"Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten" - Vortrag bei der Kollekta 2006 in Hannover

Martin Schindehütte

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Fachleute im Fundraising,

„Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten“ mit diesem Satz beginnt jedes der 12 Leuchtfeuer, mit dem der Rat der EKD in seinem Impulspapier „Kirche der Freiheit – Perspektiven für die Evangelische Kirche in Deutschland“ eine Vision auf die Zukunft unserer Kirche eröffnet hat. Das markiert von vorn herein eine doppelte Perspektive. Was aus unserer Kirche wird, liegt nicht in unserer Hand. Eine Kirche, die das Evangelium verkündet und in die Gemeinschaft des Teilens von Brot und Wein führt, konstituiert sich nicht aus sich selbst. Sie hat ihren Existenzgrund in der auch die Kirche schaffenden Geist Gottes. Es geht also im Blick auf die Zukunft unserer Kirche zuerst um Vertrauen. Vertrauen darin, dass Gott aus unserem fragmentarischen Handeln ein Ganzes macht. Dieses Vertrauen jedoch ist nicht etwa der Ersatz für unsere menschliche Gestaltungsaufgabe, sie ist der Grund und Ausgangspunkt, die Kraft und die Quelle unserer Gestaltungsaufgabe und unseres Gestaltungswillens. Dieses Vertrauen auf Gott, dieses Wissen, das wir mit seiner „Mission“ kooperieren, bewahrt uns vor dem Wahn, allein auf unsere Strategien zu setzen. Es macht aber auch frei, das uns mögliche zu tun – und das fröhlich uns gelassen.

Sie beraten hier über Formen und Strategien des Fundraising. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Gewinnung von Menschen mit ihren Gaben und Qualifikationen, mit ihrer Zeit und ihrem Geld zu nichts nütze ist und auch keinen Erfolg haben kann, wenn die Sache selbst nicht überzeugend und anziehend ist. Unsere Spendenbriefe und unser Erbschaftsmarketing kann noch so professionell sein, wenn dahinter nichts ist, was aus sich selbst heraus überzeugt und gut gemacht wird, es ist zu nichts nütze. Sie kennen die geniale Lutherübersetzung des Hohen Liedes der Liebe des Apostels Paulus: Wenn ich mit Menschen und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Das also Fundraising nicht zum Geklingel wird, haben die Akteure nicht allein in der Hand. Es kommt auf die Sache an, der es gilt.

Darum ist es so entscheidend, dass - wie Sie in Ihrer Fachsprache sagen, „die Marke“ stimmt. Was sind die Inhalte der Marke? Was verbinden die Menschen mit dieser Marke? Finden Sie Zugang, machen sie hilfreiche Erfahrungen, finden Sie Orientierung und Trost? Darum ist es für unser aller Arbeit, und darin natürlich auch für Ihre Arbeit so wichtig worauf wir denn in unserer Kirche vertrauen können und wie wir sie gestalten wollen. Ich empfinde das Impulspapier des Rates, von einer kleinen mutigen Gruppe erarbeitet, als ein ermutigendes Signal, genau darüber nach zu denken. Was können wir hoffen, was können wir tun, um eben für jene überzeugende und anziehende Gestalt unserer Kirche zu arbeiten, die Menschen zu ihrer eigenen Sache machen und in der sie sich engagieren.

Sie haben ja als Fundraiser sicherlich eine besonders geschärfte Wahrnehmung für all die Schwächen und Inkongruenzen, die es schwer machen, Menschen für unsere Kirche zu gewinnen. Ihr Beitrag zu dem vor uns liegenden Diskussionsprozess wird wichtig sein. Und umgekehrt, ohne den Kontext einer nun erhofften konstruktiven und weiterführenden Debatte können sie ihre Arbeit nicht tun.

Was ist das Besondere an diesem Impulspapier, dass viele und ganz besonders Sie aufhorchen lassen müsste.

Zunächst werden sehr nüchtern und klar Grundfakten der gegenwärtigen Lage beschrieben. Die tiefgreifenden kulturellen Veränderungen werden benannt, die längst nicht mehr selbstverständlich das Leben der Kirche flankieren. Statt dessen steht Kirche in einem Wettbewerb mit Gruppen und Kräften, die ihrerseits Menschen mit Angeboten an Orientierung und Sinn an sich binden. Die demographische, soziale und ökonomische Entwicklung lässt die Mitgliederzahlen schwinden. Die Finanzierungsstruktur lässt die Einnahmen noch schneller sinken als die Mitgliederzahlen. In 2030 haben wir, wenn alles einfach so weitergeht, nur Zweidrittel der Mitglieder, die nur noch die Hälfte des Finanzaufkommens generieren. Das alles ist lange bekannt und nicht der Pfiff des Impulspapiers.

