Das Abendmahl
Eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Abendmahls in der evangelischen Kirche
3. Praktische Empfehlungen
Ein dritter Hauptabschnitt der Orientierungshilfe ist wichtigen praktischen Problemen gewidmet, zu denen immer wieder Fragen gestellt werden, die auf dem Hintergrund des biblischen Befundes und der systematischen Klarstellungen beantwortet werden können.
Die verschiedenen Veränderungen bei Verständnis und Praxis des Abendmahls in evangelischen Gemeinden haben nicht nur seine Bedeutung in den Gemeinden deutlich gesteigert, sondern stellenweise auch zu Unsicherheit im Umgang mit dem Abendmahl und unübersichtlicher Vielfalt der liturgischen Formen und Bräuche geführt. Eine ganze Anzahl der angesprochenen Fragen wird allerdings schon durch Texte beantwortet, die praktisch in allen Gliedkirchen der EKD existieren und gewöhnlich als »Lebensordnungen« angesprochen werden: Für den Bereich der VELKD sei auf die »Leitlinien kirchlichen Lebens der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands – Kirchliche Lebensordnung« aus dem Jahre 2002 verwiesen, für die EKU auf die »Ordnung kirchlichen Lebens der Evangelischen Kirche der Union« aus dem Jahre 1999. Beide Texte wurden in enger Abstimmung erarbeitet; auch in den reformierten Kirchen gelten rechtliche Regelungen, die diesen Lebensordnungen der anderen Gliedkirchen der EKD vergleichbar sind (weitere, ähnlich hilfreiche Texte und Handreichungen sind im Literaturverzeichnis genannt).
Grundsätzlich gilt hier, was schon den biblischen Befund zum Thema kennzeichnete: Um einen weitgehend einheitlichen Kernbereich gemeinsamer Aussagen zum Abendmahl herum, der alle neutestamentlichen Berichte prägt, befindet sich ein relativ weiter Freiraum möglicher theologischer und liturgischer Akzentsetzungen. So haben auch die reformatorischen Bekenntnisse und die »Leuenberger Konkordie« aus dem vielstimmigen biblischen Zeugnis nur ganz bestimmte Züge als wesentlich und verbindlich hervorgehoben. Für die gegenwärtige Ausgestaltung des so eröffneten Freiraums gelten nur sehr grundsätzliche Regeln: Es sollte zum einen vermieden werden, so über das Abendmahl zu reden und es so zu feiern, daß dadurch der einheitliche Kernbereich des allen gemeinsamen Verständnisses dieses Sakraments beschädigt wird. Zum anderen ist schon dem Apostel Paulus, von dem der früheste Text über das Abendmahl stammt, die Rücksichtnahme aller Gemeindeglieder aufeinander (1 Kor 12,12-26) und insbesondere auf Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, Anstoß an Handlungen ihrer Mitchristen nehmen (Röm 14,1-10 und 1Kor 8,9), besonders wichtig.
Wenn an manchen Stellen der Orientierungshilfe unterschiedliche liturgische Formen und Bräuche empfohlen werden und nicht eine einzige Praxis als normativ bezeichnet wird, ist dies daher sach- und schriftgemäß. Schon in den ältesten Gemeinden führte das eine, durch die biblischen Texte normierte gemeinsame Grundverständnis des Abendmahls zu Abendmahlsfeiern, die sich in Details unterschieden. Neben der notwendigen Einheitlichkeit stand und steht eine legitime Vielfalt entweder gleich guter oder doch nur sehr wenig hinsichtlich ihrer Angemessenheit unterschiedener gottesdienstlicher Formen (sogenannte »adiaphora«, zu deutsch: »ununterscheidbare Mitteldinge«).
