet sich somit einer ebenso brisanten wie eingegrenzten Thematik.

Neben den großen Themen, die die Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD seit ihrer Neukonstituierung im Jahr 2004 auf Wunsch des Rates zu bearbeiten hatte und die zur Veröffentlichung einer neuen Friedensdenkschrift (2007) sowie einer zweiten „Denkschriften-Denkschrift“ (2008) führten, standen von Anfang an auch medizin- und bioethische Themen im Blickpunkt der Kammer. Bereits im Jahr 2005 legte sie einen Text zum Umgang mit Patientenverfügungen aus evangelischer Sicht vor, der in der Reihe der EKD-Texte als Nr. 80 unter dem Titel „Sterben hat seine Zeit“ veröffentlicht wurde.

Mit der jetzt vorgelegten Schrift, die der Rat der EKD sich wegen ihres ethisch orientierenden Gehalts und ihrer großen argumentativen Klarheit zu Eigen machte, vertritt die EKD in der aktuellen Debatte eine dezidierte Position:

  • Eine rechtliche Einschränkung der Garantenpflicht des Arztes wird verworfen.
  • Die Möglichkeit einer Verankerung der ärztlichen Beihilfe zum Suizid im Recht wird abgelehnt; jedoch wird der Verantwortungs- und Handlungsspielraum des Arztes im Blick auf die Beurteilung des jeweiligen Einzelfalls unterstrichen.
  • Es wird vorgeschlagen, auf politischer Ebene auf das Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung und damit auf ein Verbot von Sterbehilfeorganisationen nach Schweizer Muster hinzuwirken.

Vorbildlich ist dabei besonders auch die Argumentationsweise des Textes: Medizinische, standesethische, rechtliche und ethische Aspekte solcher Situationen werden im vorliegenden Text berücksichtigt, voneinander unterschieden und zugleich sinnvoll zueinander in Beziehung gesetzt. Die zitierten Beispiele aus anderen europäischen Ländern, vor allem der Schweiz, haben exemplarischen Charakter. Eine vollständige Überblicksdarstellung zur Problemlage in Europa insgesamt ist nicht beabsichtigt; sie könnte in einem Text dieser Länge auch gar nicht geleistet werden.

Der Rat der EKD ist der Kammer für Öffentliche Verantwortung für diesen Beitrag außerordentlich dankbar. Der Dank gilt besonders Frau Dr. Andrea Dörries (Hannover), die die Federführung in der von der Kammer eingerichteten Arbeitsgruppe zu medizin- und bioethischen Fragen hatte. In dieser Arbeitsgruppe wirkten ferner engagiert mit:

Prof. Dr. Johannes Fischer (Zürich);
Dr. Christiane Kohler-Weiß (Meckenbeuren);
Rechtsanwältin Ulrike Riedel (Berlin).

Ebenfalls waren in bewährter Weise der Vorsitzende der Kammer für Öffentliche Verantwortung, Prof. Dr. Wilfried Härle (Heidelberg), und deren Geschäftsführer, Oberkirchenrat Dr. Eberhard Pausch (Hannover), an der Entstehung und Formulierung des Textes beteiligt.

Da dieses Thema seit einiger Zeit auf der politischen Ebene, etwa im Bundesrat, strittig diskutiert wird und auch deshalb an einer Stellungnahme der christlichen Kirchen zu dieser Problematik Interesse besteht, ist dem Rat der EKD sehr daran gelegen, diesen Beitrag so rechtzeitig zu veröffentlichen, dass er – auch politisch – Gehör finden kann. Gerade angesichts der aktuellen Debatten gilt es, unzweideutig für den Schutz des menschlichen Lebens und seiner Würde vom Anfang bis zum Ende einzutreten. So will es Gott. In seinen Händen steht unser aller Zeit (Psalm 31, 16), in seinen Händen stehen wir selbst.

Berlin/Hannover, im Oktober 2008

Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates
der Evangelischen Kirche in Deutschland

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