Das Impulspapier fragt auch – und das ist schon brisanter – nach der inneren Verfassung unserer Kirche. Wie ist es mit der Erkennbarkeit unserer Botschaft. Ist das evangelische Profil unserer Arbeit hinreichend erkennbar. Sind die Strukturen unserer Arbeit den verschiedenen Lebenswelten und Sozialräumen in denen Menschen sich bewegen noch angemessen. Könne wir die berühmte „Milieuverengung aufbrechen? Haben wir wirklich schon eine „Gehstruktur“, oder immer noch eine „Kommstruktur“. Wie steht es mit der Identifikation der Mitarbeitenden im Haupt- und Ehrenamt mit ihrer Kirche? Eine ganze Reihe selbstkritischer Überlegungen finden sich in dem Papier.  Das macht es schon bemerkenswerter.

Besonders spannend jedoch und zu etwas besonderem – ganz gewiss auch für Ihre Arbeit - wird das Papier

durch den Mut in einer Vision nach vorne zu denken. Was kann bis 2030 werden? Und das nicht in einer unbestimmten Beschreibung, sondern sehr konkret in Zielen und Zahlen formuliert. Da muss Ihnen doch das Herz im Leibe lachen! Denn das gehört ja zu Ihrer Strategie: Ziele bestimmen, Wege bahnen, „Stärken stärken“ und „Schwächen schwächen“, und schließlich Resultate sehen. Manche kritisieren gerade das an dem Papier. Das sei zu ökonomisch, zu systemisch, zu direkt gedacht. Ich glaube das im Übrigen nicht. Die Bibel spricht auch davon, dass wir gute „Haushalter Gottes“  sein sollen. Dazu gehört nun auch mal, das man Ziele bestimmt, den Mitteleinsatz kalkuliert und mit den Ressourcen sorgfältig umgeht. Ein Problem wird das erst, wenn aus einem Instrument zur Bearbeitung einer Sache die Sache selber wird.

Vier Prinzipien nennt das Papier, die handlungsleitend sein sollen:

Geistliche Profilierung statt undeutlicher Aktivität

Schwerpunktsetzung statt Vollständigkeit

Beweglichkeit in den Formen statt Klammern an Strukturen
Außenorientierung statt Selbstgenügsamkeit.

Auch das werden Sie unmittelbar als Prinzipen Ihrer eigenen Arbeit im Fundraising übernehmen wollen.

Und dann folgen viermal drei Leuchtfeuer der Zukunft, jeweils begonnen mit dem Satz:

„Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten.
Die ersten drei beziehen sich auf den Aufbruch in den kirchlichen Kernangeboten.

Kirche bietet Heimat und Identität für die Glaubenden und ist ein verlässlicher Lebensbegleiter.

Verschiedene Gemeindeformen ergänzen und befruchten einander, den Menschen in missonarischer Kompetenz zugewandt.

Geistliche Zentren sind in regionaler Verbundenheit ausstrahlungsstark und angebotsorientiert Begenungsorte evangelischen Glaubens.

Es folgen drei Leuchtfeier, die den Aufbruch bei den kirchlichen Mitarbeitenden beschreiben:

Mitarbeitende arbeiten geplant, leistungsbereit, qualitätsorientiert und in ihrer Arbeit gewürdigt und gewinnen bei den Menschen Vertrauen

Ehrenamtliche, Nebenamtliche und Hauptamtliche arbeiten in geklärten und produktiven Verhältnissen nach ihren Gaben und Aufgaben in geistlicher Gemeinschaft des Priestertums aller Getauften miteinander.

Pfarrerinnen und Pfarrer werden mit ihren Schlüsselqualifikationen theologischer Urteilsfähigkeit, geistlicher Präsenz und seelsorgerlichem Einfühlungsvermögen für das Ganze der Gemeinde und Kirche

Dem folgen drei Leuchtfeuer für das kirchliche Handeln in der Welt.

Bildungsarbeit wird als Zeugnisdienst in der Welt verstanden, in der Menschen sich in ihrer Welt zurechtfinden und Verantwortung übernehmen.

Diakonie tritt in enger Verzahnung mit Gemeinde und Kirche evangelisch profilert für Menschen und ihre Rechte ein.

Kirche trägt zum öffentlichen Diskurs für die Gestaltung einer menschenwürdige Zukunft bei

Und schließlich folgen drei Leuchtfeuer zur kirchlichen Selbstorganisation.

Das 11. Leuchtfeuer bezieht sich auf die Konzentration der Kräfte in den Landeskirchen.

Das 12. bedenkt die Rolle der EKD im Sinne einer Evangelischen Profilierung in Deutschland.

Das 10. Leuchtfeuer ist jedoch für unseren Zusammenhang besonders interessant. Ich zitiere die Spitzenformulierung im Wortlaut:

Auf Gott vertrauen und das Leben gestalten – die finanzielle Solidarität aller Kirchenmitglieder stärken und ergänzende Finanzierungssysteme etablieren. Im Jahre 2030 hat die evangelische Kirche neben der Kirchensteuer als ihre Finanzbasis und der projektbezogenen Finanzierung durch Fördervereine, Kirchbauvereine, Stiftungen und Fundraising eine weitere Säule der Finanzierung ihrer Aufgaben etabliert, die aus der mitverantworteten Solidarität aller Kirchenmitglieder der Kirche gespeist wird.

