Predigt über Lukas 8,4 - 8 in der Auferstehungskirche Döhren

Hermann Barth

Es gilt das gesprochene Wort!

Predigttext

Als nun eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu ihm eilten, redete Jesus in einem Gleichnis:
Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen´s auf.
Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte.
Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten´s.
Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Liebe Gemeinde!

I

Das ist doch nicht normal! 75% der Saat sind Verlust. Drei von vier Samenkörnern bringen keine Frucht. Wenn ich noch in meinem pfälzischen Dorfpfarramt wäre, würde ich zu einem der Bauern gegangen sein und mit ihm über diesen Sämann und seine Wirtschaft gesprochen haben. Er würde vermutlich seinen antiken Berufskollegen in Schutz nehmen. Er könnte mir erzählen von den modernen Maschinen, die heute zur Aussaat verwendet werden und mit denen auf das Feinste dosiert werden kann – ganz anders als in den alten Zeiten, wo das Saatgut aus einem umgehängten Sack im weiten Bogen auf das Ackerland geworfen wurde, so daß am Rand leicht manches auf den Weg fallen konnte. Er könnte die modernen Pflanzenschutzmittel erwähnen, deren Anwendung es verhindert, daß Samen und Wurzelwerk von Unkraut und Dornen mit aufgehen und die Nutzpflanzen ersticken. Und er könnte auf die unterschiedlichen Bodenverhältnisse hinweisen: Es ist nicht überall so fruchtbar wie im Calenberger Land oder in der Magdeburger Börde; im armen Palästina mußte man auch dort aussäen, wo an vielen Stellen die Erdkrume über den felsigen Untergrund nur dünn war. An dem Satz würde sich allerdings nichts ändern: Dieser fast verschwenderische Umgang mit dem Saatgut – das ist nicht normal.

Was ist das für ein Sämann? Was ist das für eine Wirtschaft?

Die Antwort liegt nicht auf der Hand. Denn der heutige Predigttext gibt selbst keine Erklärungen. Er enthält eines der zahlreichen Gleichnisse, die Jesus erzählt hat. Der besondere Reiz eines Gleichnisses aber besteht darin, dass es keine Eindeutigkeit herstellt, sondern einen Spielraum der Ausdeutung zuläßt. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Der erfahrene Bibelleser weiß: Im Lukasevangelium folgt unmittelbar auf den Predigttext eine ins Einzelne gehende Auslegung des Gleichnisses. Zug um Zug wird erklärt, was jedes Stück der Gleichniserzählung bedeutet:

„Der Same ist das Wort Gottes. Die aber auf dem Weg, das sind die, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort aus ihrem Herzen, damit sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Doch sie haben keine Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Was aber unter die Dornen fiel, sind die, die es hören und gehen hin und ersticken unter den Sorgen, dem Reichtum und den Freuden des Lebens und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind die, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.“

Diese Auslegung des Gleichnisses hat seine Überlieferung und sein Verständnis vollständig beherrscht. Die anderen Lesungen des heutigen Sonntags – die alttestamentliche aus dem Jesajabuch und die Epistel aus dem Hebräerbrief – sind säuberlich auf das Thema „Wort Gottes“ abgestimmt. In zahlreichen Liedern – drei davon haben wir gesungen – wirken das Gleichnis und seine biblische Auslegung nach: „Mache mich zum guten Lande, wenn dein Samenkorn auf mich fällt.“ Und wenn wir heute nicht in der Winterkirche, sondern im großen Kirchenraum wären, dann hätten Sie an der Kanzel das in Beton gegossene Gleichnis vom Sämann vor sich: das Ackerfeld mit Weg und Felsbrocken und die Halme, die sich so unterschiedlich entwickeln.

Es ist eine wichtige und ergiebige Tradition, das Gleichnis auf diese Weise zu verstehen. Aber so muß man es nicht verstehen. Wozu braucht man überhaupt noch das Gleichnis, wenn die Eindeutigkeit sogleich hergestellt und mitgeliefert wird? Jedenfalls möchte ich Sie heute mitnehmen auf eine Entdeckungsreise zu anderen Bedeutungsgehalten des Gleichnisses. In ihm steckt noch mehr, noch anderes darin. Der Reichtum der Gleichnisse, der biblischen Texte ist so groß, daß es uns nie langweilig wird mit ihnen.

II

Der Ausgangspunkt der Entdeckungsreise ist der Satz, den Jesus vielen seiner Gleichnisse ausdrücklich voran stellt: „Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ...“ – und dann folgt das Gleichnis. Also bezogen auf den heutigen Predigttext: Mit dem Reich Gottes verhält es sich so wie mit dieser Aussaat.

