Weihnachtspredigt
Margot Käßmann
Marktkirche Hannover
- Es gilt das gesprochene Wort! -
Liebe Gemeinde,
wir hatten es nicht leicht mit der Weihnachtsvorbereitung in diesem Jahr, finde ich. Da reihten sich Absurditäten and Absurditäten. Einerseits tönte wieder einmal gnadenlos ab Mitte November „Last Christmas“ über das Radio und in eben diesen Sendern wurde dann betroffen darüber diskutiert, wie sehr die Leute vom Xmas-Gedudel genervt sind. Die geradezu idiotische Schnäppchenjagerei nach dem Motto „Billige Nacht, Heilige Nacht“ hatte nicht einmal einen Hauch von Komik. Und wahrhaftig hat als Weihnachtsgruß ein real existierender Ministerpräsident (nicht der unsere!) ein eigenes Foto vor Weihnachtsbaum mit Osterhasen im Arm verschickt. Das soll nun Fortschrittlichkeit darstellen! Nur noch seufzen konnte ich, dass eine Fernsehzeitung Kinderfilme zusammenstellt unter dem Motto „Jesus, Pippi und Co. klopfen bei euch an“. Als ich dann gelesen habe, dass lediglich 57 Prozent der Deutschen die Weihnachtsgeschichte kennen und von denen auch noch ein Viertel meint, sie stamme von den Gebrüdern Grimm, war ich nahe daran, aufzugeben. Lassen wir´s mit Weihnachten, es wird nur verblödet, verkitscht und mit skurrilem Humor lächerlich gemacht.
Aber nun sind wir hier heute Abend. So wie Generationen vor uns birgt uns diese Kirche am Heiligen Abend. Wir bleiben nicht allein zu Hause, sondern kommen zusammen und hören die alten Worte. (Ja, die Geschichte stammt vom Evangelisten Lukas. Liebe junge Leute vor allem, bitte, hebt nächstes Jahr die Umfrageergebnisse, sonst müssen wir uns ja schämen.) Wir singen Lieder, die vor Jahrhunderten gedichtet wurden, wir lassen uns fallen in eine Gemeinschaft über die Zeiten hinweg. Traditionen und Rituale sind besonders wichtig in einer so kurzatmigen Zeit. Stellen wir uns vor, wie viele Heilige Abende, wie viele Hoffnungen und Sorgen, wie viele Liebesgeschichten und Gebete diese Kirche kennt! Und was der christliche Glaube schon alles erlebt hat an Höhen und Tiefen, an eigenen Irrwegen und an Verzerrung durch andere. Und doch hört jede Generation die Botschaft neu: Gott ist gekommen, Gott ist da, mitten in der Welt.
Diese Botschaft feiern wir. Wir haben eingekauft und das Essen vorbereitet. Der Baum steht geschmückt zu Hause. Vielleicht sind die Kinder schon zu Besuch gekommen. Oder vielleicht feiern Sie dieses Jahr auch allein. Nun sagt dieses Gotteshaus: Willkommen hier an am Heiligen Abend! Es ist gut, dass du da bist. Denn trotz all dieses Getümmels, aller irrsinnigen Raserei hat Weihnachten etwas mit Gott zu tun, in der Tat! Ja, wir feiern die Geburt des Gottessohnes. Gott kommt in die Welt. Lukas hat das in seiner Schilderung unvergesslich ausgemalt. Er hat der ganzen Welt ein Bild dafür gegeben, was es heißt, wenn Gott Mensch wird. Gott kommt nicht mit Blitz und Donner, sondern wird wie jeder Mensch geboren.
Den Predigttext heute Abend aber gibt nicht Lukas vor, sondern ein anderer, ein Brief. Den Autor kennen wir nicht, es ist einer der kurzen Briefe des Neuen Testamentes. Titus Kapitel 2 heißt es: „Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und nimmt uns in Zucht, dass wir absagen dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Begierden und besonnen, gerecht und fromm in dieser Welt leben und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus.“
Gut, ich gebe zu, das ist etwas abstrakt gegenüber Lukas. Keine schwangere Maria, kein Josef, keine Hirten, kein Stall. Aber doch eine ziemlich präzise Zusammenfassung der Weihnachtsbotschaft. Schauen wir mal näher hin und versuchen uns vor allem drei Begriffen zu näheren, die furchtbar überaltert klingen, aber vielleicht neu zu entdecken sind.