3.1 Wie häufig soll das Abendmahl gefeiert werden?
Für Luther und andere Reformatoren war die sonntägliche Abendmahlsfeier der Gemeinde selbstverständlich, wodurch die mittelalterliche Abendmahlspraxis seltener Kommunion (in der Regel einmal pro Jahr) tiefgreifend verändert wurde. Der enge Zusammenhang zwischen dem Herrentag (Apk 1,10) und dem Herrenmahl (1Kor 11,20) ist schon in der Antike betont worden. Aber auch in vielen evangelischen Gegenden wurde das Abendmahl nach der Reformationszeit nur noch an vier Sonntagen im Jahr jeweils für spezifische Stände und Gruppen der Gemeinde gefeiert, obwohl beispielsweise Jean Calvin diese Praxis in der Genfer Kirchenordnung von 1561 einen »Mißstand, der behoben werden muß«, nennt und die viermalige Feier im Jahr ausdrücklich als vorläufige Maßnahme deklariert (Teil II, Abschnitt 2). Seit den Neuaufbrüchen des letzten Jahrhunderts ist wieder deutlich, daß eine solche starke Zurückhaltung gegenüber dem Abendmahl nicht der Intention seines Stifters und der ersten christlichen Gemeinden entspricht, bildete das Abendmahl doch die Klammer zwischen den verschiedenen Kirchen und die selbstverständliche Form, die neue Gemeinschaft mit Gott zu erfahren. Eine feste Regel, wie häufig das Abendmahl im Gottesdienst zu feiern ist, kann nur jede Kirchengemeinde für sich selbst finden und festlegen. Daß diese Entscheidung nicht allein von der Pastorin oder dem Pastor getroffen werden darf, sondern nur gemeinsam mit den jeweiligen Leitungsgremien, versteht sich von selbst. Sehr viele Gemeinden feiern das Abendmahl monatlich oder wöchentlich.
3.2 In welcher Form soll das Abendmahl gefeiert werden?
Die Einsetzungsworte fordern die Kirche zur Feier des Abendmahls auf (»Solches tut zu meinem Gedächtnis«). Sie verweisen zugleich auf zwei unverzichtbare liturgische Teile der Feier, den Empfang von Brot und Wein sowie den Dank an Gott (»Nehmet hin« bzw. »nahm er ..., dankte ... und gab«).
Die Strukturelemente einer Abendmahlsfeier – Dank, Einsetzungsworte sowie Austeilen und Nehmen von Brot und Wein – sind in den verschiedenen liturgischen Traditionen von Anfang an unterschiedlich ausgestaltet, umgeordnet und auch immer wieder erweitert worden, beispielsweise durch die Bitte um den Heiligen Geist. Das in den meisten lutherischen und unierten Kirchen eingeführte »Evangelische Gottesdienstbuch« bietet aus dem reichen Schatz vergangener und gegenwärtiger liturgischer Praxis eine ganze Reihe von unterschiedlichen Formen zur Auswahl an. Bei der Zusammenstellung von Gestaltungselementen aus dem Gottesdienstbuch wird man sich freilich sowohl an dem Kriterium der inneren Stimmigkeit eines Gottesdienstes als auch an dem der Verbundenheit mit anderen Gemeinden der jeweiligen Konfession orientieren. Außerdem ist es notwendig, »innerhalb einer Gemeinde Absprachen oder Regelungen zu treffen, an die sich alle binden, die für den Gottesdienst verantwortlich sind« (Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 18).
Manche Gemeindemitglieder haben im Blick auf den Gemeinschaftskelch hygienische Bedenken. Es ist umstritten, wie begründet solche Bedenken sind. In jedem Fall sollte die Gestaltung der Feier diesen Sorgen Rechnung tragen. In einigen Gemeinden sind darum Formen der Abendmahlsfeier üblich, bei denen der Gemeinschaftskelch durch sogenannte »Einzelkelche« ersetzt wird, oder das Trinken durch das Eintauchen des Brotes (sogenannte intinctio). Das Trinken aus dem Gemeinschaftskelch entspricht besser den Einsetzungsworten (»... trinket alle daraus ...«) und der Tatsache, daß die Gemeinde im Abendmahl nicht nur zu einer Gemeinschaft mit Christus, sondern auch untereinander verbunden wird.
Das sogenannte »angehängte Abendmahl«, das nach einem durch Segen abgeschlossenen Predigtgottesdienst für eine kleinere Gemeinde angeboten wird, stellt eine Sonderentwicklung des evangelischen Gottesdienstes dar, die sich im neunzehnten Jahrhundert verbreitet hat und in den letzten Jahrzehnten in vielen Landeskirchen in Wegfall gekommen ist. In Gemeinden einzelner Landeskirchen ist sie nach wie vor Brauch. Dagegen ist einzuwenden, daß das Abendmahl eigentlich in den allgemeinen Gottesdienst der gesamten Gemeinde gehört.
