Gott als Designer? - Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliches Weltverständnis
Michael Beintker
1. Gott als Designer – einiges zur Entstehung des Themas
Gutes Design ist gefragt, und Designer sind begehrt. Wer eine Lampe, einen Stuhl oder Schmuck vom Designer besitzt, kann sich der Bewunderung durch seine Mitwelt sicher sein. Manche lassen sich auch zum Designer oder zur Designerin ausbilden, zum Beispiel an der Hochschule für Kunst und Design im benachbarten Halle. Designer sind Entwerfer und Gestalter, wobei die Verwendung des Wortes im Deutschen eine besondere Kunstfertigkeit im Entwerfen und Gestalten nahelegt. Im Englischen geht es technischer zu: Hier macht schon das Geschick zum Zeichnen oder Konstruieren komplizierter Technik den Designer.
Läßt sich diese Berufsbezeichnung auch auf Gott übertragen? Ist Gott ein Former und Gestalter und also ein Formgestalter? Einige willkürlich herausgegriffene Aussagen aus den Schöpfungserzählungen der Genesis: „Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, daß es gut war.“ (Gen 1,20f.) Oder: „Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“ (Gen 2,7) Oder: „Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, daß er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen.“ (Gen 2,19) Oder im Lob des Schöpfers in den Psalmen: „Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, daß ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.“ (Ps 139,13f) Oder bei Amos: „Denn siehe, er ist’s, der die Berge macht und den Wind schafft; er zeigt dem Menschen, was er im Sinne hat. Er macht die Morgenröte und die Finsternis, er tritt einher auf den Höhen der Erde – er heißt ‚Herr, Gott Zebaoth’.“ (Am 4,13) So wie das Werk des Künstlers den Künstler lobt, loben die Werke der Schöpfung ihren himmlischen Schöpfer: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes, und die Feste verkündigt seiner Hände Werk.“ (Ps 19,2) „Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich, das Meer brause und was darinnen ist; das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist; es sollen jauchzen alle Bäume im Walde vor dem Herrn …“ (Ps 96,11)
Auch wenn den biblischen Autoren bewußt war, daß sich das Schaffen Gottes vom menschlichen Machen und Fabrizieren deutlich unterscheidet, würden sie die Frage, ob man von Gott wie von einem Former und Gestalter reden dürfe, eindeutig bejahen. Das gehört ganz selbstverständlich zu ihrem Verständnis von Schöpfung. Gott könnte im Kontext der biblischen Rede von der Schöpfung sehr wohl als Schöpfer und zugleich Designer unserer Wirklichkeit angesprochen werden. Schließlich ist sein Schaffen der Ursprung allen Schaffens, aller Kreativität, allen Schöpfertums; und alle menschliche Kreativität kann und darf als ein Abbild seiner Kreativität gewürdigt werden.
Gleichwohl ist Nachdenklichkeit angebracht. Schon die Bibel macht einen großen Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Schaffen; kein Mensch vermag so schöpferisch zu sein wie der Schöpfer. Biblische Autoren benutzen Metaphern und Bilder, um das Schaffen Gottes zum Ausdruck zu bringen. Sie tragen dem auch Rechnung, daß von Vorgängen die Rede ist, die sich der menschlichen Anschauung entziehen. Wo war der Mensch „im Anfang“ (Gen 1,1; Joh 1,1)? Es wäre lächerlich, wollte man behaupten, hier über die Schulter des Schöpfers geschaut zu haben. Man soll sich Gott nicht wie einen transzendenten Handwerksmeister vorstellen und die Welt nicht wie eine überdimensionierte, aber immer noch beschauliche Werkstatt: „Wer mißt die Wasser mit der hohlen Hand, und wer bestimmt des Himmels Weite mit der Spanne und faßt den Staub der Erde mit dem Maß und wiegt die Berge mit einem Gewicht und die Hügel mit einer Waage? Wer bestimmt den Geist des Herrn, und welcher Ratgeber unterweist ihn? Wen fragt er um Rat, der ihm Einsicht gebe und lehre ihn den Weg des Rechts und lehre ihn Erkenntnis und weise ihm den Weg des Verstandes? Siehe, die Völker sind geachtet wie ein Tropfen am Eimer und wie ein Sandkorn auf der Waage. Siehe, die Inseln sind wie ein Stäublein.“ (Jes 40,12-15) Gott fragt Hiob: „Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir's, wenn du so klug bist! Weißt du, wer ihr das Maß gesetzt hat oder wer über sie die Richtschnur gezogen hat?“ (Hi 38,4)
Gottes Frage an Hiob hat sich nicht erledigt. Sie hat an Gewicht sogar noch gewonnen, seit es uns möglich ist, mit den Erkenntnismitteln der modernen Naturwissenschaften in die Wirklichkeit einzudringen und zur Entstehung des Kosmos und zur Entstehung des Lebens physikalische, chemische und biologische Theorien zu entwickeln. Wo warst du, als ich die Erde gründete? Wo warst du, Mensch, vor 13,7 Mrd. Jahren, in der Situation des sogenannten Urknalls, als in der unvorstellbaren Spanne von 10-43 Sekunden das Universum aus einem winzigen Punkt in die Unendlichkeit expandierte? Wo warst du, Mensch, als vor 4,5 Mrd. Jahren die ersten Biomoleküle entstanden?
Kann man Gottes Frage an Hiob so aktualisieren und in den Horizont unserer modernen wissenschaftlichen Weltdeutung übertragen? Ich vertrete die Auffassung, daß das möglich ist und daß man so fragen kann. Es gibt freilich Christenmenschen, die gerade das bedenklich finden und die biblische Sicht der Schöpfung für die einzig richtige halten. Ja sie würden schon die Bemühungen um eine Koexistenz zwischen dem Glauben an den Schöpfer im biblischen Sinn und den Hypothesen über Kosmo- und Biogenese und die Evolution des Lebens ablehnen, weil sie darin einen faulen, glaubensfeindlichen Kompromiß zu erkennen glauben. Zwischen Darwin und der Bibel und auch zwischen Stephen Hawking und der Bibel muß man sich nach ihrer Auffassung entscheiden. Die Welt sei so entstanden, wie es die Genesis schildert, deren Berichte als inspiriertes, unfehlbares Zeugnis des Geistes Gottes gelesen werden. Demnach wäre das Universum nicht 13,7 Mrd. Jahre alt, sondern gerade mal 5767 Jahre – gerechnet vom ersten Schöpfungstage an.