Das ist eine Ansage, die Sie sicherlich hoch erfreut und ebenso hoch motiviert hat. Das Entscheidende jedoch ist, dass dieses Ziel nicht allein steht, sondern Teil eines Gesamtkonzeptes ist, in denen die geistliche, personale, gesellschaftliche und strukturelle Dimension aufeinander bezogen sind. So entsteht ein Bild, eine „Marke“, die in sich kongruent und schlüssig wird. Das Impulspapier ist ein Impuls, kein Masterplan. So dürfen wir gespannt sein, wohin uns die Debatte tatsächlich führt. Ich kann Sie nur herzlich bitten, aus Ihren Erfahrungen zu unserem Diskurs beizutragen. 

Ich freue mich, dass in der Hannoverschen Landeskirche, für die ich ja bis vor wenigen Wochen Verantwortung getragen habe, sowohl mit ihrem Perspektivpapier wie mit ihrer Arbeit im Fundraising ein gutes Stück Weges schon zurückgelegt hat. Vielleicht darf ich mir den alten Hut des Geistlichen Vizepräsidenten noch einmal aufsetzen und ein bisschen  phantasieren, wie es weitergehen könnte.

Ich gehe ein paar Jahre weiter: 2010.
Bis dahin wird jede größere Landeskirche, jedes Bistum eine Fachstelle, ein Referat für Fundraising haben. Auch in den Regionen wird entsprechende Expertise vorhanden sein. Große diakonische Einrichtungen sind auch längst auf dem Wege.

Viel technische Probleme, auch Softwareprobleme werden gelöst sein. Nicht alles wir einheitlich sein. Aber wer will, der kann. Wenn auch ungleichzeitig. Jede Region wird ihre Fachtage haben, das Wort Fundraising hat sich eingebürgert und wird nicht mehr in Frage gestellt. Auf die Regionen bezogen, kann ich mir bis dahin einen Zuwachs an Spenden im Bereich von 10-15% vorstellen.

Zehn Jahre weiter: 2020: Jeder regionale Verband hat einen Fundraiser – flächendeckend in Deutschland. Damit sind dann fast 1000 kirchliche Fundraiser, die professionell ausgebildet die Gemeinden und Einrichtungen beraten. Software ist dann längst kein Thema mehr, weil vorhanden- über 70% der Gemeinden arbeiten mit – denn die freiwilligen Mittel machen 30% des Haushaltes aus. Ohne Spenden wären auch hauptamtliche Stellen kaum noch zu finanzieren. Jeder beruflich bei Kirche Arbeitende wird einen Grundkurs Fundraising absolviert haben. 50% der Gemeinden haben einen oder mehrere Fördervereine und Stiftungen gegründet. Die gute Kooperation dieser Rechtsformen ist Voraussetzung gelingender Gemeindearbeit. Fundraising bleibt ein personen- und zeitintensives Geschäft. Der Zusammenhang von inhaltlicher Initiativen und finanzieller Perspektive ist viel selbstverständlicher geworden. Weil Fundraising im Wesentlichen nah bei den Menschen sein muss, wird Kirche noch mehr vor Ort und in der Region verantwortet. Die Frage nach dem Zusammenhang von Region und dem ganzen der Kirche wird neu diskutiert werden.

2030: Da werden die hier Versammelten entsprechend ihrer Mentalität als Seniorberater noch freiwillig mitarbeiten. Zum einen geht es um das halten des erreichten Niveau. Fundraising ist so selbstverständlich geworden, dass es sogar in Gefahr geraten kann. Das nachhaltige Wachsen ist gefragt. Wir haben den Stand erreicht, den der angelsächsische Raum uns voraus hatte.
Die Gemeinden bestreiten 50% ihrer Haushalte über freiwilligen Gaben – damit haben sie sich ein hohes Selbstwusstsein geschaffen – manche aber haben diesen Prozess nicht überlebt. Der Flickenteppich ist inzwischen einheitlicher gefärbt. Qualitätsstandards sind allgemein verbindlich. Ohne Fundraising läuft kaum noch etwas.

Immer neue Formen müssen erprobt werden. Der Spendenbrief hat schon lange ausgedient. Der Onlinemarkt wächst nicht mehr, elektronische Spendenwege sind an ihr Ende gekommen.

Der persönliche Kontakt, der schon immer wichtig war, tritt jetzt in den Vordergrund. Die Fundraisingprofis entdecken schließlich auch, was sie anderen immer schon gepredigt haben, sie entdecken den Ehrenamtlichen, das Laienelement.  Es wird auch wieder Mission gesprochen – dabei dachten wir schon 2006, wir hätten erkannt, worum es geht. Aber so ist das: Erreichtes will immer neu errungen werden.

Und eins wissen wir dann auch noch ganz genau. Fundraising ist auch kein Wundermittel, nicht der Königsweg. Es bleibt dabei: Entscheidend ist nicht was draufsteht, entscheidend bleibt was drin ist. Entscheidend bleibt, was Gott uns zuwendet. Wir sind nicht die Macher, so sehr wir zu Profis werden. Wir bleiben selber Empfangene. Wir sind Beschenkte.