Predigt im Festgottesdienst anlässlich des 150. Jubiläums der St. Elisabeth-Stiftung in der Segenskirche

Wolfgang Huber

Hebräer 13,8

I.

Welch ein Segen, dass es sie gibt – die St. Elisabeth-Stiftung! Mit großer Freude, bewegt und voller Anteilnahme sind wir heute zusammengekommen. Wir halten inne und feiern das hundertfünfzigjährige Bestehen der Elisabeth-Stiftung in der Segenskirche! Vor Gott bringen wir unsere Gefühle und Gedanken, unser Erstaunen über den Mut der Gründer vor fünf Generationen, unseren Dank für die Bewahrung in schwieriger Zeit, unser Gebet für die zahlreichen Zukunftspläne und in allem die Hoffnung auf Gottes gnädiges Geleit. Ein Wort aus dem Hebräerbrief soll uns dabei den inneren Leitfaden bieten: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.  Es ist das Leitwort dieser Stiftung. Es ist auch das Leitwort für diesen Jubiläumstag. In ihm sammeln sich alle Segenswünsche, die wir heute aussprechen wollen – und die ich gern persönlich ausspreche: im Namen unserer Kirche und ihrer Diakonie, im Namen unserer Landessynode, die bis gestern eifrig getagt hat, und unserer Kirchenleitung, der eine gute Verbindung zu unseren diakonischen Einrichtungen ganz besonders am Herzen liegt: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

Ich erinnere mich an die Geschichte eines eiligen Reisenden, der für drei Tage nach Südafrika reiste. Obwohl es nur ein flüchtiger Eindruck sein konnte, brachte er zu Papier, was er erlebt hatte, und stellte seine Reflexionen zu drei Tagen in jenem Land unter die Überschrift: Südafrika gestern, heute und morgen. Ein derart oberflächlicher Umgang mit der Zeit wird uns heute nicht zugemutet. Unsere Menschengeschichte wird vielmehr in einen großen Bogen gestellt. Gottes Ewigkeit umfasst unsere Zeit. Der Hebräerbrief zeigt uns, woran wir uns halten können, wenn uns Zweifel an dem Weg kommen, den wir gehen sollen. An Gottes Zusage können wir uns halten. Ausdrücklich zitiert der Brief in diesem Zusammenhang das Wort des Alten Testaments, das uns als Jahreslosung durch dieses ganze Jahr leitet, Gottes Zusage nämlich: Ich will dich nicht verlassen und nicht von dir weichen – ich lasse dich fallen und verlasse dich nicht. An die Vorbilder im Glauben können wir uns halten – oder, wie der Hebräerbrief sagt: Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach. Vor allem andern aber an Jesus Christus können wir uns halten, in dem Gott selbst zu einem Teil unserer Menschengeschichte wurde und der doch, weil er bei Gott ist, all unsere Menschengeschichte übersteigt und umfasst: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

So wie das wandernde Gottesvolk in der Wüste am Tag von einer Wolkensäule und in der Nacht von einer Feuersäule begleitet wurde, so wird das wandernde Gottesvolk der Christenheit von Jesus Christus begleitet, in dem Gott seine Treue zu uns Menschen ein für allemal gezeigt und verbürgt hat. Der Dank für dieses Geleit Gottes ist deshalb unser erstes wie unser letztes Wort; mit dieser Dankbarkeit steht und fällt unser Leben. Aber in ganz herausgehobener Weise ist der Sonntag ein Tag der Dankbarkeit. An ihm wird uns bewusst, was unser Leben trägt und wohin dieses Leben führt. Deshalb ist es in den biblischen Geboten so wichtig, dass der Raum für diese Dankbarkeit bleibt; denn sie ist die entscheidende Voraussetzung unserer Freiheit. Du sollst den Feiertag heiligen. Deshalb ist der Sonntag für die christliche Gemeinde ein Gottesdiensttag, nicht ein Shoppingtag. Der Sonntag schützt uns davor, dass wir ohne nachzudenken in die falsche Richtung stolpern, weil wir rastlos die Rolltreppen hoch und runter fahren und Aufgabe und Ziel nicht mehr sehen. Der Sonntag erinnert uns daran, wer das wandernde Gottesvolk aus vielen Völkern zusammengerufen hat: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

II.