Die Absage an die Evolutionslehre firmiert unter dem Titel „Kreationismus“ (abgeleitet von creatio, dem lat. Wort für Schöpfung). Der Kreationismus, von dem es mehrere Typen und Spielarten gibt, vertritt die wörtliche Auslegung der biblischen Schöpfungstexte. Sein ausgemachter Hauptfeind ist der Darwinismus. Damit reagiert der Kreationismus auch auf die weltanschauliche Überinterpretation evolutionstheoretischer Annahmen, wie sie gelegentlich ein antikirchlicher „Ultradarwinismus“ verfochten hat. Der Kreationismus macht sich die Lücken und Ungereimtheiten und bis heute ungeklärten Fragen der Evolutionslehre zunutze und greift zur Verteidigung seiner Positionen gerne auf moderne wissenschaftliche Einsichten zurück, die er selektiv (d.h. immer dann, wenn es vorteilhaft für ihn ist) rezipieren kann.
Genaugenommen ist der Kreationismus ein nordamerikanisches Phänomen, insbesondere eine Erscheinung in den Südstaaten des sog. „Bible Belt“. In Europa war man für den Kreationismus kaum anfällig. Hier setzte sich schrittweise die Einsicht durch, daß naturwissenschaftliche und theologische Auffassungen sehr wohl miteinander harmonieren können und nicht gegeneinander ausgespielt werden müssen. Allerdings lassen sich seit etwa 20 Jahren zunehmend auch Sympathien für den Kreationismus in Europa ausmachen – überall dort, wo evangelikale Einflüsse aus den USA zur Geltung kommen. Insofern handelt es sich um ein Importphänomen. Auch in Asien (z.B. Südkorea) ist der Kreationismus auf dem Vormarsch. Ich erinnere mich an einen koreanischen Doktoranden, der mit einer Untersuchung über die Genesis promovierte, aber in seinem Heimatland nicht durchsickern lassen durfte, daß er mit den hiesigen Standardhypothesen über die Entstehung dieses Textes gearbeitet hatte.
Da der Kreationismus häufig mit christlichem Fundamentalismus identifiziert und auf diese Weise problematisiert wurde, haben seine Verfechter und Sympathisanten zielgerichtet an seiner wissenschaftlichen Weiterentwicklung und Veredlung gearbeitet. Das Ziel, den Kreationismus so auszugestalten, daß er wissenschaftsfähig ist und als seriöse Alternative zur Evolutionslehre an Schule und Hochschule bis in die Bildungs- und Lehrpläne hinein Eingang findet, firmiert nunmehr als wissenschaftlicher Neokreationismus. Neokreationisten können die Kontroversen um die wörtliche Auslegung der Bibel auf sich beruhen lassen und beharren auch nicht zuerst auf der biblisch berechneten Terminierung des Weltalters. Sie diffamieren freilich das vorherrschende naturwissenschaftliche Weltverständnis als Ausdruck des Atheismus. Es gebe Phänomene, die sich nur auf übernatürliche Weise erklären ließen. Insbesondere die Evolution des Lebens könne nicht unter das Diktat des Zufallsprinzips gerückt werden. Die Grundannahmen der Evolutionslehre seien zu problematisieren. So werden ständig wissenschaftliche Beweise gegen eine Evolution gesucht. Die Gesetzmäßigkeiten und Funktionszusammenhänge des Universums und des Lebens könnten am besten durch eine Intelligenz als Ursache erklärt werden und nicht durch einen vom Zufall geleiteten Evolutionsprozeß. Die Annahme einer solchen Intelligenz führt zur Theorie des „intelligent design“, die mich wiederum zu der Frage provozierte, ob Gott denn ein Designer sei. „Intelligent design“ sei eine wissenschaftliche Theorie, die die Wirklichkeit besser erklären könne als die uns vertrauten naturwissenschaftlichen Hypothesen.
Die Anhänger des „intelligent design“ haben sich mit dem Discovery Institute in Seattle Washington eine beachtliche, finanziell potente Institution geschaffen, von der aus sie ihren Einfluß in der nationalen und internationalen Wissenschaftslandschaft geltend zu machen versuchen. Bei Wikipedia findet man dazu folgenden Eintrag: „Das Discovery Institute ist eine christlich-konservative Denkfabrik, die als gemeinnützige Bildungsstiftung organisiert […] ist. Sie gilt als Knotenpunkt der vom christlichen Fundamentalismus verbreiteten Lehre des Kreationismus (auch Intelligent Design genannt) […] Das Institut verbreitet wissenschaftlich gut recherchierte Filme, deren Schlussfolgerungen jedoch auf die Schöpfungslehre des Kreationismus hinauslaufen, so daß der nichtgeschulte Laie den Eindruck gewinnt, der Kreationismus sei eine wissenschaftlich abgesicherte Theorie, die der Evolutionstheorie in Augenhöhe gegenübersteht.“ Die Stoßrichtung des Instituts ist der Welt der Wissenschaft also bekannt und wird als Pseudowissenschaft abgelehnt. Im September 2005 haben 38 Nobelpreisträger eine Erklärung veröffentlicht, in der es heißt: „intelligent design is fundamentally unscientific; it cannot be tested as scientific theory, because its central conclusion is based on belief in the intervention of a supranatural agent”. Muß noch eigens erwähnt werden, daß natürlich auch der amtierende amerikanische Präsident zu den Förderern des Instituts gehört?
Wir werden sehen, daß man für „intelligent design“ auf theologische und philosophische Annahmen zurückgreifen kann, daß aber das damit verbundene Konzept im Horizont der modernen Naturwissenschaften nicht abgebildet werden kann. Der entscheidende Denkfehler der Neokreationisten besteht darin, daß sie mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden das Eingreifen Gottes in die Evolution von Kosmos und Biosphäre plausibel und insofern darstellbar machen möchten. Man möchte dem Wirken Gottes mit den Methoden heutiger Wissenschaften auf die Spur kommen. Und genau das kann nicht gelingen.
2. Die Wirklichkeit in der Perspektive des Glaubens an den Schöpfer
Wir fragen zunächst: Wie entsteht die Gewißheit, daß Gott die Welt geschaffen hat? Wenn wir hier den biblischen Erkenntnisweg beachten, müssen wir sagen: Der Glaube an den Schöpfer entsteht nicht unmittelbar durch die Betrachtung der Natur oder des Universums. Er entsteht auch nicht dadurch, daß noch die plausibelsten Theorien Erklärungslücken aufweisen und morgen veraltet sein können. Der biblische Glaube an Gott entsteht vielmehr so, daß Menschen sein Heilshandeln erfahren und sich gefallen lassen. Das Urdatum der Gotteserfahrung Israels ist die Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.“ (Ex. 20,2) So stellt sich der Gott Israels vor. Das läßt sich auf das Urdatum christlicher Gotteserkenntnis übertragen und etwa folgendermaßen variieren: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich mich für dich in Jesus Christus der äußersten Erniedrigung und dem tiefsten Leiden ausgesetzt habe, um dich aus der Knechtschaft in Sinnlosigkeit und Schuld zu befreien“.
