Der Weg in die Zukunft oder Die Verwandlung des Jakob (Genesis 32,23-32)

Friedrich Hauschildt

Übergänge, liebe Schwestern und Brüder, haben es in sich.

Die dramatische Übergangs-Geschichte, die wir eben gehört haben, zeigt das deutlich. Auf den ersten Seiten der Bibel häufen sich die Übergangsgeschichten geradezu. Der fundamentale Übergang vom Nichts ins Sein, der Übergang vom Paradies in eine von Zweideutigkeiten gezeichnete Lebenswirklichkeit, der Befreiungsübergang durch das Schilfmeer und der Eroberungsübergang  ins Gelobte Land.

Es ist heilsam, unsere Übergänge in das Licht jener Übergänge zu stellen, in denen das Volk Gottes sein Handeln an sich erfahren hat.
Heute konzentrieren wir uns auf die eben verlesene Übergangsgeschichte.

Dieser Übergang hat es in sich, nicht weil der Jabbok - jedenfalls zu dieser Jahreszeit - so tief oder so gefährlich wäre. Jakob hat offensichtlich seinen gesamten Besitz bereits  heil über den Jabbok bringen lassen. Äußerlich gesehen ist das nicht schwierig - so wenig es unmöglich ist, Büroräume von der Richard-Wagner-Str. nach Herrenhausen zu bringen. Die Schwierigkeit liegt tiefer. Es ist eine Schwierigkeit, die an die Identität des Jakob rührt.
Vier Züge dieser abgründigen Übergangsgeschichte möchte ich für uns heute hervorheben:

Erstens:  Dieser Übergang wird nicht - wie ansonsten viele Übergänge - in den Farben des Triumphes, des Fortschrittes gezeichnet. Ob Jakob ihn vielleicht nach außen, seiner Großfamilie gegenüber - wie Führungspersonen das zu tun pflegen - in hellen zweckoptimistischen Farben geschildert hat, wissen wir nicht. In Jakob selbst - als dem Hauptbeteiligten - sieht es jedenfalls anders aus. Er hat Angst, er zieht sich in die Einsamkeit und Unsichtbarkeit der Nacht zurück. Sein Besitz, die äußeren Zeichen sind bereits drüben, - von Schwierigkeiten in diesem äußeren Sinn wird nichts berichtet - aber der eigentliche Übergang, der innere Übergang ist noch nicht vollzogen. Er macht sich Sorgen. Wird es gelingen mit seinem Bruder ein Einvernehmen zu erreichen? Wird das Verbindungsmodell, das ihm vorschwebt, sich als tragfähig erweisen? Oder sollte das Trennungsmodell von Abraham und Lot, die klare Raum- und Arbeitsteilung sinnvoller sein? Wird er, wenn er Esau begegnet, vernichtet werden, gleich gänzlich oder langsam schleichend absorbiert? Wird Esau ihn seine  Überlegenheit spüren lassen?  Und selbst wenn Esau doch freundlich sein sollte, wird seine Freundlichkeit echt oder taktisch bestimmt sein, wird sie Bestand haben?

Mich berührt diese Geschichte, die durch den Übergang ausgelöste Sorge wird spürbar. In der Seelsorgelehre habe ich das gelernt:  Sorgen und Ängste ehrlich aussprechen lassen, nicht überdecken. Ich will Jakob nicht als larmoyant bezeichnen, sein Sorgen nicht als übertriebene rückwärtsgewandte Bedenkenträgerei denunzieren - so etwas tun wir gelegentlich, um uns selbst zu schützen -, sondern ich will seinen Schmerz, seine Sorge gelten lassen.

Gegen den  zweiten Zug dieser Geschichte habe ich mich lange gewehrt, - aber er ist nicht wegzudiskutieren. Übergänge sind auch, vielleicht sogar vor allem, deshalb so schwierig, weil sie etwas mit Machtverschiebung (1) zu tun haben. Jakob hatte sich mit List und Betrug das Erstgeburtsrecht und den Erstgeburtssegen erschlichen. Bei seinem Abschied von seinem Schwiegervater Laban hatte er wieder getrickst. Er war mächtig und wohlhabend, aber seine Stellung beruhte auch auf Unrecht und problematischer Machtdurchsetzung. Und nun droht ihn seine Geschichte einzuholen. Ungerecht empfundene Machtausübung ruft bei den anderen Hass und Rachegelüste hervor. Damit muss der rechnen, der seine Macht allzu geschickt ausübt. Dass Jakob, der so oft triumphiert hatte, diesen Übergang nicht triumphierend feiert, kann ich gut verstehen. Seine private theologia gloriae ist ihm vergangen. Übergänge werden von denen gefeiert, die sich davon einen Machtzuwachs oder Befreiung versprechen. Wer eher auf der Verliererseite steht oder befürchten muss, im Laufe der Zeit dahin zu geraten, erlebt das anders. Win-Win-Situationen sind eher selten.