Da ist zu aller erst die Gnade: Gottes Gnade ist erschienen. Ja, darum geht es Weihnachten. Jetzt sagen vielleicht einige: Gnade, was für ein altmodischer Begriff!! Aber doch, wir kennen ihn schon. „Richter Gnadenlos“ wurde Herr Schill in seinen populären Zeiten genannt. Das sollte heißen: der lässt sich nicht erweichen, der geht knallhart vor, Recht vor Gnade Höchststrafe! Oder: Wer will schon um Gnade betteln? Gnade meint eine Zuwendung, eine Liebe, die nicht rechnet, die den Menschen ansieht und versteht, was er braucht, die nicht pocht auf das mir Zustehende oder darauf, wer zuständig ist, sondern in Freiheit gibt, trägt, hält. Das ist die Frau, die dem Mann die Verletzung nachsieht, weil sie weiß, es ist ja anders gemeint. Der Arbeitgeber, der den Fehler sieht und nicht den Kündigungshammer schwenkt. Oder das Bewusstsein für das Geschenk, dass ich im Überfluss lebe, nur weil ich im richtigen Land geboren bin. Gnade ist unverdient, das ist wichtig.
Dietrich Bonhoeffer hat allerdings auf die „billige Gnade erweisen. Sie meint, dass wir Gottes Zuwendung nicht zu simpel im Raum stehen lassen sollten nach dem Motto: „Jesus loves me this know, because the bible tells me so“. Nein Gottes Gnade sagt: ich wende mich dir zu, bedingungslos. Du darfst mir vertrauen mit dienen Ängsten und Fragen. Aber ich hoffe darauf, dass dich das verändert.
Deshalb ist als zweites wichtig: Gottes Gnade will uns auch, wie Luther übersetzt, in Zucht nehmen – klingt scheußlich, oder? Der griechische Begriff meint „erziehen“. Jetzt stöhnen vielleicht alle jüngeren Leute in der Kirche: Gott will uns auch noch erziehen. Das wollen doch schon Eltern, Schule, Ausbildungsplatz, Universität-. Aber erziehen heißt doch im positiven Sinne: eine Richtung aufzeigen, nicht zwingen, sondern Orientierung geben. Das heißt: Gottes Gnade ist nicht einfach nur so da. Sie will uns verändern. Das Ziel ist nicht, dass sie eben erscheint, sondern dass Ziel der Gnade Gottes sind wir. Ja; du und ich sind gemeint, für uns ist Gottes Gnade erschienen. Einerseits will Gott uns beistehen, da sein, trösten und halten in den schweren Zeiten. Andererseits fordert uns Gott auch. Es ist zu billig, vom lieben Gott zu reden, ihn sozusagen zu einem lustigen Weihnachtsmann zu machen, zum Leitmotiv eines Winterwohlfühlfestes. Nein, Gott will tatsächlich etwas und das geht über die Bilanzen des Einzelhandels hinaus.
Liebe Gemeinde, ich bin überzeugt, Gott will nicht weniger von uns als dass wir die Welt verändern. Das erschreckt einige, ich weiß! Weltverbesserer werden ja stets eher belächelt. Aber wenn Gott uns Orientierung gibt, dann doch die: es geht darum Hass und Gewalt zu überwinden, es geht darum, die Vision von Gerechtigkeit Wirklichkeit werden zu lassen. Auch an Weihnachten können wir die Augen nicht davor verschließen, dass in unserer Welt so manches aus den Fugen geraten ist. Wir haben Angst vor Terror. Die 1, 4 Millionen Frauen und Männer US-Streitkräfte wurden kollektiv vom Time Magazin zur Persönlichkeit des Jahres gewählt – ihr Einsatz in aller Welt aber konnte auch in diesem Jahr keinen Frieden schaffen. Vielmehr scheint es, als würde immer noch mehr Hass gesät. Während die Globalisierung gepriesen wird, hungern die Menschen in vielen Ländern, sehen keine Perspektive, gehen auf die Flucht in kleinen Flüchtlingsboten, die im Mittelmeer versinken. Und auch bei uns gibt es Angst um die Rente, um die Gesundheitsversorgung, um die Arbeitsplätze, um die Kinder, die zum Armutsrisiko geworden sind.
Die Geburt des Gotteskindes ist wie ein Stern am Himmel, ein Licht über dieser Welt, das sagt: gebt nicht auf, lasst euch nicht entmutigen. Behaltet die Vision im Auge, dass etwas verändert werden kann. Sicher, alle Tränen werden erst einst bei Gott abgewischt sein. Aber dass es keinen perfekten Frieden auf Erden gibt, darf uns nicht davon ablenken, dass wir sehr wohl für Frieden und Gerechtigkeit eintreten müssen. Das Elend auf der Welt, Hunger und Armut dürfen nicht einfach von der Tagesordnung der Reichen Länder gefegt werden, nur weil es unbequem ist. Wir haben eine Verantwortung vor Gott und vor den kommenden Generationen. Ich weiß, dass Sie und ich heute Abend nicht die Weltprobleme lösen können. Aber wir dürfen auch die Augen nicht verschließen. Wegschauen ist keine Lösung. Wenn alle sagen, wir können nichts ändern, dann ändert sich nichts. Wir sind gefragt, uns will Gott in Bewegung setzen.