Damit möchte ich deutlich machen: Der Ort, an dem Gott Menschen berührt und in seiner Wirklichkeit für sie aufleuchtet, ist das Unheil, in dem sie sich befinden. Aus diesem Unheil möchte Gott sie herausbekommen. Und indem sie aus diesem Unheil gerettet werden, erfahren sie, wer Gott ist. Gotteserkenntnis bedeutet immer: Ich darf und soll gerade dort Gottes Nähe am intensivsten erfahren, wo ich in Not bin. Indem ich „im finstern Tale“ (Ps 23,4) Gott vertraue, indem ich also glaube, merke ich, wer er ist und was ich an ihm habe. Dabei wird Gottes Geheimnis weiterhin gewahrt. Genaugenommen erfassen wir nur gerade so viel von ihm, wie wir fassen können und wie es gut für uns ist.
Auf dem Boden solcher Begegnungen und Erfahrungen verändert sich freilich auch die Sicht auf die Dinge, die uns umgeben. In dem Maße, wie Menschen ihre eigene Beziehung zu Gott entdecken, entdecken sie auch die Beziehungen Gottes zur Welt, in der sie leben, zu den Völkern, zu den Menschen, zu den Dingen des Lebens. Da gibt es plötzlich kein Detail mehr, das ohne eine Beziehung zu Gott betrachtet werden müßte. Der Gott, dem Israel seine Befreiung aus Ägypten verdankte, wird unversehens als der Gott entdeckt, dem auch der ganze damals bekannte Kosmos seine Existenz zu verdanken hat. So und nur so konnten die Schöpfungserzählungen der Genesis aufgezeichnet werden. So und nur so hat Martin Luther den Alltag der Wittenberger Ackerbürger in das Licht des Schöpfungsglaubens getaucht, indem er sie in der Auslegung des Ersten Artikels des Glaubensbekenntnisses sagen ließ:
„Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. – Was ist das?“ Antwort: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn’ all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewißlich wahr.“ Die ganze durchschnittliche Wittenberger Lebenswelt von 1528 inklusive der Kleider, Schuhe, des Essens und des Trinkens erscheint als Schöpfungsthema, so daß man regelrecht den Eindruck haben kann, daß sich das ganze Universum auf den Straßen Wittenbergs abspielt.
Der Glaube erhebt Anspruch auf die Deutung der Wirklichkeit. Sie wird in Beziehung zu Gott gesetzt und erscheint in dieser Beziehung als Werk Gottes, als Schöpfung. Dank und Freude an allem, was Gott geschaffen hat, geben hier den Ton an: „Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen“, heißt es im Loblied auf die Schöpfung in Ps 8,2, um dann fortzufahren: „der du zeigst deine Hoheit am Himmel!“ Darin kommt die kosmologische Reichweite des Glaubens an den Schöpfer in den Blick: die Welt, in der wir leben, verdankt sich der schöpferischen Liebe Gottes. Und wir sind seine Geschöpfe, dazu bestimmt, Gott zu erkennen und sich an ihm zu freuen.
In der Perspektive des Glaubens an den Schöpfer werden der Kosmos und die Biosphäre anders zu beschreiben sein als in der Perspektive einer experimentell gestützten Wissenschaft. Das liegt daran, daß die modernen Naturwissenschaften jene Dimensionen des Wirklichen gar nicht erreichen können, die im Glauben an den Schöpfer benannt und erkannt werden. Physik und Biologie orientieren sich so exakt wie nur möglich an der Welt des Meßbaren und Kalkulierbaren. Ihr Erfolg basiert entscheidend auf der Fähigkeit, die Natur in quantifizierbare Ausschnitte zerlegen zu können und zu Objekten der menschlichen Erkenntnis zu formalisieren. Mit Gott kann man aber so gerade nicht umgehen wollen. Er kann nicht wie eine Meßgröße oder wie ein Objekt behandelt werden. Aus theologischer Sicht wäre ein solcher Umgang mit Gott völlig unangemessen, ja man würde sich gerade um die Möglichkeit der Gotteserkenntnis bringen, wenn man Gott auf eine Ebene mit physikalischen Erkenntnisobjekten zwingen wollte. Der Neokreationismus mißachtet das und übersieht den kategorialen Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf.
Die Unterscheidung der Erkenntnisperspektiven darf freilich nicht als Scheidung mißverstanden werden. Das Problem, das wir hier erörtern, verkompliziert sich dadurch, daß wir auch nicht sagen können, die Kosmologie habe mit dem Glauben an den Schöpfer nicht das geringste zu tun und umgekehrt sei es auch so. Einer intellektuellen Schizophrenie können wir nicht das Wort reden wollen. Der Schöpfungsglaube enthält unweigerlich kosmologische Implikationen, die beachtet werden müssen. Auch wenn es nicht gelingen wird, eine Kosmotheologie zu entwerfen, in welcher der Glaube an den Schöpfer und das naturwissenschaftlich gesicherte Wissen unserer Zeit zu einer lückenlosen Supersynthese zusammenfinden, werden bestimmte weltanschauliche Konsequenzen des naturwissenschaftlich geprägten Weltbilds durch den Schöpfungsglauben tatsächlich ausgeschlossen. Ich nenne die wichtigsten Punkte:
Ausgeschlossen wird ein Verständnis der Evolution, bei der Zufall das letzte Wort hat. Es mag tatsächlich so sein, daß für den wissenschaftlichen Blick nur Zufälle in den Blick kommen. Der Glaube an den Schöpfer kann dabei nicht stehenbleiben, weil sich ihm Zusammenhänge erschließen, für die ein gerichteter Wille in der Evolution sichtbar wird.
Ausgeschlossen wird sodann das Postulat von der Ewigkeit der Materie, wie es in unseren Breitengraden zuletzt vom dialektischen Materialismus verfochten worden ist. An dieser Stelle sind übrigens Konvergenzen mit der physikalischen Kosmologie zu verzeichnen, nach denen sowohl ein Anfang als möglicherweise auch ein Ende des Universums als ernstzunehmende Hypothesen zu gelten haben.
Ausgeschlossen ist ferner die Behauptung der Allmacht der Naturgesetze. Naturgesetze sind nämlich Formulierungen zu Abläufen innerhalb der uns bekannten Natur. Es mag für Wissenschaftler hilfreich sein, in solchen Formulierungen eine Garantie für Berechenbarkeit zur Verfügung zu haben. Aber schon die durch Einstein und Planck erzwungenen Paradigmenwechsel innerhalb der Physik weisen auf die Grenzen einer solchen Garantie. Der Schöpfer des Universums ist auf jeden Fall der Herr auch der uns bekannten (und noch unbekannten) Naturgesetze.
