Gott von Gott, Licht vom Licht (Joh 17, 20-26)
Robert Leicht
Predigt in Christi Himmelfahrt in der Oberpfarr- und Domkirche zu Berlin
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Das Fest Christi Himmelfahrt ist in unserer säkularisierten Umwelt zu einer Art fröhlichem Volksfest geworden, zu einem robusten Gegenstück zum Muttertag: Vatertag – mit Kremser, Birkenreisern, Bier und – wenn es gut ausgeht – einem milden Rausch bei der Heimkehr. Von seinem religiösen, gar theologischen Grund wissen nur noch wenige. Inzwischen bieten sogar politische Parteien Ausflüge und Partys zum „Herrentag“ an. Vielleicht herrscht sogar unter uns Christen eine gewisse Ratlosigkeit. Ein fröhliches Fest? In Wirklichkeit für die frühe Christenheit zugleich ein höchst dramatischer Krisentag, wie wir dies auch aus unserem Predigttext hören können:
LUT John 17:20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. 22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, 23 ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. 24 Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war. 25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast. 26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.
Durch den Autor des Johannes-Evangeliums sollen wir Zeuge werden eines der letzten Gebete des Jesus von Nazareth. Doch woher wusste der Evangelist dies alles wörtlich zu berichten – wo er doch die Szene so schildert, dass sie keine Zeugen hatte? - Doch bevor uns diese Frage allzu sehr beunruhigt, erkennen wir, dass die Sorgen und Krisensignale, die wir hier hören, nicht nur die Sorgen Jesu sind, sondern zugleich die Ängste des Evangelisten und seiner frühen christlichen Gemeinde – vor allem aber: dass dies auch unsere heutigen Krisen und Fragen sind, wenn wir einmal ernstlich über unser Lage nachdenken wollten.
Nicht wahr, wir nennen uns alle Christen – aber wie weit ist es mit unserer Einheit her, von der Jesus hier aus den Worten des Evangelisten spricht:
„…damit sie vollkommen eins seien“ ?
„Christen sein“ und „eins sein“ – das soll offenbar eines sein. Trennungen und Spaltungen zwischen Christen stellt aber ihr Christ-Sein zutiefst in Frage. Ihr wollt Christen sein, aber ihr geht nicht gemeinsam zum Abendmahl! Ihr wollt Christen sein, aber ihr müsst noch im dritten Jahrtausend (und in diesen Wochen) über die gegenseitige Anerkennung der Taufe verhandeln – und kommt doch nicht ganz zum Ziel! Ihr nennt euch Evangelische Kirche in Deutschland, aber selbst ihr Evangelischen habt eure Lutheraner, Reformierten und Unierten unter euch.
Es mag ja sein, dass wir diese Trennungen alle nicht mehr so ernst nehmen. Es kommt aber darauf an, ob dies wirklich aus dem übermächtigen Wunsch nach Einheit so ist – oder nur deshalb, weil uns die Glaubensfragen ohnehin nicht mehr genau auf den Nägeln brennen. Für Jesus von Nazareth, für den Evangelisten und seine Gemeinde ist das Bewusstsein noch ganz präsent: Ohne innere Einheit gerät die Christenheit sofort in eine existentielle Krise.
Das Neue Testament ist voll von solchen Krisenanzeichen – angefangen bei unserem Predigtext. Jesus selber ist zutiefst besorgt – selbst um die Einheit des kleinen Jüngerkreises nach der Vollendung seines irdischen Weges. Wie wahr: Paulus und Petrus geraten alsbald in einen handfesten Streit über die Frage, ob das Evangelium nur Juden oder vielmehr auch Heiden gepredigt werden soll und darf – ein Streit, den es unter uns heute nur in der umgekehrten Konstellation gibt, nach all der bösen Geschichte: ob man das Evangelium auch Juden predigen dürfe. Paulus jedenfalls berichtet:
Als aber Kephas – also Petrus - nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, denn es war Grund zur Klage gegen ihn.
Paulus hat dann später allen Grund, die Gemeinde in Korinth zu tadeln:
LUT 1 Corinthians 1:10 Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, daß ihr alle mit einer Stimme redet und laßt keine Spaltungen unter euch sein, sondern haltet aneinander fest in einem Sinn und in einer Meinung. 11 Denn es ist mir bekannt geworden … daß Streit unter euch ist. 12 Ich meine aber dies, daß unter euch der eine sagt: Ich gehöre zu Paulus, der andere: Ich zu Apollos, der dritte: Ich zu Kephas, der vierte: Ich zu Christus. 13 Wie? Ist Christus etwa zerteilt?
