Predigt in der Christvesper, Kreuzkirche Dresden, (Johannes 7,28.29)

Jochen Bohl

Predigttext: Da rief Jesus im Tempel, lehrte und sprach: Ja, ihr kennet mich und wisset, woher ich bin; und von mir selbst bin ich nicht gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, welchen ihr nicht kennet. Ich kenne ihn aber, denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.  

(Johannes 7,28.29)


Liebe Gemeinde,

es ist eine aufgeregte Zeit, in der wir leben, vieles ändert sich; unentwegt entdecken wir Neues, nie Gesehenes. Längst ist das Besondere zum Alltäglichen geworden. Jeden Tag staunen wir über Unbekanntes und wie schnell sich das Leben entwickelt. Den Gottesdienst am Heiligen Abend aber besuchen wir mit einer ganz gegenteiligen Erwartung – dass es wird, wie es immer gewesen ist, dass die vertraute Geschichte von der Geburt Jesu gelesen wird, so wie wir sie kennen und Jahr für Jahr angehört haben. In einem Stall bei Bethlehem ist ein Kind zur Welt gekommen in Armut und elender Abhängigkeit. Die Anbetung der Hirten, die Worte des Engels gegen die Furcht: Wir hören sie ein Jahr wie das andere in der vertrauten, unverändert feststehenden Weise – während wir selbst uns verändert finden; unmerklich nur, aber doch: verändert seit dem vergangenen Weihnachtsfest. Ein Jahr ist vergangen, ein Jahr unserer Lebenszeit, in dem wir die guten Gaben des Lebens genießen durften, auch Mangel und Ungenügen erleiden mussten, Kämpfe und Auseinandersetzungen zu bestehen waren oder ein Gleichmaß der Tage gestaltet sein wollte. Die Geschichte von der Geburt Jesu hat ihren vertrauten Ort für uns; wir hören die Worte des Evangelisten Lukas zu Weihnachten, sie sind uns zu einem feststehenden Datum geworden im Verlauf der Zeit, in der doch alles andere dem immerwährenden Wandel unterworfen ist. Wir hören sie, weil uns in ihnen jene Wahrheit begegnet, die unser Leben bestimmen will: Gott ist Mensch geworden; er ist nicht ferne, nicht nur ein spekulativer Gedanke zum besseren Verständnis der Welt; Gott ist uns Menschen nah gekommen, selbst ein Mensch geworden: „Siehe, ich verkündige euch große Freude!“ Das ist die Botschaft des Fests und sie begleitet uns unverändert in den Veränderungen, die wir durchleben. Im Hören auf das Weihnachtsevangelium steht die Zeit still; das Fest schenkt uns die Möglichkeit, unser Leben im Licht der frohen Botschaft anzusehen. Sie leitet uns an zur Vergewisserung der Grundlagen, auf denen wir stehen und unsere Tage gestalten. Sie wird uns zum Maßstab, an dem wir erkennen, wie es um uns bestellt ist, worauf wir hoffen dürfen und wer unser Vertrauen verdient.

Der Predigttext für die Christvesper dieses Jahres führt uns in die Zeit der Wirksamkeit Jesu. Viele Menschen waren fasziniert von dem, was sie bei ihm sahen, wie er die Kranken heilte, die Verzagten und Entmutigten tröstete. Manche vertrauten sich ihm an, ganz und gar, andere lehnten ihn ab, wieder andere stellten Fragen und ihn auf die Probe.

Auf die Zweifler antwortet Jesus.
Da rief Jesus im Tempel, lehrte und sprach: Ja, ihr kennet mich und wisset, woher ich bin; und von mir selbst bin ich nicht gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, welchen ihr nicht kennet. Ich kenne ihn aber, denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt.

Ja, sagt Jesus, jetzt, in meinen Worten und Taten begegnet euch Gott und die Wahrheit, die kein Mensch sich selbst geben kann, die nur zu empfangen ist. Ja, sagt er, ich bin von Gott gesandt, und mit seinem Bekenntnis bestätigt er die Worte des Engels in der Weihnachtsgeschichte: „Denn euch ist heute der Heiland geboren“.