3.3 Warum ist der Wortlaut der Einsetzungsworte so wichtig?
Ebenso wie der neutestamentliche Taufbefehl (Mt 28,19-20) konstitutiv zum Sakrament der Taufe gehört, gehören die Einsetzungsworte seit dem frühen Christentum konstitutiv zur Abendmahlsfeier. Ihre konzentrierte theologische Aussage macht in jeder Feier deutlich, daß im Abendmahl der gekreuzigte und auferstandene Christus leibhaft gegenwärtig ist und mitgeteilt wird. In den Bekenntnissen der Reformation ist die Bedeutung dieser konstitutiven Elemente mit der Aussage unterstrichen worden, daß die Sakramente – und also auch das Abendmahl – in der Kirche »dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden sollen« bzw. »laut dem Evangelium gereicht werden« (Augsburger Bekenntnis von 1530, Artikel 7). Das impliziert zunächst, daß die entsprechenden Worte des Evangeliums, also die Einsetzungsworte, in unverfälschter Weise zitiert werden müssen. Paraphrasen und andere Erläuterungen dürfen nicht an ihre Stelle treten. Darunter fällt nicht die in den Agenden und Gottesdienstordnungen festgehaltene Mischform, die eine Harmonie aus den verschiedenen Fassungen der Einsetzungsworte herstellt und eine lange Tradition hat. In lutherischen und unierten Gemeinden wird sie normalerweise verwendet. Nur durch die wörtliche Rezitation der Einsetzungsworte nach einem der neutestamentlichen Zeugen oder in der historischen Mischform der biblischen Texte ist sichergestellt, daß das Sakrament gemäß seiner ursprünglichen Intention unverfälscht im Gottesdienst gefeiert wird und nicht durch individuelle theologische Deutungen oder liturgische Einfälle überlagert wird. Außerdem wird auf diese Weise vollkommen klar, daß die gottesdienstlichen Handlungsträger nicht eigenmächtig wirken, sondern im Auftrag Christi seine Worte laut werden lassen.
3.4 Welche Stücke der Liturgie sind unverzichtbar?
Unverzichtbar sind die Einsetzungsworte, das Vaterunser, die Austeilung der Elemente in der versammelten Gemeinde und eine Danksagung an Gott (beziehungsweise Christus). Kirchenrechtlich wird die Frage nach den unverzichtbaren Elementen in aller Regel durch das Bekenntnis, die jeweiligen Ordnungen der Landeskirchen und die dadurch normierte Praxis einer Gemeinde beantwortet. Von solchen Festlegungen darf nicht abgewichen werden. Zur Unverzichtbarkeit gehört natürlich auch, daß der Gesamtvollzug des Abendmahls als solcher erkennbar sein muß. Zwar kann das Abendmahl durchaus mit einem gemeinsamen Essen (Agapemahl) verbunden werden, es muß aber klar als eigenständiger Teil erkennbar sein.
3.5 Welche Gestalten der Elemente sind möglich?
Aus der zentralen Stellung der Einsetzungsworte folgt, daß von ihnen her zu entwickeln ist, was im Abendmahl nicht fehlen darf und was disponibel ist. Unverzichtbar ist, daß sich der gastgebende Christus ausweislich der Einsetzungsworte »durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein« (Leuenberger Konkordie, Abschnitt 18) schenkt, also die Schöpfungsgaben Brot und Wein schon durch ihre Erwähnung in den Einsetzungsworten zu einem evangeliumsgemäßen Abendmahl gehören. Nicht jedes Stück Nahrung ist dafür geeignet, Christi Leib und Blut gegenwärtig werden zu lassen. Die Frage, ob für diese Zwecke Weißbrot oder Oblaten und roter oder weißer Wein verwendet wird, sollte nicht zu einer theologischen Grundsatzfrage hochstilisiert werden. In der Regel sollte aber beim Abendmahl wegen der Bindung an die Einsetzungssituation Wein gebraucht werden und Traubensaft eine Ausnahme bleiben. Gemeinden, die neben dem Wein an bestimmten Sonntagen Traubensaft anbieten, damit keine Alkoholabhängigen gefährdet oder bloßgestellt werden, können sich auf das neutestamentliche Liebesgebot berufen (Texte aus der VELKD 8/1979, 7) und darauf, daß auch Traubensaft ein »Gewächs des Weinstocks« ist (Mt 26,29). Die Möglichkeit für Kinder, am Abendmahl teilzunehmen (dazu unten, S. 54), könnte ein weiteres Argument dafür sein, gelegentlich Traubensaft zu verwenden. Es dürfte schwerfallen, den Gemeinden und Gruppen, die gelegentlich Wein durch Traubensaft ersetzen, »eine dem Evangelium widerstreitende Abendmahlspraxis anzulasten« (ebd., 6). Eine andere Form ist die Kommunion unter einer Gestalt für einzelne Personen: Auch eine einzelne Gestalt des Abendmahls vermittelt die ganze Wirkung des Abendmahls (sogenannte communio sub una) und kann in begründeten Ausnahmefällen eine angemessene Lösung sein.
