Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive

Eine Denkschrift des Rates der EKD, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2008, ISBN 978-3-579-05905-1

Vorwort

Die evangelische Gestalt des christlichen Glaubens hat zu unternehmerischem Handeln ein positives Verhältnis. Verantwortungsbereitschaft, Weltgestaltung, Unternehmergeist und das Engagement für das Gemeinwohl sind als Tugenden in der evangelischen Tradition fest verankert.

Dennoch ist das Verhältnis von Protestantismus und Unternehmertum in Deutschland von Spannungen durchzogen. Auf der einen Seite wird die Befürchtung laut, dass die notwendige Gewinnorientierung der Unternehmen in Konflikt mit der Solidarität mit den Beschäftigten geraten kann; immer wieder wird deshalb nach dem Verhältnis von Gemeinwohl und Eigennutz gefragt [1]. Auf der anderen Seite werden kritische Äußerungen zum Abbau von Arbeitsplätzen oder zu ethisch fragwürdigen Verhaltensweisen von wirtschaftlichen Führungskräften gelegentlich als grundsätzliche Ablehnung unternehmerischen Handelns durch die Kirche interpretiert.

Häufig beruhen solche Spannungen auf Missverständnissen. Eine Verständigung über ethische Maßstäbe unternehmerischen Handelns ist aber nur möglich, wenn solche Missverständnisse überwunden werden. Deshalb laden wir mit dieser Denkschrift zu einem neuen Dialog zwischen evangelischer Kirche und Unternehmertum ein. Die Kammer für soziale Ordnung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat unter dem Vorsitz von Professor Dr. Gert G. Wagner diese Denkschrift erarbeitet; dafür danke ich ihr sehr herzlich. Der Rat der EKD hat sich diese Denkschrift zu Eigen gemacht und legt sie hiermit der Öffentlichkeit vor.

Die Denkschrift ermutigt zu unternehmerischem Handeln als einer wesentlichen Quelle für gesellschaftlichen Wohlstand. Die kreative Entwicklung neuer Produkte oder Dienstleistungen und ein kluger Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen gehören zu den Tugenden, die unternehmerisches Handeln auszeichnen. Dies unterstreicht die Denkschrift deutlich.

Auch in wirtschaftlichen Prozessen sind Menschen nie nur Mittel zum Zweck, sondern immer zugleich Zweck an sich selbst. Die evangelische Kirche ermutigt Unternehmerinnen und Unternehmer, ihre Kräfte und Möglichkeiten in gesamtgesellschaftliche Prozesse so einzubringen, dass wirtschaftlicher Erfolg der Unternehmen und mitarbeiterfreundliche Arbeitsbedingungen miteinander verbunden werden. Als Maßstab unternehmerischen Handelns gilt dabei die soziale Verantwortung. Sie verpflichtet dazu, die Behauptung eines Unternehmens am Markt und dessen gesellschaftliche Verantwortung aufeinander zu beziehen; auch weltweit müssen die Globalisierung von Handel und Produktion und die Globalisierung der Menschenrechte einander entsprechen.

Die vorliegende Denkschrift betont die Bedeutung unternehmerischer Verantwortung in einer Zeit, in der das Ansehen von Unternehmerinnen und Unternehmern aufgrund ethisch problematischer Verhaltensweisen Einzelner, medial veröffentlichter Skandale, vor allem aber aufgrund des immer stärker fühlbaren Auseinanderdriftens unserer Gesellschaft in Arme und Reiche, Erfolgreiche und Unterstützungsbedürftige auf dem Prüfstand steht.

Christen, die in der Wirtschaft tätig sind, wollen ihre Aufgaben im Einklang mit ihrem Glauben erfüllen. Der Anspruch, den sie damit an sich selbst richten, ist eine große Chance für die Gesellschaft insgesamt. Die Impulse des christlichen Glaubens und die ethischen Orientierungen, die sich daraus ergeben, können zu einem unternehmerischen Handeln beitragen, das allen Menschen dient und auf dem der Segen Gottes ruht. Diese Denkschrift will zu solchem unternehmerischen Handeln ermutigen.

Im Jahr 2006 hat der Rat der EKD mit der Denkschrift »Gerechte Teilhabe. Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität« zu neuen Anstrengungen zur Überwindung von Armut aufgerufen [2]. Die grundsätzlichen Überlegungen, von denen diese Denkschrift geprägt ist, entfalten ihre Bedeutung auch, wenn der vorliegende Text sich dem unternehmerischen Handeln und der damit verbundenen Verantwortung widmet. In der Zusammenschau beider Texte zeigt sich die Vision einer Gesellschaft, die von der Beteiligung aller geprägt ist. Unser Leitbild ist eine Gesellschaft, die niemanden ausschließt, sondern alle befähigt und einlädt, ihre Talente zu nutzen. Ein wichtiger Maßstab liegt darin, dass die unterschiedlichen Erfahrungen von Männern und Frauen verschiedener Herkunft und aus unterschiedlichen Generationen wahrgenommen und genutzt werden.

