Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen

Eine Denkschrift des Rates der EKD, 2007

Vorwort

Für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bildet der Friede von Anfang an ein herausragendes Thema öffentlicher Verantwortung. Die Erschütterung über die Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs, Beginn und Verlauf des Ost-West-Konflikts, die Auseinandersetzungen über Wiederbewaffnung und allgemeine Wehrpflicht, die wechselseitige Abschreckung mit atomaren Waffen und die wachsende Aufmerksamkeit für den Nord-Süd-Konflikt – all das waren wichtige Gegenstände kirchlicher Urteilsbildung. Zum Teil stellten sie die kirchliche Einheit auf harte Proben, wie insbesondere die Debatte über die Atomwaffen in den ausgehenden fünfziger Jahren und dann noch einmal in den frühen achtziger Jahren zeigte. Die Arbeit an diesen Themen führte zu kirchlichen Friedensbeiträgen von bleibender Bedeutung; aus ihnen ragt nach wie vor die »Ost-Denkschrift« der EKD von 1965 mit ihrer Ermutigung zu Schritten der Versöhnung heraus. Die auf diesem Weg gewonnenen Einsichten wurden 1981 in der Denkschrift »Frieden wahren, fördern und erneuern« zusammenfassend festgehalten. In den Kirchen der DDR hat sich die friedensethische Urteilsbildung besonders in der Friedensdekade, in der großen Wirksamkeit des Zeichens »Schwerter zu Pflugscharen« und in der beherzten Absage an Geist, Logik und Praxis der Abschreckung Ausdruck verschafft.

Seitdem hat sich die weltpolitische Situation grundlegend gewandelt. Nach dem Ende des Kalten Krieges, der Überwindung der europäischen Teilung und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in den Jahren 1989/1990 stellten sich zahlreiche neue friedensethische und friedenspolitische Herausforderungen. Die Hoffnung, aus der Überwindung des globalen Konflikts zwischen den USA und der Sowjetunion ergebe sich eine »friedenspolitische Dividende«, erfüllte sich nicht. Gewaltsame Auseinandersetzungen auf dem Balkan, der Zerfall staatlicher Autorität in verschiedenen Regionen Afrikas und Asiens sowie die Privatisierung der Gewalt in Händen von Warlords und Bürgerkriegsparteien stellten mit neuer Dringlichkeit die Aufgabe vor Augen, die Gewalt der Herrschaft des Rechts zu unterwerfen. Zu den großen Friedensgefährdungen unserer Zeit zählt insbesondere auch der moderne internationale Terrorismus. Die Frage ist, wie dieser und anderen akuten Gefahren für den Weltfrieden auf rechtsförmige, wirksame und nachhaltige Weise begegnet werden kann.

Die EKD hat auf die neuen friedensethischen Herausforderungen nach der Wende von 1989/90 mit Orientierungshilfen reagiert, deren vorläufiger Charakter beabsichtigt war. »Schritte auf dem Weg des Friedens« war der für eine Orientierungshilfe aus dem Jahr 1994 mit Absicht gewählte Titel. Als »Zwischenbilanz« wurde ein sich daran anschließender Text »Friedensethik in der Bewährung« aus dem Jahr 2001 bezeichnet. Ihn verabschiedete der Rat der Evangelischen Kirche wenige Tage vor den Terroranschlägen des 11. September. An Beispielen aus Afrika wurde 2002 das Verhältnis von gewaltsamen Konflikten und ziviler Intervention erörtert. »Richte unsere Füße auf den Weg des Friedens« hieß der Titel dieser von der Kammer der EKD für Entwicklung und Umwelt verantworteten Studie.

Nach dem 11. September 2001 mehrten sich in der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit die Stimmen, die von der EKD einen neuen grundlegenden Beitrag zur friedensethischen und friedenspolitischen Orientierung erwarteten. Daher beauftragte der Rat der EKD im Jahr 2004 die Kammer für Öffentliche Verantwortung, eine solche neue Friedensschrift zu entwerfen. Die Kammer widmete sich dieser Aufgabe mit großem Engagement, mit Sorgfalt und Sachkunde. Dabei entstand ein Text, den sich der Rat der EKD in seiner nüchternen Analyse, seiner fundierten biblisch-theologischen Argumentation und seinem durchgängigen Bezug auf den Leitgedanken des gerechten Friedens gern zu Eigen gemacht hat. Ich danke den Mitgliedern der Kammer für Öffentliche Verantwortung, allen voran ihrem Vorsitzenden, Prof. Dr. Wilfried Härle, und ihrer stellvertretenden Vorsitzenden, Prof. Dr. Eva Senghaas-Knobloch, sehr herzlich für die geleistete Arbeit.