3.6 Was geschieht mit den Elementen nach dem Gottesdienst?
Die Frage, was nach dem Gottesdienst mit den Elementen geschieht, ist eng verbunden mit der in der Kirchengeschichte heftig umstrittenen Frage, auf welche Weise Jesus Christus im Abendmahl bzw. in den Elementen präsent ist. Da die mittelalterliche Theologie die Präsenz Jesu Christi sehr eng auf die Elemente bezog (durch die sogenannte »Transsubstantiationslehre«), hat man konsequenterweise das unverbrauchte, aber geweihte Brotelement in besonderen Sakramentshäusern bzw. Tabernakeln aufbewahrt und bei einer späteren Feier ausgeteilt. So ist es auch geltende Lehre und Brauch bei der römisch-katholischen Schwesterkirche. Die Lehre der lutherischen Kirchen geht hingegen davon aus, daß die besondere Verbindung zwischen dem lebendigen Jesus Christus und den Elementen Brot und Wein nur zum Zweck und daher während des Gebrauchs im Gottesdienst besteht (in usu). In der Meißener Erklärung zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Church of England von 1991 ist festgehalten, daß »ein angemessener Umgang mit den nach der Feier übrig gebliebenen Gaben« geboten ist (Abschnitt 6; ähnlich in den erwähnten Lebensordnungen: Leitlinien A 3 1.3. bzw. Ordnungen 1,1-3, siehe oben S. 25, Zeilen 27 ff.). Empfohlen wird der theologisch unbedenkliche unmittelbare Verzehr. Da der erwähnte »Gebrauch im Gottesdienst« es einschließt, Kranken die Abendmahlsgaben in zeitlicher Nähe zur gottesdienstlichen Feier zu bringen, wenn diese selbst nicht teilnehmen konnten, bestehen keinerlei theologische Bedenken gegen eine solche Praxis der Krankenkommunion. Andernfalls ist ein eigenständiges Krankenabendmahl angemessen.
3.7 Sollte dem Abendmahl eine Beichte vorausgehen?
Die Eröffnung neuer Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen durch Jesu Tod, die im Abendmahl zugleich erinnert und jeweils unmittelbar gegenwärtig wird, impliziert die Aufhebung dessen, was auf Seiten des Menschen trennt. Bereits das Neue Testament hat das als Sündenvergebung, als Befreiung von der Macht der Sünde, thematisiert. Im liturgischen Vollzug des Abendmahls ist diese Dimension an vielen Stellen präsent, nicht nur, wenn es eine förmliche allgemeine Beichte und explizite Absolution der Geistlichen gibt. Die Rede von der »Nacht des Verrats« macht die Dimension menschlicher Schuld und Sünde ebenso deutlich wie die Erinnerung an die Umstände des Todes Jesu oder der Hymnus »Christe, du Lamm Gottes« und vor allem die Einsetzungsworte. Weil also das Abendmahl selbst Sündenvergebung vermittelt, gehören allgemeine Beichte und explizite Absolution – auch nach den neueren Agenden – nicht zu den unverzichtbaren Elementen eines evangelischen Abendmahlsgottesdienstes. Wenn allerdings die vielfältigen Probleme gegenwärtiger Gemeinden mit der biblischen wie reformatorischen Begrifflichkeit zum Anlaß genommen werden, die Dimension der Sünde aus dem Abendmahl zu entfernen und alle entsprechenden Stücke bzw. Texte zu vermeiden, dann geht der Sinn der gesamten Handlung verloren. Auch wird dann auf eines der wichtigen gottesdienstlichen Angebote verzichtet, Menschen zu trösten und von individueller und gemeinschaftlicher Schuld und Verstrickung zu befreien. Dies wird in den Gemeinden gebraucht und von Gemeindegliedern erbeten.