Schließlich ist ausgeschlossen die Bestreitung des Schöpfungscharakters der Wirklichkeit. Das leuchtet unmittelbar ein: Man kann nicht theologisch von Gott dem Schöpfer reden, aber auf naturwissenschaftlicher Ebene das Gegenteil davon erweisen wollen. Man kann sich hier nur bescheiden, indem man zugibt, daß Gott keine Gegebenheit im Horizont der physikalischen Theoriebildung sei, oder (was ebenfalls dem Geist echter Wissenschaft entspricht) sein Nichtwissen einräumt. Aber ein wissenschaftlicher Beweis dafür, daß Gott diese Welt nicht geschaffen haben kann und demzufolge auch nicht erhält, kann von niemandem geführt werden, weil ein solcher Beweis alles übersteigen würde, was wir mit unserem Wissen je erreichen können. Mit der Hypothese, daß Gott die Welt nicht erschaffen haben kann, würden wir mehr sagen, als wir jemals exakt wissen können. Ich spitze das zu: Es kommt vielen Menschen in unserem Kulturkreis unwahrscheinlich vor, daß es Gott gibt und daß er die Welt geschaffen haben kann. Ebenso unwahrscheinlich ist es aber, daß es keinen Gott gibt und daß er die Welt nicht geschaffen haben kann. Für das rationale Kalkül geht es tatsächlich um die Frage, welche der beiden Unwahrscheinlichkeiten für die Vernunft schwerer erträglich ist. Für den Glauben, dem sich Gott erschlossen hat, kann nur eine Welt ohne Gott etwas ganz Unwahrscheinliches sein.
3. Unterscheidungen und Beziehungen zwischen Glaube und Naturwissenschaften
Zur Beziehung zwischen Naturerkenntnis und Schöpfungslehre können wir heute vier Stadien unterscheiden:
Erstens das klassische Stadium der relativen Harmonie. Relative Harmonie bestand so lange, wie es möglich war, das naturkundliche Wissen der Zeit mit dem Glauben an einen Schöpfer konfliktfrei zu verbinden. Hierzu gehören natürlich die Schöpfungsüberlieferungen der Bibel, aber ebenso auch die kosmologischen Konzepte der alten Griechen. Beides verband sich im Mittelalter zu einer beeindruckenden Synthese. Die Himmelsphysik des Aristoteles wurde kunstvoll durch die Hierarchie der Engelmächte belebt, die das Heer der Sterne bewegte. Die Erde bildete das Zentrum dieses Kosmos, umwölbt von den Sphären der Himmel und des himmlischen Ozeans, über denen Gott in seiner schöpferischen Allmacht und Weisheit lebte. Nach einem solchen einheitlichen Weltbild sehnt sich der Kreationismus zurück. Aber angesichts der Weiterentwicklung des menschlichen Wissens und der ständigen Verfeinerung der Erkenntnis- und Begründungsverfahren mußte dieses einheitliche Weltbild unweigerlich zerbrechen.
So prägte sich zweitens die Phase eines Konflikts aus, dessen Höhepunkt wohl mit dem Fall Galilei datiert werden kann. Mit Kopernikus, Kepler und Newton kommt es in der frühen Neuzeit zu einer weitreichenden Revision des Weltbilds (sie sollte übrigens nicht die letzte Revision bleiben!). Der Kosmos wird Zug um Zug entgöttert. Es entsteht ein Weltmodell, das aufgrund der ihm innewohnenden Gesetzmäßigkeiten ohne direktes göttliches Eingreifen funktioniert. Naturwissenschaftler und Theologen mußten es nun lernen, daß die Naturwahrnehmungen des Glaubens und das Naturbild der experimentellen Physik auseinandertraten. Das liegt entscheidend daran, daß sich das menschliche Wissen von der Natur ständig weiterentwickelt und bisherige Erkenntnisse notwendigerweise veralten. Aus diesem Grunde kann man den Stand des Naturwissens nicht auf einer bestimmten Stufe einfrieren; wer es doch tut, muß dann gegen die neuen Entdeckungen Sturm laufen. Das geschah bekanntlich in der Auseinandersetzung mit Galileo Galilei. Sie erlebte ihre Neu- oder Nachauflage in den Attacken auf Darwins Entwicklungslehre. Wir haben es hier allerdings mit schlagzeilenkräftigen Extremsituationen zu tun. Denn die meisten Naturwissenschaftler blieben religiös – und das aus tiefer Überzeugung. Und die Theologen lernten es durchaus, mit den neuen Erkenntnissen zu leben und dennoch die Überzeugung des Schöpferwirkens Gottes festzuhalten. Es entspricht nicht den Tatsachen, wenn behauptet wird, die moderne Wissenschaftsentwicklung habe maßgeblich den modernen Atheismus vorangetrieben oder gar hervorgebracht. Der moderne Atheismus speist sich aus anderen Wurzeln. Bei Lichte besehen löst der Vorstoß in kosmische Dimensionen, die unseren Vorfahren gänzlich verschlossen waren, eher das Staunen und das religiöse Interesse aus, als daß es Menschen in den Atheismus treibt.
Die entscheidende Voraussetzung für die Befriedung der Konfliktsituation lieferte der Philosoph Immanuel Kant und eröffnete damit das Stadium der Kompetenzunterscheidung. Kant schuf mit seiner „Kritik der reinen Vernunft“ (1781) die philosophischen Voraussetzungen für die Unterscheidung der Erkenntnisebenen und damit der jeweiligen Kompetenzen. Kant zeigte, was die Naturwissenschaft exakt erkennen kann, wo die philosophische Reflexion ihren Ort hat, wo die Spekulation anfängt und wofür der Glaube zuständig ist. Der Glaube soll seinen Ort vor allem auf dem Feld des menschlichen Ethos finden. Dort sei der Gottesgedanke unentbehrlich. Das Realitätsfeld der Naturwissenschaften ist für Kant hingegen so strukturiert, daß sich dort die Gottesfrage weder wissenschaftlich stellen noch wissenschaftlich beantworten läßt. Das eröffnete der Theologie die Möglichkeit, die freie Entwicklung der Naturwissenschaften zu akzeptieren, ja als die entscheidende Strategie zu begrüßen, mit der der Mensch den ihm gewährten Herrschaftsauftrag in der Schöpfung einlöst. Natürlich ist die Theologie bald über Kants Einschränkung auf die Ethik hinausgegangen. Sie konnte sich ebenso ungebremst weiterentwickeln, wie sich die neuzeitliche Wissenschaften weiterentwickelten. Man mußte sich nicht ins Gehege kommen und konnte sich gegenseitig respektieren. Die Kompetenzunterscheidung ist uns hier im „alten Europa“ so selbstverständlich geworden, daß wir die Konflikte in den USA in der Regel mit einer gewissen Belustigung und nicht geringem Staunen verfolgen.
