Engel auf unserem Weg
Hans-Jürgen Abromeit
Weihnachtsbotschaft
Engel begegnen uns immer wieder. Das passiert auf ganz verschiedene Art und Weise. Manchmal merken wir es gar nicht gleich, manchmal wird es uns erst im Nachhinein klar. Das umgangssprachliche „Du bist ein Engel“ ist nicht fehl am Platz, wenn ein Mensch für uns zum Boten Gottes wird. Engel begleiten uns durch die Höhen und Tiefen unseres Lebens.
Der bekannte Theologe, Dietrich Bonhoeffer, an dessen 100. Geburtstag wir uns gerade in diesem Jahr erinnert haben, hat dieses Wissen um die Engel unnachahmlich in einem Gedicht festgehalten. Es wurde später vertont, hat Eingang in die Schullesebücher gefunden und ist inzwischen weltbekannt geworden. Er spricht darin von den Engeln als den „guten Mächten“. Die letzte von sieben Strophen lautet:
Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen,
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
Diese Zeilen fügt er einem Brief bei, den er aus dem Gefängnis am 19. Dezember 1944 an seine Verlobte Maria von Wedemeyer schreibt. Sie gehören zu den letzten schriftlichen Lebensäußerungen, die Bonhoeffer erlaubt sind, bevor er im April 1945 hingerichtet wird. Kurz vor Weihnachten schreibt er darin auch: „Es ist ein großes, unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat. Wenn es in dem alten Kinderlied von den Engeln heißt: >zweie, die mich decken, zweie, die mich wecken, so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute, unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsene heute nicht weniger brauchen als die Kinder.“
Dieses Geheimnis kann gerade zur Weihnacht deutlicher werden als zu anderen Zeiten. Es ist eine Zeit, in der viele Menschen eine größere Offenheit dafür haben, dass es „zwischen Himmel und Erde mehr Dinge gibt“, als uns unsere Schulweisheit träumen lässt. Die Weihnachtszeit öffnet für Gott. Denn Gott kommt uns Menschen nahe, wird selber zum Menschen. Das ist zuerst ein Ruf, ihm zu glauben und zu vertrauen. Damit verbunden ist aber auch die Orientierung darüber, was wahrhaft menschliches Leben ist. Es sind die Engel auf dem Feld, die in der biblischen Weihnachtsgeschichte den Hirten verkünden: „Fürchtet euch nicht! Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr.“ Wir brauchen eine solche göttliche Störung unserer Welt, in der wir uns eingerichtet haben und in der wir doch immer wieder an unsere Grenzen kommen. Deswegen sendet uns Gott auch heute seine Engel.
Gottes Erinnerung an Maßgaben des Menschlichen tut gut, vor allem dort, wo in unserer Gesellschaft die Ehrfurcht vor dem Menschen verloren gegangen zu sein scheint. Ich nenne drei Beispiele. So verdienen die sterblichen Überreste von Menschen einen würdigen Umgang. Dieser Maßstab gilt unabhängig davon, ob diese Verletzung in Afghanistan durch unreife Bundeswehrsoldaten oder in Guben durch einen sogenannten Plastinator geschieht. Der Körper von Verstorbenen muß durch die Persönlichkeitsrechte der verstorbenen Person geschützt bleiben. Wir sollten ihm die notwendige Achtung entgegenbringen, die Totenruhe wahren und ihn Gottes zukünftigem Handeln in der Auferstehung der Toten überlassen.
Ein anderes Beispiel, wo menschliches Handeln fragwürdig wird, sind die wiederholten Amokläufe an deutschen Schulen. Die damit in Verbindung stehenden sogenannten „Killerspiele“ lassen uns aufschrecken. Es kann doch kein Zufall sein, dass die jugendlichen Täter zuvor regelmäßig täglich Stunden damit verbracht haben, am Bildschirm andere Menschen zu töten. An dieser Stelle sind zuerst die Eltern gefragt, die ihren Kindern den Umgang mit den Spielen erlauben. Aber auch der Gesetzgeber ist gefordert, ernsthaft über ein Verbot dieser unmenschlichen Spiele nachzudenken.
Ein weiteres Beispiel ist der Umgang mit Fremden in unserem Land. Nach wie vor gibt es rassistisch motivierte Übergriffe auf Ausländer oder Menschen, die nicht in ein bestimmtes Schema passen. Die Bibel erinnert uns an einen wahrhaften menschlichen Umgang mit ihnen: „Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.“ (Hebräer 13, 2).
Manchmal merken wir erst im Nachhinein, dass ein Engel uns geleitete und schützte. Wenn wir es lernen, uns Gottes guter und leitender Hand schon vorher anzuvertrauen, schenkt uns das große Gelassenheit für unser Leben.
Engel sprechen uns an, indem sie uns begegnen oder indem sie uns Botschaften vermitteln. So gewinnt Gott Macht in unserem Leben. Dietrich Bonhoeffer wusste das, deswegen schrieb er in dem oben schon einmal zitierten Brief von den „guten Mächten“ und sagt dazu: „Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor.“
Für die kommenden Tage wünsche ich Ihnen festliche Stunden, Ruhe und Besinnung, gute Gespräche und ein feines Gespür dafür, diese Stimme der Engel vernehmen zu können.