Auf eine besondere Weise verbindet sich diese Glaubensgewissheit heute mit der Möglichkeit, an die Lehrerinnen und Lehrer zu denken, die uns das Wort Gottes gesagt haben, ihr Ende zu bedenken und ihrem Glauben nachzufolgen. Wir feiern heute eineinhalb Jahrhunderte helfende Liebe in der St. Elisabeth-Stiftung. Und wir erinnern uns an die Frau, die dieser Stifrtung den Namen gab, die heilige Elisabeth. Indem wir die Werke der Nächstenliebe bedenken, die in der diakonischen Gemeinschaft von St. Elisabeth möglich wurden, denken wir auch über die Lebenswanderung der Frau nach, auf die diese Stiftung sich in ihrem Namen beruft.

Eine evangelische Heilige ist die Namenspatronin und Schirmherrin Ihrer diakonischen Einrichtung. Eine Frau, die Armen Brot reicht, Kranke behandelt und für Notleidende da ist. Sie ist zugleich Königstochter und Thüringer Landgräfin. Wer sich ihrem Leben annähert, wird auf Elisabeths tiefen Glauben stoßen und ihre  Christusfrömmigkeit auch 800 Jahre nach ihrem Geburtstag spüren. Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Nicht nur Menschen in Thüringen und Hessen erinnern sich ihrer, weil in diesen Ländern mit der Wartburg in Eisenach oder der Marburger Elisabethkirche prägende Erinnerungsorte liegen. Auch in Berlin haben wir einen prägenden Erinnerungsort für das Gedächtnis der Heiligen Elisabeth. Aber dieser Erinnerungsort ist nicht eine stolze Burg oder eine gewaltige Kirche; dieser Erinnerungsort ist ein diakonisches Gemeinwesen, ein Ort gelebter Nächstenliebe. Und dies schon seit 150 Jahren.

Könnte es eine bessere Erinnerung an die Heilige Elisabeth geben? Welch gute Fügung, dass sich der 150. Geburtstag der St. Elisabeth-Stiftung mit dem 800. Geburtstag der Heiligen Elisabeth selbst verbindet! Beides passt gut zusammen.

Elisabeth wird im Jahre 1207 als Tochter des Königs Andreas von Ungarn und seiner Gemahlin Gertrud geboren. Mit vier Jahren muss die ungarische Königstochter ihre Heimat verlassen. Zur Braut des künftigen Thüringer Landgrafen erwählt, soll sie auf der Wartburg, am Hofe der Ludowinger, aufwachsen. Sie gilt als Pfand in einem politischen Bündnis zwischen Thüringer Landgrafen und bayerischen Herzögen. So wird ein kleines Mädchen zum Spielball in den Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst, zwischen Staufern und Welfen. Elisabeths Weg ist dornenreich. Es gibt nicht nur blühende Rosen. Als sie im Jahre 1221 in die für sie arrangierte Ehe mit Landgraf Ludwig IV. eintritt, ist Elisabeth erst vierzehn Jahre alt. Wir wissen nicht, mit welchen inneren Gefühlen sie auf den von anderen für sie bestimmten Mann zugeht.

Ihre frühe Askese, gelebt nach den Idealen des Franz von Assisi, sorgt am vornehmen Landgrafenhof immer wieder für Aufsehen. Unvergesslich ist die Szene, die Elisabeth als Almosen spendende Fürstin beschreibt, deren Korb voller Speisen sich in einen Korb voller Rosen verwandelt, als sie von ihrem zornigen Mann zur Rede gestellt wird. Die Gründung von Hospitälern ist ihr besonders wichtig, von Zufluchtsorten für Kranke. In Gotha und Eisenach errichtet sie solche Häuser.

Nach sechsjähriger Ehe zieht Elisabeths Mann Ludwig gemeinsam mit dem Kaiser auf einen Kreuzzug ins Heilige Land. Elisabeth bleibt mit ihren beiden schon geborenen Kindern zurück. Sie trägt unter ihrem Herzen das dritte Kind und führt als Landgräfin die Regierungsgeschäfte. Ihr Mann Ludwig stirbt bereits bei der Einschiffung im italienischen Otranto an einer Seuche. Daraufhin wird die junge Witwe vom ludowingischen Hof vertrieben. Sie findet Zuflucht in Marburg, führt dort ein Leben in strenger Askese und gründet wiederum ein Spital nach dem Vorbild der Franziskaner. Mit nur 24 Jahren, stirbt Elisabeth im Jahr 1231.

Bereits kurz nach ihrem Tod wird ihr Leben zum Symbol für einen festen Glauben, aus dem eine selbstlose Liebe zu Armen und Kranken erwächst. Elisabeth tritt uns als eine Frau des Mittelalters entgegen, die es gewagt hat, nach eigenen Überzeugungen zu leben, die sich vom Standesdenken und von politischen Zwängen befreit hat.