Den Älteren unter uns ist freilich noch in bester Erinnerung, wie wir vor 1989 das Modell der Kompetenzunterscheidung in der Auseinandersetzung mit den philosophischen Doktrinen des Marxismus zu behaupten suchten. Wer uns sagte, daß der „Sputnik“ den lieben Gott im Himmel nicht habe finden können und daß ein solcher Satellit im Orbit deshalb den Atheismus beweise, wurde sanft, aber deutlich auf die Differenz der Erkenntnisgebiete hingewiesen. Eine Kritik, die den physikalischen Himmel mit der Transzendenz verwechselte, ließ sich mit Kants Hilfe rasch als plump und töricht abweisen.
Das vierte und gegenwärtig letzte Stadium der Beziehungen zwischen Glaube und Naturwissenschaften läßt sich als Phase einer neuen Annäherung charakterisieren. Diese neue Annäherung setzte nach dem 2. Weltkrieg ein – bald nach der Zündung der ersten Atombombe und dem Erschrecken über die Entfesselung des menschlichen Erfinderdrangs. Sie erlebte in den 70er und 80er Jahren einen zweiten Höhepunkt, ausgelöst durch das gewachsene ökologische Problembewußtsein und die zu erwartenden Folgen einer unbeschränkten Ausbeutung unseres natürlichen Lebensraums. Bekannte Vertreter der hier in Deutschland gepflegten Dialoge waren die Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker und Klaus Müller, der Biologe Günter Altner und der Philosoph Georg Picht. Der 1986 von Jürgen Hübner herausgegebene bibliographische Bericht über die ab 1945 erschienenen Arbeiten umfaßt immerhin 503 Druckseiten, so daß man sagen muß, daß schon die dem Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaft gewidmete Literatur ein eigenes Forschungsfeld darstellt.
Auf Einzelheiten kann ich hier nicht eingehen, aber ich möchte wenigstens eine wichtige Grundtendenz dieser neuen Annäherung erwähnen. Es hat sich herausgestellt, daß die Arbeit an den harten Einzelfragen der Forschung erfolgversprechender ist als die Debatte um Weltbilder und kosmologische Großhypothesen. Hier sind nämlich die meisten Naturwissenschaftler wesentlich zurückhaltender als manche modernen Metaphysiker oder „spekulativen Theoretiker“. Das Gespräch wird besonders fruchtbar immer dann, wenn es sich mit dem verengten Wirklichkeitsverständnis moderner Weltbetrachtung beschäftigt und gefragt wird, wie solche Verengungen durchbrochen werden können, wenn es die Subjektabhängigkeit und Standpunktgebundenheit der menschlichen Erkenntnis reflektiert, wenn es die Frage nach dem Wesen der Zeit und ihrem Ursprung im Geheimnis Gottes zuläßt und wenn es schließlich die Verantwortung der Wissenschaften und der Wissenschaftler zum gemeinsamen Thema erhebt.
Die modernen Theorien zur Kosmogenese gehen gewöhnlich von einem Urknall („Big Bang“) aus: Nachdem sich am „Anfang“ (Anfangssingularität!) des Universums alle Materie auf kleinstem Raum konzentriert habe, sei sie durch eine (lautlose?) Explosion unvorstellbaren Ausmaßes expandiert. Der 1924 von Hubble entdeckte Prozeß der Expansion des Universums ist bis heute nicht abschlossen. Seit dem Urknall durchläuft die Welt eine unumkehrbare Entwicklung. Die uns geläufige Raum-Zeit-Vorstellung verliert angesichts der Milliarden Lichtjahre oder der Einsteinschen Annahme, daß der Weltraum zwar unbegrenzt, aber endlich gedacht werden müsse, jede Anschaulichkeit. Man kann zwar die Verschmelzung von Raum und Zeit zum vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum mathematisch darstellen; aber vorstellen kann man sich das nicht.
Angesichts solcher Theorien kann man nur mit größtem Respekt über die physikalischen Erklärungen zur Kosmogenese sprechen. Gleichwohl ist das Geheimnis des Kosmos damit nicht durchschaut. Vor allem ist es zutiefst rätselhaft, warum die ganze Evolution des Alls den uns erkennbaren Verlauf genommen hat. Schon minimalste Abweichungen und Variationen im Material des Urknalls hätten zu ganz anderen Entwicklungen führen müssen. Es ist theologisch plausibel und verantwortbar, an dieser Stelle von einem die Evolution prägenden und treibenden Konzept zu sprechen. Und auch als Naturwissenschaftler kann man durchaus etwas vom Geheimnis göttlichen Wirkens erahnen. Die Annahme, daß das ganze Universum im Anfang dessen, was wir Zeit nennen, auf einer Nadelspitze Platz gehabt habe, überschreitet, transzendiert alles, was wir auf Grund unserer Erfahrungen für möglich halten würden.
Das gilt ebenso für die Bedingungen, die zur Entstehung von Leben führten. Die von Darwin vorgebrachten Erklärungen für bestimmte Abläufe der biologischen Evolution scheinen noch ein Kinderspiel im Vergleich mit der Frage zu sein, wie es zu den Informationskonzepten für die Organisation aller Lebensstrukturen auf molekularbiologischer Ebene gekommen ist. In den Nukleinsäuren als den Trägern des genetischen Code ist der Bauplan aller Lebewesen individuell verschlüsselt. Woher kommen diese Informationen? Sind sie ein Spiel des Zufalls, der sich jeweils auf bestimmten Stufen fixierte (J. Monod)? Sind sie Ausdruck eines teleologischen Prinzips? Oder sind sie das Ergebnis eines materiell-informationellen Lernprozesses, bei dem Zufälle und bestimmte Gesetzmäßigkeiten einander bedingen und reproduzieren? Wenn man bedenkt, daß die Anzahl der Sequenzalternativen beim menschlichen Chromosomensatz einer Zelle 10600 Millionen beträgt, von denen sich eine Alternative manifestiert hat, dann kann man nur staunen. Das Leben konnte jedenfalls nicht einfach auf der Basis eines molekularen Rouletts entstehen, „wie durch ein bloßes Zusammenschütteln von Buchstaben ein umfangreiches Lehrbuch der Biologie entstehen würde“ (B.-O. Küppers, TRT 2, 81). Ist es tatsächlich so weit hergeholt, hier von einem bestimmten schöpferischen Bauplan Gottes zu sprechen, auch wenn wieder auf einer anderen Ebene gedacht wird als auf der Ebene wissenschaftlicher Hypothesenbildung.
