Predigt im Ostersonntagsgottesdienst in der Johanneskirche zu Düsseldorf (Markus 16, 1-8)

Nikolaus Schneider

Der erste Ostersamstag in Jerusalem, liebe Gemeinde, Sabbatruhe nach der Orgie von Blut und Gewalt der letzten zwölf Stunden des Lebens Jesu. Die Jüngerschar hatte die Auflösung ihrer Lebensbezüge erlebt. Wie eine Flutwelle hatten die Karfreitagsereignisse alles weggeschwemmt, was ihnen Halt und Sinn im Leben gab. Es war wie die Ruhe nach einem Sturm – eine lähmende, von Todeserfahrungen durchdrungene Ruhe – aber endlich Ruhe!

Die Gewaltmenschen hatten gezeigt, dass sie konsequent und hart durchgreifen können. Für ihre Ziele sind militärische Mittel die effektivsten. Sie sorgen schnell für klare Verhältnisse. Sie demonstrieren eindeutig, wer oben und wer unten ist, wer das Sagen hat und wer gehorchen muss.

Die politischen Taktierer in Israel hatten ihre Ränkekunst demonstriert und dafür gesorgt, dass die Römer die Brutalität ihres militärischen Apparates zur Anwendung brachten.

Ein Mensch war hingerichtet, eine Gruppe zerschlagen, Hoffnungen auf neues und anderes Leben zerstört.

Jesus ist tot und mit ihm die konkrete Hoffnung auf den Anbruch des Gottesreiches jetzt in dieser unheilen, gewalttätigen Welt. Jesu Leichnam liegt unversorgt in einem Felsengrab. Drei treue und mutige Frauen versuchen, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Sie halten sich an das Gewohnte, die Sitte und die Ordnung. Sie halten sich an Riten, die einem verstörten Leben Halt geben, ohne groß nachdenken oder analysieren und alles verstehen zu müssen. Tun, was nun dran ist – das hilft:

„Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohl riechende Öle, um hinzugehen und den Leichnam Jesu zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging.“

Das hilft den Frauen. Totenkult und Beerdigungsriten geben uns Orientierungshilfe in unserem noch nicht verarbeiteten Schmerz. Gewohnheit und Sitte vermitteln Sicherheit und lenken ab von lähmender Angst und Panik.

Die Frauen wollen ihrer Treue und Verbundenheit mit Jesus – über seinen Tod hinaus – tätigen Ausdruck verleihen. Wohl riechende Öle, das Salben des zerschlagenen Körpers. Ausdruck einer Liebe und Treue, die sich durch den Tod nicht zerstören lassen.

„Und die Frauen sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.“

Das Steinproblem ist gelöst, das Grab steht offen, der Weg zu Jesus ist frei.

Und dann kommt diese weltverändernde Botschaft. Diese Botschaft, die unser menschliches Denken, Fühlen und Planen so radikal in Frage stellt, dass zunächst nur Entsetzen unsere Herzen erfüllt.

Gottes Bote spricht zu den Frauen:

„Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Seht, die Stätte ist leer, an der sie seinen Leichnam hinlegten.“

Und die Frauen fliehen von dem Grab, „denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.“

Also nicht übergroße, triumphale Freude ist die Reaktion auf die erste Osterbotschaft, liebe Gemeinde, sondern Flucht, Entsetzen, Schweigen und Furcht.

„Der Gekreuzigte lebt!“

Wer diesen Osterruf ernsthaft an sich heran lässt, dem brechen zunächst alle vertrauten, von Verstand und Gewohnheit getragenen Lebenssicherheiten weg.

„Der Gekreuzigte lebt!“

Das durchbricht alle Regeln des Gewohnten und beansprucht einen radikalen Neuansatz in unserem Denken, Fühlen, Hoffen und Bewerten.

Dem waren die Frauen zunächst nicht gewachsen. Dem suchen wir heute mit unseren mehr oder weniger rationalen Realitätsbezügen und unserem wissenschaftlichen Denken zu entfliehen.

Denn die Auferstehung Jesu von den Toten ist damals wie heute die radikale Infragestellung alles Gewohnten. Militärische Macht und politische Taktiererei haben nur einen Scheinsieg errungen. Durch die Auferweckung des Gekreuzigten bestätigt Gott Jesu Leben, Jesu Predigt und Jesu Taten.

„Der Gekreuzigte lebt!“

Diese Osterbotschaft lädt uns ein, dem Anbruch des Gottesreiches in Jesus Christus zu trauen, dem Lebenszeugnis und den Worten Jesu zu vertrauen.

„Der Gekreuzigte lebt!“

Damit haben die Todesmächte und Gewalten dieser Welt nicht mehr das letzte Wort.

„Der Gekreuzigte lebt!“

Diese Botschaft und dieses Bekenntnis widerspricht damals wie heute dem Anspruch, dass Gewalt das effektivste Mittel ist, um Probleme zu lösen und Gerechtigkeit zu erzwingen.

Die Osterbotschaft setzt Jesu Predigt ins Recht: Dass etwa die Menschen mit dem sanften Mut das Erdreich besitzen werden. Diejenigen mit dem gewalttätigen und kriegerischen Mut werden unsere Erde zerstören!

„Der Gekreuzigte lebt!“

Diese Botschaft vermittelt aber auch in unsere privaten und alltäglichen Kreuzes- und Todeserfahrungen eine radikal neue Perspektive. Eine Perspektive, die durch Leiden und Sterben hindurch und über den Tod hinaus trägt, weil wir das Leben über den Tod hinaus von Gott bewahrt wissen.

„Der Gekreuzigte lebt!“

Das heißt: Leiden und Sterben müssen nicht verdrängt, bemäntelt oder weichgezeichnet werden. Wir können uns den Kreuzen und den Kreuzeserfahrungen unserer Gegenwart leidend und mitleidend stellen. Wir müssen nicht fliehen und nicht schweigen, weil Jesus lebt und unsere Gegenwart bestimmt.

Diese grundlegende Veränderung kann ein Mensch nicht so schnell begreifen. Menschen reagieren nicht wie Glühbirnen, die auf Knopfdruck an- oder ausgehen. Es braucht Zeit, um sich klar zu machen und anzunehmen, was dieser Satz des Engels wirklich bedeutet: „Der Gekreuzigte lebt!“

So konnten die Frauen später das erste Entsetzen, das Schweigen und die Furcht des frühen Ostermorgens überwinden. Der Auferstandene selbst begegnete ihnen, trat ihnen in den Weg, ließ sie nicht allein. Sie machten die Erfahrung: Jesus lebt, unsere Gegenwart und Zukunft haben durch ihn und mit ihm eine neue Qualität.

Gott schenke auch uns die Kraft und den Mut, uns dieser neuen Lebensperspektive zu öffnen: „Der Gekreuzigte lebt!“ Gottes Reich ist unter uns angebrochen! Gewalt und Tod haben nicht das letzte Wort! Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden.

Frohe Ostern Ihnen allen!