3.8 Wer darf eine Abendmahlsfeier leiten, wer an der Austeilung mitwirken?
Nach evangelischem Verständnis ist die Ordination zum Pfarramt keine Weihe, die eine besondere Fähigkeit im Blick auf das Abendmahl und seine Elemente vermittelt. Jeder Christenmensch könnte die Feier leiten und die Einsetzungsworte sprechen, weil er durch die Taufe Anteil an dem ganzen Heilswerk Christi bekommt und ohne einen besonderen priesterlichen Mittler unmittelbar Zugang zu Gott hat (das »allgemeine Priestertum aller Glaubenden«). Weil aber die öffentliche Wortverkündigung und die Leitung des Abendmahls nur denen zukommt, die dazu beauftragt, d.h. ordiniert sind, leitet die Abendmahlsfeier in aller Regel ein ordinierter Pfarrer bzw. eine Pfarrerin. Hierin sind sich die evangelischen mit der anglikanischen, der römisch-katholischen und den orthodoxen Kirchen einig, auch wenn die theologische Begründung jeweils unterschiedlich ist. Diese Gemeinsamkeit wurde auch in verschiedenen ökumenischen Papieren und Vereinbarungen immer wieder betont, etwa in der erwähnten »Meißener Erklärung«, in der die EKD und die Church of England Abendmahlsgemeinschaft erklärten. Vikarinnen und Vikare feiern unter Aufsicht und in der Verantwortung ihrer Ausbilder. Einige Landeskirchen haben darüber hinaus Ordnungen entwickelt, nach denen weitere erprobte und geschulte Gemeindeglieder mit der öffentlichen Wortverkündigung (Predigt) und der Leitung von Abendmahlsfeiern beauftragt werden können (Prädikantinnen/Prädikanten; Lektorinnen/Lektoren; Ältestenprediger/Ältestenpredigerinnen). Sie haben damit gute Erfahrungen gemacht. Über den theologischen Status solcher Beauftragung findet zur Zeit ein Verständigungsprozeß innerhalb der EKD statt, der zu möglichst einheitlichen Regelungen in allen Landeskirchen führen und dem hier nicht vorgegriffen werden soll.
Auf jeden Fall ist es wünschenswert, an der Austeilung der Elemente Mitglieder des Kirchengemeinderates bzw. vergleichbarer Gremien oder die ganze Gemeinde zu beteiligen.
Der spezifische Ort der Abendmahlsfeier ist – von Ausnahmen wie Kasualgottesdiensten einmal abgesehen – der sonntägliche Gottesdienst der Gemeinde. Dazu sollten Abendmahlsfeiern in Gruppen und Hausgemeinden nicht in Konkurrenz treten.
3.9 Dürfen Kinder am Abendmahl teilnehmen?
Für die Teilnahme von Kindern am Abendmahl schon vor der Konfirmation gibt es gute Argumente (und entsprechend haben viele evangelische Landeskirchen in ihren Synoden entsprechende Erklärungen verabschiedet). Das Gewichtigste dieser Argumente ist, daß ein vollständiges Verstehen der Handlung nicht die Bedingung für die Teilnahme am Abendmahl sein darf. Zum einen wäre dann die Kraft der göttlichen Gabe und ihres Gebers, sich dem Menschen selbst zu erschließen, sträflich unterschätzt; zum anderen darf schon wegen der offenen Mahlgemeinschaften Jesu kein Mensch wegen mangelnder Bildung, fehlender körperlicher oder geistiger Gesundheit, Entwicklungsreife oder zweifelhafter Moralität vom Abendmahl ausgeschlossen werden. Sonst wäre die Taufe nicht ernst genommen. In der Antike haben daher getaufte Kinder noch selbstverständlich am Abendmahl teilgenommen: »Es sind Kinder, aber sie werden zu seinen Tischgenossen, damit sie das Leben haben« (Augustinus). Freilich war dabei vorausgesetzt, daß diese Kinder in christlichen Familien lebten und in ein christliches Leben hineinwuchsen. Heute sollten Eltern dazu ermuntert werden, für ihre Kinder erst dann die Elemente zu erbitten, wenn ein gewisses Verständnis für den Sinn der Handlung gegeben ist, so daß die Kinder durch die Teilnahme in ein tieferes Verstehen des Sakraments hineinwachsen können. Wünschenswert ist eine sorgfältige, kindgerechte Vorbereitung. Statt der Kommunion kann aber auch die von einem Segenswort begleitete Handauflegung einem Kind die Erfahrung der Gemeinschaft mit Christus und den Mitchristen vermitteln, die im Abendmahl in besonderer Weise gegeben ist. Da eine solche Entscheidung nach einer grundsätzlichen Regelung in der Synode bzw. der Gemeinde letztlich in der Verantwortung von Eltern liegt, sollten Kirchenvorstände und Gemeinden über diese Zusammenhänge informieren und Gespräche mit interessierten Familien veranstalten.