Der eigentliche Übergang - und das stellt den dritten Zug dieser Geschichte dar - vollzieht sich im Inneren des Jakob. Er, der kaltblütige und gewissenlose Trickser, macht sich Sorgen um den Erhalt seines Besitzes und seiner Stellung, ja gewiss, aber auch er will offensichtlich mit sich selbst ins Reine kommen, er will nach Hause, in die Heimat,  kommen. Sollte sich in ihm eine Wandlung vollziehen? Ich meine in ihm Spuren von Reue und Buße zu erkennen. Es deutet sich ein Wandel an, der die Bezeichnung Mentalitätswandel nun wirklich verdient. Nicht wie Jakob seine ökonomischen Ressourcen geschickt gestaffelt aufgestellt hat, - insoweit ist er immer noch der alte - , sondern dass er sich innerlich ändert, ist der Wandel, auf den es ankommt, damals wie heute, bei Jakob und bei uns.

In meiner nordelbischen Heimatkirche gab es eine Visitation aus Anlass des Strukturwandels durch ökumenische Partner. Deren Urteil lautete zusammengefasst: „Im Planen des äußeren Wandels seid Ihr stark, es mangelt am inneren Wandel“. (2)

Der vierte Zug ist der wichtigste. Jakob befindet sich in einer Auseinandersetzung mit seinem Zwillingsbruder,  seiner Geschichte, seiner Identität als Betrüger und Trickser. Und wie macht er das? Er flieht nicht, weicht nicht aus, aber er überdeckt den Konflikt auch nicht mit vielen Worten und Geschäftigkeit, er arbeitet nicht an einer qualitätsvolleren performance (3),  er stellt sich den Realitäten und erfährt das als ein Ringen mit Gott. (4) Er erfährt dabei Gott als Widerstand - Gott widersteht den Hofffährtigen (5) -. Jakob erfährt, obwohl er in gewisser Weise siegt (6), seine Grenze, - und das ist gut für ihn ! - er trägt bleibende Blessuren davon und nimmt sich als solcher an. Er ahnt, dass der sich verhüllende Gott, auf den wir überraschend und bei Nacht stoßen, an uns sub contrario (unter dem Gegenteil verborgen)  handelt. Das bedeutet für den ohne Rücksicht  erfolgsverliebten Jakob einen Wandel. Er nimmt die Geschichte mit seinem Bruder und seiner Vergangenheit in seine Geschichte mit Gott hinein, und dort wird sie von den Schlacken gereinigt. Und so ringt er um den Segen, den wir uns nicht nehmen, nicht ertricksen können, nicht mit kirchen-politisch geschickten Schachzügen erreichen, sondern den Gott gewährt, „wo und wann er will“ (7). („Was Gott tut, das ist wohlgetan“. (8))

Ohne die klare Unterscheidung von Gottes Tun und seinem eignen Vermögen  liegt kein Segen auf Jakobs Bemühungen. Das gilt auch für uns.
Nicht eigentlich Jakob hat sich gewandelt, Gott hat ihn segnend gezeichnet und verwandelt und zu einem Neuen gemacht. (Jakob weiß in dieser Nacht noch nicht, dass es mit ihm und Esau gut ausgehen wird.) Wichtig ist: Er ist von innen her  verwandelt. Satis est (das ist genug) (9). Danach geht für Jakob die Sonne auf.  Gott spricht: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (10). Gott wirkt in „irdenen Gefäßen“ (11) . Die auch unter Jüngern - bis heute, bis in unsere Strukturüberlegungen hinein - beliebte Frage, wer der erste und vornehmste und mächtigste sei (12), führt in dieser Perspektive in die Irre.

Der Weg in die Zukunft ist nicht eben und breit. Er hat Engpässe und Übergänge. Und Übergänge haben es in sich. Uns wird klar: nicht unsere Strategie führt uns in die Zukunft, sondern Gottes Güte. Und wir, wir gehen als Gesegnete und Gezeichnete in Gottes gute Zukunft. Amen.                            


Fußnoten:

1 Vgl. „Identitätsfragen sind immer auch Machtfragen“, so Joachim Track, Die lutherische Stimme in der Ökumene, in: R. Rittner, Was heißt hier lutherisch!, Hannover 2004, S. 235.

2  Vgl. Visitationsbericht

3 Zur Spirale immer besserer Darstellung vgl. J. Halbe, Nordelbische Stimmen

4 In einer ursprünglichen Schicht des Textes ringt Jakob mit einem „Flussdämon, der ihn am Übergang hindern wollte“ (C. Westermann, Genesis, 2. Teilband, Bibl. Kommentar, S. 635). Hier wird dieses Ringen im Gesamtzusammenhang als Ringen mit Gott gedeutet.

5 2. Petr. 5,5

6 zur Dialektik von siegen und unterliegen vgl. EG 94, 4 : „der Sieg im Unterliegen“ und Sören Kierkegaard: „Gottes zu bedürfen ist des Menschen Vollkommenheit“.

7 CA V

8 EG 372,1

9 CA VII

10 2. Kor. 12, 9

11 2. Kor. 4,7

12 vgl. Mk. 10, 35-45 (Evg. des Sonntags Judika)