Ein Physiker wie Stephen Hawking hat sich am Ende seiner „Kurze[n] Geschichte der Zeit“ (218) zu der Vermutung vorgewagt, daß wir – Philosophen, Naturwissenschaftler und Laien – mit einer vollständigen Theorie über die Entstehung des Universums zu der Frage vorstoßen würden, warum es das Universum gebe, und dann den Satz gewagt: „Wenn wir die Antwort auf diese Frage fänden, wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft – denn dann würden wir Gottes Plan kennen.“ Man weiß nicht recht, wie ernst es Hawking mit dieser Bemerkung gewesen ist, denn angesichts anderer Äußerungen kann man bei ihm die Attitüde angelsächsischer Ironie nie ganz ausschließen. Nach Kant wäre die Entzifferung des Planes Gottes durch einen Physiker oder Biologen ein aussichtsloses Unterfangen, während ein Theologe – biblisch unterrichtet – durchaus von einem solchen Plan reden darf. Aber auch die Theologie kann die Umrisse eines solchen Planes nur erahnen und muß darauf verweisen, daß wir die Frage nach dem Warum des Universums erst beantworten können, wenn wir im Reich Gottes vom Schöpfer selbst die Antwort darauf erfahren.
Nach wie vor ist eine wichtige Grundregel im Umgang mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu beachten, deren Mißachtung sich zu rächen pflegt: Gott darf nicht als Lückenbüßer in die offenen Lücken unserer Erkenntnisse geschoben werden. Solche Lücken pflegen sich im Laufe der Zeit zu schließen. Und dann ist Gott wieder auf dem Stück, für das er als Hypothese herhalten sollte, „arbeitslos“ und „überflüssig“. Wenn Kreationisten solche Lücken im Bereich der Evolution aufspüren, um an ihnen das direkte Eingreifen Gottes zu belegen, leisten sie Gott einen ganz schlechten Dienst. Denn sie schieben ihn mit jeder dann durch neue Erkenntnis wieder geschlossenen Lücke aus der Welt hinaus, in die sie ihn doch gerade hineinholen wollten und in die er als Grund, Ursache und Wirkprinzip aller Wirklichkeit auch tatsächlich hineingehört.
Wer das Wirken Gottes mit den Mitteln der Physik darstellen wollte, müßte faktisch zeigen, wie Gott als Schöpfer funktioniert. Schon daran wird deutlich, daß wir uns an Gott vergreifen, wenn wir so vorgehen wollten. Außerdem hätten wir die Unterscheidung der Erkenntnisperspektiven verletzt, die von Kant theoretisch begründet worden war. Da Gott in jeder Hinsicht von allem, was wir als Wirklichkeit beschreiben können, kategorial unterschieden ist und in seiner Wirklichkeit alles Vergleichbare, Vorstellbare sprengt, können wir nur in Analogien von seinem „Handeln“, seinem „Wirken“, seinem „Schaffen“ reden. Eben deshalb läßt sich Gott auch nicht in der von Hawking gesuchten Weltformel unterbringen.
So können wir Gott auch nicht auf der naturwissenschaftlichen Ebene als Designer ins Spiel bringen wollen. Die Rede vom „intelligent design“ ist als physikalische oder biologische Hypothese unbrauchbar. Sie sagt entschieden mehr, als Physiker oder Biologen sagen können, und läßt sich weder theoretisch noch experimentell überprüfen. Gerade harte Wissenschaft bleibt bescheiden: sie verzichtet auf Sinn- und Wozu-Fragen. Man muß aber deshalb die Idee eines „intelligent design“ nicht pauschal ablehnen.
Hilfreich kann diese Auffassung für die theologische Deutung, aber möglicherweise auch für die philosophische Interpretation des Prozesses der Evolution werden. Denn auf theologischer und auch auf philosophischer Ebene sind Sinn- und Wozu-Fragen sehr wohl zulässig, auch wenn man am Ende vielleicht nur zu dem Ergebnis kommt, daß man an diesen Fragen scheitert. Auf der Linie des biblischen Schöpfungszeugnisses ist die Rede von einem dem Willen des Schöpfers entspringenden Plan ebenso legitim wie die Rede, daß solch ein Plan die Prozesse der Selbstorganisation der Materie durchwaltet. Und auch dies ist sagbar, daß Gott nicht einfach nur die Basisinformationen für „Big Bang“ zur Verfügung stellte, sondern den Weg der Evolution bis zum heutigen Tage beeinflußte und begleitete, wie er jeden einzelnen von uns durch unsere Eltern ins Leben rief und wie er Himmel und Erde der Verheißung des neuen Himmels und der neuen Erde entgegenführt, indem die uns bekannte Schöpfung – von allem Leiden und Sterben befreit – zu unvorstellbarer Schönheit verwandelt werden wird.
Solcher Perspektive werden dann die atomaren Urbausteine des Kosmos und die molekularen Urbausteine des Lebens zu einem einzigen Loblied auf die Herrlichkeit des Schöpfers, der spielend den Weg durch Milliarden Zeit- und Lichtjahre findet, um jedem einzelnen Lebewesen näher zu sein, als es sich selbst nahe sein kann. Ernesto Cardenal hat seine Übertragung von Psalm 150 überschrieben: „Das Weltall ist sein Heiligtum“:
Lobet den Herrn des Kosmos,
das Weltall ist sein Heiligtum
mit einem Radius von hunderttausend Millionen Lichtjahren.
Lobt ihn
den Herrn der Sterne
und der interstellaren Räume,
Lobt ihn
den Herrn der Milchstraßen
und der Räume zwischen den Milchstraßen,
Lobt ihn
den Herrn der Atome
und der Vakuen zwischen den Atomen,
[…].
Und in Cardenals Übertragung vonPsalm 148 heißt es:
Lobet den Herrn
sechseckige Schneekristalle
und smaragdene Prismen des Kupfersulfats
unterm Elektronenmikroskop,
flouriszierende Blumen auf dem Meeresgrund,
Kieselalgen, diamantenem Halsband gleich,
Diadem der Antillen,
Anurida maritima und Ligia exotica.
Mir scheint, daß der Neokreationismus im Mißtrauen gegen den Reichtum unserer Naturerkenntnis schlicht solches Loben und Danken vergißt und sich statt dessen in Positionen verbeißt, mit denen Gott gerade nicht verehrt, sondern unzulässig – und für einen Gott unzumutbar – eingeengt wird.