Ja, sagt nicht der eine unter uns: Ich gehöre zu den Katholiken, der andere: Ich zu den Lutheranern, der dritte: Ich zu den Reformierten, der vierte: Ich zu den Baptisten…
Wie? Ist Christus etwa zerteilt?
Aus diesem in die jüngste Gegenwart reichenden Stück Kirchengeschichte können wir nun mancherlei lernen:
Erstens: Christsein und Einssein gehören eigentlich zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille.
Zweitens: Aber wo immer es Christen gab, waren sie untereinander uneins – und zwar vom frühesten Anfang an.
Drittens: Wenn die Kirche Jesu Christi trotz aller eigensüchtigen Spaltungen und mörderischer Glaubenskriege dennoch nicht untergegangen ist, dann zeigt dies doch wiederum zweierlei an – zum einen, dass hier stärkere Kräfte im Spiel sind als die üblichen, um nicht zu sagen: natürlichen menschlichen Störfaktoren seit Kain und Abel; zum anderen aber auch dies: Wenn es menschliche und kirchliche Selbstherrlichkeiten nicht vermocht haben, das Wirken des Heiligen Geistes zu ersticken, dann sind es wohl auch nicht die Christenmenschen und Kirchenmänner und –frauen, die eine wahre Einheit der Christen bewirken können; und – dies sei zu ihrer Entlastung gesagt! – auch nicht zwanghaft betreiben müssen.
Alle Welt behauptet zwar: „Einigkeit macht stark!“ Aber wo immer wir Menschen Einigkeit berufen, ja beschrieen und erzwungen haben, kamen nur allzu viele (und kam nur allzu vieles) unter die Räder.
Der Evangelist sagt aber nicht einfach und machtlos, wie hilflose Eltern und ratlose Kirchenführer: „Nun vertragt Euch doch endlich untereinander!“ Sondern dieses Gebet Jesu nennt einen spezifischen und exklusiven Grund für die ultimative Einheit der Christen, der ganz außerhalb unserer Verfügung, weit außerhalb aller Konsensgespräche und Einigungspapiere liegt:
LUT John 17:20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. 22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, 23 ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien…
Christen können also nicht einig sein untereinander, ja sie können nicht einmal Christen sein, wenn sie nicht wissen und glauben, dass Jesus von Nazareth und sein angebeteter Vater, dass Christus und Gott eines sind – dass Christus also Gottes Sohn ist. Aber ob dies dann nicht schon fast genügt? So sagt ja unser Augsburgisches Bekenntnis, dass eben dieses für die kirchliche Gemeinschaft genüge – dass nämlich das Evangelium von Jesus Christus einträchtig verkündet und dass die von Jesus eingesetzten Sakramente schriftgemäß verwaltet werden.
Bevor Sie nun aber alle aufseufzen und sagen: „Was sollen uns diese Selbstverständlichkeiten? Was will er mit diesen Katechismussätzen?“, sollten wir uns vergegenwärtigen: Was hier – wie selbstverständlich – als entscheidender Grund christlicher Einheit und Existenz benannt wird, war in Wirklichkeit alles andere als selbstverständlich, sondern der Ausbruch einer Krise in der frühchristlichen Gemeinde, nicht nur des Johannes:
Die allerersten Christen waren ja fromme Juden – Juden, die auf eine eigentümliche und eigenwillige Weise fromm waren. Doch Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten und Auferstandenen, als Christus, als Messias und Gott anzubeten – das musste den hergebracht frommen Juden als Sakrileg vorkommen, als Anschlag auf den strikten Monotheismus, auf das Sch’ma Israel:
LUT Deuteronomy 6:4 Höre, Israel, der HERR ist unser Gott, der HERR allein.