Auf die Frage, was das denn für eine Wirtschaft und was das denn für ein Sämann sei, erhalten wir dann die Antwort: Mit dem Samen des Reiches Gottes wird großzügig, geradezu verschwenderisch umgegangen. Da geht´s nicht sparsam, erst recht nicht knauserig zu. Da herrscht keine strikte Kosten-Nutzen-Rechnung. Da wird nicht rasch und früh gesagt: Es lohnt sich nicht, die Chance für das Aufgehen der Saat ist zu gering. Sondern: Da wird mit vollen Händen ausgestreut, auch am Wegrand, auch, wo der felsige Untergrund nah ist, auch, wo letztes Mal viele Dornen und viel Unkraut im Boden waren.

Und erleben wir Gott nicht immer und immer wieder als einen solchen Sämann? Als einen, der nicht sparsam ist mit seiner Güte, der nicht kritisch fragt, ob wir seine Wohltat auch verdienen und ob wir auch vielversprechend genug sind?

Gott läßt seine Sonne scheinen über Gerechte und Ungerechte. Gott hat uns mit einer lebensfreundlichen Schöpfung umgeben und erhält sie uns, so sehr wir uns unaufhörlich an der Schöpfung versündigen: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“ Gott hat uns Gesundheit verliehen und Gesundheit zurückgegeben, wiewohl wir permanent unvernünftig leben. Gott hat unerschöpfliche Geduld gezeigt mit seinem Volk Israel und so auch mit der Christenheit, obgleich sie nicht aufhören, unzuverlässig, widerborstig und halsstarrig zu sein. Ja, „so sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn gab“, daß er seine Gottheit drangab und Mensch wurde und den Weg der Erniedrigung ging bis zum Tod am Kreuz.

So läuft für mich das Gleichnis vom Sämann auf die Erkenntnis hinaus: Gott knausert nicht. Gott reut es auch nicht, großzügig zu sein und seine Güte und Gaben verschwenderisch auszuteilen. Obwohl 75% der Saat, nach menschlichen Maßstäben, verloren gehen – Gott ändert seine Wirtschaft nicht. Gott gibt am liebsten große Gaben.

Das Gesangbuch enthält dazu einen wunderbaren Kanon (EG 411). Der Text stammt von Johann Scheffler. Wenn der Kanon bekannter und leichter wäre – ich würde ihn jetzt am liebsten spontan singen lassen: „Gott, weil er groß ist, gibt am liebsten große Gaben. Ach, daß wir Armen nur so kleine Herzen haben.“

Und wie ist das bei uns? Im Umgang der Eltern mit ihren Kindern, im Umgang der Kinder mit ihren alt und schwierig gewordenen Eltern, im Umgang von Lehrern und Erziehern mit widerborstigen Jugendlichen, im Umgang von Pflegerinnen und Pflegern mit bitter gewordenen Kranken und Alten? Es liegt so nahe, aufzugeben, zu denken und vielleicht sogar auszusprechen: Das ist ein hoffnungsloser Fall, das lohnt sich nicht, das ist eine Fehlinvestition, diese Verschwendung kann und will ich mir nicht mehr leisten. Aber es gibt auch die wunderbare Erfahrung, daß die Saat der Güte doch aufgeht. Allerdings – wir sind nicht Gott, und wir sollen uns nicht wie Gott fühlen. Das heißt: Wir sollen uns nicht überfordern und sollen uns, wenn drei von vier, vielleicht sogar neun von zehn Samenkörnern verloren gegangen sind, unsere Ratlosigkeit und Verzweiflung nicht übel nehmen.

III

Das ist doch nicht normal, wie großzügig und geradezu verschwenderisch dieser Sämann mit der Saat umgeht. So hatte ich begonnen. Im ganz normalen Leben geht´s ja auch so nicht zu. Aber das Reich Gottes hält sich nicht an die Normalität dieser Welt. Das Reich Gottes verwandelt die Welt.

Es gibt noch eine andere Stelle in dem Gleichnis, die die Reaktion hervorruft: Das ist doch nicht normal! Ich meine seinen Schluß: „Einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht.“

Hundertfach! Das ist riesig, das übertrifft alle Erwartungen, selbst unter den heutigen Bedingungen der Landwirtschaft, umso mehr beim Ackerbau im alten Palästina. Manchmal möchte man verzweifeln, weil unser Mutmachen, unser Zuversichtgeben, unser Trösten, auch unser Protest gegen ein falsches Vertrauen auf militärische Gewalt so schwach und so wirkungslos bleiben. Das ist leider die Normalität. Aber einiges fällt auf gutes Land, und es wird aufgehen und hundertfach Frucht tragen. Amen.

Es folgt als Liedstrophe nach der Predigt:

„Heiland, deine größten Dinge beginnest du still und geringe. Was sind wir Armen, Herr, vor dir? Aber du wirst für uns streiten und uns mit deinen Augen leiten, auf deine Kraft vertrauen wir. Dein Senfkorn, arm und klein, wächst ohne großen Schein doch zum Baume, weil du, Herr Christ, sein Hüter bist, dem es von Gott vertrauet ist.“