Herausragende Bedeutung kommt dabei der Bildung zu. Der Zugang zu Bildung ist bestimmend für Chancengerechtigkeit, gesellschaftliche Teilhabe und Mobilität. Darin liegt nicht nur eine Erwartung an den Staat, sondern auch an alle gesellschaftlichen Akteure, die auf den Feldern von Bildung und Ausbildung tätig sind. Der Zusammenklang von sozialer und wirtschaftlicher Verantwortung muss deshalb ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Daraus ergeben sich Erwartungen an die Unternehmenskultur. Zu ihnen zählen die Kooperation zwischen Management und Beschäftigten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Förderung von gesellschaftlichem Engagement und die Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft. Denn dieses Modell, das gesellschaftliche Teilhabe und Wohlstand für breite Schichten in unserem Land ermöglicht hat, behält auch für die Zukunft verpflichtende Bedeutung.

Die Globalisierung führt zu neuen Herausforderungen. Zu ihnen gehört der wachsende Wettbewerbsdruck auf dem Arbeitsmarkt. Vom Ausschluss bedroht sind insbesondere Personen mit geringer beruflicher Qualifikation. Die vorrangige Option für die Armen, die für das sozialethische Nachdenken der evangelischen Kirche eine Schlüsselbedeutung hat, verpflichtet zu dem Bemühen darum, auch diesen Gruppen Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten, aber ebenso zu einer besseren Qualifikation zu eröffnen. Das Kriterium der vorrangigen Option für die Armen gilt aber nicht nur im Blick auf Deutschland, sondern auch auf die Länder, mit denen unser Land heute um Standortvorteile konkurriert. Die Globalisierung macht nicht an nationalen Grenzen Halt. Vielmehr muss das Modell der sozialen Marktwirtschaft, das die Gewinne der Unternehmen auch als Faktor für Wohlstand und Stabilität der ganzen Gesellschaft versteht und sich an Entwicklungs- und Beteiligungschancen für alle orientiert, unter dem Gesichtspunkt betrachtet und weiterentwickelt werden, dass es als Maßstab für die weltweite wirtschaftliche Entwicklung taugt.

Die hier vorliegende Denkschrift zum unternehmerischen Handeln und die Denkschrift zur gerechten Teilhabe richten ihre Grundaussagen nicht an unterschiedlichen Gruppen von Adressaten aus. Vielmehr versuchen diese beiden Texte, das Ziel gerechter Teilhabe aller an den wirtschaftlichen und sozialen Prozessen im Blick auf unterschiedliche Verantwortungsbereiche zu reflektieren und Maßstäbe für verantwortliches Handeln in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kirche zu formulieren. Schon jetzt orientieren sich viele Unternehmerinnen und Unternehmer, die ihren christlichen Glauben auch in ihrem beruflichen Wirken zur Richtschnur nehmen, an Maßstäben, wie sie auch in dieser Denkschrift entwickelt werden. Der Rat der EKD will sie und andere ermutigen, ihre geistliche und ethische Orientierung auf dem Hintergrund der Denkschrift zu reflektieren, zu pflegen und zu vertiefen. Gleichzeitig ist die Denkschrift ein Angebot zur Diskussion an Unternehmerinnen und Unternehmer, aber auch an Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen sowie an diejenigen, die Verantwortung für die politischen Rahmenbedingungen unternehmerischen Handelns tragen. Über die besten Wege zum Ziel der gerechten Teilhabe aller und damit auch der Überwindung von Armut und Not werden immer wieder kontroverse Meinungen ausgetauscht werden, auch unter Christen; das an den christlichen Überlieferungen orientierte Ziel selbst verbindet jedoch alle und kann auch der Suche nach den richtigen Mitteln die Richtung weisen.

Die Denkschrift wendet sich nicht nur an christliche Leserinnen und Leser, sondern an alle Gruppen in unserer pluralen Gesellschaft. Die Grundorientierungen, die in dieser Denkschrift vertreten werden, enthalten zahlreiche Impulse, die für alle Menschen guten Willens nachvollziehbar sind. Dass soziale Verantwortung und wirtschaftlicher Erfolg einander nicht ausschließen, sondern wechselseitig aufeinander bezogen sind, gehört zu den Einsichten dieser Denkschrift, die für die Gesellschaft als ganze plausibel sind.

Ich hoffe, dass diese Denkschrift dazu beiträgt, den Konsens über diese Einsicht in Deutschland und darüber hinaus zu stärken und zu vertiefen.

Berlin/Hannover, am 17. Juni 2008

Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)


[1] Vgl. Gemeinwohl und Eigennutz. Wirtschaftliches Handeln in Verantwortung für die Zukunft. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1991.

[2] Vgl. Gerechte Teilhabe. Befähigung zu Eigenverantwortung und Solidarität. Eine Denkschrift des Rates der EKD zur Armut in Deutschland, Gütersloh 2006.

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