3.10 Dürfen Ungetaufte am Abendmahl teilnehmen?
Seit ältester Zeit ist die Teilnahme am Abendmahl daran gebunden, daß ein Mensch zunächst durch die Taufe in die Gemeinschaft mit Christus und den Mitchristen hineingenommen ist und erst dann die spezifische Gestalt dieser Gemeinschaft im Abendmahl erfährt. Wenn in bestimmten Fällen, beispielsweise bei überregionalen Gottesdiensten, die Abendmahlsgemeinde unübersichtlich wird, sollte man einer Verabredung der Leuenberger Kirchengemeinschaft folgen und bei der Einladung zur Kommunion darauf hinweisen, daß diese Einladung für getaufte Christen gilt (Zur Lehre und Praxis des Abendmahls, S. 56). Wenn ein Nichtgetaufter oder eine Nichtgetaufte am Abendmahl teilnehmen wollen, sollte ein solcher Wunsch zum Anlaß genommen werden, mit solchen Personen ein Gespräch darüber zu führen, ob ihr Wunsch im Sinne eines Taufbegehrens zu verstehen sei. Eine grundsätzliche Öffnung des Abendmahls für Ungetaufte und eine undifferenzierte Einladung an alle entspricht jedenfalls nicht dem evangelischen Abendmahlsverständnis.
3.11 Dürfen römisch-katholische Christen an einem evangelischen Abendmahl teilnehmen?
In den evangelischen Kirchen sind römisch-katholische Christen wie alle Getauften herzlich zum Abendmahl eingeladen, weil Christus selbst dazu einlädt. Festgehalten ist diese »eucharistische Gastfreundschaft« oder »Gastbereitschaft« der evangelischen Kirchen u.a. in einer »Pastoraltheologischen Handreichung« der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche aus dem Jahre 1975, der sich die Arnoldshainer Konferenz im Jahr 1976 angeschlossen hat. Das Konzept einer »Gastfreundschaft« impliziert, daß diejenigen Christen, die einen Gottesdienst der jeweils anderen Konfession besuchen, dabei Glieder ihrer eigenen Kirche bleiben. Allerdings sollte im gemeindlichen Alltag darauf geachtet werden, daß niemand aus ökumenischem Überschwang zu etwas genötigt wird, was er oder sie (noch) nicht will.
Für die Sicht der römisch-katholischen Kirche ist das »Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus« vom 25. März 1993 einschlägig, ein »verbindlicher Bescheid« des päpstlichen Einheitsrates zur Auslegung der entsprechenden Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es bestimmt, daß »ein Katholik unter den oben erwähnten Umständen«, also auch in Todesgefahr und anderen durch den Diözesanbischof bestimmten Ausnahmefällen, das Abendmahl nur von einem Spender einer anderen Kirche erbitten darf, »in dessen Kirche diese Sakramente gültig gespendet werden, oder von einem Spender, von dem feststeht, daß er gemäß der katholischen Lehre über die Ordination gültig geweiht ist« (Nr. 133). Die geltende lehramtliche Position der römisch-katholischen Kirche ist aber, daß Pfarrerinnen und Pfarrer der evangelischen Kirchen u.a. wegen der Unterbrechung der durch bischöfliche Handauflegung weitervermittelten Kette der sogenannten »Apostolischen Sukzession« nicht gültig geweiht sind und daher auch die Sakramente nicht gültig spenden können. Allerdings bemühen sich verschiedene Bischofskonferenzen gegenwärtig, vor allem im Blick auf die konfessionsverbindenden Ehen den Spielraum, den ihnen das Direktorium eröffnet, näher zu bestimmen und so weit als möglich auszuschöpfen.
