Weihnachtspredigt (Titus 3,4-7 (und Lk 2,1-19)
Johannes Friedrich
St. Matthäus Kirche, München
Text: Titus 3,4-7 (und Lk 2,1-19)
4. Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands, 5 machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist,
6 den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland, 7 damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.
Wie haben Sie den Heiligen Abend verbracht, liebe Gemeinde? Feierlich und fröhlich, geruhsam und besinnlich? Mit der Familie oder allein? Haben Sie es genossen und waren in froher Weihnachtsstimmung oder haben andere Aspekte eine größere Rolle gespielt, als Sie es wollten? Haben Sie sich darüber gefreut, dass Sie schöne Geschenke bekommen haben oder dass Sie schöne Geschenke machen durften oder hat Sie der Geschenkestress mehr aufgeregt und genervt? Haben Sie vielleicht manchmal gedacht: muss denn das sein mit diesen Geschenken? Was hat das denn mit Weihnachten zu tun?
Ich liebe ein Gedicht von Robert Gernhardt, in dem er diesen Geschenkerummel aufs Korn nimmt:
„Ich bin Erika.
Jetzt kommt Weihnachten.
Ich schenke Vati ein Tischfeuerzeug für 22,50 DM.
Vati schenkt Michael Tischtennisschläger zu 22 DM.
Michael schenkt Mutti eine Schälmaschine zu
19,70 DM.
Mutti schenkt mir Schallplatten im Wert von 18 DM.
4,50 DM muss ich noch bekommen.
Von wem?
Ich bin so gespannt auf Weihnachten.“
Ich selbst schenke gerne und ich lasse mich auch gerne beschenken, wenn es auf beiden Seiten freiwillig und kein Zwang ist. Denn das Schenken ist ein Gegenmodell zum Verdienen, zum sich etwas erarbeiten. Sich beschenken zu lassen passt gar nicht so gut in unsere Gesellschaft, in der alles seinen Lohn hat und man für alles bezahlen muss. Gerade heute, wo die Kassen „leerer klingen denn je“, wie ein Slogan sagt, kann das Schenken und das beschenkt Werden besonders heilsam sein. Heilsam, weil es den Teufelskreis von Leistung und Anerkennung durchbricht. Heilsam, weil wir dann spüren: Wir sind nicht geliebt, weil wir dieses oder jenes geleistet haben, sondern weil wir so sind, wie wir eben sind. In einer Zeit, in der alles auf Effektivität und Gewinnmaximierung ankommt, ist ein Schenken ohne erwartete Gegenleistung Balsam für die Seele. Daran sollten wir nicht sparen.
Wer schenkt, wer sich beschenken lässt, geht ein wenig raus aus dem Zeitgeist, aus dem Denken unserer Zeit. Wenn Schenken nicht eine Pflicht ist, die man lästig zu erfüllen hat, dann kann man damit zeigen: ich habe dich lieb, ich mag dich, ich möchte dir eine Freude machen, nicht weil Du das verdient hast, sondern weil ich dir zeigen will: ja, du bist mir recht, du gefällst mir, ich bekenne mich zu dir. Dieses vorbehaltlose Ja tut unendlich gut. Und darum passt das Schenken so gut zu Weihnachten. Das macht unser Text deutlich.
Beim ersten Hören weiß man ja gar nicht, warum gerader dieser Text für das Weihnachtsfest vorgesehen ist. Im Grunde will er uns aber nichts anderes sagen als der Evangelist Lukas in seiner wunderschönen Geburtsgeschichte, die wir vorhin gehört haben.
Was in der Erzählung von Bethlehem so schön ausgeschmückt wird, fasst Paulus in einem einzigen Satz zusammen: Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heiland… Das, liebe Gemeinde, ist das Geschehen von Weihnachten. Die Freundlichkeit und die Menschenliebe Gottes sind erschienen.Gott liebt die Menschen so, dass er seinen Sohn hat Menschen werden lassen – welch größere Freundlichkeit und Menschenliebe ist denkbar?
Aber Paulus bleibt nicht dabei stehen, sondern macht – deutlicher als Lukas – klar, was das für uns Menschen bedeutet: damit machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit. Wir merken: schon an Weihnachten wird jener Glaubenssatz deutlich, mit dem unser Glaube steht und fällt: dass wir vor Gott nicht gerecht sind, weil wir gut sind, weil wir etwas leisten, weil die Werke unserer Gerechtigkeit so toll wären. Im Gegenteil. Auch wir alle, die wir rechtschaffen unser Tagwerk vollbringen und geachtete Bürger sind: vor Gott bedeutet das gar nichts. Denn er weiß auch all das, was vielleicht nicht nach außen durchschimmert, was wir denken, wo wir neidisch oder eifersüchtig sind, wo wir anderen Böses wünschen, wo wir versäumen, anderen zu helfen… Nein, so toll sind wir wirklich nicht, dass wir vor Gott gerecht dastehen würden! Aber was nun?