Nicht alle Fragen der Skeptiker seiner Zeit wird Christus damit ausgeräumt haben. Damals wie heute gab es Menschen, die auf der Suche waren und fragten; ob man Gott in dieser verwirrenden, widersprüchlichen Welt finden kann? Ob die beschränkten menschlichen Möglichkeiten der Erkenntnis ausreichen, um zur Wahrheit vorzudringen? Ob die Suche lohnt – oder ob es nicht ganz aussichtslos ist, einen eindeutigen Weg finden zu wollen; ob es eine Wahrheit gibt, die nicht täuscht über unsere Herkunft und uns die Richtung weist, in die wir gehen können?

Aber jeder Mensch hat doch im Lauf seines Lebens unzählige Möglichkeiten, sich zu entscheiden, so vieles können wir gestalten nach unserem Willen und unseren Möglichkeiten. Spätestens im Rückblick sehen wir, ob die Entscheidung die Richtige war, was wir bewirkt haben, für uns selbst und für das Leben derer, mit denen wir es teilen. Manchmal werden wir erschrecken über unsere Irrtümer und den Schaden, den sie angerichtet haben. Dann erkennen wir, wie gefährlich es ist, ohne eine Richtschnur auskommen zu müssen, an der wir uns in den vielen Entscheidungen des Alltags orientieren können. Gerade in unseren Tagen, in denen so vieles sich so schnell verändert, ist es notwendig, dass wir uns auf die Suche machen, nach der Wahrheit, die uns hilft, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Denn wir wissen ja, dass wir scheitern können in dieser Welt, die gezeichnet ist von menschlicher Schwäche und Unvermögen, von zahllosen empörenden Ungerechtigkeiten; von den Folgen des Selbstbehauptungswillens, der sich auf Kosten des Nächsten durchsetzt; von der Gier und dem Geiz, die nach dem eigenen Nutzen und Vorteil trachten; von dem Unheil, das Menschen einander zufügen. In den letzten Jahren haben sich Spaltungen in unserer Gesellschaft aufgetan. Es gibt mehr Arme, vor allem unter den Kindern und Jungen, und die Armen sind ärmer geworden. Der Reichtum anderer ist in nie gekannter Weise gewachsen. Es scheint, als sei das Land auf eine neue Weise geteilt.

Die Wahrheit aber, die wir in Christus finden, mahnt zum gerechten Ausgleich und lehrt uns, einander beizustehen und den Schwachen zu helfen, die Lasten zu tragen.
Christus freut sich an denen, die freigebig die Güter des Lebens teilen; er mahnt uns, dass wir uns nicht in Geiz und Gier verlieren. Er hat gesagt, dass wir Gott in den Armen und Schwachen begegnen und uns Barmherzigkeit vorgelebt.

Nichts anderes ist in dieser schnelllebigen und spannungsreichen Zeit so notwendig wie verlässliche Orientierung an einer Wahrheit, die nicht in die Irre führt.

Liebe Gemeinde,

Wir feiern Weihnachten, weil Jesus Christus von Gott in die Welt gesandt wurde, wir feiern die Ankunft des Göttlichen in unserer Welt. Wir erkennen in dem Blick auf das Kind, dass Gott uns helfen und uns tragen will in den Nöten, in die das Leben in diesen schnelllebigen Zeiten uns stürzen kann. In allen Veränderungen vertrauen wir auf Gott, der uns ein fester Grund ist. Wir sehen auf Christus und finden eine Richtschnur, die uns hilft, in den Herausforderungen des Lebens nicht in die Irre zu gehen. Es begegnet uns die Wahrheit, der wir vertrauen können, denn sie ist nicht ein kalter Gedanke, sondern die Begegnung mit seiner Person. Weil er Liebe gelehrt und gelebt hat, sprechen wir vom Fest der Liebe.

So wollen wir die Ankunft Gottes in unserer Welt feiern, Weihnachten.
Amen.