3.12 Dürfen evangelische Christen an einer römisch-katholischen Eucharistie teilnehmen?
An diesem Punkt, der vor allem das kirchliche Leben von konfessionsverbindenden Ehen tief belastet, wird die bis heute noch bestehende Trennung zwischen den beiden großen Konfessionen schmerzlich deutlich. Die lehramtliche und kirchenrechtliche Lage von Seiten der römisch-katholischen Kirche ist klar: Das oben erwähnte »Direktorium« hat nochmals betont, daß »die katholische Kirche im allgemeinen den Zutritt zur eucharistischen Gemeinschaft (...) einzig jenen Gläubigen, die mit ihr in der Einheit des Glaubens, des Gottesdienstes und des kirchlichen Lebens stehen«, gewährt (Nr. 129). Darunter wird die »volle kirchliche Gemeinschaft« verstanden, also die Mitgliedschaft in der römisch-katholischen Kirche einschließlich der mit ihr unierten orientalischen Kirchen. Allerdings wird ebenso ausdrücklich bestimmt, daß »unter gewissen Umständen, in Ausnahmefällen und unter gewissen Bedingungen der Zutritt zu diesen Sakramenten Christen anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften gewährt oder sogar empfohlen werden kann« (ebd.). Als ein solcher Ausnahmefall wird explizit die Lebensgefahr genannt und die Bestimmung weiterer Ausnahmefälle den Diözesanbischöfen und Bischofskonferenzen überlassen. In verschiedenen Texten ist der Begriff einer »geistlichen Notlage« als eine solche Ausnahme eingeführt worden, ansonsten bleiben die Ausnahmefälle meist ohne nähere Bestimmung. Freilich gelten in allen diesen Formen von Ausnahmefällen vier Bedingungen: Der evangelische Christ ist erstens gehindert, »einen Spender der eigenen Kirche oder kirchlichen Gemeinschaft aufzusuchen«, er erbittet zweitens von sich aus diese Sakramente, er bekundet drittens den katholischen Glauben bezüglich dieser Sakramente und ist viertens in rechter Weise vorbereitet (Nr. 131; vgl. CIC 844 § 4). Verschiedene römisch-katholische Theologen betonen allerdings, daß auch in einer konfessionsverschiedenen Ehe Mann und Frau nach lehramtlichem Verständnis durch das Sakrament der Ehe miteinander verbunden sind (sofern sie römisch-katholisch oder mit Dispens evangelisch getraut wurden). Sie leben darum in einer geistlichen Gemeinschaft, deren Trennung ausgerechnet am Tisch des Herrn nicht zu rechtfertigen sei.
Da nach evangelischem (und katholischem) Verständnis sich im Abendmahl Jesus Christus selbst so schenkt, wie dies die Einsetzungsworte verheißen, die auch für die römisch-katholische Messe konstitutiv sind, besteht kein Grund, daran zu zweifeln, daß er dies auch in katholischen Eucharistie-Gottesdiensten tut. Über einzelne Elemente der Messe, insbesondere des Hochgebetes, wird seit der Reformation zwischen katholischen und evangelischen Theologen kritisch debattiert; aber ebenso besteht seit der Reformationszeit auf evangelischer Seite ein weitgehender Konsens darüber, daß die durch Christus im Abendmahl eröffnete Gemeinschaft nicht durch menschliche Zeremonien oder Theologien beschädigt werden kann. Um aber auf diesem sensiblen Feld die in den letzten Jahrzehnten an vielen Orten gewachsene ökumenische Gemeinschaft nicht zu beeinträchtigen, empfiehlt es sich, nur dann in einer katholischen Eucharistiefeier zu kommunizieren, wenn sicher ist, daß der Vorsteher der Feier – also der jeweilige Priester – keine Einwände hat und in der Gemeinde kein Anstoß daran genommen wird.