Der Dichter Reinhold Schneider hat über die Namenspatronin und Schirmherrin Ihrer Stiftung treffend geschrieben: „Alles, was von Elisabeth überliefert ist, ist nur verständlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass sie, streng nach dem Evangelium, in einem jeden Armen, Kranken, Gefangenen Christus gesehen hat.“

Wer heute auf der Wartburg in die Elisabethkemenate eintritt, der steht in einem Raum, dessen Wände und Gewölbe mit farbenprächtigen Mosaiken geschmückt sind. Sie schildern szenisch Elisabeths Leben.  Unwillkürlich glaubt man ihren Lebenshalt zu erkennen: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

III.

Wer heute in eine derjenigen Einrichtungen eintritt, die zur St. Elisabeth-Stiftung gehören, dem begegnet eine Kultur des Helfens, die sich dem Schutz Würde des Menschen bis zuletzt verpflichtet weiß. Evangelische Wohnstätten in Milmersdorf, das sozialpädagogische Zentrum Lychen, die Familienerholungsstätte am Groß Vätersee und eine stattliche Anzahl an Seniorenzentren bezeugen dies ebenso wie die zahlreichen Einrichtungen in Berlin. Ich nenne nur beispielhaft das Gründungshaus der Stiftung in der Eberswalder Straße, die ambulante Altenhilfe, das Mutter-Kind Wohnprojekt Domus oder die Station für Komapatienten.

Die St. Elisabeth-Stiftung nahm ihre Arbeit mit alten Menschen im Jahre 1856 auf. Deutschland hatte unter der ersten globalen Wirtschaftskrise zu leiden; die soziale Not der armen Bevölkerung in Großstädten wie Berlin war groß. In dieser Situation entschied sich eine der ärmeren Kirchengemeinden der Stadt, für pflegebedürftige und alte Menschen eine Mietwohnung herzurichten. In der heutigen Schwedter Straße im Prenzlauer Berg nahm die Elisabethgemeinde neun Menschen auf, die von einer Diakonisse und einer Hausgehilfin betreut wurden. Die offenen Augen für hilfsbedürftige Menschen und der klare Auftrag christlicher Nächstenliebe waren Motivation genug, so dass sich die Arbeit trotz leerer Kassen schon bald weiterentwickelte. Die Richtung dieser Arbeit war klar: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

Kamen die Diakonissen der ersten Zeit aus Kaiserswerth (Düsseldorf), so gründete das St. Elisabeth-Stift im Jahre 1883 eine eigene Diakonissenschwesternschaft. Die Frauen dieser Schwesternschaft wirkten an vielen Orten im Segen. Sie hatten sich für ein arbeitsreiches Leben ohne eigene Familie entschieden. Sie erhielten eine fachliche Ausbildung in Altenpflege, Krankenpflege, Kleinkinderfürsorge oder Wirtschaftsdienst und genossen immer eine hohe gesellschaftliche Anerkennung. Denn sie arbeiteten ohne Zeitbegrenzung für ein Taschengeld und lebten Tür an Tür mit den ihnen anvertrauten Menschen. In Kriegs- und Notzeiten verzichteten sie mehr als andere und trugen ganz wesentlich dazu bei, dass die sozialen Einrichtungen die schweren Zeiten wirtschaftlich überstehen konnten.

Diakonische Lebensgemeinschaften tragen heute zumeist einen anderen Charakter als in den Blütezeiten der Diakonissenhäuser. Aber es gibt solche diakonischen Lebensgemeinschaften auch heute. Und es gibt Menschen mit Tatkraft und Weitsicht, die sich den neuen Herausforderungen stellten, die aus der politischen Wende des Jahres 1989 für unsere Diakonie erwachsen sind. Dafür, wie neue Aufgaben angepackt und neue Chancen genutzt werden, hat die St.Elisabeth-Stiftung vielfältige Beispiele gegeben. Dass solche diakonische Arbeit heute im größeren Verbund von Statten gehen muss, wenn sie zukunftsfähig sein will, wird durch den Stiftungsverbund deutlich, in dem die St.Elisabeth-Stiftung und die Stephanus-Stiftung heute gemeinsam ihren Weg gehen. Und wenn auf solchen Wegen Zweifel an der inneren Ausrichtung auftauchen, dann ruft der Hausspruch von St. Elisabeth zur Umkehr und vermittelt Klarheit: Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit

Den Schatz ihrer Herkunft, das kostbare Vorbild ihrer Namenspatronin und die Zuversicht aus Glauben – all das möge die St. Elisabeth-Stiftung bewahren und hüten wie den eigenen Augapfel. Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

Amen.