Predigt am 1. Weihnachtsfeiertag, Münchner St. Matthäuskirche (Johannes 3,31-36)
Johannes Friedrich
Liebe Gemeinde,
ich habe in den vergangenen Wochen immer wieder gerne auf das Bild von der Geburt Jesu geschaut, das auf dem Umschlag zum Gottesdienstprogramm abgedruckt ist. Das Bild „Die Geburt Christi“ ist auf dem linken Flügel des sog. Kirchenväteraltars (um 1480) in der Stadtkirche St. Marien in Hersbruck (bei Nürnberg) zu sehen.
Dieser Altar hatte eine wechselvolle Geschichte hinter sich, bis er 1961 an seinem ursprünglichen Platz im gotischen Chor dieser Kirche wieder aufgestellt wurde. Von 1995–1997 wurde er restauriert. Als „Meister des Hersbrucker Altars“ wird ein Künstler aus dem Bamberger Kunstraum angenommen.
Da ist alles vom Feinsten, Kostbarsten und Teuersten vor Bethlehems Stall: Maria in blauem Samt und schöner Seide. Ebenso Joseph, in einen roten Mantel gehüllt, die schwarze Kapuze heruntergelassen. Da ist nichts Ärmliches.
Aber das Kind liegt vor dem einsturzgefährdeten Stall auf der blanken Erde.
Leuchtet hier das Geheimnis einer besonderen göttlichen Verbindung von arm und reich, irdisch und himmlisch, Finsternis und Licht auf? Die Darstellung konzentriert sich auf das Kind. Nicht die Futterkrippe, nicht Könige oder Engel sind der Mittelpunkt, sondern das Kind. Wie auf einem Strahlenkranz gebettet liegt es da. Die Blicke aller Anwesenden, der Engel, der Menschen und der Tiere sind auf das von Strahlen umgebene Jesuskind ganz unten in der rechten Bildecke ausgerichtet.
Hier ist die eigentliche Mitte des Bildes zu spüren, auch wenn formal die Gestalt der Maria im Mittelpunkt steht. Der Bildaufbau wird bestimmt von den zum Kind hinführenden Linien.
Aber es liegt nackt auf dem Boden. Seine Armut wird nicht geleugnet, der Stall bleibt ein Stall oder ein brüchiges Gemäuer, außerhalb dessen es Nacht ist. Die Hirten vertreten die Welt der einfachen Menschen. Die Künstler, die mehr und tiefer, wahrer und wahrhaftiger sehen als wir, entfalten ihre Darstellung so, dass dieses Kind den Betrachter berühren, froh und reich machen kann. Alles Licht, alles Leben, alle Wahrheit, aller Geist gehen von ihm, dem Sohn Gottes aus.
Diesem Bild gegenüber stehen die steilen und zunächst wenig weihnachtlich klingenden Verse aus dem Johannesevangelium, die den heutigen Predigttext bilden.
31 Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen 32 und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. 33 Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. 34 Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß. 35 Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. 36 Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.
In diesen Versen, da gibt es ein klares Oben und ein Unten. Oben: Da ist Gott, da ist Licht, da ist Leben, Freude, da ist vor allem, Wahrheit, aber auch die Liebe. Und unten: Da sind wir, da ist Finsternis, Tod, Trauer, Lüge, Zorn. Zwischen oben und unten gibt es aus der Sicht des Johannes keine Verbindung. Wer unten ist, kommt nicht nach oben. Wer von unten ist, denkt von unten her.
In unserer Welt gibt es viele Oben und viele Unten. Oben, da sind die Reichen und Mächtigen, da sind die Herren. Unten, da sind die anderen, die Armen und Bedeutungslosen.
Oben und unten gibt es in den Familien, in den Betrieben, in den Nachbarschaften, in vielen menschlichen Beziehungen, auf die brutale oder auf die sanfte Art. Ich war im vergangenen Jahr überrascht, in wie viel Ehen es noch ein Oben und Unten zu geben scheint: der Mann, der Geldverdiener ist oben und bestimmt, wofür das Geld ausgegeben wird, das er alleine verdient und die Frau muss ihn anbetteln, wenn sie ihre Kirchensteuer bezahlen will. Da ist nichts von Gleichberechtigung zu spüren, wenn es um das Geldausgeben geht.
Lukas erzählt uns mit seinem Weihnachtsevangelium, das Frau Stiegler vorhin verlesen hat, - ganz anders als Johannes - eine Geschichte von unten. Sie tut deshalb allen von uns gut, die gerade unten sind. In dieser Geschichte müssen Menschen sich auf den Weg machen, weil die Mächtigen es wollen. Ein Kind wird in der Dunkelheit eines Stalles geboren. Hirten, die an der untersten Stufe der Gesellschaftsleiter leben, gehen zu dem Kind und seinen Eltern. Wer die Geschichte des Lukas nur so liest, als eine Geschichte von unten - und als solche berührt sie uns ja stark – der, die wird ihr Geheimnis aber nicht begreifen. Das wirkliche Geheimnis von Weihnachten ist, dass „oben“ und „unten“, Himmel und Erde sich verbinden, in dem Gott aus dem Himmel als Mensch auf Erden geboren wird.