4. Eine Wirklichkeit in verschiedenen Perspektiven
In der Frage nach einer angemessenen Deutung der Wirklichkeit treffen und überschneiden sich die Erkenntnisperspektiven der verschiedenen Wissenschaften und Wissensgebiete. Das, was wir ein wenig hilflos die „Wirklichkeit“ nennen, bietet sich uns dar als ein Gewebe mit unendlich vielen Kontexten und mit unauslotbaren Tiefenstrukturen. Das menschliche Erkennen bleibt immer Stückwerk. Es ist an die dreidimensionale Anschauung gebunden. Sein Begriffsvermögen ist derartig begrenzt, daß auch die kühnsten philosophischen Problemformulierungen nichts anderes als ein intellektuelles Stammeln darstellen können. Für hochkomplexe Sachverhalte fehlen uns die Worte: wir können sie entweder mathematisch darstellen oder in Analogien beschreiben. Schon das Bohrsche Atommodell basiert auf einer solchen Analogie. Erst recht brauchen wir Analogien und Gleichnisse, wenn wir die Dimension des Transzendenten oder gar Gott selbst zur Sprache bringen möchten. Supertheorien, die beanspruchen, alle Phänomene des Wirklichen angemessen zu erfassen, haben ihre Zeit gehabt. Der letzte Versuch einer solchen Supertheorie war die Metaphysik des Marxismus. Und sie ist bekanntlich kläglich gescheitert. Solche globalen Erklärungsmodelle stehen uns nicht mehr zur Verfügung; statt dessen müssen wir uns mit Fragmenten und Teilansichten begnügen und zwischen ihnen auch noch Reibungen, Konflikte und Widersprüche in Kauf nehmen.
Wer mehr erreichen will, erreicht faktisch weniger. Er verfehlt das Entscheidende und muß auch noch auf der Hut sein, das ihm Erreichbare nicht zu verletzen. Er muß Vereinfachungen, Simplifikationen und damit Wirklichkeitsverluste in Kauf nehmen. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß Kreationismus und Neokreationismus auf derartigen Simplifikationen aufbauen und auf sie hinauslaufen. Wer in intellektueller Hinsicht wahrhaftig bleiben möchte, kann diesen Weg gerade nicht einschlagen.
Wir können es in der gebotenen Erkenntnisdemut freilich wagen, die Wirklichkeit aus verschiedenen Perspektiven heraus wahrzunehmen, zu erkunden und zu beschreiben. Wir können sie beschreiben in der Perspektive der Theologie: als dreigliedrigen Geschehniszusammenhang von Gott, Welt und Mensch. Wir können sie beschreiben in der Perspektive der heutigen Physik: als ein strukturiertes, feingliedriges, prozessuales System mit unendlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Wir können sie beschreiben in der Perspektive der Biologie: als den Prozeß des Lebens, das sich in einer Fülle von Arten manifestiert und reproduziert und im menschlichen Bewußtsein die höchste Stufe seiner Selbstorganisation erreicht. Wir können sie auch auf der Ebene der Philosophie beschreiben, wobei die Philosophie schon im Spiel ist, wenn wir solche Perspektiven entwickeln und handhaben. „Wirklichkeit“ ist ja ein philosophisches Wort, und wer definieren möchte, was „Wirklichkeit“ überhaupt ist, muß nolens volens philosophieren.
Wir werden bei solchen Beschreibungsversuchen Reibungen und Spannungen und gelegentlich sogar Unverträglichkeiten zwischen den verschiedenen Perspektiven feststellen. Die Bilder, sie sich uns auftun, werden immer von der Perspektive beeinflußt, die wir gewählt haben. Deshalb können wir auch nicht einfach sagen: dieses Bild ist falsch und nur jenes ist richtig. Vielmehr können wir den Versuch wagen, die jeweiligen Perspektiven mit ihren jeweiligen Bildern aufeinander zu beziehen, nichtwissend wissend, daß alles, was zur Wirklichkeit gehört, von der Liebe Gottes gehalten und durchwirkt ist. Solches nichtwissende Wissen ist in der Bibel ein Wesenszug des Glaubens – Wissen in der Gewißheit, daß die Schöpfung mit all ihren Schönheiten und mit all ihren Verletzungen in Gott geborgen ist, Nichtwissen in der Achtung des Geheimnisses Gottes und im Verzicht auf die denkerische Synthese aller Dinge.
Ein von Carl Friedrich von Weizsäcker geprägtes Bild macht unsere Situation sichtbar. Er schrieb: „Vergleicht man […] Physik, Philosophie und Theologie mit drei einander schneidenden Ebenen, so erweist sich die überkommene Begrifflichkeit um so weniger ausreichend, je mehr man sich dem gemeinsamen Schnittpunkt der drei Ebenen nähert und je zentraler damit die Probleme werden.“ Deshalb dürfe man nicht sagen, das begrifflich nicht Denkbare gebe es nicht. Vielmehr gelte: „Das schlechthin Wirkliche […] ist das begrifflich Undenkbare“ (Die Einheit der Natur, 1971, 318).
Dem „gesunden Menschenverstand“ wird solch eine Aussage unverständlich bleiben, für ihn ist nur wirklich, was auch faßbar, anfaßbar ist. Schon Einsteins Relativitätstheorie übersteigt alles, was diesem „gesunden Menschenverstand“ einleuchten will. Wer hingegen ernsthaft nach Wahrheit fragt, kommt um den Gedanken nicht herum, daß das schlechthin Wirkliche das begrifflich Undenkbare sein müsse und sich uns gerade so in seiner Evidenz erweisen wird.
5. Juli 2007
Michael Beintker
Gott als Designer?
Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliches Weltverständnis
Zusammenfassung
Der aus den USA stammende Kreationismus, von dem es mehrere Typen und Spielarten gibt, vertritt die wörtliche Auslegung der biblischen Schöpfungstexte. Er macht sich die Lücken und bis heute ungeklärten Fragen der Evolutionslehre zunutze und greift zur Verteidigung seiner Positionen auch auf moderne wissenschaftliche Einsichten zurück, die er selektiv rezipiert. Seine zielgerichtete Weiterentwicklung zum Neo-Kreationismus führte zur Theorie des „intelligent design“, die mit dem Anspruch auftritt, die Wirklichkeit besser erklären zu können als die uns vertrauten naturwissenschaftlichen Hypothesen.
Das damit verbundene Konzept läßt sich freilich im Horizont der modernen Naturwissenschaften nicht darstellen. Der entscheidende Denkfehler besteht darin, daß man mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden das Eingreifen Gottes in die Evolution von Kosmos und Biosphäre plausibel machen möchte.