Und eben um dem geradezu tödlichen Vorwurf des Sakrilegs der Gottesspaltung und Gottes-Vervielfachung zu entgehen, besteht das Evangelium der frühen Christen umso entschiedener auf der Identität, der Wesensgleichheit zwischen Vater und Sohn – oder wie wir es eben noch in unserem Nizänischen Glaubensbekenntnis bezeugten:
Gott von Gott, Licht vom Licht,
wahrer Gott vom wahren Gott,
gezeugt, nicht geschaffen,
eines Wesens mit dem Vater…
Doch eben diese zugespitzte Aussage (fast möchte man in einem höheren Sinne sagen: diese Schutzbehauptung) – sie hat die Krise nicht aufhalten können, im Gegenteil, sie hat die Krise weiter vorangetrieben!
Die frühen Juden-Christen (Juden und Christen zugleich, wie sie es sein wollten) wurden aus der Synagoge hinausgedrängt oder sonderten sich aus. So war gerade das Bekenntnis zu Christus, das einzig einigende Bekenntnis der Christen, selber zu einem Faktor der Spaltung geworden – vor allen andern folgenden Spaltungen in der Christenheit selbst.
Und wenn Sie noch einmal die 3. Strophe des Liedes vor der Predigt (EG 123) zur Hand nehmen wollen, finden Sie, wie dieser Konflikt noch einmal durchschimmert: „Gott ist Herr, der Herr ist Einer, und demselben gleichet keiner“ – das ist das ursprüngliche Sch’ma Israel, das hätten die frommen Juden durchaus mitsingen können – und könnten es wohl noch heute. Aber der Satz geht weiter – und damit ist die Grenze markiert: „nur der Sohn, der ist ihm gleich.“
Aber so ist dies nun im frommen Leben: Aus Treue zum Glauben müssen wir nicht nur manchem in der Welt widersprechen, sondern auch manchem in der christlichen Kirche – auch in ihrer Geschichte. Hinterher ist zwar immer leicht reden: Aber hätte man aus einem rein rituellen Einheitsverständnis etwa die ganze Reformation ausfallen lassen sollen? Und wäre es nicht besser gewesen, die evangelischen Christen hätten sich nach 1933 früher und eindeutiger von den „deutschen Christen“ abgesetzt, auch in diesem Berliner Dom, und die Spaltung des Kirchenkampfes klarer auf sich genommen und fester durchgehalten? – Die Frage aber bleibt allemal: Geht es uns bei solchen Auseinandersetzungen wirklich um das Bekenntnis zu Christus allein, solus Christus – oder um Selbstherrlichkeiten und Eigenwilligkeiten, ja Eigenbröteleien und geistliche wie weltliche Besitzstände unserer Kirchentümer? (Übrigens: Genau dieselbe scharfe kritische Frage ist bei allen Einigungs- und Fusionsgesprächen – und Impulspapieren - innerhalb und zwischen den Kirchentümern zu stellen...)
Wir brechen hier ab… Was aber hat dies alles mit Christi Himmelfahrt zu tun? Was kann uns dieser Himmelfahrtstag, der ja mit seinen geistlichen Bildern so gar nicht in unsere weltlichen Weltbilder passen will, was kann er uns bedeuten – über einen schönen, schlimmstenfalls verregneten Sommertag hinaus?
Für mich – so paradox dies klingen mag (und es ist sogar in Wahrheit ein zutiefst christliches Paradox) -… für mich – und doch eben für uns alle! - ist der Himmelfahrtstag das Gegenstück - nein, nicht zum Muttertag, sondern zu - Weihnachten: An Weihnachten freuen wir uns, dass Gott Mensch geworden ist: in Jesus von Nazareth, darüber dass Gott sich mit uns gewöhnlichen Menschen - so, wie wir sind! - gemein gemacht hat. Aber diese Freude hängt doch ganz davon ab, dass wir in Jesus von Nazareth tatsächlich Gott begegneten - und immer wieder begegnen. An Weihnachten feiern wir, um in den alten Weltbildern zu sprechen, die Bewegung von oben nach unten – an Himmelfahrt die dazu gehörige Bewegung von unten nach oben: Wahrer Mensch und wahrer Gott! An beiden Festen aber – und darauf kam es auch in dem Predigttext an – feiern wir die geheimnisvolle, ursprüngliche und ultimative Einheit von Vater und Sohn. Denn wenn uns diese Identität, diese göttliche Einheit nicht geschenkt wäre, könnten wir uns die ganze christliche Kirche und die kirchliche Einheit - schenken.
Aber nun feiern wir Christi Himmelfahrt!
Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist all unsere spaltende und einigende Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.