Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen

Eine Denkschrift des Rates der EKD, 2007

Einleitung

  1. Friede ist keine Selbstverständlichkeit. Ihn zu wahren, zu fördern und zu erneuern, ist eine immerwährende Aufgabe [1]. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der militärisch aufgeladenen Blockkonfrontation öffnete sich der Horizont für Verständigung und Kooperation. Die großen Weltkonferenzen in den 1990er Jahren zeugen von umfassenden Bemühungen um gemeinsame normative und politische Grundlagen in verschiedenen Politikfeldern. Der in der christlichen Ethik unauflösliche Zusammenhang von Frieden und Gerechtigkeit, der sich im Leitbild des »gerechten Friedens« begrifflich artikuliert, wurde und wird in vielfältigen Foren diskutiert und politisch formuliert. An diesem Leitbild orientiert sich die Hoffnung auf einen dauerhaften irdischen Frieden.
  2. Zugleich sind seit 1989/90 aber auch neue Friedensgefährdungen und Konfliktlinien sichtbar geworden: Es bilden sich nicht nur neue globale Strukturen heraus; gleichzeitig zerfallen Staaten. Weltweite Netze werden aufgebaut; gleichzeitig erhöht sich die Verletzlichkeit von Menschen, Staaten und Gesellschaften. Die Machtkonstellationen auf der internationalen Ebene verschieben sich und militärische Mittel erfahren erneut Bedeutungszuwachs; gleichzeitig zeigt sich militärische Ohnmacht angesichts politischer Aufgaben einer dauerhaften Friedenssicherung.
  3. Vermehrte globale Verflechtungen erhöhen – wenn auch meist auf asymmetrische Weise – wechselseitige Abhängigkeiten. Politische Steuerung bedarf gesteigerter Abstimmung und Umsicht. Einfache Vorstellungen von friedenspolitischer Machbarkeit erweisen sich als unrealistisch. Sie prallen an der Eigenart je besonderer Konfliktsituationen ab und müssen sich zudem mit nicht beabsichtigten Folgen von Interventionen auseinandersetzen. Umgekehrt hat auch unterlassene Hilfeleistung Folgen, die die wohlhabenden Länder zum Beispiel in Gestalt von Migration aus verarmten Zonen und neuen Gewaltkonflikten einholen.
  4. Nie zuvor in der Geschichte sind räumliche Entfernungen durch Kommunikationsmedien und Technologien so stark relativiert worden, doch bilden sich neue gewaltträchtige Konflikte entlang kultureller und religiöser Begegnungslinien. In dieser komplexen Situation ist das institutionelle Geflecht der Vereinten Nationen (sowie anderer internationaler Organisationen und zivilgesellschaftlicher Initiativen) von großer Bedeutung, ihr Potenzial wird aber durch ein an partikularen Interessen orientiertes Denken und entsprechendes politisches Handeln geschwächt.
  5. Diese Schrift geht davon aus, dass in einer dichter vernetzten Welt kooperatives Handeln zwischen Staaten und Gesellschaften unabdingbar geworden ist. Im ersten Kapitel werden die Friedensgefährdungen der Gegenwart knapp skizziert. Sie bilden die Folie, auf der im zweiten Kapitel der biblisch begründete Beitrag der Christenmenschen und Kirchen für den Frieden in der Welt entfaltet wird. Dazu gehören der Verkündigungsauftrag ebenso wie Bildung und Erziehung, Schutz und Beratung der Gewissen, Arbeit für Versöhnung und eine Entfaltung des Leitbildes vom gerechten Frieden.
  6. In der ökonomisch zerklüfteten sowie politisch und kulturell pluralen Weltgesellschaft bedarf die Annäherung an eine dauerhafte Friedensordnung mehr denn je solcher Instrumente und Prinzipien des Rechts, die ihrerseits orientiert sind an der Vorstellung eines gerechten Friedens. Die aus dem Leitbild des gerechten Friedens folgenden Anforderungen an eine globale Friedensordnung als Rechtsordnung werden im dritten Kapitel entwickelt. Dies schließt eine Ethik rechtserhaltender Gewalt für die internationale Sphäre ein, welche auch die Grenzen militärischen Gewaltgebrauchs markiert. Indem sich die christliche Kirche die Perspektive der Friedensordnung als Rechtsordnung aneignet, macht sie sich selbst zu einer Anwältin des gerechten Friedens.
  7. Das vierte Kapitel widmet sich konkreten friedenspolitisch relevanten Gestaltungsfeldern, wie sie sich aus der Darstellung der Friedensgefährdungen (Kapitel 1) und den friedens- und rechtsethischen Anforderungen (Kapitel 2 und 3) ergeben. Hervorgehoben werden die Aufgaben der Stärkung universaler multilateraler Institutionen und – damit verbunden – der Wahrnehmung von Europas friedenspolitischer Verantwortung. Orientiert an der Würde des Menschen sind die konkreten Schritte auf dem Weg zu gerechtem Frieden an den tatsächlichen Lebensbedingungen der einzelnen Menschen auszurichten. Institutionen und Handlungsweisen müssen sich daran messen lassen, ob sie einen Zugewinn für die Sicherheit [2] der Menschen (im Sinne des Konzepts »Menschliche Sicherheit«) vor Gewalt, Unfreiheit und Not darstellen, Entfaltungsmöglichkeiten der Einzelnen fördern, kulturelle Vielfalt anerkennen und damit zu friedensfördernden sozialen Beziehungen weltweit beitragen. Dies sind die an Gewaltvorbeugung orientierten Aufgaben, die mit einer weitsichtigen Friedenspolitik verbunden sind und so dem Leitbild des gerechten Friedens dienen.
Nächstes Kapitel