In Denkschriften soll nach Möglichkeit ein auf christlicher Verantwortung beruhender, sorgfältig geprüfter und stellvertretend für die ganze Gesellschaft formulierter Konsens zum Ausdruck kommen. Es ist daher von großer Tragweite, dass die Kammer der EKD für Öffentliche Verantwortung den Entwurf des vorliegenden Textes einstimmig verabschieden konnte und dass auch der Rat der EKD ihn einstimmig bejaht hat. Eigens hervorzuheben ist, dass in ihm – abweichend von den Heidelberger Thesen des Jahres 1959 – die Auffassung vertreten wird, die Drohung mit dem Einsatz nuklearer Waffen sei in der Gegenwart friedensethisch nicht mehr zu rechtfertigen. Über die friedenspolitischen Folgerungen aus dieser Aussage konnte die Kammer für Öffentliche Verantwortung keine letzte Übereinstimmung erzielen. Doch dass ein ethischer Konsens unterschiedliche Abwägungen hinsichtlich seiner politischen Konsequenzen zulässt, ist nicht ungewöhnlich. Umso bemerkenswerter ist, in wie hohem Maß diese Denkschrift auch in den konkreten Folgerungen zu gemeinsamen Festlegungen kommt.

Übereinstimmend werden in dieser Denkschrift Grundsätze und Maximen vertreten, die ebenso einfach wie überzeugend sind: Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Wer aus dem Frieden Gottes lebt, tritt für den Frieden in der Welt ein. Gerechter Friede in der globalisierten Welt setzt den Ausbau der internationalen Rechtsordnung voraus. Staatliche Sicherheits- und Friedenspolitik muss von den Konzepten der »Menschlichen Sicherheit« und der »Menschlichen Entwicklung« her gedacht werden.

Diese klaren Leitgedanken verbinden sich mit konkreten und spezifischen Handlungsoptionen. So ist etwa mit der geforderten Rechtsförmigkeit einer internationalen Friedensordnung der Anspruch verknüpft, dass diese Rechtsordnung dem Vorrang ziviler Konfliktbearbeitung verpflichtet ist und die Anwendung von Zwangsmitteln an strenge ethische und völkerrechtliche Kriterien bindet. Auch die Herausforderung durch den modernen internationalen Terrorismus rechtfertigt deshalb keine Wiederbelebung der Lehre vom »gerechten Krieg«. Vielmehr bewährt sich gerade in einer solchen Situation die Ausrichtung aller friedenspolitischen Überlegungen an der Leitidee des »gerechten Friedens«.

Durchgängig wird in der Denkschrift die Notwendigkeit der Prävention hervorgehoben; gewaltfreien Methoden der Konfliktbearbeitung wird der Vorrang zuerkannt; den zivilen Friedens- und Entwicklungsdiensten wird für die Wiederherstellung, Bewahrung und Förderung eines nachhaltigen Friedens eine wichtige Rolle zugeschrieben. Mit dieser Grundorientierung bringt die Evangelische Kirche in Deutschland ihre Stimme in die politische wie in die ökumenische Diskussion ein. Sie versteht diese Denkschrift auch als einen Beitrag zu der vom Ökumenischen Rat der Kirchen ausgerufenen Dekade zur Überwindung von Gewalt (2001 bis 2010).

»Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.« Mit diesem biblischen Segenswort schließt der evangelische Gottesdienst. Der Friede Gottes bildet Grund und Horizont allen menschlichen Bemühens um den Frieden. Dieser Geist bestimmt die vorliegende Denkschrift; in diesem Geist erhoffe ich für sie eine breite öffentliche Aufnahme.

Hannover, im Oktober 2007

Bischof Prof. Dr. Wolfgang Huber

(Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland)

EKD-Friedensdenkschrift (pdf)

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