Wer an Weihnachten nur Geschenke, Gänsebraten und Familiefeiern sieht, - und all das gehört ja in einer gewissen Weise auch zu unserem Weihnachten – aber wer nur das sieht, der verpasst den wahren Glanz von Weihnachten, und die himmlische Botschaft
Weihnachten ist eben mehr. Weihnachten ist der Durchbruch Gottes von oben nach unten. Gott selbst räumt alle Hindernisse zwischen unten und oben weg. Die himmlische Herrlichkeit Gottes kommt ganz nach unten. Unten ist nicht länger unten und oben bleibt nicht oben. Es gibt jetzt eine Verbindung. Viele alte Meister haben das auf ihren Bildern sichtbar gemacht. Auf unserem Bild ist es besonders deutlich, weil auf ihm zweimal Engel zu sehen sind: einmal ganz oben, bei Gott, sie sind Gottes Mund, sie verkünden seine Verheißungen, - und einmal ganz unten, genau über dem kleinen Kind. Sie singen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden:“
Sie sind somit die Klammer zwischen oben und unten, zwischen Gott in der Höhe und den Menschen auf Erden. Sie zeigen, dass dieses Kind von oben, von Gott her kommt, nach oben, zu Gott hin gehört (das ist doch mit dem Wort „Sohn“ gemeint)
Weihnachten ist die Umkehrung der Verhältnisse. Johannes bezeugt es in seinem Evangelium. Jesus ist der Bote, der von oben kommt. Er bringt Licht und Leben, Liebe und Wahrheit. Aber er ist mehr als der Bote. Er ist der Sohn, der Sohn Gottes. Sohn – das ist hier nicht biologisch gemeint.
Vater – Sohn, das sind Bilder, sind erklärende Begriffe. Jesus ist der Sohn, weil er eines Geistes ist mit dem Vater. Er ist der Sohn, weil die ganze Liebe des Vaters auf ihm ruht. Er ist der Sohn, weil sich Gott unauflöslich mit ihm identifiziert hat: „Das ist mein lieber Sohn!“ Wer Jesus annimmt, wer seinem Zeugnis glaubt, der hat Teil an seinem, an Gottes Leben, der hat das ewige Leben.
»Ewiges Leben« – das ist anderes und mehr als die Fortdauer unserer irdischen Existenz. Wer dem Sohn glaubt, der hat das ewige Leben schon jetzt, der lebt selbst aus dem Geist Gottes, aus seiner Liebe, aus seiner Wahrheit – schon jetzt. Gottes Liebe und Wahrheit aber sind unzerstörbar und dauerhaft, darum auch »ewig«, auch über unseren Tod hinaus.
Wer aber dem Sohn nicht glaubt, der kann schon in diesem Leben spüren, dass Gott ihm fehlt, der straft sich selbst, weil er die Liebe Gottes nicht wahrnimmt … Der Glaube an Jesus als den Christus, den Heiland, den Retter, den Erlöser öffnet uns das Tor zum Himmel. Weil der Sohn eins ist mit dem Vater, sind wir beim Vater, wenn wir uns dem Sohn anvertrauen. Gott ist Mensch geworden, damit wir Menschen leichter den Weg zu Gott finden können.
Der Weg zu Gott ist trotzdem manchmal mühsam. Wo sollen wir Gott erkennen, wenn wir das Elend hier auf Erden vor Augen geführt bekommen? Wo ist Gott, wenn Menschen verfolgt, ermordet, ausgebeutet, unterdrückt, erniedrigt werden? Wo ist Gott, wenn Jugendliche daran verzweifeln, dass sie von keinem Arbeitgeber gebraucht werden? Wo ist Gott, wenn wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass hochrangige Persönlichkeiten sich zu Unrecht durch Schmiergelder, Bestechung oder Betrug, nicht selten zu Lasten der Allgemeinheit, bereichert haben? Wo ist Gott, wenn wir wieder und wieder hören müssen, dass Eltern ihre kleinen Kinder zu Tode quälen oder verdursten lassen?
Nein, Gott ist nicht immer leicht in unserem Alltag zu erkennen. Aber er ist trotzdem da, ist Mensch geworden, hat sich in Mitten unseres Elendes begeben, um die Welt ganz unten ein wenig heller zu machen. Wer unten am Boden ist und Gott sucht, der wird ihn finden. Die Weihnachtsgeschichte erzählt, dass Gott am Rande der Gesellschaft, in einem Stall zur Welt gekommen ist. Und er hat Einzug in die Herzen gehalten bei allen, die an ihn geglaubt haben – mitten in widrigen und erniedrigenden Umständen, mindestens so widrige Umstände wie die heutigen, die ich eben genannt habe.
Schauen wir uns noch einmal die Darstellung unseres Bildes an. Im Mittelpunkt der Betrachtung, wenn auch am unteren Bildrand ist das Kind. Aber da ist auch seine Mutter Maria, da ist Josef der Vater, und da sind die Hirten, Menschen, die das Zeugnis angenommen haben, das ihnen in diesem Kind zuteil wurde. Sie haben die Botschaft der Engel gehört, sie schauen das Kind selbst und beten es an. Darüber werden ihnen ihre Probleme unwichtig, die sie bisher beschäftigt haben. Ihnen öffnet sich das Geheimnis der Weihnacht. Sie erleben, dass Gott selbst von oben her in diese unsere Welt hier unten gekommen ist, hier Wohnung genommen hat, unten bei uns. Ihr Leben wird von nun an ein anderes sein. Sie fühlen sich nicht mehr unten, sondern zugleich oben, bei Gott. Die Begegnung mit dem Kind, wir können es Glauben nennen, hat sie froher, heller und reicher gemacht. Sie fühlen sich Gott nahe, schon hier, in diesem Leben.
Möge es auch uns in unserem Leben so ergehen, wenn wir Weihnachten feiern. Das wünsche ich Ihnen und mir von Herzen. Und Gott schenke es uns, er schenke uns ein froh machendes Weihnachten. Amen.