Man hat zu beachten, daß die modernen Naturwissenschaften jene Dimensionen des Wirklichen gar nicht erreichen können, die im Glauben an den Schöpfer benannt und erkannt werden. Physik und Biologie orientieren sich so exakt wie nur möglich an der Welt des Meßbaren und Kalkulierbaren. Ihr Erfolg basiert entscheidend auf der Fähigkeit, die Natur in quantifizierbare Ausschnitte zerlegen zu können und zu Objekten der menschlichen Erkenntnis zu formalisieren. Mit Gott kann man so gerade nicht umgehen. Gott kann nicht wie eine Meßgröße oder wie ein Objekt behandelt werden. Man bringt sich um jede Möglichkeit der Gotteserkenntnis, wenn man Gott auf eine Ebene mit physikalischen Erkenntnisobjekten zwingt.
Der Schöpfungsglaube enthält allerdings kosmologische Implikationen. Auch wenn es nicht gelingen wird, eine Kosmotheologie zu entwerfen, in welcher der Glaube an den Schöpfer und das naturwissenschaftlich gesicherte Wissen unserer Zeit zu einer lückenlosen Supersynthese zusammenfinden, werden bestimmte weltanschauliche Konsequenzen des naturwissenschaftlich geprägten Weltbilds durch den Schöpfungsglauben ausgeschlossen: ein Verständnis der Evolution, bei dem der Zufall das letzte Wort hat, das Postulat von der Ewigkeit der Materie, die Behauptung der Allmacht der Naturgesetze und die Bestreitung des Schöpfungscharakters der Wirklichkeit. Man kann nicht theologisch von Gott dem Schöpfer reden, aber auf naturwissenschaftlicher Ebene das Gegenteil davon erweisen wollen. Man kann sich hier nur bescheiden, indem man zugibt, daß Gott keine Gegebenheit im Horizont der physikalischen oder der biologischen Theoriebildung ist, oder (was ebenfalls dem Geist echter Wissenschaft entspricht) sein Nichtwissen einräumt.
Die entscheidende Voraussetzung für die Befriedung der sich an der Schwelle der Neuzeit entwickelnden Konfliktsituation zwischen Naturerkenntnis und Schöpfungslehre lieferte I. Kant durch ein Modell der Kompetenzunterscheidung. Das eröffnete dem Glauben die Möglichkeit, die freie Entwicklung der Naturwissenschaften zu akzeptieren und als Strategie zu begrüßen, mit der der Mensch den ihm gewährten Herrschaftsauftrag in der Schöpfung einlöst. Die Kompetenzunterscheidung ist in Europa so selbstverständlich geworden, daß hier die meisten Christen von den Auffassungen des Kreationismus befremdet sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es sogar zu einer neuen Annäherung zwischen Glaube und Naturwissenschaften, ausgelöst durch die atomare Aufrüstung und das Erschrecken über die Entfesselung des menschlichen Erfinderdrangs. Sie erlebte in den 70er und 80er Jahren einen zweiten Höhepunkt, angestoßen durch das gewachsene ökologische Problembewußtsein und die zu erwartenden Folgen einer unbeschränkten Ausbeutung unseres natürlichen Lebensraums.
Nach wie vor ist die wichtige Grundregel im Umgang mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zu beachten, daß Gott nicht als Lückenbüßer in die offenen Lücken menschlicher Erkenntnisse geschoben werden darf. Wenn Kreationisten solche Lücken im Bereich der Evolution aufspüren, um an ihnen das direkte Eingreifen Gottes zu demonstrieren, leisten sie Gott einen schlechten Dienst. Denn sie schieben ihn mit jeder dann durch neue Erkenntnis wieder geschlossenen Lücke aus der Welt hinaus, in die sie ihn doch gerade hineinholen wollten und in die er – obwohl kategorial von ihr unterschieden – als Grund, Ursache und Wirkprinzip aller Wirklichkeit auch hineingehört.
So kann man auf der naturwissenschaftlichen Ebene Gott nicht als Designer ins Spiel bringen. Die Rede vom „intelligent design“ ist als physikalische oder biologische Hypothese unbrauchbar. Sie sagt entschieden mehr, als Physiker oder Biologen sagen können, und läßt sich weder theoretisch noch experimentell überprüfen. Harte Wissenschaft bleibt bescheiden: Sie verzichtet auf Sinn- und Wozu-Fragen.
Gleichwohl muß man die Idee eines „intelligent design“ nicht pauschal ablehnen. Hilfreich kann sie für die theologische Deutung, aber möglicherweise auch für die philosophische Interpretation des Prozesses der Evolution werden. Auf theologischer und auch auf philosophischer Ebene sind Sinn- und Wozu-Fragen zulässig, auch wenn man am Ende vielleicht nur zu dem Ergebnis kommt, daß man an diesen Fragen scheitert. Auf der Linie des biblischen Schöpfungszeugnisses ist die Rede von einem dem Willen des Schöpfers entspringenden Plan ebenso legitim wie die Rede, daß solch ein Plan die Prozesse der Selbstorganisation der Materie durchwaltet. Und auch dies ist sagbar, daß Gott nicht einfach nur die Basisinformationen für den sog. „Urknall“ zur Verfügung stellte, sondern den Weg der Evolution bis zum heutigen Tage beeinflußt und begleitet, wie er jeden einzelnen von uns durch unsere Eltern ins Leben ruft und wie er Himmel und Erde der Verheißung des neuen Himmels und der neuen Erde entgegenführt, indem er die uns bekannte Schöpfung – von allem Leiden und Sterben befreit – zu unvorstellbarer Schönheit verwandeln wird.
In der Frage nach einer angemessenen Deutung der Wirklichkeit treffen und überschneiden sich die Erkenntnisperspektiven der verschiedenen Wissenschaften und Wissensgebiete. Das, was wir die „Wirklichkeit“ nennen, bietet sich uns dar als ein Gewebe mit unendlich vielen Kontexten und mit unauslotbaren Tiefenstrukturen. Demgegenüber bleibt das menschliche Erkennen immer Stückwerk. Ein von Carl Friedrich von Weizsäcker geprägtes Bild macht unsere Situation sichtbar: „Vergleicht man […] Physik, Philosophie und Theologie mit drei einander schneidenden Ebenen, so erweist sich die überkommene Begrifflichkeit um so weniger ausreichend, je mehr man sich dem gemeinsamen Schnittpunkt der drei Ebenen nähert und je zentraler damit die Probleme werden.“ Deshalb dürfe man nicht sagen, das begrifflich nicht Denkbare gebe es nicht. Vielmehr gelte: „Das schlechthin Wirkliche […] ist das begrifflich Undenkbare“. Der Respekt des Glaubens vor dem schlechthin Wirklichen verbietet es, dieses mit den Abläufen der uns bekannten Natur auf eine Ebene zu stellen.