Damit kommen wir zum dritten altmodischen Begriff. Im Titusbrief heißt es, wir sollen besonnen, gerecht und fromm sollen wir leben. Ach, da höre ich die ersten schon wieder seufzen. Die Bischöfin als Moralapostelin, die nun erkärt, was wir alles nicht dürfen und das ist wahrscheinlich alles, was Spaß macht. Nein, so platt moralisch ist die biblische Botschaft gar nicht. Ich weiß wohl, der Begriff „fromm“ ist wahrhaftig nicht in Mode. Schließen Sie mal die Augen und überlegen, wie ein frommer Mensch weiblichen Geschlechts aussieht. Da denken Sie an dicke Strickstrümpfe, Haare zum Knoten streng zusammengezogen, eine Frau, die aussieht, als wisse Sie nicht mal, wie Hip-Hop geschrieben wird. Und wenn in einer Talkshow ein frommer Mann auftritt, dann hat er wahrscheinlich einen Pullunder über langärmeligem Hemd an, redet davon, wie lieb sich alle haben, aber das Sex verwerflich ist. Liebe Gemeinde, das sind Klischees!
Frommsein – das darf nicht nach Mottenkugeln riechen oder moralinsauer aufstoßen. Fromm sein ist vielmehr eine wunderbare Lebenshaltung. Sie meint eine Doppelbeziehung: ich weiß mich von Gott gehalten und getragen. Deshalb gehe ich offen auf andere zu und will Gottes Welt mitgestalten. Fromm sein ist eine eigene innerer Freiheit von all den Zwängen und Urteilen der Welt. Auch wenn die Werbung uns ständig das Gegenteil eintrichtert, sagt die Bibel: Es ist nicht das wichtigste im Leben, ob ich den Super-Arbeitsplatz habe, viel Geld verdiene, ein geiles Auto fahre und eine tolle Figur habe. Nein. Christen kennen ein Kontrastprogramm: Du hast deinen Lebenssinn darin, dass Gott dir zusagt: fürchte dich nicht! Ich bin ja da. Und nun mach das Beste aus deinem Leben. Wer so leben kann, ist wirklich ein freier Mensch.
Dann kann ich gelassener werden. Und auch diese elende Angst ablegen, stark sein zu müssen, mich zu beweisen. Oder vielleicht auch aufhören, immer woanders das Bessere zu suchen - in einem anderen Land mit einer anderen Frau, bei einem anderen Job. Es geht darum, unser Leben zu ordnen in all dem Durcheinander. Dazu gibt Gott Orientierung. First things first. Hier bin ich heute am Heiligen Abend und stehe vor Gott. Was ist wirklich wichtig? Liebe Gemeinde, es geht um einen Lebensstil, der sich frei macht von der Vorstellung, wir könnten durch Kaufen Sinn finden. Ja, ich kaufe auch gern etwas Schönes. Aber das ist sekundär. Wir brauchen Mut, zu schauen, das Gute zu sehen, das uns umgibt und die Belastungen zu tragen, denen wir nicht ausweichen können. Fromm leben heißt, mich Gott anvertrauen und Verantwortung übernehmen zugleich, Zuspruch und Anspruch, Gnade und Herausforderung annehmen.
Ich denke, der Predigttext sagt vor allem eines: Wer an Jesus Christus glaubt, hat Hoffnung. Er ist der Heiland, das ist im ganz positiven Sinn gemeint. Da kann etwas heil werden, weil wir den Blick weiten. Wir haben sozusagen einen Kompass zum Leben in all dem Chaos. Und der sagt: Gott ist in der Welt, damit wir hier Mut und Orientierung finden zum Frieden. Für uns selbst wie für die Welt.
Liebe Gemeinde, der Heilige Abend ist nicht heilig, weil er so ruhig ist und still. Nein, wir nennen ihn Heilig, weil Gottes Heil zur Erde kommt. Ist das nicht tröstlich: nicht wir müssen göttlich werden, perfekt, sondern Gott wird Mensch. Gott selbst kommt uns entgegen, streckt die Hand aus. Ja, es gibt Angst und Fragen im Leben. Ja, darfst dich auch freuen im Leben, glücklich sein. Aber in all dem bist du nicht allein, selbst wenn Menschen dich enttäuschen, sondern Gott wendet sich dir zu. Gott wird geboren, Gott wird Mensch in Jesus. Und deshalb können wir in Verantwortung leben aus einer Hoffnung heraus, die weit über diese Zeit und Welt hinaus geht. Heilige Nacht – wir vertrauen darauf, dass nicht nur Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch die Zukunft in Gottes Hand liegen. Wir können uns fallen lassen in Gottes Gnade, Gottes Zuwendung dankbar feiern und wissen, dass uns das auch auf den Weg bringt, kleine und große Schritte zu gehen, damit die Welt sich unter dieser Zuwendung verändert. Gesegnete Weihnachten! Amen.