Die Weihnachtsgeschichte macht dies ganz klar. Denn dort wird der Retter der Welt Jesus Christus, unser Heiland, durch dessen Gnade wir gerecht werden, nicht im weltlichen Rahmen derer geboren, die etwas bedeuten, die durch Arbeit, Leistung oder auch durch Geburt etwas bedeuten in dieser Welt. Es war auch damals das Bedürfnis der Menschen, denjenigen zu vertrauen und denen nachzulaufen, die das Heil versprechen, die den Menschen ein besseres Leben, Frieden und Sicherheit versprechen. In uns steckt eine tiefe Sehnsucht nach einem Mann, dem man vertrauen kann. In der Geschichte waren dies oft Politiker, im vergangenen Jahrhundert Konrad Adenauer, Mao Tse Tung oder andere. Diese Sehnsucht ist so übermächtig, dass Menschen auch immer wieder falschen Herren, Großmäulern oder Scharlatanen auf den Leim gehen. In der heutigen Zeit sind es eher sich spirituell gebende Gurus, die Heilsversprechen machen. Menschen fühlen sich hingezogen zu Menschen wie dem Dalai Lama oder einer indischen Frau, die sie berührt. Sie suchen einen Heiland.
Bei Lukas wird es ganz deutlich: in der Politik finden wir diesen Heiland, diesen Retter nicht. Lukas erwähnt als Kontrast in seiner Weihnachtsgeschichte ausdrücklich den damaligen Kaiser, die Geburtsgeschichte spielt dann aber in Stall und Krippe, um zu zeigen: schaut her, der Mensch ist geboren, auf den zu vertrauen sich lohnt. Gott hat ihn euch geschickt. Nicht die Weisen unserer Erde, nicht der beste Politiker oder der schlaueste Philosoph kann Rettung bringen, sondern allein das Vertrauen auf denjenigen, der all unsere irdischen Gesetzmäßigkeiten durchbricht. Das ist die Gnade Gottes, die allen Menschen erschienen ist, wie es in unserem Text aus dem Titusbrief heißt.
Und dem Verfasser des Titusbriefes ist es offensichtlich wichtig, dieses Wort „allen“. Gott ist in Jesus Mensch geworden, um allen Menschen das Heil zu bringen, nicht nur den Vornehmen, nicht nur dem Mächtigen, nicht nur den Gerechten oder die sich selbst für gerecht halten, sondern auch den Armen und Unterdrückten, aber auch all denen, die meinen, es eigentlich nicht verdient zu haben.
Die Anmutung, die in der Erzählung des Lukas liegt, wird in einer modernen Interpretation deutlich:
„Der rote Teppich wird durch Stroh ersetzt,
das große Regierungsgebäude durch einen Stall.
Das Kind liegt in der Krippe
- schlichter geht es wirklich nicht mehr.
Die sonst üblichen Staatsminister
werden von Ochs und Esel vertreten.
Es fehlen die Galauniformen,
nur ein paar Hirten in armseliger Kleidung
traben in Richtung Bethlehem.“
Allen Menschen ist Jesus Christus als Retter geboren. Schon von Beginn seines Erdenlebens an wird es uns deutlich: Das ist ein Geschenk Gottes an uns, dass Gott Mensch wurde.
Es ist ein Geschenk, das er uns aus reiner Gnade macht, aus Barmherzigkeit, weil er uns liebt. Diese Botschaft spüren wir in dem ganzen Leben Jesu, wie es das Evangelium uns schildert, bis hin zu Jesu Tod und seiner Auferstehung: Gott sagt es uns ganz klar: Du Mensch, bist geliebt; wisse dich von Gott angenommen! Wenn du niemanden hast, der dich liebt: Ich, Gott, liebe dich, weil du auf meinen Namen getauft bist. Wenn du dich einsam fühlst: Ich bin bei dir alle Tage bis an der Welt Ende.
Das dürfen wir wissen und spüren schon bei der Geburt Jesu: dass wir Gott recht sind allein aus Gnade, weil Gott nicht auf unsere Unzulänglichkeit und unser Versagen schaut, sondern auf Jesus Christus, der als kleines Kind Mensch geworden ist, und an dessen menschlichem Lebensende das Kreuz stand.
Jesu Leben von Geburt bis zum Tod macht deutlich: Gott entscheidet über uns nicht nach unserer Leistung, sondern nach dem Maßstab der Liebe. Das ist das größte und schönste Geschenk, das wir an Weihnachten bekommen.
Amen.